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Mainzer Journal. Nr. 42. Mainz, 27. Juli 1848.

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[Beginn Spaltensatz] nicht auf diese praktische Weise mit der Reorganisation beschäf-
tigen. Ein großer Theil der Grundstücke ist in thätige deutsche
Hände übergegangen; soll das so erworbene Land wieder abge-
geben werden? Ohnehin wollen die Bauern preußisch bleiben,
nur der Adel und ein Theil der Geistlichkeit hat die Wohlthaten
nicht anerkannt und einen Theil des Volks allmählig in den
Kampf gezogen. Man wird sagen, in der letzten Revolution
waren Tausende von Sensenmännern. Diese hat man durch
Vorspiegelungen einer Gefahr für ihre Religion aufgereizt. Man
hat gesagt man wolle sie evangelisiren; in Posen ist evangelisch
und deutsch gleichbedeutend. Die Aufreizung gelang erst allmäh-
lich, 1)und selbst während des Kampfes war die Begeisterung keine
nationale; nicht unter der roth und weißen Fahne wurde gefoch-
ten, sondern unter dem Crucisire. Die Bauern sind jetzt von
der früheren Meinung zurückgekommen und haben erklärt, daß sie
sich nicht mehr täuschen lassen wollen. Es steht jetzt so, daß die
Regierung mit Mühe eine Reaction zurückhält, und bei einer
neuen Schilderhebung wären Scenen wie in Gallizien zu fürch-
ten. Darum können wir Polen nicht wiederherstellen, denn des
Vaterlandes Wohl geht über Alles!"

Darnach sprach Vogt: "Die bisherigen Redner haben
sich nur in allgemeinen Ausdrücken, nicht in Thatsachen be-
wegt. Jch habe nach diesen als Haltpunkten vergeblich ge-
sucht in polnischen, wie in preußischen Denkschriften und
deßhalb muß ich dem Antrag auf Niedersetzung einer un-
parteiischen Commission beistimmen. Jch will zugeben daß der
Adel in Polen dieselbe Rolle spielte, wie auch anderwärts.
Jch gebe zu, daß das ultramontane Princip mitwirkte; allein
wodurch wurde es geweckt? Durch den preußischen Staat, der
die katholische Kirche zu unterdrücken strebte. Die in der Procla-
mation erwähnten Thatsachen können nicht alle erfunden seyn,
solche Thatsachen malt man blos aus, und wo Rauch ist, ist
auch Feuer. Jch rede nicht von der Theilung Polens, und gehe
nicht zurück auf alte Zeiten, aber der Druck gegen die polnische
Nationalität hat geherrscht. Der Ausschußbericht selbst gibt es
zu mit sehr schonenden Worten. Der Druck war ausgegangen
von der preußischen Bureaukratie. Man sagt, die Polen hätten
keine Aemter angenommen; diesen Vorwurf mögen sie tragen,
wenn man einen Vorwurf daraus macht, daß Jemand sich nicht
zum Werkzeug dessen hergibt, den er für seinen Unterdrücker hält.
Jch will nicht auf die Demarcationslinie eingehen, da die statisti-
schen Grundlagen fehlen; aber eben deßhalb stimme ich für eine
Untersuchung. Jch will nicht, daß wir ein wirklich deutsches
Land hingeben wollen, d. i. ein Land, wo deutsche Bewohner
sind; und ich gehöre auch nicht zu Denen, welche dem Auslande
gegenüber irgend etwas vergeben sehen wollen. Allein ein Anderes
ist es tollkühn in den Kampf zu gehen. Die Sympathie für Polen
ist einmal bei den Franzosen begründet. Es mag wahr seyn, daß
die Demarcationslinie nothwendig war aus nationalen wie strate-
gischen Gründen. Dann ist Frankreich bis jetzt irrthümlich belehrt
und muß durch das Ergebniß einer Untersuchung eines Besseren
belehrt werden, was nicht mehr möglich ist, wenn einmal das
Schwert gezogen ist. Man wird sagen, das frühere jährliche
Schauspiel der Sympathie erklärung werde sich wieder-
holen. Vergessen Sie nicht, daß die Mißachtung der Sympathie
der früheren Regierung so hoch angerechnet worden ist, und daß
jene Sympathie zu einer Erstürmung der Nationalversammlung
wenn auch nur der Vorwand war. Jch fürchte keinen Krieg, ver-
lange aber Klugheit. Und nun noch einen Wunsch zum Schlusse,
daß unser Minister des Auswärtigen, der durch einen glücklichen
Conner Präsident der früheren Erecutivgewalt war, und die
diplomatischen Verhandlungen kennen wird, uns seine Ansicht
mittheile."

Jn der heutigen Sitzung nahm v. Radowitz das Wort:
"Es wäre ein Unglück, wenn der Grund der Zerrissenheit Deutsch-
lands vor drei Jahrhunderten auch in diese Versammlung ge-
tragen würde. Der Gegensatz der Confessionen besteht und wird
bestehen, so lange, bis die Binde von den Augen sinkt; aber er
werde nicht dahin getragen, wohin er nicht gehört. Wenn es sich
um die katholische Kirche in Posen handelte, dann würde ich in
meinem Entschlusse nicht zweifelhaft seyn. Politische und nationale
Rücksichten müßten schwinden. Dies ist aber nicht der Fall. Die
Klagen der Polen trugen nicht den confessionellen Charakter; die
Ursache ist überhaupt das bisherige Mißverhältniß zwischen
Staat und Kirche. Daß ein katholisches Land dadurch, daß es
in das deutsche Reich aufgenommen wird, in seinem Glauben ge-
[Spaltenumbruch] fährdet sey, das werde ich nie zugeben. Die Katholiken aller
deutschen Lande würden dies entschieden zurückweisen müssen. Dies
zur Einleitung. Der Ausschußbericht schlägt nun vor, die ge-
schehene Aufnahme Posens in den deutschen Bund anzuerkennen.
Jch weiß nicht, wie wir es vor Deutschland verantworten könn-
ten, gegen den Antrag zu stimmen. Wer denselben verwirft, muß
entweder verlangen, daß die ganze Provinz aufgenommen werde,
oder ganz ausgeschlossen bleibe. Wer aber die gesammte Provinz
Posen ausschließt, überläßt eine halbe Million Deutsche einem
zukünftigen Reiche Polen. Man hat von einer vierten Theilung
Polens gesprochen; das Aufgeben der deutschen Theile wäre
eine Theilung Deutschlands. Man spricht von einer eventuellen
Kriegsdrohung Frankreichs. Jch hoffe, daß wir eine Zumuthung,
welche die Ehre Deutschlands verletzt, gegen jede Seite zurückwei-
sen werden, sey es gegen einen Selbstherrscher oder gegen eine Repu-
blik. Jch bin weit entfernt, die Theilnahme für Polen zu mindern,
aber sollen wir eine halbe Million deutscher Brüder aufgeben. Nun
und nimmermehr." Nachdem Schuselka und Wartensleben
geredet, sprach der posener Abgeordnete Janiczewsky: "Es
sind gestern Stimmen der Verhöhnung gegen Polen laut gewor-
den, die wir nie bei den Russen gehört haben. Jch könnte die
Belege liefern, wer den Kampf bei den Haaren herbeigezogen hat.
Jch will dem Urtheil selbst nicht vorgreifen. Auch könnte ich eine
ganze Gallerie von Bildern vorführen, auf denen Jhr Blick nicht
mit Behagen ruhen würde. Jch thue es nicht, weil ich andere
Waffen habe, mein Recht zu vertheidigen. Man sagt, das Land
sey erobert durch deutschen Fleiß. Jch will nichts sagen gegen
deutschen Fleiß. Jch habe aber hier Abschrift einer preußischen
Cabinetsordre vom 30. März 1833. ( Der Redner verliest sie;
sie enthält eine Weisung an das Staatsministerium, bei Subha-
stationen polnischer Güter durch Vermittlung der Staatskasse für
Erwerber deutscher Abkunft zu sorgen ) . Es ist also bei der Er-
werbung etwas mehr als deutscher Fleiß. Posen wurde die Er-
haltung der polnischen Nationalität gewährleistet, und in diesem
Jahre noch erklärte der darum befragte posener Landtag mit 26
gegen 17 Stimmen sich gegen die Einverleibung. Von der Mi-
norität wurde der Anschluß an Deutschland beantragt und vom
Bundestag decretirt. Die preuß. Regierung hatte die Einverleib-
ung von dem gesetzlich ausgesprochenen Volkswillen abhängig
gemacht, und dann dagegen gehandelt. Man beruft sich auf
die eingegangenen Petitionen. Warum hat man die Protesta-
tionen
nicht eben so berücksichtigt? Dem Ministerium ist eine
Protestation von mehr als hunderttausend Unterschriften
aus den einverleibten Theilen, darunter von 50,000 Deutschen
zugegangen. Jch habe den Ausschuß gebeten, diese einzufor-
dern; ich weiß nicht, ob es geschehen ist. Der Volkswille
ist gegen die Einverleibung, darum wählte man mich,
ein Mitglied des polnischen Nationalcomites, damit ich hier
die Wahrheit enthülle und gegen die Trennung als eine
Gewaltthat in ihrem Namen protestire. Jch habe einen schweren
Kampf gekämpft, ob ich die Wahl annehmen soll; ich habe sie
angenommen im Vertrauen auf die Gerechtigkeit und Gewissen-
haftigkeit der deutschen Nation. Die Verträge von 1815 haben
ein solches Unrecht nicht begangen wie die preußische Abthei-
lung; sie haben die Polen nicht vom Boden hinweg geleugnet.
Es hieß ein preußisches, ein österreichisches Polen, aber doch
immer Polen. Lassen Sie für Polen die Gerechtigkeit walten,
die sich vielleicht später auch als die beste und klügste Politik
zeigen wird. Man hat von der Nothwendigkeit des Schutzes
der deutschen Brüder gesprochen; es gibt Tausende, welche
keine Einverleibung wollen, Tausende, welche nur vorüber-
gehend in Posen sich aufhalten. Niemand hat daran gedacht, daß
Posen aufhören solle, unter preußischer Regierung zu stehen. Die
Polen aber wollten nur nicht die allein Beherrschten seyn.
Die für die Reorganisation niedergesetzte Commission bestand aus
vier Deutschen und fünf Polen, die Entscheidung hing von einem
deutschen Ministerium ab. Waren da die Deutschen nicht hinlänglich
geschützt? Jch will auch keine Sympathien in Anspruch nehmen.
Aber ich komme nicht als Bettler zu Jhnen, sondern mit meinem
guten Rechte. Man soll den Polen nichts geben, sondern ihnen
nur nichts nehmen, und das unangetastet lassen, was die Für-
sten
ihnen gelassen haben. Was gewinnt Deutschland mit
400,000 Menschen? Es gewinnt nur 400,000 der erbittertsten
Feinde. Man hat die Polen verschlungen, verdauen wird man
sie, weiß Gott, nicht. Jch verlange keine Sympathien, ich ap-
pellire nur an Jhre Tugend und Gerechtigkeit!" Nachdem Kerst
von Birnbaum noch für die Einverleibung geredet, sprach Cle-
mens
von Bonn: "Wenn ich den Ausschußantrag bekämpfe,
so geschieht es nicht vom Standpunkt der Vorredner aus.
Nach meiner Ansicht besteht die Frage lediglich darin, ob
wir jetzt schon zur Entscheidung kommen können. Zwei
[Ende Spaltensatz]

1) Der Redner verliest die bekannte Proclamation "an das deutsche
katholische Volk", unterzeichnet die deutsche katholische Geistlichkeit. Er
fügt bei, daß er weit entfernt sey, der katholischen Geistlichkeit im
Ganzen derartiges aufzubürden.

[Beginn Spaltensatz] nicht auf diese praktische Weise mit der Reorganisation beschäf-
tigen. Ein großer Theil der Grundstücke ist in thätige deutsche
Hände übergegangen; soll das so erworbene Land wieder abge-
geben werden? Ohnehin wollen die Bauern preußisch bleiben,
nur der Adel und ein Theil der Geistlichkeit hat die Wohlthaten
nicht anerkannt und einen Theil des Volks allmählig in den
Kampf gezogen. Man wird sagen, in der letzten Revolution
waren Tausende von Sensenmännern. Diese hat man durch
Vorspiegelungen einer Gefahr für ihre Religion aufgereizt. Man
hat gesagt man wolle sie evangelisiren; in Posen ist evangelisch
und deutsch gleichbedeutend. Die Aufreizung gelang erst allmäh-
lich, 1)und selbst während des Kampfes war die Begeisterung keine
nationale; nicht unter der roth und weißen Fahne wurde gefoch-
ten, sondern unter dem Crucisire. Die Bauern sind jetzt von
der früheren Meinung zurückgekommen und haben erklärt, daß sie
sich nicht mehr täuschen lassen wollen. Es steht jetzt so, daß die
Regierung mit Mühe eine Reaction zurückhält, und bei einer
neuen Schilderhebung wären Scenen wie in Gallizien zu fürch-
ten. Darum können wir Polen nicht wiederherstellen, denn des
Vaterlandes Wohl geht über Alles!“

Darnach sprach Vogt: „Die bisherigen Redner haben
sich nur in allgemeinen Ausdrücken, nicht in Thatsachen be-
wegt. Jch habe nach diesen als Haltpunkten vergeblich ge-
sucht in polnischen, wie in preußischen Denkschriften und
deßhalb muß ich dem Antrag auf Niedersetzung einer un-
parteiischen Commission beistimmen. Jch will zugeben daß der
Adel in Polen dieselbe Rolle spielte, wie auch anderwärts.
Jch gebe zu, daß das ultramontane Princip mitwirkte; allein
wodurch wurde es geweckt? Durch den preußischen Staat, der
die katholische Kirche zu unterdrücken strebte. Die in der Procla-
mation erwähnten Thatsachen können nicht alle erfunden seyn,
solche Thatsachen malt man blos aus, und wo Rauch ist, ist
auch Feuer. Jch rede nicht von der Theilung Polens, und gehe
nicht zurück auf alte Zeiten, aber der Druck gegen die polnische
Nationalität hat geherrscht. Der Ausschußbericht selbst gibt es
zu mit sehr schonenden Worten. Der Druck war ausgegangen
von der preußischen Bureaukratie. Man sagt, die Polen hätten
keine Aemter angenommen; diesen Vorwurf mögen sie tragen,
wenn man einen Vorwurf daraus macht, daß Jemand sich nicht
zum Werkzeug dessen hergibt, den er für seinen Unterdrücker hält.
Jch will nicht auf die Demarcationslinie eingehen, da die statisti-
schen Grundlagen fehlen; aber eben deßhalb stimme ich für eine
Untersuchung. Jch will nicht, daß wir ein wirklich deutsches
Land hingeben wollen, d. i. ein Land, wo deutsche Bewohner
sind; und ich gehöre auch nicht zu Denen, welche dem Auslande
gegenüber irgend etwas vergeben sehen wollen. Allein ein Anderes
ist es tollkühn in den Kampf zu gehen. Die Sympathie für Polen
ist einmal bei den Franzosen begründet. Es mag wahr seyn, daß
die Demarcationslinie nothwendig war aus nationalen wie strate-
gischen Gründen. Dann ist Frankreich bis jetzt irrthümlich belehrt
und muß durch das Ergebniß einer Untersuchung eines Besseren
belehrt werden, was nicht mehr möglich ist, wenn einmal das
Schwert gezogen ist. Man wird sagen, das frühere jährliche
Schauspiel der Sympathie erklärung werde sich wieder-
holen. Vergessen Sie nicht, daß die Mißachtung der Sympathie
der früheren Regierung so hoch angerechnet worden ist, und daß
jene Sympathie zu einer Erstürmung der Nationalversammlung
wenn auch nur der Vorwand war. Jch fürchte keinen Krieg, ver-
lange aber Klugheit. Und nun noch einen Wunsch zum Schlusse,
daß unser Minister des Auswärtigen, der durch einen glücklichen
Conner Präsident der früheren Erecutivgewalt war, und die
diplomatischen Verhandlungen kennen wird, uns seine Ansicht
mittheile.“

Jn der heutigen Sitzung nahm v. Radowitz das Wort:
„Es wäre ein Unglück, wenn der Grund der Zerrissenheit Deutsch-
lands vor drei Jahrhunderten auch in diese Versammlung ge-
tragen würde. Der Gegensatz der Confessionen besteht und wird
bestehen, so lange, bis die Binde von den Augen sinkt; aber er
werde nicht dahin getragen, wohin er nicht gehört. Wenn es sich
um die katholische Kirche in Posen handelte, dann würde ich in
meinem Entschlusse nicht zweifelhaft seyn. Politische und nationale
Rücksichten müßten schwinden. Dies ist aber nicht der Fall. Die
Klagen der Polen trugen nicht den confessionellen Charakter; die
Ursache ist überhaupt das bisherige Mißverhältniß zwischen
Staat und Kirche. Daß ein katholisches Land dadurch, daß es
in das deutsche Reich aufgenommen wird, in seinem Glauben ge-
[Spaltenumbruch] fährdet sey, das werde ich nie zugeben. Die Katholiken aller
deutschen Lande würden dies entschieden zurückweisen müssen. Dies
zur Einleitung. Der Ausschußbericht schlägt nun vor, die ge-
schehene Aufnahme Posens in den deutschen Bund anzuerkennen.
Jch weiß nicht, wie wir es vor Deutschland verantworten könn-
ten, gegen den Antrag zu stimmen. Wer denselben verwirft, muß
entweder verlangen, daß die ganze Provinz aufgenommen werde,
oder ganz ausgeschlossen bleibe. Wer aber die gesammte Provinz
Posen ausschließt, überläßt eine halbe Million Deutsche einem
zukünftigen Reiche Polen. Man hat von einer vierten Theilung
Polens gesprochen; das Aufgeben der deutschen Theile wäre
eine Theilung Deutschlands. Man spricht von einer eventuellen
Kriegsdrohung Frankreichs. Jch hoffe, daß wir eine Zumuthung,
welche die Ehre Deutschlands verletzt, gegen jede Seite zurückwei-
sen werden, sey es gegen einen Selbstherrscher oder gegen eine Repu-
blik. Jch bin weit entfernt, die Theilnahme für Polen zu mindern,
aber sollen wir eine halbe Million deutscher Brüder aufgeben. Nun
und nimmermehr.“ Nachdem Schuselka und Wartensleben
geredet, sprach der posener Abgeordnete Janiczewsky: „Es
sind gestern Stimmen der Verhöhnung gegen Polen laut gewor-
den, die wir nie bei den Russen gehört haben. Jch könnte die
Belege liefern, wer den Kampf bei den Haaren herbeigezogen hat.
Jch will dem Urtheil selbst nicht vorgreifen. Auch könnte ich eine
ganze Gallerie von Bildern vorführen, auf denen Jhr Blick nicht
mit Behagen ruhen würde. Jch thue es nicht, weil ich andere
Waffen habe, mein Recht zu vertheidigen. Man sagt, das Land
sey erobert durch deutschen Fleiß. Jch will nichts sagen gegen
deutschen Fleiß. Jch habe aber hier Abschrift einer preußischen
Cabinetsordre vom 30. März 1833. ( Der Redner verliest sie;
sie enthält eine Weisung an das Staatsministerium, bei Subha-
stationen polnischer Güter durch Vermittlung der Staatskasse für
Erwerber deutscher Abkunft zu sorgen ) . Es ist also bei der Er-
werbung etwas mehr als deutscher Fleiß. Posen wurde die Er-
haltung der polnischen Nationalität gewährleistet, und in diesem
Jahre noch erklärte der darum befragte posener Landtag mit 26
gegen 17 Stimmen sich gegen die Einverleibung. Von der Mi-
norität wurde der Anschluß an Deutschland beantragt und vom
Bundestag decretirt. Die preuß. Regierung hatte die Einverleib-
ung von dem gesetzlich ausgesprochenen Volkswillen abhängig
gemacht, und dann dagegen gehandelt. Man beruft sich auf
die eingegangenen Petitionen. Warum hat man die Protesta-
tionen
nicht eben so berücksichtigt? Dem Ministerium ist eine
Protestation von mehr als hunderttausend Unterschriften
aus den einverleibten Theilen, darunter von 50,000 Deutschen
zugegangen. Jch habe den Ausschuß gebeten, diese einzufor-
dern; ich weiß nicht, ob es geschehen ist. Der Volkswille
ist gegen die Einverleibung, darum wählte man mich,
ein Mitglied des polnischen Nationalcomites, damit ich hier
die Wahrheit enthülle und gegen die Trennung als eine
Gewaltthat in ihrem Namen protestire. Jch habe einen schweren
Kampf gekämpft, ob ich die Wahl annehmen soll; ich habe sie
angenommen im Vertrauen auf die Gerechtigkeit und Gewissen-
haftigkeit der deutschen Nation. Die Verträge von 1815 haben
ein solches Unrecht nicht begangen wie die preußische Abthei-
lung; sie haben die Polen nicht vom Boden hinweg geleugnet.
Es hieß ein preußisches, ein österreichisches Polen, aber doch
immer Polen. Lassen Sie für Polen die Gerechtigkeit walten,
die sich vielleicht später auch als die beste und klügste Politik
zeigen wird. Man hat von der Nothwendigkeit des Schutzes
der deutschen Brüder gesprochen; es gibt Tausende, welche
keine Einverleibung wollen, Tausende, welche nur vorüber-
gehend in Posen sich aufhalten. Niemand hat daran gedacht, daß
Posen aufhören solle, unter preußischer Regierung zu stehen. Die
Polen aber wollten nur nicht die allein Beherrschten seyn.
Die für die Reorganisation niedergesetzte Commission bestand aus
vier Deutschen und fünf Polen, die Entscheidung hing von einem
deutschen Ministerium ab. Waren da die Deutschen nicht hinlänglich
geschützt? Jch will auch keine Sympathien in Anspruch nehmen.
Aber ich komme nicht als Bettler zu Jhnen, sondern mit meinem
guten Rechte. Man soll den Polen nichts geben, sondern ihnen
nur nichts nehmen, und das unangetastet lassen, was die Für-
sten
ihnen gelassen haben. Was gewinnt Deutschland mit
400,000 Menschen? Es gewinnt nur 400,000 der erbittertsten
Feinde. Man hat die Polen verschlungen, verdauen wird man
sie, weiß Gott, nicht. Jch verlange keine Sympathien, ich ap-
pellire nur an Jhre Tugend und Gerechtigkeit!“ Nachdem Kerst
von Birnbaum noch für die Einverleibung geredet, sprach Cle-
mens
von Bonn: „Wenn ich den Ausschußantrag bekämpfe,
so geschieht es nicht vom Standpunkt der Vorredner aus.
Nach meiner Ansicht besteht die Frage lediglich darin, ob
wir jetzt schon zur Entscheidung kommen können. Zwei
[Ende Spaltensatz]

1) Der Redner verliest die bekannte Proclamation „an das deutsche
katholische Volk“, unterzeichnet die deutsche katholische Geistlichkeit. Er
fügt bei, daß er weit entfernt sey, der katholischen Geistlichkeit im
Ganzen derartiges aufzubürden.
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[0002] nicht auf diese praktische Weise mit der Reorganisation beschäf- tigen. Ein großer Theil der Grundstücke ist in thätige deutsche Hände übergegangen; soll das so erworbene Land wieder abge- geben werden? Ohnehin wollen die Bauern preußisch bleiben, nur der Adel und ein Theil der Geistlichkeit hat die Wohlthaten nicht anerkannt und einen Theil des Volks allmählig in den Kampf gezogen. Man wird sagen, in der letzten Revolution waren Tausende von Sensenmännern. Diese hat man durch Vorspiegelungen einer Gefahr für ihre Religion aufgereizt. Man hat gesagt man wolle sie evangelisiren; in Posen ist evangelisch und deutsch gleichbedeutend. Die Aufreizung gelang erst allmäh- lich, 1)und selbst während des Kampfes war die Begeisterung keine nationale; nicht unter der roth und weißen Fahne wurde gefoch- ten, sondern unter dem Crucisire. Die Bauern sind jetzt von der früheren Meinung zurückgekommen und haben erklärt, daß sie sich nicht mehr täuschen lassen wollen. Es steht jetzt so, daß die Regierung mit Mühe eine Reaction zurückhält, und bei einer neuen Schilderhebung wären Scenen wie in Gallizien zu fürch- ten. Darum können wir Polen nicht wiederherstellen, denn des Vaterlandes Wohl geht über Alles!“ Darnach sprach Vogt: „Die bisherigen Redner haben sich nur in allgemeinen Ausdrücken, nicht in Thatsachen be- wegt. Jch habe nach diesen als Haltpunkten vergeblich ge- sucht in polnischen, wie in preußischen Denkschriften und deßhalb muß ich dem Antrag auf Niedersetzung einer un- parteiischen Commission beistimmen. Jch will zugeben daß der Adel in Polen dieselbe Rolle spielte, wie auch anderwärts. Jch gebe zu, daß das ultramontane Princip mitwirkte; allein wodurch wurde es geweckt? Durch den preußischen Staat, der die katholische Kirche zu unterdrücken strebte. Die in der Procla- mation erwähnten Thatsachen können nicht alle erfunden seyn, solche Thatsachen malt man blos aus, und wo Rauch ist, ist auch Feuer. Jch rede nicht von der Theilung Polens, und gehe nicht zurück auf alte Zeiten, aber der Druck gegen die polnische Nationalität hat geherrscht. Der Ausschußbericht selbst gibt es zu mit sehr schonenden Worten. Der Druck war ausgegangen von der preußischen Bureaukratie. Man sagt, die Polen hätten keine Aemter angenommen; diesen Vorwurf mögen sie tragen, wenn man einen Vorwurf daraus macht, daß Jemand sich nicht zum Werkzeug dessen hergibt, den er für seinen Unterdrücker hält. Jch will nicht auf die Demarcationslinie eingehen, da die statisti- schen Grundlagen fehlen; aber eben deßhalb stimme ich für eine Untersuchung. Jch will nicht, daß wir ein wirklich deutsches Land hingeben wollen, d. i. ein Land, wo deutsche Bewohner sind; und ich gehöre auch nicht zu Denen, welche dem Auslande gegenüber irgend etwas vergeben sehen wollen. Allein ein Anderes ist es tollkühn in den Kampf zu gehen. Die Sympathie für Polen ist einmal bei den Franzosen begründet. Es mag wahr seyn, daß die Demarcationslinie nothwendig war aus nationalen wie strate- gischen Gründen. Dann ist Frankreich bis jetzt irrthümlich belehrt und muß durch das Ergebniß einer Untersuchung eines Besseren belehrt werden, was nicht mehr möglich ist, wenn einmal das Schwert gezogen ist. Man wird sagen, das frühere jährliche Schauspiel der Sympathie erklärung werde sich wieder- holen. Vergessen Sie nicht, daß die Mißachtung der Sympathie der früheren Regierung so hoch angerechnet worden ist, und daß jene Sympathie zu einer Erstürmung der Nationalversammlung wenn auch nur der Vorwand war. Jch fürchte keinen Krieg, ver- lange aber Klugheit. Und nun noch einen Wunsch zum Schlusse, daß unser Minister des Auswärtigen, der durch einen glücklichen Conner Präsident der früheren Erecutivgewalt war, und die diplomatischen Verhandlungen kennen wird, uns seine Ansicht mittheile.“ Jn der heutigen Sitzung nahm v. Radowitz das Wort: „Es wäre ein Unglück, wenn der Grund der Zerrissenheit Deutsch- lands vor drei Jahrhunderten auch in diese Versammlung ge- tragen würde. Der Gegensatz der Confessionen besteht und wird bestehen, so lange, bis die Binde von den Augen sinkt; aber er werde nicht dahin getragen, wohin er nicht gehört. Wenn es sich um die katholische Kirche in Posen handelte, dann würde ich in meinem Entschlusse nicht zweifelhaft seyn. Politische und nationale Rücksichten müßten schwinden. Dies ist aber nicht der Fall. Die Klagen der Polen trugen nicht den confessionellen Charakter; die Ursache ist überhaupt das bisherige Mißverhältniß zwischen Staat und Kirche. Daß ein katholisches Land dadurch, daß es in das deutsche Reich aufgenommen wird, in seinem Glauben ge- fährdet sey, das werde ich nie zugeben. Die Katholiken aller deutschen Lande würden dies entschieden zurückweisen müssen. Dies zur Einleitung. Der Ausschußbericht schlägt nun vor, die ge- schehene Aufnahme Posens in den deutschen Bund anzuerkennen. Jch weiß nicht, wie wir es vor Deutschland verantworten könn- ten, gegen den Antrag zu stimmen. Wer denselben verwirft, muß entweder verlangen, daß die ganze Provinz aufgenommen werde, oder ganz ausgeschlossen bleibe. Wer aber die gesammte Provinz Posen ausschließt, überläßt eine halbe Million Deutsche einem zukünftigen Reiche Polen. Man hat von einer vierten Theilung Polens gesprochen; das Aufgeben der deutschen Theile wäre eine Theilung Deutschlands. Man spricht von einer eventuellen Kriegsdrohung Frankreichs. Jch hoffe, daß wir eine Zumuthung, welche die Ehre Deutschlands verletzt, gegen jede Seite zurückwei- sen werden, sey es gegen einen Selbstherrscher oder gegen eine Repu- blik. Jch bin weit entfernt, die Theilnahme für Polen zu mindern, aber sollen wir eine halbe Million deutscher Brüder aufgeben. Nun und nimmermehr.“ Nachdem Schuselka und Wartensleben geredet, sprach der posener Abgeordnete Janiczewsky: „Es sind gestern Stimmen der Verhöhnung gegen Polen laut gewor- den, die wir nie bei den Russen gehört haben. Jch könnte die Belege liefern, wer den Kampf bei den Haaren herbeigezogen hat. Jch will dem Urtheil selbst nicht vorgreifen. Auch könnte ich eine ganze Gallerie von Bildern vorführen, auf denen Jhr Blick nicht mit Behagen ruhen würde. Jch thue es nicht, weil ich andere Waffen habe, mein Recht zu vertheidigen. Man sagt, das Land sey erobert durch deutschen Fleiß. Jch will nichts sagen gegen deutschen Fleiß. Jch habe aber hier Abschrift einer preußischen Cabinetsordre vom 30. März 1833. ( Der Redner verliest sie; sie enthält eine Weisung an das Staatsministerium, bei Subha- stationen polnischer Güter durch Vermittlung der Staatskasse für Erwerber deutscher Abkunft zu sorgen ) . Es ist also bei der Er- werbung etwas mehr als deutscher Fleiß. Posen wurde die Er- haltung der polnischen Nationalität gewährleistet, und in diesem Jahre noch erklärte der darum befragte posener Landtag mit 26 gegen 17 Stimmen sich gegen die Einverleibung. Von der Mi- norität wurde der Anschluß an Deutschland beantragt und vom Bundestag decretirt. Die preuß. Regierung hatte die Einverleib- ung von dem gesetzlich ausgesprochenen Volkswillen abhängig gemacht, und dann dagegen gehandelt. Man beruft sich auf die eingegangenen Petitionen. Warum hat man die Protesta- tionen nicht eben so berücksichtigt? Dem Ministerium ist eine Protestation von mehr als hunderttausend Unterschriften aus den einverleibten Theilen, darunter von 50,000 Deutschen zugegangen. Jch habe den Ausschuß gebeten, diese einzufor- dern; ich weiß nicht, ob es geschehen ist. Der Volkswille ist gegen die Einverleibung, darum wählte man mich, ein Mitglied des polnischen Nationalcomites, damit ich hier die Wahrheit enthülle und gegen die Trennung als eine Gewaltthat in ihrem Namen protestire. Jch habe einen schweren Kampf gekämpft, ob ich die Wahl annehmen soll; ich habe sie angenommen im Vertrauen auf die Gerechtigkeit und Gewissen- haftigkeit der deutschen Nation. Die Verträge von 1815 haben ein solches Unrecht nicht begangen wie die preußische Abthei- lung; sie haben die Polen nicht vom Boden hinweg geleugnet. Es hieß ein preußisches, ein österreichisches Polen, aber doch immer Polen. Lassen Sie für Polen die Gerechtigkeit walten, die sich vielleicht später auch als die beste und klügste Politik zeigen wird. Man hat von der Nothwendigkeit des Schutzes der deutschen Brüder gesprochen; es gibt Tausende, welche keine Einverleibung wollen, Tausende, welche nur vorüber- gehend in Posen sich aufhalten. Niemand hat daran gedacht, daß Posen aufhören solle, unter preußischer Regierung zu stehen. Die Polen aber wollten nur nicht die allein Beherrschten seyn. Die für die Reorganisation niedergesetzte Commission bestand aus vier Deutschen und fünf Polen, die Entscheidung hing von einem deutschen Ministerium ab. Waren da die Deutschen nicht hinlänglich geschützt? Jch will auch keine Sympathien in Anspruch nehmen. Aber ich komme nicht als Bettler zu Jhnen, sondern mit meinem guten Rechte. Man soll den Polen nichts geben, sondern ihnen nur nichts nehmen, und das unangetastet lassen, was die Für- sten ihnen gelassen haben. Was gewinnt Deutschland mit 400,000 Menschen? Es gewinnt nur 400,000 der erbittertsten Feinde. Man hat die Polen verschlungen, verdauen wird man sie, weiß Gott, nicht. Jch verlange keine Sympathien, ich ap- pellire nur an Jhre Tugend und Gerechtigkeit!“ Nachdem Kerst von Birnbaum noch für die Einverleibung geredet, sprach Cle- mens von Bonn: „Wenn ich den Ausschußantrag bekämpfe, so geschieht es nicht vom Standpunkt der Vorredner aus. Nach meiner Ansicht besteht die Frage lediglich darin, ob wir jetzt schon zur Entscheidung kommen können. Zwei 1) Der Redner verliest die bekannte Proclamation „an das deutsche katholische Volk“, unterzeichnet die deutsche katholische Geistlichkeit. Er fügt bei, daß er weit entfernt sey, der katholischen Geistlichkeit im Ganzen derartiges aufzubürden.

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 42. Mainz, 27. Juli 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal042_1848/2>, abgerufen am 11.06.2024.