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Allgemeine Zeitung, Nr. 89, 1. April 1900.

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München, Sonntag Allgemeine Zeitung 1. April 1900. Nr. 89.
[Spaltenumbruch]

wollen wir gern verzeihen, denn es ist bei uns zulande nach-
gerade zur Manie geworden, Blätter, denen gute Infor-
mationsquellen zu Gebote stehen, die dabei aber von der
Unabhängigkeit ihres Urtheils kein Jota opfern, mit der
Bezeichnung "offiziös" zu bedenken. In erster Linie ver-
fallen diesem Offiziositätsverdacht selbstverständlich die-
jenigen Zeitungen, die, gleich uns, nicht Bedenken tragen,
einer Regierung, die ihres Erachtens recht und richtig
handelt, ein Wort der Billigung und der Zustimmung zu-
theil werden zu lassen, und die auch da, wo sie in der Oppo-
sition stehen, des in guter Gesellschaft üblichen Tones sich
befleißigen.

Gegen die Behauptung, daß wir freiwillig offiziös
seien, wehren wir uns und werden wir uns immer wehren,
weil sie der Sachlage nicht entspricht. Will man sie dessenun-
geachtet wiederholen, so werden wir uns deßhalb nicht über-
mäßig echauffiren, denn am letzten Ende kann man ja offi-
ziös und dabei doch ein leidlich anständiger Mensch sein. Mit
äußerster Entschiedenheit müssen wir uns jedoch gegen den
Versuch einzelner rother und schwarzer Sudelblätter wen-
den, unser Eintreten für die Flottenvorlage, das uns ledig-
lich durch nationale und patriotische Erwägungen vorge-
zeichnet worden ist, auf ein angebliches Abhängigkeitsver-
hältniß gegenüber der am Kriegsschiffbau interessirten
Großindustrie zurückzuführen. Ein solches Abhängigkeits-
verhältniß hat für uns niemals bestanden und besteht auch
zur Zeit nicht. Ein Gegner, der uns mit derartigen In-
sinuationen, die mit der hin und wieder ausgesprengten
dreisten Lüge, daß wir "im Solde" irgend einer Regierung
ständen und mit bayerischem oder preußischem Gelde "ge-
kauft" seien, auf einer Linie steht, muß wahrlich am Ende
seiner sachlichen Argumente angelangt sein. Ist das nicht
der Fall, so bleibt nur die Annahme, daß er von der
eigenen Erbärmlichkeit auf die moralische Qualität Anderer
sich Schlüsse gestattet, und daß er das für sich selbst maß-
gebende "virtus post nummos" für ein im politischen
Leben und im publizistischen Streit allgemein gültiges
Prinzip hält, was es gottlob doch bei weitem nicht ist. In
allen Parteilagern, auch in denjenigen, mit denen wir
dauernd in schärfster Fehde liegen, kennen wir Männer, die
für das aus den Erträgnissen der Kloake gewonnene Gold
das "non olet" des Vespasian nicht gelten lassen, die aber
stets bereit sind, für ideale Zwecke und für ihre politische
Ueberzeugung selbst die belangreichsten materiellen Opfer
zu bringen. Dem hiesigen sozialdemokratischen Organ
scheinen solche Männer in den eigenen Reihen allerdings
unbekannt zu sein; wäre es anders, so würde es die hoch-
angesehenen Persönlichkeiten, denen die Allgemeine Zeitung
es zu danken hatte und noch zu danken hat, daß sie ohne
Rücksicht auf geschäftliche Interessen auch unter schwierigen
Verhältnissen in voller Unabhängigkeit ihre alten, stolzen
Traditionen zu wahren vermag, nicht in der pöbelhaften
Weise verunglimpfen, wie es dies soeben gethan hat, indem
es -- wir wollen aus dem schmachvollen Pamphlet wenig-
stens eine Zeile niedriger hängen -- uns als "die holz-
papierene Maitresse eines reichen Scharfmachers" bezeich-
nete. Gebe der Himmel, daß von den Blättern, die dem
deutschen Volk seine tägliche politische Kost bieten, recht
viele, wie wir, auf Holz- und recht wenige auf Lumpen-
Papier gedruckt sein mögen. Mit Organen der letzteren
Art in publizistischer Fehde uns auseinanderzusetzen, wird
kein anständig und billig Denkender, welcher Partei er
auch angehören mag, uns zumuthen. Gegen gewerbs-
mäßige Ehrabschneider und Verleumder werden wir in
Zukunft an anderer Stelle Recht und Schutz zu finden
wissen. Das mögen diejenigen, die es angeht, sich ge-
sagt sein lassen!

Wir bedauern, daß wir in jüngster Zeit wiederholt
genöthigt gewesen sind, in eigener Sache die Aufmerk-
samkeit unsrer Leser in Anspruch zu nehmen; wir würden
auch auf die eben geschilderten Roheiten und Infamien
nicht eingegangen sein, wenn sie nicht einen Vorgeschmack
dessen bieten könnten, was wir für den Fall einer
[Spaltenumbruch] Wahlkampagne wegen der Flottenvorlage zu gewär-
tigen haben, wenn nicht die besseren Elemente hüben
und drüben ihren ganzen Einfluß aufbieten, um der
leider schon zu weit fortgeschrittenen Verwilderung
unsrer politischen und publizistischen Sitten entgegen-
zuwirken. Wir haben früher den parlamentarischen
Exzessen, zu denen die Angehörigen heißblütigerer Nationen
sich verleiten ließen, mit einem gewissen Gefühl morali-
scher Ueberlegenheit zugeschaut und ohne besondere phari-
säische Heuchelei auch zuschauen können, denn im großen
und ganzen hatte man bei uns doch Werth darauf gelegt,
auch im heißesten Parteistreit die Regeln eines anständigen
Kampfes nicht außer acht zu lassen. Leider sind das ver-
schwundene Zeiten; aber wenn wir Selbstbesinnung
und Selbstbeherrschung walten lassen, sollten sie wieder-
kehren können. Engländer und Buren hassen sich gewiß
aus tieffter Seele, und doch hat der britische Oberbefehls-
haber Lord Roberts es für Ehrenpflicht erachtet, seinem
Widersacher Cronje in ritterlicher Weise zu begegnen, und
auf Seiten der schlichten, dem natürlichen Empfinden folgen-
den Buren hat man in ähnlichem Falle wiederholt die gleiche
Haltung beobachtet. Die deutsche Presse ohne Unterschied der
Parteistellung hat die Kunde hievon mit lebhaftester Genug-
thuung begrüßt; möchte sie nun auch von den Kämpfern
in Südafrika nicht nur das Schlimme lernen und ge-
legentliche Ausschreitungen nachahmen, sondern sich von
ihnen auch zeigen lassen, daß man sich selbst am meisten
ehrt, wenn man dem Gegner Gerechtigkeit widerfahren läßt.



Deutsches Reich.
Das Centrum und die Flottenvorlage.

Mit einer Fülle schwerer
Fragezeichen belastet ist der Reichstag in die Oster-
ferien
gegangen. Die dreitägige Debatte, in welcher zu-
letzt die Budgetkommission endlich die Flotten-
vorlage
in Behandlung genommen hat, soll nach der
Meinung gutmüthiger Leute eine Grundlage für eine po-
sitive Lösung geschaffen haben. Ein kaltblütigeres Urtheil
wird sich nach dieser Grundlage vergebens umsehen. Unse-
res Erachtens besteht das einzige Verdienst dieser Kommis-
sionsverhandlungen darin, zum Bewußtsein gebracht zu
haben, daß es drückendere Sorgen gibt als Fleischbeschau
und lex Heinze. Die Ungewißheit des Schicksals der
Flottenvorlage liegt einzig und allein in der Stellung
des Centrums.
Hat die Kommissionsdebatte darüber
mehr Klarheit verbreitet? Darauf gibt es nur ein rundes
Nein. Noch ist ja dies seltsame Rekognoszirungsgefecht erst
zur Hälfte beendigt. In dem Rest des vom Centrum aufge-
stellten Fragebogens stecken noch recht anmuthige Sachen,
bei deren Erklärung recht merkwürdige Ueberraschungen
herausspringen können. Was bisher verhandelt wurde,
die Nothwendigkeit der Flottenverstärkung und die Frage
der Deckungsmittel, ist ja zweifellos das Wichtigste. Wir
können aber nicht finden, daß die Sachlage, im Grunde ge-
nommen, irgendwie verschoben sei. Daß das Centrum das
Bedürfniß einer Erweiterung der Flotte über den Rahmen
des Gesetzes von 1898 hinaus nicht bestreitet, wußte man be-
reits aus der Fraktionsrede des Herrn Schädler in der
ersten Lesung; ebenso aber auch, daß es eine Erweiterung
in dem Umfange der Vorlage einmüthig ablehne. Von In-
teresse war also, zu erfahren, mit welcher Einschränkung es
die Verstärkung zu bewilligen bereit sei. Eine Antwort auf
diese Frage hat man nicht erhalten.

Wir wollen nicht leugnen, daß die rückhaltlose Art, wie
die Herren Gröber und Müller-Fulda der Vermehrung der
Schlachtflotte zugestimmt haben, ein Gefühl der Be-
friedigung hervorrufen kann; aber wenn eine der Beding-
ungen für diese Zustimmung die Ablehnung der Vermeh-
rung der Schiffe für den Auslandsdienst sein soll,
so erscheint doch sehr zweifelhaft, daß die Regierung darauf
eingehen könnte. Da die Auslandsschiffe in erster Linie den
Interessen des Handels dienen, ist ja wahrscheinlich, daß in
einseitig agrarisch erregten Kreisen für ihre Ablehnung
[Spaltenumbruch] leicht Stimmung zu machen sein würde. Um so bemerkens-
werther ist, daß bei den konservativen Mitgliedern der
Kommission für diese Idee allem Anscheine nach eine Unter-
stützung nicht gefunden worden ist. Von einer bereits vor-
handenen Basis der Verständigung kann hier sonach kaum
die Rede sein. Zudem: was bedeuten die Anschauungen
der Herren Gröber und Müller-Fulda, wenn Beide nach-
drücklich betonen, daß sie nur für ihre Person sprechen? Ein
drittes dem Centrum angehörendes Kommissionsmitglied,
Herr Roeren, hat sich mit Schroffheit gegen die Ver-
mehrung auch der Schlachtflotte ausgesprochen. Das
bezeichnet also einstweilen eine starke Meinungs-
verschiedenheit im Centrum.
Wer kann aber
sagen, auf welcher Seite die Mehrheit der Fraktion steht?
Für das Zustandekommen des Flottengesetzes würde ja frei-
lich die Mitwirkung des ganzen Centrums nicht erforder-
lich sein; zur Noth genügen 40 Mitglieder. Wer garantirt
aber dafür, daß dem Centrum nicht schließlich, wie bei der
Militärvorlage von 1893, die Einigkeit der Partei höher
steht als die Flottenverstärkung? Man kann sich darüber
nicht täuschen: was die gegenwärtig in der Kommission
agirenden Herren reden, hat nur den Zweck, ut aliquid
factum esse videatur.
Was in Wirklichkeit geschehen
soll, darüber wird sich das Centrum erst schlüssig machen,
wenn ihm ganz anders woher, als von diesen Kommissions-
berathungen die Erleuchtung gekommen sein wird. Dann
wird wohl auch Herr Schädler wieder auf der Bildfläche
erscheinen.

Noch weniger positive Anhaltspunkte, als die Debatte
über die Nothwendigkeit der Flottenverstärkung, hat die-
jenige über die Deckungsfrage hinterlassen. Selbst-
verständlich konnte sie nur auf eine Wiederholung der gan-
zen Fluth mehr oder weniger möglicher oder unmöglicher
Projekte herauskommen, mit denen das deutsche Volk wäh-
rend der letzten Monate in der Presse überschüttet worden
ist. Und selbstverständlich brauchte eins dieser Projekte nur
empfohlen zu werden, um sofort die Mißbilligung des näch-
sten Redners zu finden, der seinerseits ein nach seiner
Meinung viel besseres vorzuschlagen wüßte. Herr Richter
hat gemeint, das in der Kommission zusammengestellte
Steuerbouquet werde den Flottenfreunden stark zur Er-
nüchterung gereichen. Wir bezweifeln, daß ein sofort von
der Kommission selbst so vollständig zerpflücktes Bouquet
überhaupt einen Eindruck machen wird. Es gehört nicht
viel Scharfblick dazu, um zu erkennen, daß aus diesem
ganzen Wirrwarr nichts weiter herauskommen wird als
die Verdoppelung des Lotteriestempels, eine Besteuerung
des Saccharins und vielleicht ein Cono[ssementstempel. Wer]
glaubt, daß durch eine derartige Pers[pektive die Flotten-]
bewegung sich entmuthigen lassen werd[e, der wird sich bald]
enttäuscht sehen.

Mehr Bedeutung wird man woh[l der Thatsache be-]
legen, daß die verbündeten R[egierungen sich]
durch den Deckungsfragenlärm in ihrer Ueberzeugung, daß
eine Inanspruchnahme neuer Einnahme-
quellen
überhaupt nicht erforderlich sei, nicht,
oder bis jetzt wenigstens nicht, haben beirren lassen. Be-
greiflicherweise lehnen sie die ihnen auf dem Präsentirteller
entgegengebrachte Verdoppelung des Lotteriestempels nicht
ab, und sie können die Maßregel ruhig vertreten, als eine
Beschwichtigung der ängstlichen Gemüther, welche sich auf
eine den Mehrbedarf der Marine in dem von der Regierung
vorgeschlagenen Betrage deckende Steigerung der ordent-
lichen Reichseinnahmen nicht verlassen mögen. Wenn das
Centrum sich dadurch nicht befriedigt fühlt, weil es mit dem
von der Regierung, entsprechend den bisher stets beobachte-
ten Grundsätzen, vorgeschlagenen Modus der Deckung durch
Anleihe und durch ordentliche Einnahmen nicht einver-
standen ist, so hat es seinerseits die Pflicht, Gegenvorschläge
zu machen. Als solche werden aber die Apercüs der Herren
Müller-Fulda und Gröber, welch Letzterer die Kommission
mit der finanzpolitischen Ungeheuerlichkeit einer quotisirten
Reichserbschaftssteuer überraschte, nicht aufgefaßt werden
können. Den von nationalliberaler Seite angebotenen

[Spaltenumbruch]

gab sie ihm, als er mürrisch eintrat, ohne jede weitere Be-
merkung, und der alte Landbriefträger beguckte die Adres-
sen. Doch zeigte er keinerlei Ueberraschung, die Sache
scheint für ihn sehr einfach zu liegen. Schon beim Brief
für die Unterdirn sagt er für sich: "So, so, kriegt die Cenzl
beim Karlwirth wieder einmal a Briefl!"

Lina wirft ein: "Ischt das der Wirth mit dem Loch im
Dach?"

"Freilich!" Von der letzten Rauferei her! Der Bader
hat ihm 's Loch zugeflickt, aber der Wirth hat seinen Spitz-
namen doch!"

"Wohin gehört denn der andere Brief?"

"Der Seilerin! Der Brief ist jedenfalls von ihrem
Zukünftigen, und seller hält was auf ordentliche Titula-
tur."

Lina lobt den Briefträger, ohne den das Postamt in
nicht geringe Verlege theit wegen der Zustellung solch un-
genügend adressirter Briefe käme.

"Ischt nicht so gefährlich! Man muß nur wissen, wer
gemeint ischt, und von wem der Brief ischt."

"Die Post kennt aber meistens den Absender nicht!"

"Die Post? Das ischt nur so ein fremdes Weibsbild,
das die Leut' nicht kennt! Ich weiß bei jedem Brief, von
wem er ischt!"

Lina lächelt und nimmt die Grobheit des Postfakto-
tums nicht weiter übel. Während Sepp die beiden Briefe
austrägt, entleert das Postfräulein den Briefkasten im Flur
und mustert die Einlage. Hier ein schmutziger, fettiger
Brief, dessen Absenderin leicht in einer Küche zu vermuthen
ist. Die Adresse lautet: "An den Kaiserlichen jeger Jophses
Bleibnichtlang, 11. Cumpani, Bergkasern, Brixen, geschrie-
ben in Eil, in nächtiger Weil, in Dämrung und Licht, ver-
giß mein nicht."

Von Ziegelstaub behaftet ist ein zweiter Brief, dessen
Inhalt man aus der Adresse leicht errathen kann, den
zweifellos ein welscher Ziegelarbeiter schrieb: "An mein
Weib Maria Benatti in Cavalese, Südtirol. Den Brief
ihr glei geben wegen nachkommen!"

Lina schüttelt den Kopf ob solch postalischer Wahr-
nehmungen und liest den Inhalt einer Korrespondenzkarte,
auf welcher ein biederer Bergbauer in poetischer Anwand-
lung gekritzelt hat:

"Möchte wisen ob du das Kalb
Holst am Montag oder nicht,
War am Freitag 3 Wochen alt;
[Spaltenumbruch] Wan du es nicht brauchen kannst,
Mach es mir zu wissen bald.

Christian Schober."

Kaum hatte das Fräulein diese Epistel gelesen, kam
eine Bäuerin in die Kanzlei und brachte ihr Anliegen vor:
"Bischt du die Postfräuln? Ja, ich hab's mir gleich
denkt! Mit Verlaub hätt' ich eine Bitt' von wegen 'm Ein-
stellen!"

"Was willst denn einstellen in der Postkanzlei?"

"Nicht viel, bloß den Kübel da."

"Was ischt denn drinnen?"

"Gleich nur etwas Wagenschmier'."

Den Duft hatte Lina inzwischen in die Nase bekommen
und selbstverständlich verweigerte sie nun die Einstellung.

"Was? Nicht aufheben willst mir den Kübel?! Wär'
nicht übel! Weißt was, dann kauf ich nichts mehr bei dir!
Ich streik' wie die Spezinaldemokraten in Innsbruck! So
was! Das Postmensch will nicht einstellen lassen! Zu was
ischt denn die Post da!"

Ingrimmig ging die Bäuerin mit ihrem Wagenfett
weiter und überrannte ein Bübchen, das nun wie ein
Igel in die Kanzlei rollte und nicht wenig zeterte.

Mitleidig fragte Lina, was denn fehle und was der
Bub wolle?

Der kleine Gebirgler stand auf, beguckte seine nackten,
staubigen Knie und fragte dann: "Sind meine Pfoaden
(Hemden) da?"

"Das kann ich doch nicht wissen!"

"So, nicht? Ja, bischt du denn nicht die Postfräuln?"

"Doch! Aber ich kenne den Inhalt der Paketsendungen
nicht. Erwartest du ein Paket?"

"Ich? Nein! Ich soll bloß Pfoaden kriegen."

"Die Hemden müssen aber doch verpackt sein!"

"Die meinigen nicht, die kommen in einem Brief."

"Na, geh nur wieder, Kleiner, es ischt noch nichts für
dich da!"

Nun heulte der kleine Bursche herzzerbrechend, daß
ihm das neue Postfräulein seine Hemden nicht geben wolle,
und entfernte sich unter Drohungen, über welche Lina hell
auflachen mußte. Versprach der Knirps doch, er werde sie
beim Lehrer verklagen, und das Postfräulein müsse dann
etliche Stunden strafsitzen und kriege kein warmes Mittags-
mahl.

Lina hatte sich wieder an den Kanzleitisch gesetzt und
[Spaltenumbruch] begann zu arbeiten, als plötzlich durch das offene Fenster
ein Brieflein in die Stube geflogen kam. Rasch eilte das
Postfräulein aus Fenster und konnte noch sehen, wie eine
Bauerndirne davonsprang, die als Aufgeberin des Brief-
leins nicht gesehen sein wollte. Lina fand es neu, statt
den Briefkasten zu benutzen, die Briefe direkt in die Post-
kanzlei zu werfen.

Den Brief vom Boden aufhebend, las Lina die Adresse,
die alle Findigkeit der Post herausforderte, denn dieselbe
lautet: "Der Brief gehert nach St. Jakob nach Gand in
das inderste Haus dem Bub wo sein Vader gstorbe ischt."

Lina greift nach dem postalischen Ortslexikon; wie ver-
muthet, gibt es eine Anzahl von dem heiligen Jakob ge-
weihten Orten. Doch halt, eine Ortschaft Gand existirt
ja am Arlberg, also wird das Sankt Jakob am Arlberg
gemeint sein, und dorthin spedirte das Postfräulein den
auf so seltsame Weise aufgegebenen und adressirten Brief,
der, wie ein späterer Laufzettel meldete, richtig dem ge-
meinten Empfänger zugestellt worden ist.

"An Abwechslung fehlt es wahrlich nicht in diesem
Postamt!" murmelte Lina, und wie zum Beweis er-
schien ein Bauer, der einen mächtigen Bund Kleidungs-
stücke schleppte, und bat, die Expeditorin möge das Zeug
heute noch an den "Jörgei, der bei der Militär in Trient
ischt", schicken.

"Recht gern! Nur müßt Ihr die Kleider ordentlich in
ein Paket verpacken und auf eine Postbegleitadresse die ge-
naue Adresse Eures Sohnes schreiben."

"Müssen muß ich gar nix, und schreiben thue ich nix,
weil ich die lauretanische (gemeint war die lateinische),
Schrift nicht kenn'."

Lachend sagte Lina: "Nun, die Postbegleitadresse will
ich Euch schon schreiben. Aber das Verpacken der Kleider
ischt Eure Sache!"

"Schick sie nur so fort! Auf der Post wird nix ge-
stohlen!"

"Geht nicht, mein Lieber! Apropos, dürfen denn die
Soldaten in Trient in Zivil gehen?"

"Sell dürfen sie nicht!"

"Wozu schickt Ihr aber Eurem Sohn Zivilkleider?"

"Du, weißt, sell geht dich nix an! Und ich mag nimmer
weiter diskuriren mit dir. Ich gib jetzt das Gewand unten
auf der Eisenbahn auf!" Sprach's und ging mit dem
Kleiderbund ab. (Fortsetzung folgt.)

München, Sonntag Allgemeine Zeitung 1. April 1900. Nr. 89.
[Spaltenumbruch]

wollen wir gern verzeihen, denn es iſt bei uns zulande nach-
gerade zur Manie geworden, Blätter, denen gute Infor-
mationsquellen zu Gebote ſtehen, die dabei aber von der
Unabhängigkeit ihres Urtheils kein Jota opfern, mit der
Bezeichnung „offiziös“ zu bedenken. In erſter Linie ver-
fallen dieſem Offizioſitätsverdacht ſelbſtverſtändlich die-
jenigen Zeitungen, die, gleich uns, nicht Bedenken tragen,
einer Regierung, die ihres Erachtens recht und richtig
handelt, ein Wort der Billigung und der Zuſtimmung zu-
theil werden zu laſſen, und die auch da, wo ſie in der Oppo-
ſition ſtehen, des in guter Geſellſchaft üblichen Tones ſich
befleißigen.

Gegen die Behauptung, daß wir freiwillig offiziös
ſeien, wehren wir uns und werden wir uns immer wehren,
weil ſie der Sachlage nicht entſpricht. Will man ſie deſſenun-
geachtet wiederholen, ſo werden wir uns deßhalb nicht über-
mäßig echauffiren, denn am letzten Ende kann man ja offi-
ziös und dabei doch ein leidlich anſtändiger Menſch ſein. Mit
äußerſter Entſchiedenheit müſſen wir uns jedoch gegen den
Verſuch einzelner rother und ſchwarzer Sudelblätter wen-
den, unſer Eintreten für die Flottenvorlage, das uns ledig-
lich durch nationale und patriotiſche Erwägungen vorge-
zeichnet worden iſt, auf ein angebliches Abhängigkeitsver-
hältniß gegenüber der am Kriegsſchiffbau intereſſirten
Großinduſtrie zurückzuführen. Ein ſolches Abhängigkeits-
verhältniß hat für uns niemals beſtanden und beſteht auch
zur Zeit nicht. Ein Gegner, der uns mit derartigen In-
ſinuationen, die mit der hin und wieder ausgeſprengten
dreiſten Lüge, daß wir „im Solde“ irgend einer Regierung
ſtänden und mit bayeriſchem oder preußiſchem Gelde „ge-
kauft“ ſeien, auf einer Linie ſteht, muß wahrlich am Ende
ſeiner ſachlichen Argumente angelangt ſein. Iſt das nicht
der Fall, ſo bleibt nur die Annahme, daß er von der
eigenen Erbärmlichkeit auf die moraliſche Qualität Anderer
ſich Schlüſſe geſtattet, und daß er das für ſich ſelbſt maß-
gebende „virtus post nummos“ für ein im politiſchen
Leben und im publiziſtiſchen Streit allgemein gültiges
Prinzip hält, was es gottlob doch bei weitem nicht iſt. In
allen Parteilagern, auch in denjenigen, mit denen wir
dauernd in ſchärfſter Fehde liegen, kennen wir Männer, die
für das aus den Erträgniſſen der Kloake gewonnene Gold
das „non olet“ des Veſpaſian nicht gelten laſſen, die aber
ſtets bereit ſind, für ideale Zwecke und für ihre politiſche
Ueberzeugung ſelbſt die belangreichſten materiellen Opfer
zu bringen. Dem hieſigen ſozialdemokratiſchen Organ
ſcheinen ſolche Männer in den eigenen Reihen allerdings
unbekannt zu ſein; wäre es anders, ſo würde es die hoch-
angeſehenen Perſönlichkeiten, denen die Allgemeine Zeitung
es zu danken hatte und noch zu danken hat, daß ſie ohne
Rückſicht auf geſchäftliche Intereſſen auch unter ſchwierigen
Verhältniſſen in voller Unabhängigkeit ihre alten, ſtolzen
Traditionen zu wahren vermag, nicht in der pöbelhaften
Weiſe verunglimpfen, wie es dies ſoeben gethan hat, indem
es — wir wollen aus dem ſchmachvollen Pamphlet wenig-
ſtens eine Zeile niedriger hängen — uns als „die holz-
papierene Maitreſſe eines reichen Scharfmachers“ bezeich-
nete. Gebe der Himmel, daß von den Blättern, die dem
deutſchen Volk ſeine tägliche politiſche Koſt bieten, recht
viele, wie wir, auf Holz- und recht wenige auf Lumpen-
Papier gedruckt ſein mögen. Mit Organen der letzteren
Art in publiziſtiſcher Fehde uns auseinanderzuſetzen, wird
kein anſtändig und billig Denkender, welcher Partei er
auch angehören mag, uns zumuthen. Gegen gewerbs-
mäßige Ehrabſchneider und Verleumder werden wir in
Zukunft an anderer Stelle Recht und Schutz zu finden
wiſſen. Das mögen diejenigen, die es angeht, ſich ge-
ſagt ſein laſſen!

Wir bedauern, daß wir in jüngſter Zeit wiederholt
genöthigt geweſen ſind, in eigener Sache die Aufmerk-
ſamkeit unſrer Leſer in Anſpruch zu nehmen; wir würden
auch auf die eben geſchilderten Roheiten und Infamien
nicht eingegangen ſein, wenn ſie nicht einen Vorgeſchmack
deſſen bieten könnten, was wir für den Fall einer
[Spaltenumbruch] Wahlkampagne wegen der Flottenvorlage zu gewär-
tigen haben, wenn nicht die beſſeren Elemente hüben
und drüben ihren ganzen Einfluß aufbieten, um der
leider ſchon zu weit fortgeſchrittenen Verwilderung
unſrer politiſchen und publiziſtiſchen Sitten entgegen-
zuwirken. Wir haben früher den parlamentariſchen
Exzeſſen, zu denen die Angehörigen heißblütigerer Nationen
ſich verleiten ließen, mit einem gewiſſen Gefühl morali-
ſcher Ueberlegenheit zugeſchaut und ohne beſondere phari-
ſäiſche Heuchelei auch zuſchauen können, denn im großen
und ganzen hatte man bei uns doch Werth darauf gelegt,
auch im heißeſten Parteiſtreit die Regeln eines anſtändigen
Kampfes nicht außer acht zu laſſen. Leider ſind das ver-
ſchwundene Zeiten; aber wenn wir Selbſtbeſinnung
und Selbſtbeherrſchung walten laſſen, ſollten ſie wieder-
kehren können. Engländer und Buren haſſen ſich gewiß
aus tieffter Seele, und doch hat der britiſche Oberbefehls-
haber Lord Roberts es für Ehrenpflicht erachtet, ſeinem
Widerſacher Cronje in ritterlicher Weiſe zu begegnen, und
auf Seiten der ſchlichten, dem natürlichen Empfinden folgen-
den Buren hat man in ähnlichem Falle wiederholt die gleiche
Haltung beobachtet. Die deutſche Preſſe ohne Unterſchied der
Parteiſtellung hat die Kunde hievon mit lebhafteſter Genug-
thuung begrüßt; möchte ſie nun auch von den Kämpfern
in Südafrika nicht nur das Schlimme lernen und ge-
legentliche Ausſchreitungen nachahmen, ſondern ſich von
ihnen auch zeigen laſſen, daß man ſich ſelbſt am meiſten
ehrt, wenn man dem Gegner Gerechtigkeit widerfahren läßt.



Deutſches Reich.
Das Centrum und die Flottenvorlage.

Mit einer Fülle ſchwerer
Fragezeichen belaſtet iſt der Reichstag in die Oſter-
ferien
gegangen. Die dreitägige Debatte, in welcher zu-
letzt die Budgetkommiſſion endlich die Flotten-
vorlage
in Behandlung genommen hat, ſoll nach der
Meinung gutmüthiger Leute eine Grundlage für eine po-
ſitive Löſung geſchaffen haben. Ein kaltblütigeres Urtheil
wird ſich nach dieſer Grundlage vergebens umſehen. Unſe-
res Erachtens beſteht das einzige Verdienſt dieſer Kommiſ-
ſionsverhandlungen darin, zum Bewußtſein gebracht zu
haben, daß es drückendere Sorgen gibt als Fleiſchbeſchau
und lex Heinze. Die Ungewißheit des Schickſals der
Flottenvorlage liegt einzig und allein in der Stellung
des Centrums.
Hat die Kommiſſionsdebatte darüber
mehr Klarheit verbreitet? Darauf gibt es nur ein rundes
Nein. Noch iſt ja dies ſeltſame Rekognoszirungsgefecht erſt
zur Hälfte beendigt. In dem Reſt des vom Centrum aufge-
ſtellten Fragebogens ſtecken noch recht anmuthige Sachen,
bei deren Erklärung recht merkwürdige Ueberraſchungen
herausſpringen können. Was bisher verhandelt wurde,
die Nothwendigkeit der Flottenverſtärkung und die Frage
der Deckungsmittel, iſt ja zweifellos das Wichtigſte. Wir
können aber nicht finden, daß die Sachlage, im Grunde ge-
nommen, irgendwie verſchoben ſei. Daß das Centrum das
Bedürfniß einer Erweiterung der Flotte über den Rahmen
des Geſetzes von 1898 hinaus nicht beſtreitet, wußte man be-
reits aus der Fraktionsrede des Herrn Schädler in der
erſten Leſung; ebenſo aber auch, daß es eine Erweiterung
in dem Umfange der Vorlage einmüthig ablehne. Von In-
tereſſe war alſo, zu erfahren, mit welcher Einſchränkung es
die Verſtärkung zu bewilligen bereit ſei. Eine Antwort auf
dieſe Frage hat man nicht erhalten.

Wir wollen nicht leugnen, daß die rückhaltloſe Art, wie
die Herren Gröber und Müller-Fulda der Vermehrung der
Schlachtflotte zugeſtimmt haben, ein Gefühl der Be-
friedigung hervorrufen kann; aber wenn eine der Beding-
ungen für dieſe Zuſtimmung die Ablehnung der Vermeh-
rung der Schiffe für den Auslandsdienſt ſein ſoll,
ſo erſcheint doch ſehr zweifelhaft, daß die Regierung darauf
eingehen könnte. Da die Auslandsſchiffe in erſter Linie den
Intereſſen des Handels dienen, iſt ja wahrſcheinlich, daß in
einſeitig agrariſch erregten Kreiſen für ihre Ablehnung
[Spaltenumbruch] leicht Stimmung zu machen ſein würde. Um ſo bemerkens-
werther iſt, daß bei den konſervativen Mitgliedern der
Kommiſſion für dieſe Idee allem Anſcheine nach eine Unter-
ſtützung nicht gefunden worden iſt. Von einer bereits vor-
handenen Baſis der Verſtändigung kann hier ſonach kaum
die Rede ſein. Zudem: was bedeuten die Anſchauungen
der Herren Gröber und Müller-Fulda, wenn Beide nach-
drücklich betonen, daß ſie nur für ihre Perſon ſprechen? Ein
drittes dem Centrum angehörendes Kommiſſionsmitglied,
Herr Roeren, hat ſich mit Schroffheit gegen die Ver-
mehrung auch der Schlachtflotte ausgeſprochen. Das
bezeichnet alſo einſtweilen eine ſtarke Meinungs-
verſchiedenheit im Centrum.
Wer kann aber
ſagen, auf welcher Seite die Mehrheit der Fraktion ſteht?
Für das Zuſtandekommen des Flottengeſetzes würde ja frei-
lich die Mitwirkung des ganzen Centrums nicht erforder-
lich ſein; zur Noth genügen 40 Mitglieder. Wer garantirt
aber dafür, daß dem Centrum nicht ſchließlich, wie bei der
Militärvorlage von 1893, die Einigkeit der Partei höher
ſteht als die Flottenverſtärkung? Man kann ſich darüber
nicht täuſchen: was die gegenwärtig in der Kommiſſion
agirenden Herren reden, hat nur den Zweck, ut aliquid
factum esse videatur.
Was in Wirklichkeit geſchehen
ſoll, darüber wird ſich das Centrum erſt ſchlüſſig machen,
wenn ihm ganz anders woher, als von dieſen Kommiſſions-
berathungen die Erleuchtung gekommen ſein wird. Dann
wird wohl auch Herr Schädler wieder auf der Bildfläche
erſcheinen.

Noch weniger poſitive Anhaltspunkte, als die Debatte
über die Nothwendigkeit der Flottenverſtärkung, hat die-
jenige über die Deckungsfrage hinterlaſſen. Selbſt-
verſtändlich konnte ſie nur auf eine Wiederholung der gan-
zen Fluth mehr oder weniger möglicher oder unmöglicher
Projekte herauskommen, mit denen das deutſche Volk wäh-
rend der letzten Monate in der Preſſe überſchüttet worden
iſt. Und ſelbſtverſtändlich brauchte eins dieſer Projekte nur
empfohlen zu werden, um ſofort die Mißbilligung des näch-
ſten Redners zu finden, der ſeinerſeits ein nach ſeiner
Meinung viel beſſeres vorzuſchlagen wüßte. Herr Richter
hat gemeint, das in der Kommiſſion zuſammengeſtellte
Steuerbouquet werde den Flottenfreunden ſtark zur Er-
nüchterung gereichen. Wir bezweifeln, daß ein ſofort von
der Kommiſſion ſelbſt ſo vollſtändig zerpflücktes Bouquet
überhaupt einen Eindruck machen wird. Es gehört nicht
viel Scharfblick dazu, um zu erkennen, daß aus dieſem
ganzen Wirrwarr nichts weiter herauskommen wird als
die Verdoppelung des Lotterieſtempels, eine Beſteuerung
des Saccharins und vielleicht ein Cono[ſſementſtempel. Wer]
glaubt, daß durch eine derartige Perſ[pektive die Flotten-]
bewegung ſich entmuthigen laſſen werd[e, der wird ſich bald]
enttäuſcht ſehen.

Mehr Bedeutung wird man woh[l der Thatsache be-]
legen, daß die verbündeten R[egierungen ſich]
durch den Deckungsfragenlärm in ihrer Ueberzeugung, daß
eine Inanſpruchnahme neuer Einnahme-
quellen
überhaupt nicht erforderlich ſei, nicht,
oder bis jetzt wenigſtens nicht, haben beirren laſſen. Be-
greiflicherweiſe lehnen ſie die ihnen auf dem Präſentirteller
entgegengebrachte Verdoppelung des Lotterieſtempels nicht
ab, und ſie können die Maßregel ruhig vertreten, als eine
Beſchwichtigung der ängſtlichen Gemüther, welche ſich auf
eine den Mehrbedarf der Marine in dem von der Regierung
vorgeſchlagenen Betrage deckende Steigerung der ordent-
lichen Reichseinnahmen nicht verlaſſen mögen. Wenn das
Centrum ſich dadurch nicht befriedigt fühlt, weil es mit dem
von der Regierung, entſprechend den bisher ſtets beobachte-
ten Grundſätzen, vorgeſchlagenen Modus der Deckung durch
Anleihe und durch ordentliche Einnahmen nicht einver-
ſtanden iſt, ſo hat es ſeinerſeits die Pflicht, Gegenvorſchläge
zu machen. Als ſolche werden aber die Aperçüs der Herren
Müller-Fulda und Gröber, welch Letzterer die Kommiſſion
mit der finanzpolitiſchen Ungeheuerlichkeit einer quotiſirten
Reichserbſchaftsſteuer überraſchte, nicht aufgefaßt werden
können. Den von nationalliberaler Seite angebotenen

[Spaltenumbruch]

gab ſie ihm, als er mürriſch eintrat, ohne jede weitere Be-
merkung, und der alte Landbriefträger beguckte die Adreſ-
ſen. Doch zeigte er keinerlei Ueberraſchung, die Sache
ſcheint für ihn ſehr einfach zu liegen. Schon beim Brief
für die Unterdirn ſagt er für ſich: „So, ſo, kriegt die Cenzl
beim Karlwirth wieder einmal a Briefl!“

Lina wirft ein: „Iſcht das der Wirth mit dem Loch im
Dach?“

„Freilich!“ Von der letzten Rauferei her! Der Bader
hat ihm ’s Loch zugeflickt, aber der Wirth hat ſeinen Spitz-
namen doch!“

„Wohin gehört denn der andere Brief?“

„Der Seilerin! Der Brief iſt jedenfalls von ihrem
Zukünftigen, und ſeller hält was auf ordentliche Titula-
tur.“

Lina lobt den Briefträger, ohne den das Poſtamt in
nicht geringe Verlege theit wegen der Zuſtellung ſolch un-
genügend adreſſirter Briefe käme.

„Iſcht nicht ſo gefährlich! Man muß nur wiſſen, wer
gemeint iſcht, und von wem der Brief iſcht.“

„Die Poſt kennt aber meiſtens den Abſender nicht!“

„Die Poſt? Das iſcht nur ſo ein fremdes Weibsbild,
das die Leut’ nicht kennt! Ich weiß bei jedem Brief, von
wem er iſcht!“

Lina lächelt und nimmt die Grobheit des Poſtfakto-
tums nicht weiter übel. Während Sepp die beiden Briefe
austrägt, entleert das Poſtfräulein den Briefkaſten im Flur
und muſtert die Einlage. Hier ein ſchmutziger, fettiger
Brief, deſſen Abſenderin leicht in einer Küche zu vermuthen
iſt. Die Adreſſe lautet: „An den Kaiſerlichen jeger Jophſes
Bleibnichtlang, 11. Cumpani, Bergkaſern, Brixen, geſchrie-
ben in Eil, in nächtiger Weil, in Dämrung und Licht, ver-
giß mein nicht.“

Von Ziegelſtaub behaftet iſt ein zweiter Brief, deſſen
Inhalt man aus der Adreſſe leicht errathen kann, den
zweifellos ein welſcher Ziegelarbeiter ſchrieb: „An mein
Weib Maria Benatti in Cavaleſe, Südtirol. Den Brief
ihr glei geben wegen nachkommen!“

Lina ſchüttelt den Kopf ob ſolch poſtaliſcher Wahr-
nehmungen und liest den Inhalt einer Korreſpondenzkarte,
auf welcher ein biederer Bergbauer in poetiſcher Anwand-
lung gekritzelt hat:

„Möchte wiſen ob du das Kalb
Holſt am Montag oder nicht,
War am Freitag 3 Wochen alt;
[Spaltenumbruch] Wan du es nicht brauchen kannſt,
Mach es mir zu wiſſen bald.

Chriſtian Schober.“

Kaum hatte das Fräulein dieſe Epiſtel geleſen, kam
eine Bäuerin in die Kanzlei und brachte ihr Anliegen vor:
„Biſcht du die Poſtfräuln? Ja, ich hab’s mir gleich
denkt! Mit Verlaub hätt’ ich eine Bitt’ von wegen ’m Ein-
ſtellen!“

„Was willſt denn einſtellen in der Poſtkanzlei?“

„Nicht viel, bloß den Kübel da.“

„Was iſcht denn drinnen?“

„Gleich nur etwas Wagenſchmier’.“

Den Duft hatte Lina inzwiſchen in die Naſe bekommen
und ſelbſtverſtändlich verweigerte ſie nun die Einſtellung.

„Was? Nicht aufheben willſt mir den Kübel?! Wär’
nicht übel! Weißt was, dann kauf ich nichts mehr bei dir!
Ich ſtreik’ wie die Spezinaldemokraten in Innsbruck! So
was! Das Poſtmenſch will nicht einſtellen laſſen! Zu was
iſcht denn die Poſt da!“

Ingrimmig ging die Bäuerin mit ihrem Wagenfett
weiter und überrannte ein Bübchen, das nun wie ein
Igel in die Kanzlei rollte und nicht wenig zeterte.

Mitleidig fragte Lina, was denn fehle und was der
Bub wolle?

Der kleine Gebirgler ſtand auf, beguckte ſeine nackten,
ſtaubigen Knie und fragte dann: „Sind meine Pfoaden
(Hemden) da?“

„Das kann ich doch nicht wiſſen!“

„So, nicht? Ja, biſcht du denn nicht die Poſtfräuln?“

„Doch! Aber ich kenne den Inhalt der Paketſendungen
nicht. Erwarteſt du ein Paket?“

„Ich? Nein! Ich ſoll bloß Pfoaden kriegen.“

„Die Hemden müſſen aber doch verpackt ſein!“

„Die meinigen nicht, die kommen in einem Brief.“

„Na, geh nur wieder, Kleiner, es iſcht noch nichts für
dich da!“

Nun heulte der kleine Burſche herzzerbrechend, daß
ihm das neue Poſtfräulein ſeine Hemden nicht geben wolle,
und entfernte ſich unter Drohungen, über welche Lina hell
auflachen mußte. Verſprach der Knirps doch, er werde ſie
beim Lehrer verklagen, und das Poſtfräulein müſſe dann
etliche Stunden ſtrafſitzen und kriege kein warmes Mittags-
mahl.

Lina hatte ſich wieder an den Kanzleitiſch geſetzt und
[Spaltenumbruch] begann zu arbeiten, als plötzlich durch das offene Fenſter
ein Brieflein in die Stube geflogen kam. Raſch eilte das
Poſtfräulein aus Fenſter und konnte noch ſehen, wie eine
Bauerndirne davonſprang, die als Aufgeberin des Brief-
leins nicht geſehen ſein wollte. Lina fand es neu, ſtatt
den Briefkaſten zu benutzen, die Briefe direkt in die Poſt-
kanzlei zu werfen.

Den Brief vom Boden aufhebend, las Lina die Adreſſe,
die alle Findigkeit der Poſt herausforderte, denn dieſelbe
lautet: „Der Brief gehert nach St. Jakob nach Gand in
das inderſte Haus dem Bub wo ſein Vader gſtorbe iſcht.“

Lina greift nach dem poſtaliſchen Ortslexikon; wie ver-
muthet, gibt es eine Anzahl von dem heiligen Jakob ge-
weihten Orten. Doch halt, eine Ortſchaft Gand exiſtirt
ja am Arlberg, alſo wird das Sankt Jakob am Arlberg
gemeint ſein, und dorthin ſpedirte das Poſtfräulein den
auf ſo ſeltſame Weiſe aufgegebenen und adreſſirten Brief,
der, wie ein ſpäterer Laufzettel meldete, richtig dem ge-
meinten Empfänger zugeſtellt worden iſt.

„An Abwechslung fehlt es wahrlich nicht in dieſem
Poſtamt!“ murmelte Lina, und wie zum Beweis er-
ſchien ein Bauer, der einen mächtigen Bund Kleidungs-
ſtücke ſchleppte, und bat, die Expeditorin möge das Zeug
heute noch an den „Jörgei, der bei der Militär in Trient
iſcht“, ſchicken.

„Recht gern! Nur müßt Ihr die Kleider ordentlich in
ein Paket verpacken und auf eine Poſtbegleitadreſſe die ge-
naue Adreſſe Eures Sohnes ſchreiben.“

„Müſſen muß ich gar nix, und ſchreiben thue ich nix,
weil ich die lauretaniſche (gemeint war die lateiniſche),
Schrift nicht kenn’.“

Lachend ſagte Lina: „Nun, die Poſtbegleitadreſſe will
ich Euch ſchon ſchreiben. Aber das Verpacken der Kleider
iſcht Eure Sache!“

„Schick ſie nur ſo fort! Auf der Poſt wird nix ge-
ſtohlen!“

„Geht nicht, mein Lieber! Apropos, dürfen denn die
Soldaten in Trient in Zivil gehen?“

„Sell dürfen ſie nicht!“

„Wozu ſchickt Ihr aber Eurem Sohn Zivilkleider?“

„Du, weißt, ſell geht dich nix an! Und ich mag nimmer
weiter diskuriren mit dir. Ich gib jetzt das Gewand unten
auf der Eiſenbahn auf!“ Sprach’s und ging mit dem
Kleiderbund ab. (Fortſetzung folgt.)

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Bleibnichtlang, 11. Cumpani, Bergka&#x017F;ern, Brixen, ge&#x017F;chrie-<lb/>
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Inhalt man aus der Adre&#x017F;&#x017F;e leicht errathen kann, den<lb/>
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[Seite 2.[2]/0002] München, Sonntag Allgemeine Zeitung 1. April 1900. Nr. 89. wollen wir gern verzeihen, denn es iſt bei uns zulande nach- gerade zur Manie geworden, Blätter, denen gute Infor- mationsquellen zu Gebote ſtehen, die dabei aber von der Unabhängigkeit ihres Urtheils kein Jota opfern, mit der Bezeichnung „offiziös“ zu bedenken. In erſter Linie ver- fallen dieſem Offizioſitätsverdacht ſelbſtverſtändlich die- jenigen Zeitungen, die, gleich uns, nicht Bedenken tragen, einer Regierung, die ihres Erachtens recht und richtig handelt, ein Wort der Billigung und der Zuſtimmung zu- theil werden zu laſſen, und die auch da, wo ſie in der Oppo- ſition ſtehen, des in guter Geſellſchaft üblichen Tones ſich befleißigen. Gegen die Behauptung, daß wir freiwillig offiziös ſeien, wehren wir uns und werden wir uns immer wehren, weil ſie der Sachlage nicht entſpricht. Will man ſie deſſenun- geachtet wiederholen, ſo werden wir uns deßhalb nicht über- mäßig echauffiren, denn am letzten Ende kann man ja offi- ziös und dabei doch ein leidlich anſtändiger Menſch ſein. Mit äußerſter Entſchiedenheit müſſen wir uns jedoch gegen den Verſuch einzelner rother und ſchwarzer Sudelblätter wen- den, unſer Eintreten für die Flottenvorlage, das uns ledig- lich durch nationale und patriotiſche Erwägungen vorge- zeichnet worden iſt, auf ein angebliches Abhängigkeitsver- hältniß gegenüber der am Kriegsſchiffbau intereſſirten Großinduſtrie zurückzuführen. Ein ſolches Abhängigkeits- verhältniß hat für uns niemals beſtanden und beſteht auch zur Zeit nicht. Ein Gegner, der uns mit derartigen In- ſinuationen, die mit der hin und wieder ausgeſprengten dreiſten Lüge, daß wir „im Solde“ irgend einer Regierung ſtänden und mit bayeriſchem oder preußiſchem Gelde „ge- kauft“ ſeien, auf einer Linie ſteht, muß wahrlich am Ende ſeiner ſachlichen Argumente angelangt ſein. Iſt das nicht der Fall, ſo bleibt nur die Annahme, daß er von der eigenen Erbärmlichkeit auf die moraliſche Qualität Anderer ſich Schlüſſe geſtattet, und daß er das für ſich ſelbſt maß- gebende „virtus post nummos“ für ein im politiſchen Leben und im publiziſtiſchen Streit allgemein gültiges Prinzip hält, was es gottlob doch bei weitem nicht iſt. In allen Parteilagern, auch in denjenigen, mit denen wir dauernd in ſchärfſter Fehde liegen, kennen wir Männer, die für das aus den Erträgniſſen der Kloake gewonnene Gold das „non olet“ des Veſpaſian nicht gelten laſſen, die aber ſtets bereit ſind, für ideale Zwecke und für ihre politiſche Ueberzeugung ſelbſt die belangreichſten materiellen Opfer zu bringen. Dem hieſigen ſozialdemokratiſchen Organ ſcheinen ſolche Männer in den eigenen Reihen allerdings unbekannt zu ſein; wäre es anders, ſo würde es die hoch- angeſehenen Perſönlichkeiten, denen die Allgemeine Zeitung es zu danken hatte und noch zu danken hat, daß ſie ohne Rückſicht auf geſchäftliche Intereſſen auch unter ſchwierigen Verhältniſſen in voller Unabhängigkeit ihre alten, ſtolzen Traditionen zu wahren vermag, nicht in der pöbelhaften Weiſe verunglimpfen, wie es dies ſoeben gethan hat, indem es — wir wollen aus dem ſchmachvollen Pamphlet wenig- ſtens eine Zeile niedriger hängen — uns als „die holz- papierene Maitreſſe eines reichen Scharfmachers“ bezeich- nete. Gebe der Himmel, daß von den Blättern, die dem deutſchen Volk ſeine tägliche politiſche Koſt bieten, recht viele, wie wir, auf Holz- und recht wenige auf Lumpen- Papier gedruckt ſein mögen. Mit Organen der letzteren Art in publiziſtiſcher Fehde uns auseinanderzuſetzen, wird kein anſtändig und billig Denkender, welcher Partei er auch angehören mag, uns zumuthen. Gegen gewerbs- mäßige Ehrabſchneider und Verleumder werden wir in Zukunft an anderer Stelle Recht und Schutz zu finden wiſſen. Das mögen diejenigen, die es angeht, ſich ge- ſagt ſein laſſen! Wir bedauern, daß wir in jüngſter Zeit wiederholt genöthigt geweſen ſind, in eigener Sache die Aufmerk- ſamkeit unſrer Leſer in Anſpruch zu nehmen; wir würden auch auf die eben geſchilderten Roheiten und Infamien nicht eingegangen ſein, wenn ſie nicht einen Vorgeſchmack deſſen bieten könnten, was wir für den Fall einer Wahlkampagne wegen der Flottenvorlage zu gewär- tigen haben, wenn nicht die beſſeren Elemente hüben und drüben ihren ganzen Einfluß aufbieten, um der leider ſchon zu weit fortgeſchrittenen Verwilderung unſrer politiſchen und publiziſtiſchen Sitten entgegen- zuwirken. Wir haben früher den parlamentariſchen Exzeſſen, zu denen die Angehörigen heißblütigerer Nationen ſich verleiten ließen, mit einem gewiſſen Gefühl morali- ſcher Ueberlegenheit zugeſchaut und ohne beſondere phari- ſäiſche Heuchelei auch zuſchauen können, denn im großen und ganzen hatte man bei uns doch Werth darauf gelegt, auch im heißeſten Parteiſtreit die Regeln eines anſtändigen Kampfes nicht außer acht zu laſſen. Leider ſind das ver- ſchwundene Zeiten; aber wenn wir Selbſtbeſinnung und Selbſtbeherrſchung walten laſſen, ſollten ſie wieder- kehren können. Engländer und Buren haſſen ſich gewiß aus tieffter Seele, und doch hat der britiſche Oberbefehls- haber Lord Roberts es für Ehrenpflicht erachtet, ſeinem Widerſacher Cronje in ritterlicher Weiſe zu begegnen, und auf Seiten der ſchlichten, dem natürlichen Empfinden folgen- den Buren hat man in ähnlichem Falle wiederholt die gleiche Haltung beobachtet. Die deutſche Preſſe ohne Unterſchied der Parteiſtellung hat die Kunde hievon mit lebhafteſter Genug- thuung begrüßt; möchte ſie nun auch von den Kämpfern in Südafrika nicht nur das Schlimme lernen und ge- legentliche Ausſchreitungen nachahmen, ſondern ſich von ihnen auch zeigen laſſen, daß man ſich ſelbſt am meiſten ehrt, wenn man dem Gegner Gerechtigkeit widerfahren läßt. Deutſches Reich. Das Centrum und die Flottenvorlage. ☩ Berlin, 30. März.Mit einer Fülle ſchwerer Fragezeichen belaſtet iſt der Reichstag in die Oſter- ferien gegangen. Die dreitägige Debatte, in welcher zu- letzt die Budgetkommiſſion endlich die Flotten- vorlage in Behandlung genommen hat, ſoll nach der Meinung gutmüthiger Leute eine Grundlage für eine po- ſitive Löſung geſchaffen haben. Ein kaltblütigeres Urtheil wird ſich nach dieſer Grundlage vergebens umſehen. Unſe- res Erachtens beſteht das einzige Verdienſt dieſer Kommiſ- ſionsverhandlungen darin, zum Bewußtſein gebracht zu haben, daß es drückendere Sorgen gibt als Fleiſchbeſchau und lex Heinze. Die Ungewißheit des Schickſals der Flottenvorlage liegt einzig und allein in der Stellung des Centrums. Hat die Kommiſſionsdebatte darüber mehr Klarheit verbreitet? Darauf gibt es nur ein rundes Nein. Noch iſt ja dies ſeltſame Rekognoszirungsgefecht erſt zur Hälfte beendigt. In dem Reſt des vom Centrum aufge- ſtellten Fragebogens ſtecken noch recht anmuthige Sachen, bei deren Erklärung recht merkwürdige Ueberraſchungen herausſpringen können. Was bisher verhandelt wurde, die Nothwendigkeit der Flottenverſtärkung und die Frage der Deckungsmittel, iſt ja zweifellos das Wichtigſte. Wir können aber nicht finden, daß die Sachlage, im Grunde ge- nommen, irgendwie verſchoben ſei. Daß das Centrum das Bedürfniß einer Erweiterung der Flotte über den Rahmen des Geſetzes von 1898 hinaus nicht beſtreitet, wußte man be- reits aus der Fraktionsrede des Herrn Schädler in der erſten Leſung; ebenſo aber auch, daß es eine Erweiterung in dem Umfange der Vorlage einmüthig ablehne. Von In- tereſſe war alſo, zu erfahren, mit welcher Einſchränkung es die Verſtärkung zu bewilligen bereit ſei. Eine Antwort auf dieſe Frage hat man nicht erhalten. Wir wollen nicht leugnen, daß die rückhaltloſe Art, wie die Herren Gröber und Müller-Fulda der Vermehrung der Schlachtflotte zugeſtimmt haben, ein Gefühl der Be- friedigung hervorrufen kann; aber wenn eine der Beding- ungen für dieſe Zuſtimmung die Ablehnung der Vermeh- rung der Schiffe für den Auslandsdienſt ſein ſoll, ſo erſcheint doch ſehr zweifelhaft, daß die Regierung darauf eingehen könnte. Da die Auslandsſchiffe in erſter Linie den Intereſſen des Handels dienen, iſt ja wahrſcheinlich, daß in einſeitig agrariſch erregten Kreiſen für ihre Ablehnung leicht Stimmung zu machen ſein würde. Um ſo bemerkens- werther iſt, daß bei den konſervativen Mitgliedern der Kommiſſion für dieſe Idee allem Anſcheine nach eine Unter- ſtützung nicht gefunden worden iſt. Von einer bereits vor- handenen Baſis der Verſtändigung kann hier ſonach kaum die Rede ſein. Zudem: was bedeuten die Anſchauungen der Herren Gröber und Müller-Fulda, wenn Beide nach- drücklich betonen, daß ſie nur für ihre Perſon ſprechen? Ein drittes dem Centrum angehörendes Kommiſſionsmitglied, Herr Roeren, hat ſich mit Schroffheit gegen die Ver- mehrung auch der Schlachtflotte ausgeſprochen. Das bezeichnet alſo einſtweilen eine ſtarke Meinungs- verſchiedenheit im Centrum. Wer kann aber ſagen, auf welcher Seite die Mehrheit der Fraktion ſteht? Für das Zuſtandekommen des Flottengeſetzes würde ja frei- lich die Mitwirkung des ganzen Centrums nicht erforder- lich ſein; zur Noth genügen 40 Mitglieder. Wer garantirt aber dafür, daß dem Centrum nicht ſchließlich, wie bei der Militärvorlage von 1893, die Einigkeit der Partei höher ſteht als die Flottenverſtärkung? Man kann ſich darüber nicht täuſchen: was die gegenwärtig in der Kommiſſion agirenden Herren reden, hat nur den Zweck, ut aliquid factum esse videatur. Was in Wirklichkeit geſchehen ſoll, darüber wird ſich das Centrum erſt ſchlüſſig machen, wenn ihm ganz anders woher, als von dieſen Kommiſſions- berathungen die Erleuchtung gekommen ſein wird. Dann wird wohl auch Herr Schädler wieder auf der Bildfläche erſcheinen. Noch weniger poſitive Anhaltspunkte, als die Debatte über die Nothwendigkeit der Flottenverſtärkung, hat die- jenige über die Deckungsfrage hinterlaſſen. Selbſt- verſtändlich konnte ſie nur auf eine Wiederholung der gan- zen Fluth mehr oder weniger möglicher oder unmöglicher Projekte herauskommen, mit denen das deutſche Volk wäh- rend der letzten Monate in der Preſſe überſchüttet worden iſt. Und ſelbſtverſtändlich brauchte eins dieſer Projekte nur empfohlen zu werden, um ſofort die Mißbilligung des näch- ſten Redners zu finden, der ſeinerſeits ein nach ſeiner Meinung viel beſſeres vorzuſchlagen wüßte. Herr Richter hat gemeint, das in der Kommiſſion zuſammengeſtellte Steuerbouquet werde den Flottenfreunden ſtark zur Er- nüchterung gereichen. Wir bezweifeln, daß ein ſofort von der Kommiſſion ſelbſt ſo vollſtändig zerpflücktes Bouquet überhaupt einen Eindruck machen wird. Es gehört nicht viel Scharfblick dazu, um zu erkennen, daß aus dieſem ganzen Wirrwarr nichts weiter herauskommen wird als die Verdoppelung des Lotterieſtempels, eine Beſteuerung des Saccharins und vielleicht ein Conoſſementſtempel. Wer glaubt, daß durch eine derartige Perſpektive die Flotten- bewegung ſich entmuthigen laſſen werde, der wird ſich bald enttäuſcht ſehen. Mehr Bedeutung wird man wohl der Thatsache be- legen, daß die verbündeten Regierungen ſich durch den Deckungsfragenlärm in ihrer Ueberzeugung, daß eine Inanſpruchnahme neuer Einnahme- quellen überhaupt nicht erforderlich ſei, nicht, oder bis jetzt wenigſtens nicht, haben beirren laſſen. Be- greiflicherweiſe lehnen ſie die ihnen auf dem Präſentirteller entgegengebrachte Verdoppelung des Lotterieſtempels nicht ab, und ſie können die Maßregel ruhig vertreten, als eine Beſchwichtigung der ängſtlichen Gemüther, welche ſich auf eine den Mehrbedarf der Marine in dem von der Regierung vorgeſchlagenen Betrage deckende Steigerung der ordent- lichen Reichseinnahmen nicht verlaſſen mögen. Wenn das Centrum ſich dadurch nicht befriedigt fühlt, weil es mit dem von der Regierung, entſprechend den bisher ſtets beobachte- ten Grundſätzen, vorgeſchlagenen Modus der Deckung durch Anleihe und durch ordentliche Einnahmen nicht einver- ſtanden iſt, ſo hat es ſeinerſeits die Pflicht, Gegenvorſchläge zu machen. Als ſolche werden aber die Aperçüs der Herren Müller-Fulda und Gröber, welch Letzterer die Kommiſſion mit der finanzpolitiſchen Ungeheuerlichkeit einer quotiſirten Reichserbſchaftsſteuer überraſchte, nicht aufgefaßt werden können. Den von nationalliberaler Seite angebotenen gab ſie ihm, als er mürriſch eintrat, ohne jede weitere Be- merkung, und der alte Landbriefträger beguckte die Adreſ- ſen. Doch zeigte er keinerlei Ueberraſchung, die Sache ſcheint für ihn ſehr einfach zu liegen. Schon beim Brief für die Unterdirn ſagt er für ſich: „So, ſo, kriegt die Cenzl beim Karlwirth wieder einmal a Briefl!“ Lina wirft ein: „Iſcht das der Wirth mit dem Loch im Dach?“ „Freilich!“ Von der letzten Rauferei her! Der Bader hat ihm ’s Loch zugeflickt, aber der Wirth hat ſeinen Spitz- namen doch!“ „Wohin gehört denn der andere Brief?“ „Der Seilerin! Der Brief iſt jedenfalls von ihrem Zukünftigen, und ſeller hält was auf ordentliche Titula- tur.“ Lina lobt den Briefträger, ohne den das Poſtamt in nicht geringe Verlege theit wegen der Zuſtellung ſolch un- genügend adreſſirter Briefe käme. „Iſcht nicht ſo gefährlich! Man muß nur wiſſen, wer gemeint iſcht, und von wem der Brief iſcht.“ „Die Poſt kennt aber meiſtens den Abſender nicht!“ „Die Poſt? Das iſcht nur ſo ein fremdes Weibsbild, das die Leut’ nicht kennt! Ich weiß bei jedem Brief, von wem er iſcht!“ Lina lächelt und nimmt die Grobheit des Poſtfakto- tums nicht weiter übel. Während Sepp die beiden Briefe austrägt, entleert das Poſtfräulein den Briefkaſten im Flur und muſtert die Einlage. Hier ein ſchmutziger, fettiger Brief, deſſen Abſenderin leicht in einer Küche zu vermuthen iſt. Die Adreſſe lautet: „An den Kaiſerlichen jeger Jophſes Bleibnichtlang, 11. Cumpani, Bergkaſern, Brixen, geſchrie- ben in Eil, in nächtiger Weil, in Dämrung und Licht, ver- giß mein nicht.“ Von Ziegelſtaub behaftet iſt ein zweiter Brief, deſſen Inhalt man aus der Adreſſe leicht errathen kann, den zweifellos ein welſcher Ziegelarbeiter ſchrieb: „An mein Weib Maria Benatti in Cavaleſe, Südtirol. Den Brief ihr glei geben wegen nachkommen!“ Lina ſchüttelt den Kopf ob ſolch poſtaliſcher Wahr- nehmungen und liest den Inhalt einer Korreſpondenzkarte, auf welcher ein biederer Bergbauer in poetiſcher Anwand- lung gekritzelt hat: „Möchte wiſen ob du das Kalb Holſt am Montag oder nicht, War am Freitag 3 Wochen alt; Wan du es nicht brauchen kannſt, Mach es mir zu wiſſen bald. Chriſtian Schober.“ Kaum hatte das Fräulein dieſe Epiſtel geleſen, kam eine Bäuerin in die Kanzlei und brachte ihr Anliegen vor: „Biſcht du die Poſtfräuln? Ja, ich hab’s mir gleich denkt! Mit Verlaub hätt’ ich eine Bitt’ von wegen ’m Ein- ſtellen!“ „Was willſt denn einſtellen in der Poſtkanzlei?“ „Nicht viel, bloß den Kübel da.“ „Was iſcht denn drinnen?“ „Gleich nur etwas Wagenſchmier’.“ Den Duft hatte Lina inzwiſchen in die Naſe bekommen und ſelbſtverſtändlich verweigerte ſie nun die Einſtellung. „Was? Nicht aufheben willſt mir den Kübel?! Wär’ nicht übel! Weißt was, dann kauf ich nichts mehr bei dir! Ich ſtreik’ wie die Spezinaldemokraten in Innsbruck! So was! Das Poſtmenſch will nicht einſtellen laſſen! Zu was iſcht denn die Poſt da!“ Ingrimmig ging die Bäuerin mit ihrem Wagenfett weiter und überrannte ein Bübchen, das nun wie ein Igel in die Kanzlei rollte und nicht wenig zeterte. Mitleidig fragte Lina, was denn fehle und was der Bub wolle? Der kleine Gebirgler ſtand auf, beguckte ſeine nackten, ſtaubigen Knie und fragte dann: „Sind meine Pfoaden (Hemden) da?“ „Das kann ich doch nicht wiſſen!“ „So, nicht? Ja, biſcht du denn nicht die Poſtfräuln?“ „Doch! Aber ich kenne den Inhalt der Paketſendungen nicht. Erwarteſt du ein Paket?“ „Ich? Nein! Ich ſoll bloß Pfoaden kriegen.“ „Die Hemden müſſen aber doch verpackt ſein!“ „Die meinigen nicht, die kommen in einem Brief.“ „Na, geh nur wieder, Kleiner, es iſcht noch nichts für dich da!“ Nun heulte der kleine Burſche herzzerbrechend, daß ihm das neue Poſtfräulein ſeine Hemden nicht geben wolle, und entfernte ſich unter Drohungen, über welche Lina hell auflachen mußte. Verſprach der Knirps doch, er werde ſie beim Lehrer verklagen, und das Poſtfräulein müſſe dann etliche Stunden ſtrafſitzen und kriege kein warmes Mittags- mahl. Lina hatte ſich wieder an den Kanzleitiſch geſetzt und begann zu arbeiten, als plötzlich durch das offene Fenſter ein Brieflein in die Stube geflogen kam. Raſch eilte das Poſtfräulein aus Fenſter und konnte noch ſehen, wie eine Bauerndirne davonſprang, die als Aufgeberin des Brief- leins nicht geſehen ſein wollte. Lina fand es neu, ſtatt den Briefkaſten zu benutzen, die Briefe direkt in die Poſt- kanzlei zu werfen. Den Brief vom Boden aufhebend, las Lina die Adreſſe, die alle Findigkeit der Poſt herausforderte, denn dieſelbe lautet: „Der Brief gehert nach St. Jakob nach Gand in das inderſte Haus dem Bub wo ſein Vader gſtorbe iſcht.“ Lina greift nach dem poſtaliſchen Ortslexikon; wie ver- muthet, gibt es eine Anzahl von dem heiligen Jakob ge- weihten Orten. Doch halt, eine Ortſchaft Gand exiſtirt ja am Arlberg, alſo wird das Sankt Jakob am Arlberg gemeint ſein, und dorthin ſpedirte das Poſtfräulein den auf ſo ſeltſame Weiſe aufgegebenen und adreſſirten Brief, der, wie ein ſpäterer Laufzettel meldete, richtig dem ge- meinten Empfänger zugeſtellt worden iſt. „An Abwechslung fehlt es wahrlich nicht in dieſem Poſtamt!“ murmelte Lina, und wie zum Beweis er- ſchien ein Bauer, der einen mächtigen Bund Kleidungs- ſtücke ſchleppte, und bat, die Expeditorin möge das Zeug heute noch an den „Jörgei, der bei der Militär in Trient iſcht“, ſchicken. „Recht gern! Nur müßt Ihr die Kleider ordentlich in ein Paket verpacken und auf eine Poſtbegleitadreſſe die ge- naue Adreſſe Eures Sohnes ſchreiben.“ „Müſſen muß ich gar nix, und ſchreiben thue ich nix, weil ich die lauretaniſche (gemeint war die lateiniſche), Schrift nicht kenn’.“ Lachend ſagte Lina: „Nun, die Poſtbegleitadreſſe will ich Euch ſchon ſchreiben. Aber das Verpacken der Kleider iſcht Eure Sache!“ „Schick ſie nur ſo fort! Auf der Poſt wird nix ge- ſtohlen!“ „Geht nicht, mein Lieber! Apropos, dürfen denn die Soldaten in Trient in Zivil gehen?“ „Sell dürfen ſie nicht!“ „Wozu ſchickt Ihr aber Eurem Sohn Zivilkleider?“ „Du, weißt, ſell geht dich nix an! Und ich mag nimmer weiter diskuriren mit dir. Ich gib jetzt das Gewand unten auf der Eiſenbahn auf!“ Sprach’s und ging mit dem Kleiderbund ab. (Fortſetzung folgt.)

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Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Zeitungen zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung, Nr. 89, 1. April 1900, S. Seite 2.[2]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_allgemeine89_1900/2>, abgerufen am 10.06.2024.