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Mainzer Journal. Nr. 107. Mainz, 9. Oktober 1848.

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[Beginn Spaltensatz] garden ist ebenfalls theils schon dorthin, theils gehen sie morgen.
Graf Zichy, Obergespan in Stuhlweißenburg, wurde wegen Ein-
verständniß mit Jellachich zum Galgen verurtheilt. Ein Bauer
aus Kumanien machte den Scharfrichter. -- Sie wissen,
daß die radicale Partei hier ihren Anhang unter dem Volke
hat, gleichwie in Frankfurt die äußerste Linke. Diese Partei
hatte die Gefangennehmung des Grafen Lamberg öffentlich be-
fohlen und hiezu Sensen vertheilt. Jetzt wollen die Herren dem
Volke die scheußliche That und deren Verantwortung aufbürden.

Pesth 2. October. ( A. Z. ) Es herrscht bei uns die furchtbarste
Aufregung. Der Landsturm ist aufgeboten. Jn einer gestern statt-
gehabten Volksversammlung wurde beschlossen, daß alles, Jung
und Alt ohne Ausnahme, gegen den Feind ziehen müsse. Heute
ist alles in Bewegung, die Straßen wimmeln von mit Feuerge-
wehren, Sensen, Lanzen, Spießen, bewaffneten Menschen,
darunter Greise und Knaben. Alle Kaufläden sind gesperrt, alle
Arbeiten eingestellt, die Gewerbe stocken, die Buchdruckereien
stehen still, es erscheinen keine Zeitungen, kaum daß man eine
Presse für dringende Placate vorbehielt. Wohin das noch führen
wird, weiß der Himmel! Obwohl der Feind wenige Stunden
von Ofen steht, laufen hier die wiedersprechendsten Nachrichten
über unsere Lage um. Es scheinen bis jetzt bloß einige Schar-
mützel vorgefallen zu seyn, die nichts entschieden. Unsere Bülletins
sprechen von einem Verluste von 100 Mann an Todten und Ver-
wundeten, den die Ungarn dem Feind beigebracht haben sollen.
Ein zweitägiger Waffenstillstand geht morgen zu Ende, und
dann soll die Hauptschlacht beginnen, wenn nicht anders Jel-
lachich indeß eine rückgängige oder Seitenbewegung antritt. Und
wirklich verlauten soeben Gerüchte, daß er sich hinter Stuhl-
weißenburg zurückziehe. Nach einer anderen Nachricht soll er sich
links auf der Straße nach Raab ziehen. Kommt es in der Nähe
von Ofen zu einer Schlacht, so ist der Sieg auf Seite der Un-
garn viel wahrscheinlicher, da sie ungeheuere Massen ins Feld
sandten, und wahrhaft fanatisirt für ihre Sache sind. -- Großes
Aufsehen machte gestern die Kunde, daß Graf Zichy, Oberge-
spansadministrator und Commandant der Nationalgarden des
Stuhlweißenburger Comitats, in unserem Lager standrecht-
lich gerichtet und gehenkt wurde!
Man soll bei ihm eine
Correspondenz mit dem Feinde gefunden haben.

Frankreich.

* * * Paris 6. October. Jn der gestrigen Sitzung der Na-
tionalversammlung wurde der auf die Dringlichkeitsanträge be-
zügliche Artikel 40. des Verfassungsentwurfs [unleserliches Material - 9 Zeichen fehlen]genehmigt, nachdem
der Präsident ein Schreiben L. Napoleon's verlesen hatte, worin
er anzeigt, daß er die Vertretung für Paris angenommen habe.
Hierauf kam der wichtige Artikel 41.: "Das französische Volk
überträgt die vollziehende Gewalt einem Bürger, welcher den Ti-
tel Präsident der Republik empfängt," zur Berathung. Herr
Felix Pyat erklärte, daß er gar keinen Präsidenten wolle, weil
die Vernunft gebiete, daß die vollziehende Gewalt von der gesetz-
gebenden nicht getrennt werde. Die eine und untheilbare Republik
dürfe auch nur eine einzige Gewalt feststellen, die der National-
versammlung nämlich; außerdem laufe sie Gefahr, sich aufzulösen.
Tocqueville sprach im Namen der Commission für den von
ihr vorgeschlagenen Artikel 41. ( directe Wahlen durch das Volk ) ,
bei welchem sie nach reiflichster Erwägung beharren müsse. Er
behauptete, daß die dem Präsidenten der Republik nach dem Ent-
wurfe zu übertragende Gewalt sehr enge Gränzen haben und die
Freiheit in keiner Weise gefährden werde. Deßhalb beharre die
Commission bei ihrem ursprünglichen System, obgleich sie sich
nicht verhehle, daß viele hervorragende Mitglieder der National-
vertretung aus Rücksichten auf die augenblickliche Lage dafür seyen,
daß der Präsident unmittelbar durch die Versammlung ernannt
werde. "Jch behaupte -- fuhr der Redner fort, -- daß wir gar
nicht das Recht haben, den Präsidenten zu ernennen. Die Rechte
der constituirenden Nationalversammlung sind freilich unbeschränkt.
Sie kann in die Verfassung einschreiben, daß der Präsident durch
die gesetzgebenden Versammlungen ernannt werden soll; aber kann
sie selbst ihn ernennen? Dies ist die eigentliche Frage und ich be-
antworte sie verneinend. Die Versammlung kann sehr viel, sie
kann, wenn man will, Alles thun, dies allein ausgenommen.
Erwägen Sie, was eintreten würde, wenn Sie einen Präsidenten
der Republik für drei oder vier Jahre wählen. Jn drei oder vier
Jahren wird die constituirende Versammlung nicht mehr bestehen,
und der von ihr ernannte Präsident dann einer neuen Versamm-
lung gegenüber stehen, deren Sympathieen er vielleicht nicht be-
sitzt. Jch frage ferner, ob wir nicht auch die Gesinnung der Nation
vorzugsweise berücksichtigen müssen? Lebt nicht seit sechs Monaten
das Volk in der Erwartung, seinen Präsidenten zu ernennen?
Was ist die Ursache, daß überall Unruhe herrscht, daß die Ge-
[Spaltenumbruch] schäfte stocken? Weil Jeder die Arme über einander schlägt und
abwartet. Glauben Sie, diese Befürchtungen tilgen zu können,
wenn Sie beweisen, daß Sie die republikanischen Gesinnungen
des Landes bezweifeln? Glauben Sie, ohne das Volk eine Demo-
kratie schaffen zu können? Nach meiner Ueberzeugung könnten
die größten Feinde der Republik nichts Zweckmäßigeres thun.
Wer wird das Vertrauen neu erwecken? Die Gesetze? Nein, sie
sind vernichtet! Der Glaube? Nein, er ist zertrümmert! Was
allein die Gesellschaft aufrecht erhält, sind Sie; Sie sind hier
durch den Willen des Volkes, und nirgendwo sonst liegt Jhre
Kraft. Glauben Sie, das Vertrauen, welches das Volk auf Sie
setzt, dadurch erhöhen zu können, daß Sie ihm sagen, Sie seyen
nach Jhrer Ansicht republikanischer, als das Volk? Was man
Jhnen als eine vereinzelte Handlung darstellt, ist nur der erste
Ring einer langen Kette; was man Jhnen vorschlägt, heißt die
Revolution nicht beendigen, sondern vielmehr sie fortsetzen; es heißt,
Jhre Kraft in Jhnen selbst und nicht im allgemeinen Wahlrechte su-
chen. Jch erkenne an, daß es im Lande besorgliche Manifestationen
gibt, republicanische und andere; diese Kundgebungen müssen mit
Kraft unterdrückt werden, denn sie sind der allgemeinen Gesinnung
des Landes zuwider. Frankreich ist durch Jnstinct, durch Sitten repu-
blicanisch; wenn es die Republik zu fürchten scheint, so geschieht
es, weil Manche ihm den Glauben beigebracht haben, daß die Re-
publik das Eigenthum und die Familie angreife. Das Gegenmit-
tel gegen diese Lage liegt darin, daß Sie durch Jhre Handlungen
klar und bestimmt Jhre Revolution von derjenigen sondern, wel-
che zu fürchten man das Volk gelehrt hat. Beruhigen Sie es
über die Wiederaufnahme der Geschäfte, und Sie werden dann
den Präsidenten durch das Volk wählen lassen können; Sie
haben dabei nichts zu befürchten." Herr Parieu, ein Mit-
glied der Bureaux, bekämpfte den Tocqueville'scher Vorschlag.
Allerdings sey das allgemeine Wahlrecht sehr gut, allein
es sey nicht gut, dasselbe stets und in allen Fällen an-
zuwenden. Der Staatsmann müsse das mögliche Ergeb-
niß einer Abstimmung im Voraus erwägen. Selbst bei der
Repräsentantenwahl beklage man sich nur gar zu oft, daß man
einen Mann wählen müsse, den man nicht kenne. Ob dieser Ue-
belstand nicht noch weit schlimmer sey, wenn es sich um die Wahl
des Präsidenten, d. h. eines Mannes handle, dessen verkehrte Wahl
Europa in Gefahr bringen könne? "Jn einem Augenblicke --
fuhr der Redner fort, -- wo das Land so tief zerspalten ist, kann
das allgemeine Wahlrecht sehr gefährlich werden. Sie werben
vielleicht für die Empörung, Sie öffnen die Reihen, in welche man
die Feinde der Republik wird einschieben können." Nachdem Herr
Fresneaux[unleserliches Material] einige Worte gegen die Wahl des Präsidenten durch
die Versammlung gesprochen und den Repräsentanten die Befug-
niß zu dieser Wahl bestritten hatte, wurde die weitere Erörterung
bis morgen vertagt.

* * * Paris 7. October. Jn der gestrigen Sitzung der Na-
tionalversammlung sprach Lamartine für die directe Wahl des
Präsidenten durch das Volk und machte einen so tiefen Eindruck,
daß die Sache wohl jetzt schon als entschieden zu betrachten ist,
selbst auf die Gefahr hin, daß am Ende sogar ein Bonaparte,
diese unbekannte Größe, Präsident der Republik wird. Princi-
piell ist die Sache allerdings sehr leicht zu entscheiden, denn
wenn das souveräne Volk Alles thun kann, was es will und ge-
scheidt genug ist, die legislative Gewalt ( die Abgeordneten zur
Nationalversammlung ) zu wählen, so ist nicht recht abzusehen,
warum man ihm die Wahl der executiven Gewalt oder des Prä-
sidenten vorenthalten soll. Jn der Praxis gestalten sich die
Dinge aber anders und es ist keine Frage, daß eine aus den ersten
Notabilitäten des Landes zusammengesetzte, durch Weisheit, Pa-
triotismus und Erfahrung ausgezeichnete Corporation einen
besseren Präsidenten gewählt hätte, als ein zügelloser, jedem
Demagogen preisgegebener Volkshaufe. Wie die Dinge jetzt
stehen, kann die Präsidentenwahl leicht zum Verderben des durch
allerlei Parteien zerrissenen Landes ausschlagen. Doch wir sa-
gen mit Lamartine: Der Würfel ist geworfen! und gehen mit
fatalistischer Stumpfheit unseren Geschicken entgegen. -- Die auf-
gelösten Lyoner Mobilgarden sind, nachdem sie ihren Sold em-
pfangen, ruhig in ihre Heimath zurückgekehrt und haben die Stadt
verlassen. Für Lyon kam diese Emeute um so ungelegener, als
schon wenigstens 6000 Webstühle wieder im Gange waren und
alle Aussicht auf bedeutende Bestellungen im Winter vorhanden
ist. Die Arbeiter haben sich entschieden geweigert an der Be-
wegung Theil zu nehmen, andererseits waren aber auch alle in
der Umgebung stationirten Truppen nach Lyon berufen worden.

Die Stadt Mühlhausen im Elsaß hat um die Erlaubniß nach-
gesucht, künftig "Mulhouse" heißen zu dürfen, was ihr auch von
Cavaignac in Gnaden bewilligt worden ist.

[Ende Spaltensatz]

Redacteur: Franz Sausen. -- Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. -- Druck von Florian Kupferberg.

[Beginn Spaltensatz] garden ist ebenfalls theils schon dorthin, theils gehen sie morgen.
Graf Zichy, Obergespan in Stuhlweißenburg, wurde wegen Ein-
verständniß mit Jellachich zum Galgen verurtheilt. Ein Bauer
aus Kumanien machte den Scharfrichter. — Sie wissen,
daß die radicale Partei hier ihren Anhang unter dem Volke
hat, gleichwie in Frankfurt die äußerste Linke. Diese Partei
hatte die Gefangennehmung des Grafen Lamberg öffentlich be-
fohlen und hiezu Sensen vertheilt. Jetzt wollen die Herren dem
Volke die scheußliche That und deren Verantwortung aufbürden.

Pesth 2. October. ( A. Z. ) Es herrscht bei uns die furchtbarste
Aufregung. Der Landsturm ist aufgeboten. Jn einer gestern statt-
gehabten Volksversammlung wurde beschlossen, daß alles, Jung
und Alt ohne Ausnahme, gegen den Feind ziehen müsse. Heute
ist alles in Bewegung, die Straßen wimmeln von mit Feuerge-
wehren, Sensen, Lanzen, Spießen, bewaffneten Menschen,
darunter Greise und Knaben. Alle Kaufläden sind gesperrt, alle
Arbeiten eingestellt, die Gewerbe stocken, die Buchdruckereien
stehen still, es erscheinen keine Zeitungen, kaum daß man eine
Presse für dringende Placate vorbehielt. Wohin das noch führen
wird, weiß der Himmel! Obwohl der Feind wenige Stunden
von Ofen steht, laufen hier die wiedersprechendsten Nachrichten
über unsere Lage um. Es scheinen bis jetzt bloß einige Schar-
mützel vorgefallen zu seyn, die nichts entschieden. Unsere Bülletins
sprechen von einem Verluste von 100 Mann an Todten und Ver-
wundeten, den die Ungarn dem Feind beigebracht haben sollen.
Ein zweitägiger Waffenstillstand geht morgen zu Ende, und
dann soll die Hauptschlacht beginnen, wenn nicht anders Jel-
lachich indeß eine rückgängige oder Seitenbewegung antritt. Und
wirklich verlauten soeben Gerüchte, daß er sich hinter Stuhl-
weißenburg zurückziehe. Nach einer anderen Nachricht soll er sich
links auf der Straße nach Raab ziehen. Kommt es in der Nähe
von Ofen zu einer Schlacht, so ist der Sieg auf Seite der Un-
garn viel wahrscheinlicher, da sie ungeheuere Massen ins Feld
sandten, und wahrhaft fanatisirt für ihre Sache sind. — Großes
Aufsehen machte gestern die Kunde, daß Graf Zichy, Oberge-
spansadministrator und Commandant der Nationalgarden des
Stuhlweißenburger Comitats, in unserem Lager standrecht-
lich gerichtet und gehenkt wurde!
Man soll bei ihm eine
Correspondenz mit dem Feinde gefunden haben.

Frankreich.

* * * Paris 6. October. Jn der gestrigen Sitzung der Na-
tionalversammlung wurde der auf die Dringlichkeitsanträge be-
zügliche Artikel 40. des Verfassungsentwurfs [unleserliches Material – 9 Zeichen fehlen]genehmigt, nachdem
der Präsident ein Schreiben L. Napoleon's verlesen hatte, worin
er anzeigt, daß er die Vertretung für Paris angenommen habe.
Hierauf kam der wichtige Artikel 41.: „Das französische Volk
überträgt die vollziehende Gewalt einem Bürger, welcher den Ti-
tel Präsident der Republik empfängt,“ zur Berathung. Herr
Felix Pyat erklärte, daß er gar keinen Präsidenten wolle, weil
die Vernunft gebiete, daß die vollziehende Gewalt von der gesetz-
gebenden nicht getrennt werde. Die eine und untheilbare Republik
dürfe auch nur eine einzige Gewalt feststellen, die der National-
versammlung nämlich; außerdem laufe sie Gefahr, sich aufzulösen.
Tocqueville sprach im Namen der Commission für den von
ihr vorgeschlagenen Artikel 41. ( directe Wahlen durch das Volk ) ,
bei welchem sie nach reiflichster Erwägung beharren müsse. Er
behauptete, daß die dem Präsidenten der Republik nach dem Ent-
wurfe zu übertragende Gewalt sehr enge Gränzen haben und die
Freiheit in keiner Weise gefährden werde. Deßhalb beharre die
Commission bei ihrem ursprünglichen System, obgleich sie sich
nicht verhehle, daß viele hervorragende Mitglieder der National-
vertretung aus Rücksichten auf die augenblickliche Lage dafür seyen,
daß der Präsident unmittelbar durch die Versammlung ernannt
werde. „Jch behaupte — fuhr der Redner fort, — daß wir gar
nicht das Recht haben, den Präsidenten zu ernennen. Die Rechte
der constituirenden Nationalversammlung sind freilich unbeschränkt.
Sie kann in die Verfassung einschreiben, daß der Präsident durch
die gesetzgebenden Versammlungen ernannt werden soll; aber kann
sie selbst ihn ernennen? Dies ist die eigentliche Frage und ich be-
antworte sie verneinend. Die Versammlung kann sehr viel, sie
kann, wenn man will, Alles thun, dies allein ausgenommen.
Erwägen Sie, was eintreten würde, wenn Sie einen Präsidenten
der Republik für drei oder vier Jahre wählen. Jn drei oder vier
Jahren wird die constituirende Versammlung nicht mehr bestehen,
und der von ihr ernannte Präsident dann einer neuen Versamm-
lung gegenüber stehen, deren Sympathieen er vielleicht nicht be-
sitzt. Jch frage ferner, ob wir nicht auch die Gesinnung der Nation
vorzugsweise berücksichtigen müssen? Lebt nicht seit sechs Monaten
das Volk in der Erwartung, seinen Präsidenten zu ernennen?
Was ist die Ursache, daß überall Unruhe herrscht, daß die Ge-
[Spaltenumbruch] schäfte stocken? Weil Jeder die Arme über einander schlägt und
abwartet. Glauben Sie, diese Befürchtungen tilgen zu können,
wenn Sie beweisen, daß Sie die republikanischen Gesinnungen
des Landes bezweifeln? Glauben Sie, ohne das Volk eine Demo-
kratie schaffen zu können? Nach meiner Ueberzeugung könnten
die größten Feinde der Republik nichts Zweckmäßigeres thun.
Wer wird das Vertrauen neu erwecken? Die Gesetze? Nein, sie
sind vernichtet! Der Glaube? Nein, er ist zertrümmert! Was
allein die Gesellschaft aufrecht erhält, sind Sie; Sie sind hier
durch den Willen des Volkes, und nirgendwo sonst liegt Jhre
Kraft. Glauben Sie, das Vertrauen, welches das Volk auf Sie
setzt, dadurch erhöhen zu können, daß Sie ihm sagen, Sie seyen
nach Jhrer Ansicht republikanischer, als das Volk? Was man
Jhnen als eine vereinzelte Handlung darstellt, ist nur der erste
Ring einer langen Kette; was man Jhnen vorschlägt, heißt die
Revolution nicht beendigen, sondern vielmehr sie fortsetzen; es heißt,
Jhre Kraft in Jhnen selbst und nicht im allgemeinen Wahlrechte su-
chen. Jch erkenne an, daß es im Lande besorgliche Manifestationen
gibt, republicanische und andere; diese Kundgebungen müssen mit
Kraft unterdrückt werden, denn sie sind der allgemeinen Gesinnung
des Landes zuwider. Frankreich ist durch Jnstinct, durch Sitten repu-
blicanisch; wenn es die Republik zu fürchten scheint, so geschieht
es, weil Manche ihm den Glauben beigebracht haben, daß die Re-
publik das Eigenthum und die Familie angreife. Das Gegenmit-
tel gegen diese Lage liegt darin, daß Sie durch Jhre Handlungen
klar und bestimmt Jhre Revolution von derjenigen sondern, wel-
che zu fürchten man das Volk gelehrt hat. Beruhigen Sie es
über die Wiederaufnahme der Geschäfte, und Sie werden dann
den Präsidenten durch das Volk wählen lassen können; Sie
haben dabei nichts zu befürchten.“ Herr Parieu, ein Mit-
glied der Bureaux, bekämpfte den Tocqueville'scher Vorschlag.
Allerdings sey das allgemeine Wahlrecht sehr gut, allein
es sey nicht gut, dasselbe stets und in allen Fällen an-
zuwenden. Der Staatsmann müsse das mögliche Ergeb-
niß einer Abstimmung im Voraus erwägen. Selbst bei der
Repräsentantenwahl beklage man sich nur gar zu oft, daß man
einen Mann wählen müsse, den man nicht kenne. Ob dieser Ue-
belstand nicht noch weit schlimmer sey, wenn es sich um die Wahl
des Präsidenten, d. h. eines Mannes handle, dessen verkehrte Wahl
Europa in Gefahr bringen könne? „Jn einem Augenblicke —
fuhr der Redner fort, — wo das Land so tief zerspalten ist, kann
das allgemeine Wahlrecht sehr gefährlich werden. Sie werben
vielleicht für die Empörung, Sie öffnen die Reihen, in welche man
die Feinde der Republik wird einschieben können.“ Nachdem Herr
Fresneaux[unleserliches Material] einige Worte gegen die Wahl des Präsidenten durch
die Versammlung gesprochen und den Repräsentanten die Befug-
niß zu dieser Wahl bestritten hatte, wurde die weitere Erörterung
bis morgen vertagt.

* * * Paris 7. October. Jn der gestrigen Sitzung der Na-
tionalversammlung sprach Lamartine für die directe Wahl des
Präsidenten durch das Volk und machte einen so tiefen Eindruck,
daß die Sache wohl jetzt schon als entschieden zu betrachten ist,
selbst auf die Gefahr hin, daß am Ende sogar ein Bonaparte,
diese unbekannte Größe, Präsident der Republik wird. Princi-
piell ist die Sache allerdings sehr leicht zu entscheiden, denn
wenn das souveräne Volk Alles thun kann, was es will und ge-
scheidt genug ist, die legislative Gewalt ( die Abgeordneten zur
Nationalversammlung ) zu wählen, so ist nicht recht abzusehen,
warum man ihm die Wahl der executiven Gewalt oder des Prä-
sidenten vorenthalten soll. Jn der Praxis gestalten sich die
Dinge aber anders und es ist keine Frage, daß eine aus den ersten
Notabilitäten des Landes zusammengesetzte, durch Weisheit, Pa-
triotismus und Erfahrung ausgezeichnete Corporation einen
besseren Präsidenten gewählt hätte, als ein zügelloser, jedem
Demagogen preisgegebener Volkshaufe. Wie die Dinge jetzt
stehen, kann die Präsidentenwahl leicht zum Verderben des durch
allerlei Parteien zerrissenen Landes ausschlagen. Doch wir sa-
gen mit Lamartine: Der Würfel ist geworfen! und gehen mit
fatalistischer Stumpfheit unseren Geschicken entgegen. — Die auf-
gelösten Lyoner Mobilgarden sind, nachdem sie ihren Sold em-
pfangen, ruhig in ihre Heimath zurückgekehrt und haben die Stadt
verlassen. Für Lyon kam diese Emeute um so ungelegener, als
schon wenigstens 6000 Webstühle wieder im Gange waren und
alle Aussicht auf bedeutende Bestellungen im Winter vorhanden
ist. Die Arbeiter haben sich entschieden geweigert an der Be-
wegung Theil zu nehmen, andererseits waren aber auch alle in
der Umgebung stationirten Truppen nach Lyon berufen worden.

Die Stadt Mühlhausen im Elsaß hat um die Erlaubniß nach-
gesucht, künftig „Mulhouse“ heißen zu dürfen, was ihr auch von
Cavaignac in Gnaden bewilligt worden ist.

[Ende Spaltensatz]

Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.

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[0004] garden ist ebenfalls theils schon dorthin, theils gehen sie morgen. Graf Zichy, Obergespan in Stuhlweißenburg, wurde wegen Ein- verständniß mit Jellachich zum Galgen verurtheilt. Ein Bauer aus Kumanien machte den Scharfrichter. — Sie wissen, daß die radicale Partei hier ihren Anhang unter dem Volke hat, gleichwie in Frankfurt die äußerste Linke. Diese Partei hatte die Gefangennehmung des Grafen Lamberg öffentlich be- fohlen und hiezu Sensen vertheilt. Jetzt wollen die Herren dem Volke die scheußliche That und deren Verantwortung aufbürden. Pesth 2. October. ( A. Z. ) Es herrscht bei uns die furchtbarste Aufregung. Der Landsturm ist aufgeboten. Jn einer gestern statt- gehabten Volksversammlung wurde beschlossen, daß alles, Jung und Alt ohne Ausnahme, gegen den Feind ziehen müsse. Heute ist alles in Bewegung, die Straßen wimmeln von mit Feuerge- wehren, Sensen, Lanzen, Spießen, bewaffneten Menschen, darunter Greise und Knaben. Alle Kaufläden sind gesperrt, alle Arbeiten eingestellt, die Gewerbe stocken, die Buchdruckereien stehen still, es erscheinen keine Zeitungen, kaum daß man eine Presse für dringende Placate vorbehielt. Wohin das noch führen wird, weiß der Himmel! Obwohl der Feind wenige Stunden von Ofen steht, laufen hier die wiedersprechendsten Nachrichten über unsere Lage um. Es scheinen bis jetzt bloß einige Schar- mützel vorgefallen zu seyn, die nichts entschieden. Unsere Bülletins sprechen von einem Verluste von 100 Mann an Todten und Ver- wundeten, den die Ungarn dem Feind beigebracht haben sollen. Ein zweitägiger Waffenstillstand geht morgen zu Ende, und dann soll die Hauptschlacht beginnen, wenn nicht anders Jel- lachich indeß eine rückgängige oder Seitenbewegung antritt. Und wirklich verlauten soeben Gerüchte, daß er sich hinter Stuhl- weißenburg zurückziehe. Nach einer anderen Nachricht soll er sich links auf der Straße nach Raab ziehen. Kommt es in der Nähe von Ofen zu einer Schlacht, so ist der Sieg auf Seite der Un- garn viel wahrscheinlicher, da sie ungeheuere Massen ins Feld sandten, und wahrhaft fanatisirt für ihre Sache sind. — Großes Aufsehen machte gestern die Kunde, daß Graf Zichy, Oberge- spansadministrator und Commandant der Nationalgarden des Stuhlweißenburger Comitats, in unserem Lager standrecht- lich gerichtet und gehenkt wurde! Man soll bei ihm eine Correspondenz mit dem Feinde gefunden haben. Frankreich. * * * Paris 6. October. Jn der gestrigen Sitzung der Na- tionalversammlung wurde der auf die Dringlichkeitsanträge be- zügliche Artikel 40. des Verfassungsentwurfs _________genehmigt, nachdem der Präsident ein Schreiben L. Napoleon's verlesen hatte, worin er anzeigt, daß er die Vertretung für Paris angenommen habe. Hierauf kam der wichtige Artikel 41.: „Das französische Volk überträgt die vollziehende Gewalt einem Bürger, welcher den Ti- tel Präsident der Republik empfängt,“ zur Berathung. Herr Felix Pyat erklärte, daß er gar keinen Präsidenten wolle, weil die Vernunft gebiete, daß die vollziehende Gewalt von der gesetz- gebenden nicht getrennt werde. Die eine und untheilbare Republik dürfe auch nur eine einzige Gewalt feststellen, die der National- versammlung nämlich; außerdem laufe sie Gefahr, sich aufzulösen. Tocqueville sprach im Namen der Commission für den von ihr vorgeschlagenen Artikel 41. ( directe Wahlen durch das Volk ) , bei welchem sie nach reiflichster Erwägung beharren müsse. Er behauptete, daß die dem Präsidenten der Republik nach dem Ent- wurfe zu übertragende Gewalt sehr enge Gränzen haben und die Freiheit in keiner Weise gefährden werde. Deßhalb beharre die Commission bei ihrem ursprünglichen System, obgleich sie sich nicht verhehle, daß viele hervorragende Mitglieder der National- vertretung aus Rücksichten auf die augenblickliche Lage dafür seyen, daß der Präsident unmittelbar durch die Versammlung ernannt werde. „Jch behaupte — fuhr der Redner fort, — daß wir gar nicht das Recht haben, den Präsidenten zu ernennen. Die Rechte der constituirenden Nationalversammlung sind freilich unbeschränkt. Sie kann in die Verfassung einschreiben, daß der Präsident durch die gesetzgebenden Versammlungen ernannt werden soll; aber kann sie selbst ihn ernennen? Dies ist die eigentliche Frage und ich be- antworte sie verneinend. Die Versammlung kann sehr viel, sie kann, wenn man will, Alles thun, dies allein ausgenommen. Erwägen Sie, was eintreten würde, wenn Sie einen Präsidenten der Republik für drei oder vier Jahre wählen. Jn drei oder vier Jahren wird die constituirende Versammlung nicht mehr bestehen, und der von ihr ernannte Präsident dann einer neuen Versamm- lung gegenüber stehen, deren Sympathieen er vielleicht nicht be- sitzt. Jch frage ferner, ob wir nicht auch die Gesinnung der Nation vorzugsweise berücksichtigen müssen? Lebt nicht seit sechs Monaten das Volk in der Erwartung, seinen Präsidenten zu ernennen? Was ist die Ursache, daß überall Unruhe herrscht, daß die Ge- schäfte stocken? Weil Jeder die Arme über einander schlägt und abwartet. Glauben Sie, diese Befürchtungen tilgen zu können, wenn Sie beweisen, daß Sie die republikanischen Gesinnungen des Landes bezweifeln? Glauben Sie, ohne das Volk eine Demo- kratie schaffen zu können? Nach meiner Ueberzeugung könnten die größten Feinde der Republik nichts Zweckmäßigeres thun. Wer wird das Vertrauen neu erwecken? Die Gesetze? Nein, sie sind vernichtet! Der Glaube? Nein, er ist zertrümmert! Was allein die Gesellschaft aufrecht erhält, sind Sie; Sie sind hier durch den Willen des Volkes, und nirgendwo sonst liegt Jhre Kraft. Glauben Sie, das Vertrauen, welches das Volk auf Sie setzt, dadurch erhöhen zu können, daß Sie ihm sagen, Sie seyen nach Jhrer Ansicht republikanischer, als das Volk? Was man Jhnen als eine vereinzelte Handlung darstellt, ist nur der erste Ring einer langen Kette; was man Jhnen vorschlägt, heißt die Revolution nicht beendigen, sondern vielmehr sie fortsetzen; es heißt, Jhre Kraft in Jhnen selbst und nicht im allgemeinen Wahlrechte su- chen. Jch erkenne an, daß es im Lande besorgliche Manifestationen gibt, republicanische und andere; diese Kundgebungen müssen mit Kraft unterdrückt werden, denn sie sind der allgemeinen Gesinnung des Landes zuwider. Frankreich ist durch Jnstinct, durch Sitten repu- blicanisch; wenn es die Republik zu fürchten scheint, so geschieht es, weil Manche ihm den Glauben beigebracht haben, daß die Re- publik das Eigenthum und die Familie angreife. Das Gegenmit- tel gegen diese Lage liegt darin, daß Sie durch Jhre Handlungen klar und bestimmt Jhre Revolution von derjenigen sondern, wel- che zu fürchten man das Volk gelehrt hat. Beruhigen Sie es über die Wiederaufnahme der Geschäfte, und Sie werden dann den Präsidenten durch das Volk wählen lassen können; Sie haben dabei nichts zu befürchten.“ Herr Parieu, ein Mit- glied der Bureaux, bekämpfte den Tocqueville'scher Vorschlag. Allerdings sey das allgemeine Wahlrecht sehr gut, allein es sey nicht gut, dasselbe stets und in allen Fällen an- zuwenden. Der Staatsmann müsse das mögliche Ergeb- niß einer Abstimmung im Voraus erwägen. Selbst bei der Repräsentantenwahl beklage man sich nur gar zu oft, daß man einen Mann wählen müsse, den man nicht kenne. Ob dieser Ue- belstand nicht noch weit schlimmer sey, wenn es sich um die Wahl des Präsidenten, d. h. eines Mannes handle, dessen verkehrte Wahl Europa in Gefahr bringen könne? „Jn einem Augenblicke — fuhr der Redner fort, — wo das Land so tief zerspalten ist, kann das allgemeine Wahlrecht sehr gefährlich werden. Sie werben vielleicht für die Empörung, Sie öffnen die Reihen, in welche man die Feinde der Republik wird einschieben können.“ Nachdem Herr Fresneaux_ einige Worte gegen die Wahl des Präsidenten durch die Versammlung gesprochen und den Repräsentanten die Befug- niß zu dieser Wahl bestritten hatte, wurde die weitere Erörterung bis morgen vertagt. * * * Paris 7. October. Jn der gestrigen Sitzung der Na- tionalversammlung sprach Lamartine für die directe Wahl des Präsidenten durch das Volk und machte einen so tiefen Eindruck, daß die Sache wohl jetzt schon als entschieden zu betrachten ist, selbst auf die Gefahr hin, daß am Ende sogar ein Bonaparte, diese unbekannte Größe, Präsident der Republik wird. Princi- piell ist die Sache allerdings sehr leicht zu entscheiden, denn wenn das souveräne Volk Alles thun kann, was es will und ge- scheidt genug ist, die legislative Gewalt ( die Abgeordneten zur Nationalversammlung ) zu wählen, so ist nicht recht abzusehen, warum man ihm die Wahl der executiven Gewalt oder des Prä- sidenten vorenthalten soll. Jn der Praxis gestalten sich die Dinge aber anders und es ist keine Frage, daß eine aus den ersten Notabilitäten des Landes zusammengesetzte, durch Weisheit, Pa- triotismus und Erfahrung ausgezeichnete Corporation einen besseren Präsidenten gewählt hätte, als ein zügelloser, jedem Demagogen preisgegebener Volkshaufe. Wie die Dinge jetzt stehen, kann die Präsidentenwahl leicht zum Verderben des durch allerlei Parteien zerrissenen Landes ausschlagen. Doch wir sa- gen mit Lamartine: Der Würfel ist geworfen! und gehen mit fatalistischer Stumpfheit unseren Geschicken entgegen. — Die auf- gelösten Lyoner Mobilgarden sind, nachdem sie ihren Sold em- pfangen, ruhig in ihre Heimath zurückgekehrt und haben die Stadt verlassen. Für Lyon kam diese Emeute um so ungelegener, als schon wenigstens 6000 Webstühle wieder im Gange waren und alle Aussicht auf bedeutende Bestellungen im Winter vorhanden ist. Die Arbeiter haben sich entschieden geweigert an der Be- wegung Theil zu nehmen, andererseits waren aber auch alle in der Umgebung stationirten Truppen nach Lyon berufen worden. Die Stadt Mühlhausen im Elsaß hat um die Erlaubniß nach- gesucht, künftig „Mulhouse“ heißen zu dürfen, was ihr auch von Cavaignac in Gnaden bewilligt worden ist. Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 107. Mainz, 9. Oktober 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal107_1848/4>, abgerufen am 31.05.2024.