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Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 29. Burg/Berlin, 1837.

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455 Conversations=Blatt. 456
[Beginn Spaltensatz] chen auf den Tisch zu legen, hierauf die Kohlen, die
auf etlichen Ziegeln in einem Winkel des Raumes glimm-
ten, auf den Bauch gelegt, durch Blasen anzufachen,
und eine braune Masse in einen Kessel zu schütten, der,
sobald er über dem Feuer hing, durch ein leichtes Arom
andeutete, daß sein Jnhalt Kaffee sei, der schon oft zu
ähnlicher Gaukelei gebraucht worden war.

Während der Alte in seinem Winkel kauerte, bla-
send und rührend, sah der junge Mann mit leuchten-
den Blicken das schöne Weib an, welches neben ihm
stand. Es schien sich Muth und Erwartung in diesem
Blicke zu spiegeln, indeß die Schöne verwirrt auf den
Estrich blickte, der ungleich und höckerig den Fußboden
des Raumes bildete.

Der Alte hatte jetzt seinen Kaffeesatz aufgekocht
und schüttete ihn in ein flaches Geschirr, das er auf
den Tisch stellte. Kein Wort war gesprochen worden,
und es machte einen schauerlichen Eindruck, als er nun-
mehr im tiefen, doch zitternden Basse gleich einer Be-
schwörung die Worte vernehmen ließ:

"Höret nun, Jhr jungen Leute, was das große
Spiel mich lehren wird."

Hierauf mischte sich der Wahrsager seine Karten
und legte sie nach gewohnter Ordnung vor sich auf den
Tisch, dann sah er seinen Besuch mit einem finstern
Blicke lang und fest an, indem er die Karten einzeln
vom Tische hob.

"Für einen Zauberer ist nichts verschleiert. Unter
dem schwarzen Schleier dieser jungen Dame erkenne ich
die Gemahlin des Obersten Sarloff, des Chefs der Mi-
litärpolizei von Warschau. Diese frische und duftende
Blume hat der alte Offizier sich aus Frankreich geholt,
aber sie hat unter dem kalten Einflusse des Nordens
nichts von ihrer Frische, nichts von ihrer Schönheit verloren."

Die verschleierte Dame schauderte zusammen.

"Für einen Zauberer giebt es kein Geheimniß.
Unter dieser russischen Uniform und unter diesen durch
Kunst verstellten Zügen erkenne ich den polnischen Gra-
fen Dewisky, das Haupt des Warschauer Klubbs, der
die letzte Verschwörung gegen die russische Herrschaft lei-
tete; desselben Grafen Dewisky, der zum Tode verur-
theilt ist, und auf dessen Kopf ein Preis von 500 Ru-
beln gesetzt wurde, und der sich hier verborgen hält, um
nächstens nach Frankreich zu entfliehen."

Der junge Mensch schauderte zusammen.

"Dieses haben mich die Karten gelehrt. Verneh-
met jetzt, was ich im Kaffeesatz lese. Dieser Satz, den
ich hier in das Wasser schütte, bildet achtundzwanzig
Buchstaben oder mysteriöse Charaktere, welche wiederum
sieben Worte bilden: Eure Liebe ist eine solche,
welche erhöht.
Jhr mögt darüber nachdenken, um
den Sinn zu verstehen."

"Jst dieser Sinn nicht deutlich, meine schöne Freun-
dinn, deutet er uns nicht an, daß unsere Liebe uns bes-
sert mit edler Macht und nicht erniedrigt, wie die ge-
meine Leidenschaft; daß sie vom Himmel stammt und
nicht aus der Hölle? Du selbst wolltest ja den Zaube-
rer fragen, und wenn er nun Deine Sorglosigkeiten wi-
derlegt, könntest Du noch zögern, Dich meinen Wün-
[Spaltenumbruch] schen zu fügen? Um eilf Uhr erwarte ich Dich unter
der großen Fichte am Eingange des Dir bekannten Wäld-
chens, um von Dir Abschied zu nehmen. Das Wetter
ist mild, aber die Nacht ist finster. Beides ist meiner
Flucht günstig. Wirst Du kommen?"

Die junge Dame war heftig bewegt. Jhr gepreß-
ter Busen hob ihren Schleier gewaltsam empor, ihre
Hand drückte convulsivisch die Hand ihres Begleiters.
Nach einer tiefen, bangen Stille von wenigen Minuten
neigte sie sich zu dem Ohre des jungen Polen und flü-
sterte: "Jch werde kommen!"

Graf Dewisky warf eine Börse auf den Tisch des
Wahrsagers, und still entfernte sich das Paar, längs
den Mauern fortschleichend, sich der Finsterniß vertrauend,
welche sich rings umher verbreitet hatte.

Der Alte leerte hastig den Jnhalt der Börse, und
rief, nachdem er gezählt hatte, mit teuflischem Hohne
die Worte: "Zwanzig Rubel! Beim Teufel! ich muß
diese Nacht noch fünfhundert haben."

Die Dunkelheit hatte zugenommen, und ein starker
Wind wirbelte den Sand von der Straße in die Höhe
und bewegte die alten Wipfel der Bäume, die ein Wäld-
chen seitwärts von der Straße nach Blonie bildeten.
Ringsum herrschte Stille, nur selten bleiben Wanderer
so spät auf der Straße in jenen Gegenden. Ein jun-
ger Mann in einen Mantel gehüllt, stand unter der gro-
ßen Fichte am Eingange des Wäldchens, und blickte hin-
aus in die Nacht. Bald gesellte sich eine dunkle Ge-
stalt zu ihm. Es war die Geliebte. Von dem Rasen
unter dem alten mächtigen Baume, wo sie nun Beide
saßen, strömte ein leises Geräusch von Worten und Seuf-
zern empor, das sich in dem Zusammenschlagen der Aeste
verlor, die der Wind heftig bewegte. Ein dumpfer
Glockenton ließ sich aus dem unfernen Warschau ver-
nehmen.

"Jetzt schlägt es Mitternacht in der Stadt," sagte
der Jüngling. "Die Pferde erwarten mich, die mich
über die Grenze bringen sollen. Lebe wohl! Später
werde ich Alles wiedersehen, was ich liebe, das Vater-
land und Dich -"

"Weder eins noch das andere!" rief hier ein Mensch,
der, wie aus der Erde gestiegen, vor dem Paare stand.

Es war der Gemahl Sophiens, der Chef der Mi-
litärpolizei, der russische Oberst Sarloff. Dewisky wollte
den Degen ziehen, aber Mehre drangen auf ihn ein,
entwaffneten ihn und banden ihm Füße und Hände.
Sophie lag ohnmächtig zur Seite.

"Zuerst wollen wir den Gatten rächen," schrie der
wilde Sarloff, und auf ein Zeichen von ihm warfen sich
seine Begleiter auf das ohnmächtige Weib, schlangen
einen Strick um ihren weißen Hals, und zogen sie hin-
auf in die Zweige der Riesenfichte, die ihrem Liebeskosen
ein schützender Baum sein sollte. Während sie unter
fürchterlichen Zuckungen den Geist aufgab, spielte der
Nachtwind mit ihren schönen Haaren, wie mit den tief
herabhängenden Nadeln des mächtigen Baumes.

[Ende Spaltensatz]

455 Conversations=Blatt. 456
[Beginn Spaltensatz] chen auf den Tisch zu legen, hierauf die Kohlen, die
auf etlichen Ziegeln in einem Winkel des Raumes glimm-
ten, auf den Bauch gelegt, durch Blasen anzufachen,
und eine braune Masse in einen Kessel zu schütten, der,
sobald er über dem Feuer hing, durch ein leichtes Arom
andeutete, daß sein Jnhalt Kaffee sei, der schon oft zu
ähnlicher Gaukelei gebraucht worden war.

Während der Alte in seinem Winkel kauerte, bla-
send und rührend, sah der junge Mann mit leuchten-
den Blicken das schöne Weib an, welches neben ihm
stand. Es schien sich Muth und Erwartung in diesem
Blicke zu spiegeln, indeß die Schöne verwirrt auf den
Estrich blickte, der ungleich und höckerig den Fußboden
des Raumes bildete.

Der Alte hatte jetzt seinen Kaffeesatz aufgekocht
und schüttete ihn in ein flaches Geschirr, das er auf
den Tisch stellte. Kein Wort war gesprochen worden,
und es machte einen schauerlichen Eindruck, als er nun-
mehr im tiefen, doch zitternden Basse gleich einer Be-
schwörung die Worte vernehmen ließ:

„Höret nun, Jhr jungen Leute, was das große
Spiel mich lehren wird.“

Hierauf mischte sich der Wahrsager seine Karten
und legte sie nach gewohnter Ordnung vor sich auf den
Tisch, dann sah er seinen Besuch mit einem finstern
Blicke lang und fest an, indem er die Karten einzeln
vom Tische hob.

„Für einen Zauberer ist nichts verschleiert. Unter
dem schwarzen Schleier dieser jungen Dame erkenne ich
die Gemahlin des Obersten Sarloff, des Chefs der Mi-
litärpolizei von Warschau. Diese frische und duftende
Blume hat der alte Offizier sich aus Frankreich geholt,
aber sie hat unter dem kalten Einflusse des Nordens
nichts von ihrer Frische, nichts von ihrer Schönheit verloren.“

Die verschleierte Dame schauderte zusammen.

„Für einen Zauberer giebt es kein Geheimniß.
Unter dieser russischen Uniform und unter diesen durch
Kunst verstellten Zügen erkenne ich den polnischen Gra-
fen Dewisky, das Haupt des Warschauer Klubbs, der
die letzte Verschwörung gegen die russische Herrschaft lei-
tete; desselben Grafen Dewisky, der zum Tode verur-
theilt ist, und auf dessen Kopf ein Preis von 500 Ru-
beln gesetzt wurde, und der sich hier verborgen hält, um
nächstens nach Frankreich zu entfliehen.“

Der junge Mensch schauderte zusammen.

„Dieses haben mich die Karten gelehrt. Verneh-
met jetzt, was ich im Kaffeesatz lese. Dieser Satz, den
ich hier in das Wasser schütte, bildet achtundzwanzig
Buchstaben oder mysteriöse Charaktere, welche wiederum
sieben Worte bilden: Eure Liebe ist eine solche,
welche erhöht.
Jhr mögt darüber nachdenken, um
den Sinn zu verstehen.“

„Jst dieser Sinn nicht deutlich, meine schöne Freun-
dinn, deutet er uns nicht an, daß unsere Liebe uns bes-
sert mit edler Macht und nicht erniedrigt, wie die ge-
meine Leidenschaft; daß sie vom Himmel stammt und
nicht aus der Hölle? Du selbst wolltest ja den Zaube-
rer fragen, und wenn er nun Deine Sorglosigkeiten wi-
derlegt, könntest Du noch zögern, Dich meinen Wün-
[Spaltenumbruch] schen zu fügen? Um eilf Uhr erwarte ich Dich unter
der großen Fichte am Eingange des Dir bekannten Wäld-
chens, um von Dir Abschied zu nehmen. Das Wetter
ist mild, aber die Nacht ist finster. Beides ist meiner
Flucht günstig. Wirst Du kommen?“

Die junge Dame war heftig bewegt. Jhr gepreß-
ter Busen hob ihren Schleier gewaltsam empor, ihre
Hand drückte convulsivisch die Hand ihres Begleiters.
Nach einer tiefen, bangen Stille von wenigen Minuten
neigte sie sich zu dem Ohre des jungen Polen und flü-
sterte: „Jch werde kommen!“

Graf Dewisky warf eine Börse auf den Tisch des
Wahrsagers, und still entfernte sich das Paar, längs
den Mauern fortschleichend, sich der Finsterniß vertrauend,
welche sich rings umher verbreitet hatte.

Der Alte leerte hastig den Jnhalt der Börse, und
rief, nachdem er gezählt hatte, mit teuflischem Hohne
die Worte: „Zwanzig Rubel! Beim Teufel! ich muß
diese Nacht noch fünfhundert haben.“

Die Dunkelheit hatte zugenommen, und ein starker
Wind wirbelte den Sand von der Straße in die Höhe
und bewegte die alten Wipfel der Bäume, die ein Wäld-
chen seitwärts von der Straße nach Blonie bildeten.
Ringsum herrschte Stille, nur selten bleiben Wanderer
so spät auf der Straße in jenen Gegenden. Ein jun-
ger Mann in einen Mantel gehüllt, stand unter der gro-
ßen Fichte am Eingange des Wäldchens, und blickte hin-
aus in die Nacht. Bald gesellte sich eine dunkle Ge-
stalt zu ihm. Es war die Geliebte. Von dem Rasen
unter dem alten mächtigen Baume, wo sie nun Beide
saßen, strömte ein leises Geräusch von Worten und Seuf-
zern empor, das sich in dem Zusammenschlagen der Aeste
verlor, die der Wind heftig bewegte. Ein dumpfer
Glockenton ließ sich aus dem unfernen Warschau ver-
nehmen.

„Jetzt schlägt es Mitternacht in der Stadt,“ sagte
der Jüngling. „Die Pferde erwarten mich, die mich
über die Grenze bringen sollen. Lebe wohl! Später
werde ich Alles wiedersehen, was ich liebe, das Vater-
land und Dich –“

„Weder eins noch das andere!“ rief hier ein Mensch,
der, wie aus der Erde gestiegen, vor dem Paare stand.

Es war der Gemahl Sophiens, der Chef der Mi-
litärpolizei, der russische Oberst Sarloff. Dewisky wollte
den Degen ziehen, aber Mehre drangen auf ihn ein,
entwaffneten ihn und banden ihm Füße und Hände.
Sophie lag ohnmächtig zur Seite.

„Zuerst wollen wir den Gatten rächen,“ schrie der
wilde Sarloff, und auf ein Zeichen von ihm warfen sich
seine Begleiter auf das ohnmächtige Weib, schlangen
einen Strick um ihren weißen Hals, und zogen sie hin-
auf in die Zweige der Riesenfichte, die ihrem Liebeskosen
ein schützender Baum sein sollte. Während sie unter
fürchterlichen Zuckungen den Geist aufgab, spielte der
Nachtwind mit ihren schönen Haaren, wie mit den tief
herabhängenden Nadeln des mächtigen Baumes.

[Ende Spaltensatz]
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Unter dieser russischen Uniform und unter diesen durch Kunst verstellten Zügen erkenne ich den polnischen Gra- fen Dewisky, das Haupt des Warschauer Klubbs, der die letzte Verschwörung gegen die russische Herrschaft lei- tete; desselben Grafen Dewisky, der zum Tode verur- theilt ist, und auf dessen Kopf ein Preis von 500 Ru- beln gesetzt wurde, und der sich hier verborgen hält, um nächstens nach Frankreich zu entfliehen.“ Der junge Mensch schauderte zusammen. „Dieses haben mich die Karten gelehrt. Verneh- met jetzt, was ich im Kaffeesatz lese. Dieser Satz, den ich hier in das Wasser schütte, bildet achtundzwanzig Buchstaben oder mysteriöse Charaktere, welche wiederum sieben Worte bilden: Eure Liebe ist eine solche, welche erhöht. 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Bald gesellte sich eine dunkle Ge- stalt zu ihm. Es war die Geliebte. Von dem Rasen unter dem alten mächtigen Baume, wo sie nun Beide saßen, strömte ein leises Geräusch von Worten und Seuf- zern empor, das sich in dem Zusammenschlagen der Aeste verlor, die der Wind heftig bewegte. Ein dumpfer Glockenton ließ sich aus dem unfernen Warschau ver- nehmen. „Jetzt schlägt es Mitternacht in der Stadt,“ sagte der Jüngling. „Die Pferde erwarten mich, die mich über die Grenze bringen sollen. Lebe wohl! Später werde ich Alles wiedersehen, was ich liebe, das Vater- land und Dich –“ „Weder eins noch das andere!“ rief hier ein Mensch, der, wie aus der Erde gestiegen, vor dem Paare stand. Es war der Gemahl Sophiens, der Chef der Mi- litärpolizei, der russische Oberst Sarloff. Dewisky wollte den Degen ziehen, aber Mehre drangen auf ihn ein, entwaffneten ihn und banden ihm Füße und Hände. 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Zitationshilfe: Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 29. Burg/Berlin, 1837, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt29_1837/6>, abgerufen am 15.06.2024.