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Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 4. Burg/Berlin, 1838.

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59 Conversations=Blatt. 60
[Beginn Spaltensatz] so unwirksam erwiesen. Endlich entschloß sich die Re-
gierung, um diesen Räubereien ein Ende zu machen und
die in Schrecken gesetzten Bevölkerungen zu beruhigen,
mehr Energie zu entfalten. So bewerkstelligte denn
am 1. November 1837 Tiedor (Theodor) Trazof, Be-
zirksassessor von Zaraisk, die Verhaftung des schreckli-
chen Kara=Aly, fünf seiner Mitschuldigen und einer jun-
gen Frau, die man als sein Weib bezeichnete. *)

Die gerichtliche Verhandlung dieser Angelegenheit,
die in einer aus einem Capitän Jsprawk (Vorstand der Be-
zirkspolizei) , einem Assessor und einem Secretär der niedern
Gerichtsbarkeit bestehenden Commission anvertraut war,
ward mit seltener Thätigkeit kraft folgenden Befehls
geleitet, den der Crimminalgerichtshof von Kasan erließ
und der kaiserliche Sachwalter unterzeichnete:

"Befehl des Kaiserlichen Sachwalters: Jm Na-
men Sr. kaiserlichen Majestät Nikolaus Paulowitsch,
Selbstherrscher aller Reußen, befehlen wir, kaiserlicher
Sachwalter der aus (folgen die Namen der obenange-
führten Commissäre) bestehenden Commission, die gericht-
liche Verhandlung der Angelegenheit Kara = Aly's und
seiner Mitschuldigen vorzunehmen. - Kara = Aly, ein
Tatar, aus Kasan gebürtig, ist angeklagt, zum dritten-
mal aus den Reihen der Armee desertirt und eilf Mo-
nate lang Räuberei getrieben zu haben, während wel-
cher Zeit er fünfzehn Morde, zwei und dreißig Dieb-
stähle mit bewaffneter Hand und eine zahllose Menge
gewöhnlicher Diebstähle und Betrügereien verübte. Ka-
san, den 20. November 1837."

Einen Monat später, den 10. Dezember hatte die
Commission ihre Arbeiten beendigt und legte den aus
folgenden Aktenstücken bestehenden Bericht vor. (Wir
folgen hierin der Ordnung und der Form des russischen
Prozeßverfahrens, kürzen bloß die Abschweifungen ab
und übergehen die Doppelstellen.)

Bericht des Assessors Tiedor Trazof
über die Verhaftung der Räuber
.

"Am 1. Aug. 1837 erhielt ich von der Regie-
rung Befehl und Auftrag, dem Schlupfwinkel der Räu-
berbande Kara=Aly's nachzuforschen und mich ihrer zu
bemächtigen. Fünfzig Kosacken unter den Befehlen des
Fähndrichs Dshurilof und fünf und zwanzig Gensdarmen
unter denen des Lieutenants Neumann wurden mir zu
dieser Expedition beigegeben. Alle unsere Nachforschun-
gen waren fruchtlos. Nachdem ich am 2. Oktober die
Runde in dem Bezirke gemacht, kehrte ich, außerdem
noch mit Erhebung der rückständigen Abgaben (Nie-
doimka
) bei den Bewohnern beauftragt, mit 17,000 Ru-
beln Papiergeld, dem Ertrage dieser Erhebung, nach
Zaraisk zurück. Allein schon war die Nacht eingebro-
chen, als ich in der Stadt ankam, und es war zu spät,
als daß ich mich zum Bezirkseinnehmer (Kasnatschy
ujesdny
) hätte begeben können; ich mußte daher die
Uebergabe des Geldes auf den folgenden Tag verschie-
ben. Um Mitternacht arbeitete ich allein in meinem

[Spaltenumbruch] Cabinette, als sich plötzlich die Thüre öffnete und ich
einen Mann von kolossaler Gestalt, in einen Kaschuck
(eine Art Pelzrock aus Schafsleder zum Gebrauche der
russischen Bauern) gekleidet und eine schaflederne Mütze
auf dem Kopfe hereintreten sah. Seine mit einem brei-
ten Schnurrbart bedeckte Figur, sein schwarzer Bart,
seine langen in Unordnung herabhängenden Haare und
die grimmigen Blitze, die seine Augen schossen - Alles
gab dieser unerwarteten Erscheinuug den Charakter des
Entsetzlichen und Wilden. Ehe ich Zeit gehabt, nach
Hülfe zu rufen, stand dieser Mann vor mir, zeigte sei-
nen Dolch, seine Pistolen und legte gebieterisch seinen
Finger an die Lippen, als wollte er mir Schweigen ge-
bieten. Staunen und Angst machten mich unbeweglich;
er setzte sich neben mich, und sagte mit düsterer, aber
ruhiger Stimme: "Du bist Trazof; Trazof, der mit
der Verhaftung Kara = Aly's beauftragt ist! Wohlan,
ich bin Kara=Aly, sieh mich recht an, denn Du mußt
mich doch kennen." Dann setzte er nach einer Pause
bei: "Du hast mich jetzt hinlänglich betrachtet, ich will
Dir sagen, was mich herführt. Du hast hier 17,000 Ru-
bel?" Jch suchte aufzustehen und nach Hülfe zu ru-
fen; allein er packte mich mit eiserner Gewalt und
warf mich zu Boden; während er dann mit unbegreif-
licher Geschicklichkeit mich niederhielt, schloß er mir den
Mund mit einem Tuch, und band mir Hände und
Füße. Hierauf durchsuchte er meine Kleider, öffnete ei-
nige Meubeln, erbrach andere, und als er endlich die
17,000 Rubel in meiner Kasse gefunden, kam er zu
mir zurück und sagte: "Jch könnte Deine Verschwiegen-
heit mit Deinem Leben erkaufen (diese Worte begleitete er
mit einer drohenden Bewegung seines Dolches) , allein ich
habe weder Achtung noch Furcht vor Dir; denn hätte
auch Dein Kaiser so viele Soldaten als es Sterne
am Himmel giebt, Kara = Aly würde ihm noch trotzen
und die Freiheit in Unabhängigkeit genießen." Er nahm
mir nun das Tuch vom Mund und eilte schnell da-
von. Allein geblieben rief ich meine Dienerschaft zu-
sammen und machte mich mit meinen Kosacken auf,
zur Verfolgung des Räubers. Umsonst! Wir erkann-
ten zwar außerhalb der Stadt Pferdespuren in der Rich-
tung nach den Bergen, sie verschwanden aber in der
Verzweigung zweier oder dreier steinigen Straßen bald
wieder. Nach Zaraisk zurückgekehrt, constatirte ich den
Zustand der [unleserliches Material - 13 Zeichen fehlen]Oertlichkeien: die Thür war nicht erbro-
chen, sondern mittelst eines Schlüssels geöffnet; dieser
Umstand, so wie die Worte Kara = Aly's, der mich im
Besitz von 17,000 Rubeln wußte, waren von der Art,
daß ich Verdacht auf meine Dienerschaft warf; allein
sie betheuerte mir, obwohl ich alle Mittel - d. h. die
Peitsche und die Bastonnade - anwandte, um die Wahr-
heit zu erfahren, insgesammt ihre Unschuld. Am er-
sten November befand ich mich auf dem Markte von
Pshansch, als ich zwei in die Tracht der Tscheremissen
(einer dieses halb asiatische Gouvernement Rußlands be-
wohnenden Völkerschaft) gekleidete Männer, um den
Markt herumstreichen sah. Jch erkannte in dem einen
Kara=Aly, dessen Züge tief in meinem Gedächtnisse ge-
blieben waren, und ohne einen Augenblick zu verlieren,
[Ende Spaltensatz]

*) Die Gefangennehmung Kara=Aly's und seiner Bande findet
sich officiel angekündigt im Journal des Ministeriums des
Justiz vom 28. Januar 1838.

59 Conversations=Blatt. 60
[Beginn Spaltensatz] so unwirksam erwiesen. Endlich entschloß sich die Re-
gierung, um diesen Räubereien ein Ende zu machen und
die in Schrecken gesetzten Bevölkerungen zu beruhigen,
mehr Energie zu entfalten. So bewerkstelligte denn
am 1. November 1837 Tiédor (Theodor) Trazof, Be-
zirksassessor von Zaraïsk, die Verhaftung des schreckli-
chen Kara=Aly, fünf seiner Mitschuldigen und einer jun-
gen Frau, die man als sein Weib bezeichnete. *)

Die gerichtliche Verhandlung dieser Angelegenheit,
die in einer aus einem Capitän Jsprawk (Vorstand der Be-
zirkspolizei) , einem Assessor und einem Secretär der niedern
Gerichtsbarkeit bestehenden Commission anvertraut war,
ward mit seltener Thätigkeit kraft folgenden Befehls
geleitet, den der Crimminalgerichtshof von Kasan erließ
und der kaiserliche Sachwalter unterzeichnete:

„Befehl des Kaiserlichen Sachwalters: Jm Na-
men Sr. kaiserlichen Majestät Nikolaus Paulowitsch,
Selbstherrscher aller Reußen, befehlen wir, kaiserlicher
Sachwalter der aus (folgen die Namen der obenange-
führten Commissäre) bestehenden Commission, die gericht-
liche Verhandlung der Angelegenheit Kara = Aly's und
seiner Mitschuldigen vorzunehmen. – Kara = Aly, ein
Tatar, aus Kasan gebürtig, ist angeklagt, zum dritten-
mal aus den Reihen der Armee desertirt und eilf Mo-
nate lang Räuberei getrieben zu haben, während wel-
cher Zeit er fünfzehn Morde, zwei und dreißig Dieb-
stähle mit bewaffneter Hand und eine zahllose Menge
gewöhnlicher Diebstähle und Betrügereien verübte. Ka-
san, den 20. November 1837.“

Einen Monat später, den 10. Dezember hatte die
Commission ihre Arbeiten beendigt und legte den aus
folgenden Aktenstücken bestehenden Bericht vor. (Wir
folgen hierin der Ordnung und der Form des russischen
Prozeßverfahrens, kürzen bloß die Abschweifungen ab
und übergehen die Doppelstellen.)

Bericht des Assessors Tiédor Trazof
über die Verhaftung der Räuber
.

„Am 1. Aug. 1837 erhielt ich von der Regie-
rung Befehl und Auftrag, dem Schlupfwinkel der Räu-
berbande Kara=Aly's nachzuforschen und mich ihrer zu
bemächtigen. Fünfzig Kosacken unter den Befehlen des
Fähndrichs Dshurilof und fünf und zwanzig Gensdarmen
unter denen des Lieutenants Neumann wurden mir zu
dieser Expedition beigegeben. Alle unsere Nachforschun-
gen waren fruchtlos. Nachdem ich am 2. Oktober die
Runde in dem Bezirke gemacht, kehrte ich, außerdem
noch mit Erhebung der rückständigen Abgaben (Nie-
doïmka
) bei den Bewohnern beauftragt, mit 17,000 Ru-
beln Papiergeld, dem Ertrage dieser Erhebung, nach
Zaraïsk zurück. Allein schon war die Nacht eingebro-
chen, als ich in der Stadt ankam, und es war zu spät,
als daß ich mich zum Bezirkseinnehmer (Kasnatschy
ujesdny
) hätte begeben können; ich mußte daher die
Uebergabe des Geldes auf den folgenden Tag verschie-
ben. Um Mitternacht arbeitete ich allein in meinem

[Spaltenumbruch] Cabinette, als sich plötzlich die Thüre öffnete und ich
einen Mann von kolossaler Gestalt, in einen Kaschuck
(eine Art Pelzrock aus Schafsleder zum Gebrauche der
russischen Bauern) gekleidet und eine schaflederne Mütze
auf dem Kopfe hereintreten sah. Seine mit einem brei-
ten Schnurrbart bedeckte Figur, sein schwarzer Bart,
seine langen in Unordnung herabhängenden Haare und
die grimmigen Blitze, die seine Augen schossen – Alles
gab dieser unerwarteten Erscheinuug den Charakter des
Entsetzlichen und Wilden. Ehe ich Zeit gehabt, nach
Hülfe zu rufen, stand dieser Mann vor mir, zeigte sei-
nen Dolch, seine Pistolen und legte gebieterisch seinen
Finger an die Lippen, als wollte er mir Schweigen ge-
bieten. Staunen und Angst machten mich unbeweglich;
er setzte sich neben mich, und sagte mit düsterer, aber
ruhiger Stimme: „Du bist Trazof; Trazof, der mit
der Verhaftung Kara = Aly's beauftragt ist! Wohlan,
ich bin Kara=Aly, sieh mich recht an, denn Du mußt
mich doch kennen.“ Dann setzte er nach einer Pause
bei: „Du hast mich jetzt hinlänglich betrachtet, ich will
Dir sagen, was mich herführt. Du hast hier 17,000 Ru-
bel?“ Jch suchte aufzustehen und nach Hülfe zu ru-
fen; allein er packte mich mit eiserner Gewalt und
warf mich zu Boden; während er dann mit unbegreif-
licher Geschicklichkeit mich niederhielt, schloß er mir den
Mund mit einem Tuch, und band mir Hände und
Füße. Hierauf durchsuchte er meine Kleider, öffnete ei-
nige Meubeln, erbrach andere, und als er endlich die
17,000 Rubel in meiner Kasse gefunden, kam er zu
mir zurück und sagte: „Jch könnte Deine Verschwiegen-
heit mit Deinem Leben erkaufen (diese Worte begleitete er
mit einer drohenden Bewegung seines Dolches) , allein ich
habe weder Achtung noch Furcht vor Dir; denn hätte
auch Dein Kaiser so viele Soldaten als es Sterne
am Himmel giebt, Kara = Aly würde ihm noch trotzen
und die Freiheit in Unabhängigkeit genießen.“ Er nahm
mir nun das Tuch vom Mund und eilte schnell da-
von. Allein geblieben rief ich meine Dienerschaft zu-
sammen und machte mich mit meinen Kosacken auf,
zur Verfolgung des Räubers. Umsonst! Wir erkann-
ten zwar außerhalb der Stadt Pferdespuren in der Rich-
tung nach den Bergen, sie verschwanden aber in der
Verzweigung zweier oder dreier steinigen Straßen bald
wieder. Nach Zaraïsk zurückgekehrt, constatirte ich den
Zustand der [unleserliches Material – 13 Zeichen fehlen]Oertlichkeien: die Thür war nicht erbro-
chen, sondern mittelst eines Schlüssels geöffnet; dieser
Umstand, so wie die Worte Kara = Aly's, der mich im
Besitz von 17,000 Rubeln wußte, waren von der Art,
daß ich Verdacht auf meine Dienerschaft warf; allein
sie betheuerte mir, obwohl ich alle Mittel – d. h. die
Peitsche und die Bastonnade – anwandte, um die Wahr-
heit zu erfahren, insgesammt ihre Unschuld. Am er-
sten November befand ich mich auf dem Markte von
Pshansch, als ich zwei in die Tracht der Tscheremissen
(einer dieses halb asiatische Gouvernement Rußlands be-
wohnenden Völkerschaft) gekleidete Männer, um den
Markt herumstreichen sah. Jch erkannte in dem einen
Kara=Aly, dessen Züge tief in meinem Gedächtnisse ge-
blieben waren, und ohne einen Augenblick zu verlieren,
[Ende Spaltensatz]

*) Die Gefangennehmung Kara=Aly's und seiner Bande findet
sich officiel angekündigt im Journal des Ministeriums des
Justiz vom 28. Januar 1838.
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Jch erkannte in dem einen Kara=Aly, dessen Züge tief in meinem Gedächtnisse ge- blieben waren, und ohne einen Augenblick zu verlieren, *) Die Gefangennehmung Kara=Aly's und seiner Bande findet sich officiel angekündigt im Journal des Ministeriums des Justiz vom 28. Januar 1838.

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Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 4. Burg/Berlin, 1838, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt04_1838/6>, abgerufen am 01.06.2024.