Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 28. Burg/Berlin, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite
433 Conversations=Blatt. 434
[Beginn Spaltensatz]
Napoleon's Verfahren gegen die
Königin von Hetrurien im Jahr
1807 u. folg.

(Nach einem von ihr selbst geschriebenen Bericht.)
(Beschluß.)

Man wies der Königin ein Gemach an, welches
nach dem innern Hofe hinausging und verbot ihr, sich
an irgend einem Fenster zu zeigen. Sie durfte mit kei-
nem sprechen, an keinen schreiben, von keinem, selbst
nicht von ihrem Sohne, Nachrichten empfangen. Einen
Monat nach ihrem Eintritt ins Kloster kam Janet,
Jntendant des Schatzes, zu ihr, nahm ihr die we-
nigen Kleinodien ab, die sie mitgebracht, und wies ihr
2500 Franken monatlich zum Unterhalt an.

Eilf Monate hatte sie in diesem Gewahrsame zu-
gebracht, als ihre Eltern in Rom anlangten, weil die
italienische Luft dem alten Könige angerathen und ihm
erlaubt worden war, Frankreich zu verlassen. Man trieb
indessen die Härte gegen die Prinzessin so weit, daß man
jene und sämmtliche Mitglieder der Familie hinderte, sich
dem Kloster zu nahen oder einen Boten hineinzusenden.
Nur ein Mal in jedem Monat und oft noch seltener,
führte ihr der General Miollis, damals Gouverneur der
römischen Provinzen, ihre Eltern und ihren Sohn zum
Besuche zu. Doch auch diese Vergünstigung war mit
Härte gepaart, denn die unglückliche Mutter durfte ihr
Kind nur einmal bewillkommend umarmen und sich ihm
dann nicht wieder nähern, sondern es nur in einer ge-
wissen Entfernung, so wie in Gegenwart von Aufpas-
sern, sehen und sprechen. Diese so seltenen Besuche dauer-
ten höchstens 20 Minuten. - General Miollis erschien
inzwischen öfter, nicht nur in Ausübung seines Amtes
als "Kerkermeister", sondern auch, um durch sein spöt-
tisches Lächeln und übermüthige Reden das Zartgefühl
der Prinzessin zu verletzen. Er wachte sorgsam dar-
über, daß sie von allem Umgange mit der Welt getrennt,
ihr Zimmer nicht verlassen durfte, so bald ein Fremder
erschien, das Kloster zu besehen.

Zuletzt hatte ihre Gesundheit so sehr gelitten, daß
sie bettlägerig wurde. Die Aerzte und die Priorin -
welche sich sonst nicht milde gezeigt hatte - sandten
dringende Vorstellungen nach Paris, um, wo nicht ihre
Loslassung, doch wenigstens ihr so viel Freiheit auszu-
wirken, daß sie der höchst nöthigen Bewegung nicht län-
ger entbehrte. Wahrscheinlich würde die französische Re-
gierung die Freude genossen haben, die Nachricht von
ihrem Dahinscheiden zu erhalten, wenn nicht die gött-
liche Vorsehung etwas Außerordentliches herbeigeführt
hätte. Die Fesseln der europäischen Völker wurden zer-
brochen und auch die gemißhandelte Prinzessin fand den
Weg zu ihrer Befreiung, nachdem sie drittehalb Jahr
in der römischen Gefangenschaft geschmachtet.

Mürat, einstweiliger König von Neapel, trat mit
Oestreich in Unterhandlungen, als er selber Napoleons
Macht bei Leipzig hatte sinken gesehen. Nach einem ge-
schlossenen Vertrage besetzten neapolitanische Truppen das
römische Gebiet. Die Prinzessin fing an, freier zu ath-
men. Miollis, noch nicht abgezogen, gab sich die er-
[Spaltenumbruch] sinnlichste Mühe, ihre Verbindungen zu hemmen und dro-
hete, sie nach Civita=Veccchia zu versetzen, wo sie noch
mehr als in Rom seiner Willkühr unterworfen gewesen
wäre. Ganz unerwartet aber erschien eine starke nea-
politanische
Wache im Kloster und am nächsten Tage
stattete ihr General Pignatelli einen Besuch ab, und
äußerte, wie er es für seine Pflicht gehalten habe, ihr
eine Ehrenwache zu geben, sobald die Truppen unter
seinem Befehle in Rom eingerückt wären. Einige Tage
später war die Regierung förmlich geändert, und ihr
durch den neuen Gouverneur die ersehnte Freiheit ver-
kündet. Welchen entzückenden Eindruck diese Botschaft
auf die Prinzessin machte: läßt sich schwerlich beschrei-
ben! Nun aber wünschte sie noch kurze Zeit im Kloster
zu weilen, um mit ihrem Sohne ein Haus zu beziehen,
damit sie nicht mit ihren Eltern zusammen wohnen dürfte.
Am nächsten Tage trat jedoch General Pignatelli ein,
als sie eben zur Mittagstafel sich setzen wollte, und kün-
digte ihr in rauhen Ausdrücken an, daß sie sogleich
in das Haus ihres Vaters sich verfügen müßte. Jhre
wohlgegründeten Gegenvorstellungen fruchteten nichts, der
General drohete sogar mit den Soldaten ihrer Ehren-
wache und ließ sie nicht einmal zu Mittage speisen. Jn
einer Miethskutsche brachte man sie zu ihren Eltern, de-
ren engstem Kreise nach wie vor der Friedensfürst
angehörte. Hier befand sie sich immer noch in einer
gedrückten Lage, man bewies ihr wenig Schonung, räumte
ihr ein schlechtes Gemach ein und gab ihr kaum die nö-
thigsten und nur die schlechtesten Möbel. Aus besonde-
rer Gunst erhielt sie so viel, daß sie für einen Monat
nothdürftig zu leben hatte. Doch fühlte sie sich glück-
lich in ihres Sohnes Gesellschaft.

Mürat war angelangt; sie durfte ihn sprechen; er
erließ ein Dekret vom 6. Febr. 1814, wodurch ihre
Pension auf 33,000 Franken monatlich bestimmt, bald
darauf aber diese Bestimmung zurückgenommen und ihr
eine geringere Summe ausgesetzt wurde. Mürat zog sich
in sein Königreich zurück - und der Fürstin fiel nun
wieder ein günstigeres Loos.

Man halte die Behandlung dieser Königin zusam-
men mit Louis Philipp's glimpfliches Verfahren gegen
die Herzogin von Berry! Diese war heimlich in Frank-
reich eingedrungen, um eine Jnsurrektion gegen das re-
gierende Haus zu erregen; jene wollte nur fliehen aus
Frankreich, um ihre persönliche Freiheit wieder zu ge-
winnen, und wiewohl sie sich mit Napoleons schlimmsten
Feinden, den Engländern, einließ, um ihr zur Flucht
behülflich zu sein, war sie doch weit davon entfernt,
dem Kaiser und seinem Reiche durch bewaffnete Macht
zu schaden. - Man vergleiche Napoleons Gefangenschaft
selbst mit der Einsperrung der abgesetzten Königin von
Hetrurien - man vergleiche den General Miollis mit
Hudson Lowe, dem sogenannten Kerkermeister des
Kaisers auf Helena: und man findet des anziehenden
Stoffes genug zu einem tieferen Nachdenken, als Na-
poleons überspannte Anbeter wohl wünschen dürften.



[Ende Spaltensatz]
433 Conversations=Blatt. 434
[Beginn Spaltensatz]
Napoleon's Verfahren gegen die
Königin von Hetrurien im Jahr
1807 u. folg.

(Nach einem von ihr selbst geschriebenen Bericht.)
(Beschluß.)

Man wies der Königin ein Gemach an, welches
nach dem innern Hofe hinausging und verbot ihr, sich
an irgend einem Fenster zu zeigen. Sie durfte mit kei-
nem sprechen, an keinen schreiben, von keinem, selbst
nicht von ihrem Sohne, Nachrichten empfangen. Einen
Monat nach ihrem Eintritt ins Kloster kam Janet,
Jntendant des Schatzes, zu ihr, nahm ihr die we-
nigen Kleinodien ab, die sie mitgebracht, und wies ihr
2500 Franken monatlich zum Unterhalt an.

Eilf Monate hatte sie in diesem Gewahrsame zu-
gebracht, als ihre Eltern in Rom anlangten, weil die
italienische Luft dem alten Könige angerathen und ihm
erlaubt worden war, Frankreich zu verlassen. Man trieb
indessen die Härte gegen die Prinzessin so weit, daß man
jene und sämmtliche Mitglieder der Familie hinderte, sich
dem Kloster zu nahen oder einen Boten hineinzusenden.
Nur ein Mal in jedem Monat und oft noch seltener,
führte ihr der General Miollis, damals Gouverneur der
römischen Provinzen, ihre Eltern und ihren Sohn zum
Besuche zu. Doch auch diese Vergünstigung war mit
Härte gepaart, denn die unglückliche Mutter durfte ihr
Kind nur einmal bewillkommend umarmen und sich ihm
dann nicht wieder nähern, sondern es nur in einer ge-
wissen Entfernung, so wie in Gegenwart von Aufpas-
sern, sehen und sprechen. Diese so seltenen Besuche dauer-
ten höchstens 20 Minuten. – General Miollis erschien
inzwischen öfter, nicht nur in Ausübung seines Amtes
als „Kerkermeister“, sondern auch, um durch sein spöt-
tisches Lächeln und übermüthige Reden das Zartgefühl
der Prinzessin zu verletzen. Er wachte sorgsam dar-
über, daß sie von allem Umgange mit der Welt getrennt,
ihr Zimmer nicht verlassen durfte, so bald ein Fremder
erschien, das Kloster zu besehen.

Zuletzt hatte ihre Gesundheit so sehr gelitten, daß
sie bettlägerig wurde. Die Aerzte und die Priorin –
welche sich sonst nicht milde gezeigt hatte – sandten
dringende Vorstellungen nach Paris, um, wo nicht ihre
Loslassung, doch wenigstens ihr so viel Freiheit auszu-
wirken, daß sie der höchst nöthigen Bewegung nicht län-
ger entbehrte. Wahrscheinlich würde die französische Re-
gierung die Freude genossen haben, die Nachricht von
ihrem Dahinscheiden zu erhalten, wenn nicht die gött-
liche Vorsehung etwas Außerordentliches herbeigeführt
hätte. Die Fesseln der europäischen Völker wurden zer-
brochen und auch die gemißhandelte Prinzessin fand den
Weg zu ihrer Befreiung, nachdem sie drittehalb Jahr
in der römischen Gefangenschaft geschmachtet.

Mürat, einstweiliger König von Neapel, trat mit
Oestreich in Unterhandlungen, als er selber Napoleons
Macht bei Leipzig hatte sinken gesehen. Nach einem ge-
schlossenen Vertrage besetzten neapolitanische Truppen das
römische Gebiet. Die Prinzessin fing an, freier zu ath-
men. Miollis, noch nicht abgezogen, gab sich die er-
[Spaltenumbruch] sinnlichste Mühe, ihre Verbindungen zu hemmen und dro-
hete, sie nach Civita=Veccchia zu versetzen, wo sie noch
mehr als in Rom seiner Willkühr unterworfen gewesen
wäre. Ganz unerwartet aber erschien eine starke nea-
politanische
Wache im Kloster und am nächsten Tage
stattete ihr General Pignatelli einen Besuch ab, und
äußerte, wie er es für seine Pflicht gehalten habe, ihr
eine Ehrenwache zu geben, sobald die Truppen unter
seinem Befehle in Rom eingerückt wären. Einige Tage
später war die Regierung förmlich geändert, und ihr
durch den neuen Gouverneur die ersehnte Freiheit ver-
kündet. Welchen entzückenden Eindruck diese Botschaft
auf die Prinzessin machte: läßt sich schwerlich beschrei-
ben! Nun aber wünschte sie noch kurze Zeit im Kloster
zu weilen, um mit ihrem Sohne ein Haus zu beziehen,
damit sie nicht mit ihren Eltern zusammen wohnen dürfte.
Am nächsten Tage trat jedoch General Pignatelli ein,
als sie eben zur Mittagstafel sich setzen wollte, und kün-
digte ihr in rauhen Ausdrücken an, daß sie sogleich
in das Haus ihres Vaters sich verfügen müßte. Jhre
wohlgegründeten Gegenvorstellungen fruchteten nichts, der
General drohete sogar mit den Soldaten ihrer Ehren-
wache und ließ sie nicht einmal zu Mittage speisen. Jn
einer Miethskutsche brachte man sie zu ihren Eltern, de-
ren engstem Kreise nach wie vor der Friedensfürst
angehörte. Hier befand sie sich immer noch in einer
gedrückten Lage, man bewies ihr wenig Schonung, räumte
ihr ein schlechtes Gemach ein und gab ihr kaum die nö-
thigsten und nur die schlechtesten Möbel. Aus besonde-
rer Gunst erhielt sie so viel, daß sie für einen Monat
nothdürftig zu leben hatte. Doch fühlte sie sich glück-
lich in ihres Sohnes Gesellschaft.

Mürat war angelangt; sie durfte ihn sprechen; er
erließ ein Dekret vom 6. Febr. 1814, wodurch ihre
Pension auf 33,000 Franken monatlich bestimmt, bald
darauf aber diese Bestimmung zurückgenommen und ihr
eine geringere Summe ausgesetzt wurde. Mürat zog sich
in sein Königreich zurück – und der Fürstin fiel nun
wieder ein günstigeres Loos.

Man halte die Behandlung dieser Königin zusam-
men mit Louis Philipp's glimpfliches Verfahren gegen
die Herzogin von Berry! Diese war heimlich in Frank-
reich eingedrungen, um eine Jnsurrektion gegen das re-
gierende Haus zu erregen; jene wollte nur fliehen aus
Frankreich, um ihre persönliche Freiheit wieder zu ge-
winnen, und wiewohl sie sich mit Napoleons schlimmsten
Feinden, den Engländern, einließ, um ihr zur Flucht
behülflich zu sein, war sie doch weit davon entfernt,
dem Kaiser und seinem Reiche durch bewaffnete Macht
zu schaden. – Man vergleiche Napoleons Gefangenschaft
selbst mit der Einsperrung der abgesetzten Königin von
Hetrurien – man vergleiche den General Miollis mit
Hudson Lowe, dem sogenannten Kerkermeister des
Kaisers auf Helena: und man findet des anziehenden
Stoffes genug zu einem tieferen Nachdenken, als Na-
poleons überspannte Anbeter wohl wünschen dürften.



[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0003"/>
      <fw type="header" place="top">433 <hi rendition="#c">Conversations=Blatt.</hi> <hi rendition="#right">434</hi></fw>
      <cb type="start" n="433"/>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#fr">Napoleon's Verfahren gegen die<lb/>
Königin von Hetrurien im Jahr<lb/>
1807 u. folg.</hi> </head><lb/>
        <argument>
          <p> <hi rendition="#c"> (Nach einem von ihr selbst geschriebenen Bericht.)<lb/>
(Beschluß.)</hi> </p>
        </argument><lb/>
        <p>Man wies der Königin ein Gemach an, welches<lb/>
nach dem innern Hofe hinausging und verbot ihr, sich<lb/>
an irgend einem Fenster zu zeigen. Sie durfte mit kei-<lb/>
nem sprechen, an keinen schreiben, von keinem, selbst<lb/>
nicht von ihrem Sohne, Nachrichten empfangen. Einen<lb/>
Monat nach ihrem Eintritt ins Kloster kam Janet,<lb/>
Jntendant des Schatzes, zu ihr, nahm ihr die we-<lb/>
nigen Kleinodien ab, die sie mitgebracht, und wies ihr<lb/>
2500 Franken monatlich zum Unterhalt an.</p><lb/>
        <p>Eilf Monate hatte sie in diesem Gewahrsame zu-<lb/>
gebracht, als ihre Eltern in Rom anlangten, weil die<lb/>
italienische Luft dem alten Könige angerathen und ihm<lb/>
erlaubt worden war, Frankreich zu verlassen. Man trieb<lb/>
indessen die Härte gegen die Prinzessin so weit, daß man<lb/>
jene und sämmtliche Mitglieder der Familie hinderte, sich<lb/>
dem Kloster zu nahen oder einen Boten hineinzusenden.<lb/>
Nur <hi rendition="#g">ein</hi> Mal in jedem Monat und oft noch seltener,<lb/>
führte ihr der General Miollis, damals Gouverneur der<lb/>
römischen Provinzen, ihre Eltern und ihren Sohn zum<lb/>
Besuche zu. Doch auch diese Vergünstigung war mit<lb/>
Härte gepaart, denn die unglückliche Mutter durfte ihr<lb/>
Kind nur einmal bewillkommend umarmen und sich ihm<lb/>
dann nicht wieder nähern, sondern es nur in einer ge-<lb/>
wissen Entfernung, so wie in Gegenwart von Aufpas-<lb/>
sern, sehen und sprechen. Diese so seltenen Besuche dauer-<lb/>
ten höchstens 20 Minuten. &#x2013; General Miollis erschien<lb/>
inzwischen öfter, nicht nur in Ausübung seines Amtes<lb/>
als &#x201E;Kerkermeister&#x201C;, sondern auch, um durch sein spöt-<lb/>
tisches Lächeln und übermüthige Reden das Zartgefühl<lb/>
der Prinzessin zu verletzen. Er wachte sorgsam dar-<lb/>
über, daß sie von allem Umgange mit der Welt getrennt,<lb/>
ihr Zimmer nicht verlassen durfte, so bald ein Fremder<lb/>
erschien, das Kloster zu besehen.</p><lb/>
        <p>Zuletzt hatte ihre Gesundheit so sehr gelitten, daß<lb/>
sie bettlägerig wurde. Die Aerzte und die Priorin &#x2013;<lb/>
welche sich sonst nicht milde gezeigt hatte &#x2013; sandten<lb/>
dringende Vorstellungen nach Paris, um, wo nicht ihre<lb/>
Loslassung, doch wenigstens ihr so viel Freiheit auszu-<lb/>
wirken, daß sie der höchst nöthigen Bewegung nicht län-<lb/>
ger entbehrte. Wahrscheinlich würde die französische Re-<lb/>
gierung die Freude genossen haben, die Nachricht von<lb/>
ihrem Dahinscheiden zu erhalten, wenn nicht die gött-<lb/>
liche Vorsehung etwas Außerordentliches herbeigeführt<lb/>
hätte. Die Fesseln der europäischen Völker wurden zer-<lb/>
brochen und auch die gemißhandelte Prinzessin fand den<lb/>
Weg zu ihrer Befreiung, nachdem sie drittehalb Jahr<lb/>
in der römischen Gefangenschaft geschmachtet.</p><lb/>
        <p>Mürat, einstweiliger König von Neapel, trat mit<lb/>
Oestreich in Unterhandlungen, als er selber Napoleons<lb/>
Macht bei Leipzig hatte sinken gesehen. Nach einem ge-<lb/>
schlossenen Vertrage besetzten neapolitanische Truppen das<lb/>
römische Gebiet. Die Prinzessin fing an, freier zu ath-<lb/>
men. Miollis, noch nicht abgezogen, gab sich die er-<lb/><cb n="434"/>
sinnlichste Mühe, ihre Verbindungen zu hemmen und dro-<lb/>
hete, sie nach Civita=Veccchia zu versetzen, wo sie noch<lb/>
mehr als in Rom seiner Willkühr unterworfen gewesen<lb/>
wäre. Ganz unerwartet aber erschien eine starke <hi rendition="#g">nea-<lb/>
politanische</hi> Wache im Kloster und am nächsten Tage<lb/>
stattete ihr General Pignatelli einen Besuch ab, und<lb/>
äußerte, wie er es für seine Pflicht gehalten habe, ihr<lb/>
eine Ehrenwache zu geben, sobald die Truppen unter<lb/>
seinem Befehle in Rom eingerückt wären. Einige Tage<lb/>
später war die Regierung förmlich geändert, und ihr<lb/>
durch den neuen Gouverneur die ersehnte Freiheit ver-<lb/>
kündet. Welchen entzückenden Eindruck diese Botschaft<lb/>
auf die Prinzessin machte: läßt sich schwerlich beschrei-<lb/>
ben! Nun aber wünschte sie noch kurze Zeit im Kloster<lb/>
zu weilen, um mit ihrem Sohne ein Haus zu beziehen,<lb/>
damit sie nicht mit ihren Eltern zusammen wohnen dürfte.<lb/>
Am nächsten Tage trat jedoch General Pignatelli ein,<lb/>
als sie eben zur Mittagstafel sich setzen wollte, und kün-<lb/>
digte ihr in rauhen Ausdrücken an, daß sie <hi rendition="#g">sogleich</hi><lb/>
in das Haus ihres Vaters sich verfügen müßte. Jhre<lb/>
wohlgegründeten Gegenvorstellungen fruchteten nichts, der<lb/>
General drohete sogar mit den Soldaten ihrer Ehren-<lb/>
wache und ließ sie nicht einmal zu Mittage speisen. Jn<lb/>
einer Miethskutsche brachte man sie zu ihren Eltern, de-<lb/>
ren engstem Kreise nach wie vor der <hi rendition="#g">Friedensfürst</hi><lb/>
angehörte. Hier befand sie sich immer noch in einer<lb/>
gedrückten Lage, man bewies ihr wenig Schonung, räumte<lb/>
ihr ein schlechtes Gemach ein und gab ihr kaum die nö-<lb/>
thigsten und nur die schlechtesten Möbel. Aus besonde-<lb/>
rer Gunst erhielt sie so viel, daß sie für einen Monat<lb/>
nothdürftig zu leben hatte. Doch fühlte sie sich glück-<lb/>
lich in ihres Sohnes Gesellschaft.</p><lb/>
        <p>Mürat war angelangt; sie durfte ihn sprechen; er<lb/>
erließ ein Dekret vom 6. Febr. 1814, wodurch ihre<lb/>
Pension auf 33,000 Franken monatlich bestimmt, bald<lb/>
darauf aber diese Bestimmung zurückgenommen und ihr<lb/>
eine geringere Summe ausgesetzt wurde. Mürat zog sich<lb/>
in sein Königreich zurück &#x2013; und der Fürstin fiel nun<lb/>
wieder ein günstigeres Loos.</p><lb/>
        <p>Man halte die Behandlung dieser Königin zusam-<lb/>
men mit Louis Philipp's glimpfliches Verfahren gegen<lb/>
die Herzogin von Berry! Diese war heimlich in Frank-<lb/>
reich eingedrungen, um eine Jnsurrektion gegen das re-<lb/>
gierende Haus zu erregen; jene wollte nur fliehen aus<lb/>
Frankreich, um ihre persönliche Freiheit wieder zu ge-<lb/>
winnen, und wiewohl sie sich mit Napoleons schlimmsten<lb/>
Feinden, den Engländern, einließ, um ihr zur Flucht<lb/>
behülflich zu sein, war sie doch weit davon entfernt,<lb/>
dem Kaiser und seinem Reiche durch <hi rendition="#g">bewaffnete</hi> Macht<lb/>
zu schaden. &#x2013; Man vergleiche Napoleons Gefangenschaft<lb/>
selbst mit der Einsperrung der abgesetzten Königin von<lb/>
Hetrurien &#x2013; man vergleiche den General Miollis mit<lb/>
Hudson Lowe, dem sogenannten <hi rendition="#g">Kerkermeister</hi> des<lb/>
Kaisers auf Helena: und man findet des anziehenden<lb/>
Stoffes genug zu einem <hi rendition="#g">tieferen</hi> Nachdenken, als Na-<lb/>
poleons <hi rendition="#g">überspannte</hi> Anbeter wohl wünschen dürften.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <cb type="end"/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0003] 433 Conversations=Blatt. 434 Napoleon's Verfahren gegen die Königin von Hetrurien im Jahr 1807 u. folg. (Nach einem von ihr selbst geschriebenen Bericht.) (Beschluß.) Man wies der Königin ein Gemach an, welches nach dem innern Hofe hinausging und verbot ihr, sich an irgend einem Fenster zu zeigen. Sie durfte mit kei- nem sprechen, an keinen schreiben, von keinem, selbst nicht von ihrem Sohne, Nachrichten empfangen. Einen Monat nach ihrem Eintritt ins Kloster kam Janet, Jntendant des Schatzes, zu ihr, nahm ihr die we- nigen Kleinodien ab, die sie mitgebracht, und wies ihr 2500 Franken monatlich zum Unterhalt an. Eilf Monate hatte sie in diesem Gewahrsame zu- gebracht, als ihre Eltern in Rom anlangten, weil die italienische Luft dem alten Könige angerathen und ihm erlaubt worden war, Frankreich zu verlassen. Man trieb indessen die Härte gegen die Prinzessin so weit, daß man jene und sämmtliche Mitglieder der Familie hinderte, sich dem Kloster zu nahen oder einen Boten hineinzusenden. Nur ein Mal in jedem Monat und oft noch seltener, führte ihr der General Miollis, damals Gouverneur der römischen Provinzen, ihre Eltern und ihren Sohn zum Besuche zu. Doch auch diese Vergünstigung war mit Härte gepaart, denn die unglückliche Mutter durfte ihr Kind nur einmal bewillkommend umarmen und sich ihm dann nicht wieder nähern, sondern es nur in einer ge- wissen Entfernung, so wie in Gegenwart von Aufpas- sern, sehen und sprechen. Diese so seltenen Besuche dauer- ten höchstens 20 Minuten. – General Miollis erschien inzwischen öfter, nicht nur in Ausübung seines Amtes als „Kerkermeister“, sondern auch, um durch sein spöt- tisches Lächeln und übermüthige Reden das Zartgefühl der Prinzessin zu verletzen. Er wachte sorgsam dar- über, daß sie von allem Umgange mit der Welt getrennt, ihr Zimmer nicht verlassen durfte, so bald ein Fremder erschien, das Kloster zu besehen. Zuletzt hatte ihre Gesundheit so sehr gelitten, daß sie bettlägerig wurde. Die Aerzte und die Priorin – welche sich sonst nicht milde gezeigt hatte – sandten dringende Vorstellungen nach Paris, um, wo nicht ihre Loslassung, doch wenigstens ihr so viel Freiheit auszu- wirken, daß sie der höchst nöthigen Bewegung nicht län- ger entbehrte. Wahrscheinlich würde die französische Re- gierung die Freude genossen haben, die Nachricht von ihrem Dahinscheiden zu erhalten, wenn nicht die gött- liche Vorsehung etwas Außerordentliches herbeigeführt hätte. Die Fesseln der europäischen Völker wurden zer- brochen und auch die gemißhandelte Prinzessin fand den Weg zu ihrer Befreiung, nachdem sie drittehalb Jahr in der römischen Gefangenschaft geschmachtet. Mürat, einstweiliger König von Neapel, trat mit Oestreich in Unterhandlungen, als er selber Napoleons Macht bei Leipzig hatte sinken gesehen. Nach einem ge- schlossenen Vertrage besetzten neapolitanische Truppen das römische Gebiet. Die Prinzessin fing an, freier zu ath- men. Miollis, noch nicht abgezogen, gab sich die er- sinnlichste Mühe, ihre Verbindungen zu hemmen und dro- hete, sie nach Civita=Veccchia zu versetzen, wo sie noch mehr als in Rom seiner Willkühr unterworfen gewesen wäre. Ganz unerwartet aber erschien eine starke nea- politanische Wache im Kloster und am nächsten Tage stattete ihr General Pignatelli einen Besuch ab, und äußerte, wie er es für seine Pflicht gehalten habe, ihr eine Ehrenwache zu geben, sobald die Truppen unter seinem Befehle in Rom eingerückt wären. Einige Tage später war die Regierung förmlich geändert, und ihr durch den neuen Gouverneur die ersehnte Freiheit ver- kündet. Welchen entzückenden Eindruck diese Botschaft auf die Prinzessin machte: läßt sich schwerlich beschrei- ben! Nun aber wünschte sie noch kurze Zeit im Kloster zu weilen, um mit ihrem Sohne ein Haus zu beziehen, damit sie nicht mit ihren Eltern zusammen wohnen dürfte. Am nächsten Tage trat jedoch General Pignatelli ein, als sie eben zur Mittagstafel sich setzen wollte, und kün- digte ihr in rauhen Ausdrücken an, daß sie sogleich in das Haus ihres Vaters sich verfügen müßte. Jhre wohlgegründeten Gegenvorstellungen fruchteten nichts, der General drohete sogar mit den Soldaten ihrer Ehren- wache und ließ sie nicht einmal zu Mittage speisen. Jn einer Miethskutsche brachte man sie zu ihren Eltern, de- ren engstem Kreise nach wie vor der Friedensfürst angehörte. Hier befand sie sich immer noch in einer gedrückten Lage, man bewies ihr wenig Schonung, räumte ihr ein schlechtes Gemach ein und gab ihr kaum die nö- thigsten und nur die schlechtesten Möbel. Aus besonde- rer Gunst erhielt sie so viel, daß sie für einen Monat nothdürftig zu leben hatte. Doch fühlte sie sich glück- lich in ihres Sohnes Gesellschaft. Mürat war angelangt; sie durfte ihn sprechen; er erließ ein Dekret vom 6. Febr. 1814, wodurch ihre Pension auf 33,000 Franken monatlich bestimmt, bald darauf aber diese Bestimmung zurückgenommen und ihr eine geringere Summe ausgesetzt wurde. Mürat zog sich in sein Königreich zurück – und der Fürstin fiel nun wieder ein günstigeres Loos. Man halte die Behandlung dieser Königin zusam- men mit Louis Philipp's glimpfliches Verfahren gegen die Herzogin von Berry! Diese war heimlich in Frank- reich eingedrungen, um eine Jnsurrektion gegen das re- gierende Haus zu erregen; jene wollte nur fliehen aus Frankreich, um ihre persönliche Freiheit wieder zu ge- winnen, und wiewohl sie sich mit Napoleons schlimmsten Feinden, den Engländern, einließ, um ihr zur Flucht behülflich zu sein, war sie doch weit davon entfernt, dem Kaiser und seinem Reiche durch bewaffnete Macht zu schaden. – Man vergleiche Napoleons Gefangenschaft selbst mit der Einsperrung der abgesetzten Königin von Hetrurien – man vergleiche den General Miollis mit Hudson Lowe, dem sogenannten Kerkermeister des Kaisers auf Helena: und man findet des anziehenden Stoffes genug zu einem tieferen Nachdenken, als Na- poleons überspannte Anbeter wohl wünschen dürften.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt28_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt28_1837/3
Zitationshilfe: Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 28. Burg/Berlin, 1837, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt28_1837/3>, abgerufen am 14.06.2024.