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Mainzer Journal. Nr. 156. Mainz, 5. Dezember 1848.

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[Beginn Spaltensatz] ten und Einrichtungen zu setzen -- das ist das Streben, welches
die Partei der Zukunft in ihrer Weise begeistert. Also hier han-
delt es sich nicht um Aenderung politischer Formen, sondern um
radicale Umwandelung des Glaubens, der Gesittung, der ganzen
socialen Ordnung der Völker.

Wird aber, kann man weiter fragen, das Volk zur Verwirk-
lichung solcher Plane sich hergeben? -- Das ganze Volk? --
Nein; wohl aber im Volke eine große zu Allem entschlossene
Masse. Eine politisch, social und ökonomisch, vor Allem aber
eine religiös so zerfallene Zeit, wie die unsere, ist ganz geeignet
solchen Lehren, wie wir sie oben auseinander gesetzt, Eingang zu
verschaffen; und je excentrischer und zugleich einfacher jene Leh-
ren sind, um so geeigneter sind sie, um die Massen zu fanatisiren,
wie ganz ähnliche, nur mit einem pheudoreligiösen Mysticismus
vermischte Lehren bereits im 13. und im 16. Jahrhunderte ganze
Massen des Volkes fanatisirt haben. Sie versprechen ein hand-
greifliches sinnliches Paradies auf Erden, während sie zugleich
mit dem Messer der kalten Verneinung und des bittern Hohnes
allen religiösen Glauben aus dem Herzen schneiden. Nun er-
scheinen das Eigenthum, die Ehe und das beide stützende Christen-
thum als Feinde des Menschengeschlechtes, als das böse Princip,
welches der Mehrzahl der Menschen, um eines erlogenen Jenseits,
einer eingebildeten Moral und eines angemaßten Rechtes willen
die Freuden der Erde vergällte und die Armuth, das Entbehren,
die Ungleichheit unter den Menschen hervorgebracht. Zerrissen
also müssen werden diese Bande und vernichtet alle Jnstitutionen,
die sie schützen. Das ist, wie gesagt, eine Lehre, die ein vielfach
sittlich=religiös verkommenes und vom materiellem Elende ge-
drücktes Volk da ergreift, wo Ein Funke in einem Nu den schreck-
lichsten Brand eines unerhörten Fanatismus entzünden kann.
Diese Lehre entfessellt zugleich und stachelt zum höchsten alle sinn-
lichen eigennützigen Triebe und Gewalten in der Menschenbrust,
die einmal losgelassen, jeden Greuels fähig sind. Und sehen wir
nicht wirklich diese communistischen Lehren, was noch vor kurzem
Niemand für möglich gehalten, wie eine geistige Pest wirklich um
sich greifen und den Menschen Sinn und Besinnung rauben?

Der Raum gebietet uns hier abzubrechen; zum Schlusse nur
noch unsere feste Ueberzeugung, daß nicht durch politische Ein-
richtungen und nicht durch materielle Gewalt, sondern nur durch
eine religiös=moralische Hebung des Volkes, im Vereine mit öko-
nomischen Verbesserungen, der socialen Revolution, begegnet
werden kann. Allerdings wird und kann diese sociale Revolution
nie die erträumte communistische Republik verwirklichen, wohl
aber Alles mit Blut, Greuel und Verwüstung erfüllen, und das
wäre denn die rothe Republik.



== Mainz 5. December. Gewalt und Verleumdung waren von
jeher die Waffen, zu denen die Ungerechtigkeit griff, wenn man sie
nicht ungehindert walten ließ. Das müssen jetzt die Katholiken in
Mainz, das mußte besonders einer der besten katholischen Männer
unserer Stadt, der Stadtrath Nillius erfahren. Es ist nicht zu
sagen, welchen schmählichen Angriffen dieser tadellose, wohlwol-
lende, namentlich um den Gewerbstand hochverdiente Mann aus-
gesetzt ist, seitdem er das gute Recht der katholischen Bürgerschaft
in und außer dem Gemeinderathe ohne Furcht, aber auch ohne Lei-
denschaft zu vertheidigen unternommen hat. Jn der Gemeinde-
rathssitzung vom vorigen Samstage sollte der längst vorbereitete
Gewaltstreich durchgeführt, die katholischen Schulen in Commu-
nalschulen verwandelt, mit einem Federstriche den Katholiken ihr
alter Schulfonds geraubt werden. Die entschiedene Protestation
des Piusvereines, wie nicht minder die der bischöflichen Behörde,
Klarheit des Rechtes, die kraftvolle Sprache seiner Vertheidiger,
vereitelten für diesmal den Streich. Die Sache wurde nicht
blos vertagt, sondern auch, da der protestantische Gemeinde-
rath Hestermann, edel genug, aus der Begutachtungs-
commission austrat, Stadtrath Nillius an dessen Stelle ge-
wählt, -- eine kleine Genugthuung für alle bisher gegen die Ka-
tholiken geübte Rücksichtslosigkeit. Als die Wahl des Stadtrathes
Nillius im Gemeinderathe bekannt gemacht wurde -- rief eine
Stimme aus dem im Saale versammelten souveränen Pöbel den
die Mainzer Zeitung so zartsinnig zum Anstand ermahnt hatte:
Er soll gehenkt werden! -- Dieß einer aus den vielen Zü-
gen roher Brutalität, die an diesem Tage im Namen der Freiheit
und Humanität von den Anhängern der allgemeinen Menschen-
bildung geübt wurden. An demselben Tage bot sich dieser Partei
noch eine feine Gelegenheit dar, ihren ohnmächtigen Haß gegen
Nillius auszulassen. Derselbe, hilfreich wie immer, hatte die Bei-
vormundschaft über drei Kinder eines Mannes übernommen, der
bis zum Wahnsinne seine Familie, wie die gerichtlichen Acten aus-
weißen, mißhandelt hatte. Dessen Frau hatte nach langen Leiden
auf Ehescheidung geklagt und den Proceß in zwei Jnstanzen ge-
[Spaltenumbruch] wonnen; der Mann appellirte an die dritte Jnstanz und während
hier der Proceß schwebte, starb die Frau. Jhre Schwester, welche
lange ihre Leiden getheilt, nahm die Kinder zu sich. Nillius aber,
seine Pflicht als Beivormund in vollem Maße übend und mit
Einwilligung des Vaters, reclamirte die Kinder, behielt das jüngste
in seinem Hause, die zwei älteren Mädchen gab er, ebenfalls mit
dem Willen des Vaters,
in das Pensionat der englischen
Fräulein. Bewährte Rechtsgelehrte, namentlich am letzten Tage
noch der Anwalt der Kinder in Köln, riethen dem Herrn Nillius
die Kinder nicht auszuliefern, wenn er nicht durch einen Befehl der
Staatsbehörde dazu angehalten werde. Am letzten Samstage
brachte der Vater diesen Befehl bei, und Nillius ließ sofort die
Kinder zu einem Freunde bringen, um sie hier dem Vater
zu übergeben,
welcher jedoch nur durch einen gegen ihn er-
wirkten Verhaftsbefehl vermocht werden konnte, dem Beivormunde
seine baar gemachten Auslagen im Betrage von mehr als 300 fl.
zu ersetzen. Während nun die Kinder im Hause jenes Freundes
waren, wurde das älteste Mädchen von einer Frau vor die Thüre
gerufen, die Thüre blieb angelehnt -- da das Kind einige Augen-
blicke zögerte, sah man nach; das Kind war mit jener Person ver-
schwunden. Wohin es gekommen, ist nicht schwer zu errathen.
Auch die Schwester der verstorbenen Frau war verschwunden.
Sie hat ohne allen Zweifel dieses Kind, um es seinem von frü-
herher so sehr gefürchteten Vater zu entziehen, zu sich genommen.
Diese Sache nun, in welcher Nillius nicht blos rein dasteht, son-
dern auch als ein uneigennütziger Wohlthäter an
fremden Kindern, als ein pflichtgetreuer und wahrhaft vä-
terlicher Vormund erscheint, wurde noch an demselben Tage,
wo dies Alles geschah, zu einem Kinderraube, den Nillius mit
Jesuiten im Bunde geübt habe, umgestaltet; der Vater, ein adeli-
ger Herr Baron, von biederen Volksmännern umgeben, decla-
mirte a la Eugene Sue in dem Wirthshause, Mainzer Schmutz-
blätter erzählten schon am andern Tage den Roman. Dies zur
Charakteristik der hiesigen Zustände; aber so wie gestern Abend
der Piusverein den Katzenmusikanten eine Lection gegeben, so wird
auch der gesunde und ehrenhafte Sinn in Mainz noch stark genug
seyn, um die Gewebe der Lügen und Verleumdungen, wie man
auch immer aufs Neue sie ausspinnen mag, zu zerreißen. Damit
dem Ehre zu Theil, wem Ehre, Schande aber, wem
Schande gebührt.

# Mainz 5. December. Gestern Abend wurden zum ersten-
male die Versammlungen des Piusvereines in seinem neuen Lo-
cale, dem großen Saale bei Nillius gehalten. Die Schulan-
gelegenheit, in welcher dieser Verein mit jener Kraft und Würde,
welche das Bewußtseyn des klaren und guten Rechtes verleiht,
aufgetreten, war Gegenstand der Besprechung. Da erschallte
aufeinmal vor den Fenstern eine Katzenmusik, schwere Steine flo-
gen, ohne jedoch wegen der schützenden Läden besondern Scha-
den zufügen zu können. Alsbald eilten aus der dichtgedrängten
Versammlung eine Anzahl Männer hinunter an das Thor, um
Ruhe zu schaffen. Das Thor war geschlossen, die Tumultuanten
von Außen schleuderten mächtige Steine wider dasselbe, um es zu
zertrümmern. Da öffnete man von Jnnen das Thor, allein an-
statt daß die wüthenden Belagerer nun hereinstürmten, nahmen
die frechen Buben, so schnell nur ihre Beine sie trugen, feige die
Flucht; nur im Fliehen schleuderte Einer einen Stein, welcher
einen braven Brüger und Handwerksmann am Kopfe verwun-
dete. Die Belagerten aber eilten den Fliehenden nach, machten
deren sechs zu Gefangenen und erbeuteten außerdem mehrere
Trophäen, als da sind Gießkannen, eine mit einer rothen Feder
gezierte Kappe u. dgl. Jnzwischen waren eine österreichische und
eine preußische Patrouille herbeigekommen, denen man die Ge-
fangenen übergab, um sie den richterlichen Behörden zu überbrin-
gen. Hierauf hielt der Piusverein ruhig seine Sitzung weiter.
Es hat aber derselbe an diesem Abende der ganzen Stadt einen
guten Dienst geleistet. Seit einem halben Jahre stören nächtliche
Tumultuanten, Katzenmusikanten, Fenstereinwerfer die Ruhe und
die Sicherheit der Bürger, beschädigen das Eigenthum, bedrohen
die Personen. Die Mainzer Polizei, deren Muth, Eifer,
Wach samkeit und Entschiedenheit unaussprechlich
sind,
und die das Geld, welches wir, wir Bürger, ihr be-
zahlen, eben wirklich ohne besondere Anstrengung verdient, hat
unseres Wissens bis jetzt auch noch nicht Ein Skandal verhindert,
nicht Einen Schuldigen zur Strafe gebracht. So wurden denn
die souveränen Terroristen in ihrer Straflosigkeit täglich über-
müthiger; jetzt endlich sind sie an den unrechten Mann gekommen.
Nun liegt es an den gerichtlichen Behörden besser ihre Schuldig-
keit zu thun, als die Polizei dieselbe bisher erfüllt hat. Genau
und streng muß die Untersuchung geführt werden, damit nament-
lich auch die Anstifter und Leiter dieser Skandale enthüllt
werden: denn so wohl bei dieser als bei früheren Gelegenheiten
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] ten und Einrichtungen zu setzen — das ist das Streben, welches
die Partei der Zukunft in ihrer Weise begeistert. Also hier han-
delt es sich nicht um Aenderung politischer Formen, sondern um
radicale Umwandelung des Glaubens, der Gesittung, der ganzen
socialen Ordnung der Völker.

Wird aber, kann man weiter fragen, das Volk zur Verwirk-
lichung solcher Plane sich hergeben? — Das ganze Volk? —
Nein; wohl aber im Volke eine große zu Allem entschlossene
Masse. Eine politisch, social und ökonomisch, vor Allem aber
eine religiös so zerfallene Zeit, wie die unsere, ist ganz geeignet
solchen Lehren, wie wir sie oben auseinander gesetzt, Eingang zu
verschaffen; und je excentrischer und zugleich einfacher jene Leh-
ren sind, um so geeigneter sind sie, um die Massen zu fanatisiren,
wie ganz ähnliche, nur mit einem pheudoreligiösen Mysticismus
vermischte Lehren bereits im 13. und im 16. Jahrhunderte ganze
Massen des Volkes fanatisirt haben. Sie versprechen ein hand-
greifliches sinnliches Paradies auf Erden, während sie zugleich
mit dem Messer der kalten Verneinung und des bittern Hohnes
allen religiösen Glauben aus dem Herzen schneiden. Nun er-
scheinen das Eigenthum, die Ehe und das beide stützende Christen-
thum als Feinde des Menschengeschlechtes, als das böse Princip,
welches der Mehrzahl der Menschen, um eines erlogenen Jenseits,
einer eingebildeten Moral und eines angemaßten Rechtes willen
die Freuden der Erde vergällte und die Armuth, das Entbehren,
die Ungleichheit unter den Menschen hervorgebracht. Zerrissen
also müssen werden diese Bande und vernichtet alle Jnstitutionen,
die sie schützen. Das ist, wie gesagt, eine Lehre, die ein vielfach
sittlich=religiös verkommenes und vom materiellem Elende ge-
drücktes Volk da ergreift, wo Ein Funke in einem Nu den schreck-
lichsten Brand eines unerhörten Fanatismus entzünden kann.
Diese Lehre entfessellt zugleich und stachelt zum höchsten alle sinn-
lichen eigennützigen Triebe und Gewalten in der Menschenbrust,
die einmal losgelassen, jeden Greuels fähig sind. Und sehen wir
nicht wirklich diese communistischen Lehren, was noch vor kurzem
Niemand für möglich gehalten, wie eine geistige Pest wirklich um
sich greifen und den Menschen Sinn und Besinnung rauben?

Der Raum gebietet uns hier abzubrechen; zum Schlusse nur
noch unsere feste Ueberzeugung, daß nicht durch politische Ein-
richtungen und nicht durch materielle Gewalt, sondern nur durch
eine religiös=moralische Hebung des Volkes, im Vereine mit öko-
nomischen Verbesserungen, der socialen Revolution, begegnet
werden kann. Allerdings wird und kann diese sociale Revolution
nie die erträumte communistische Republik verwirklichen, wohl
aber Alles mit Blut, Greuel und Verwüstung erfüllen, und das
wäre denn die rothe Republik.



== Mainz 5. December. Gewalt und Verleumdung waren von
jeher die Waffen, zu denen die Ungerechtigkeit griff, wenn man sie
nicht ungehindert walten ließ. Das müssen jetzt die Katholiken in
Mainz, das mußte besonders einer der besten katholischen Männer
unserer Stadt, der Stadtrath Nillius erfahren. Es ist nicht zu
sagen, welchen schmählichen Angriffen dieser tadellose, wohlwol-
lende, namentlich um den Gewerbstand hochverdiente Mann aus-
gesetzt ist, seitdem er das gute Recht der katholischen Bürgerschaft
in und außer dem Gemeinderathe ohne Furcht, aber auch ohne Lei-
denschaft zu vertheidigen unternommen hat. Jn der Gemeinde-
rathssitzung vom vorigen Samstage sollte der längst vorbereitete
Gewaltstreich durchgeführt, die katholischen Schulen in Commu-
nalschulen verwandelt, mit einem Federstriche den Katholiken ihr
alter Schulfonds geraubt werden. Die entschiedene Protestation
des Piusvereines, wie nicht minder die der bischöflichen Behörde,
Klarheit des Rechtes, die kraftvolle Sprache seiner Vertheidiger,
vereitelten für diesmal den Streich. Die Sache wurde nicht
blos vertagt, sondern auch, da der protestantische Gemeinde-
rath Hestermann, edel genug, aus der Begutachtungs-
commission austrat, Stadtrath Nillius an dessen Stelle ge-
wählt, — eine kleine Genugthuung für alle bisher gegen die Ka-
tholiken geübte Rücksichtslosigkeit. Als die Wahl des Stadtrathes
Nillius im Gemeinderathe bekannt gemacht wurde — rief eine
Stimme aus dem im Saale versammelten souveränen Pöbel den
die Mainzer Zeitung so zartsinnig zum Anstand ermahnt hatte:
Er soll gehenkt werden! — Dieß einer aus den vielen Zü-
gen roher Brutalität, die an diesem Tage im Namen der Freiheit
und Humanität von den Anhängern der allgemeinen Menschen-
bildung geübt wurden. An demselben Tage bot sich dieser Partei
noch eine feine Gelegenheit dar, ihren ohnmächtigen Haß gegen
Nillius auszulassen. Derselbe, hilfreich wie immer, hatte die Bei-
vormundschaft über drei Kinder eines Mannes übernommen, der
bis zum Wahnsinne seine Familie, wie die gerichtlichen Acten aus-
weißen, mißhandelt hatte. Dessen Frau hatte nach langen Leiden
auf Ehescheidung geklagt und den Proceß in zwei Jnstanzen ge-
[Spaltenumbruch] wonnen; der Mann appellirte an die dritte Jnstanz und während
hier der Proceß schwebte, starb die Frau. Jhre Schwester, welche
lange ihre Leiden getheilt, nahm die Kinder zu sich. Nillius aber,
seine Pflicht als Beivormund in vollem Maße übend und mit
Einwilligung des Vaters, reclamirte die Kinder, behielt das jüngste
in seinem Hause, die zwei älteren Mädchen gab er, ebenfalls mit
dem Willen des Vaters,
in das Pensionat der englischen
Fräulein. Bewährte Rechtsgelehrte, namentlich am letzten Tage
noch der Anwalt der Kinder in Köln, riethen dem Herrn Nillius
die Kinder nicht auszuliefern, wenn er nicht durch einen Befehl der
Staatsbehörde dazu angehalten werde. Am letzten Samstage
brachte der Vater diesen Befehl bei, und Nillius ließ sofort die
Kinder zu einem Freunde bringen, um sie hier dem Vater
zu übergeben,
welcher jedoch nur durch einen gegen ihn er-
wirkten Verhaftsbefehl vermocht werden konnte, dem Beivormunde
seine baar gemachten Auslagen im Betrage von mehr als 300 fl.
zu ersetzen. Während nun die Kinder im Hause jenes Freundes
waren, wurde das älteste Mädchen von einer Frau vor die Thüre
gerufen, die Thüre blieb angelehnt — da das Kind einige Augen-
blicke zögerte, sah man nach; das Kind war mit jener Person ver-
schwunden. Wohin es gekommen, ist nicht schwer zu errathen.
Auch die Schwester der verstorbenen Frau war verschwunden.
Sie hat ohne allen Zweifel dieses Kind, um es seinem von frü-
herher so sehr gefürchteten Vater zu entziehen, zu sich genommen.
Diese Sache nun, in welcher Nillius nicht blos rein dasteht, son-
dern auch als ein uneigennütziger Wohlthäter an
fremden Kindern, als ein pflichtgetreuer und wahrhaft vä-
terlicher Vormund erscheint, wurde noch an demselben Tage,
wo dies Alles geschah, zu einem Kinderraube, den Nillius mit
Jesuiten im Bunde geübt habe, umgestaltet; der Vater, ein adeli-
ger Herr Baron, von biederen Volksmännern umgeben, decla-
mirte à la Eugene Sue in dem Wirthshause, Mainzer Schmutz-
blätter erzählten schon am andern Tage den Roman. Dies zur
Charakteristik der hiesigen Zustände; aber so wie gestern Abend
der Piusverein den Katzenmusikanten eine Lection gegeben, so wird
auch der gesunde und ehrenhafte Sinn in Mainz noch stark genug
seyn, um die Gewebe der Lügen und Verleumdungen, wie man
auch immer aufs Neue sie ausspinnen mag, zu zerreißen. Damit
dem Ehre zu Theil, wem Ehre, Schande aber, wem
Schande gebührt.

□ Mainz 5. December. Gestern Abend wurden zum ersten-
male die Versammlungen des Piusvereines in seinem neuen Lo-
cale, dem großen Saale bei Nillius gehalten. Die Schulan-
gelegenheit, in welcher dieser Verein mit jener Kraft und Würde,
welche das Bewußtseyn des klaren und guten Rechtes verleiht,
aufgetreten, war Gegenstand der Besprechung. Da erschallte
aufeinmal vor den Fenstern eine Katzenmusik, schwere Steine flo-
gen, ohne jedoch wegen der schützenden Läden besondern Scha-
den zufügen zu können. Alsbald eilten aus der dichtgedrängten
Versammlung eine Anzahl Männer hinunter an das Thor, um
Ruhe zu schaffen. Das Thor war geschlossen, die Tumultuanten
von Außen schleuderten mächtige Steine wider dasselbe, um es zu
zertrümmern. Da öffnete man von Jnnen das Thor, allein an-
statt daß die wüthenden Belagerer nun hereinstürmten, nahmen
die frechen Buben, so schnell nur ihre Beine sie trugen, feige die
Flucht; nur im Fliehen schleuderte Einer einen Stein, welcher
einen braven Brüger und Handwerksmann am Kopfe verwun-
dete. Die Belagerten aber eilten den Fliehenden nach, machten
deren sechs zu Gefangenen und erbeuteten außerdem mehrere
Trophäen, als da sind Gießkannen, eine mit einer rothen Feder
gezierte Kappe u. dgl. Jnzwischen waren eine österreichische und
eine preußische Patrouille herbeigekommen, denen man die Ge-
fangenen übergab, um sie den richterlichen Behörden zu überbrin-
gen. Hierauf hielt der Piusverein ruhig seine Sitzung weiter.
Es hat aber derselbe an diesem Abende der ganzen Stadt einen
guten Dienst geleistet. Seit einem halben Jahre stören nächtliche
Tumultuanten, Katzenmusikanten, Fenstereinwerfer die Ruhe und
die Sicherheit der Bürger, beschädigen das Eigenthum, bedrohen
die Personen. Die Mainzer Polizei, deren Muth, Eifer,
Wach samkeit und Entschiedenheit unaussprechlich
sind,
und die das Geld, welches wir, wir Bürger, ihr be-
zahlen, eben wirklich ohne besondere Anstrengung verdient, hat
unseres Wissens bis jetzt auch noch nicht Ein Skandal verhindert,
nicht Einen Schuldigen zur Strafe gebracht. So wurden denn
die souveränen Terroristen in ihrer Straflosigkeit täglich über-
müthiger; jetzt endlich sind sie an den unrechten Mann gekommen.
Nun liegt es an den gerichtlichen Behörden besser ihre Schuldig-
keit zu thun, als die Polizei dieselbe bisher erfüllt hat. Genau
und streng muß die Untersuchung geführt werden, damit nament-
lich auch die Anstifter und Leiter dieser Skandale enthüllt
werden: denn so wohl bei dieser als bei früheren Gelegenheiten
[Ende Spaltensatz]

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[0002] ten und Einrichtungen zu setzen — das ist das Streben, welches die Partei der Zukunft in ihrer Weise begeistert. Also hier han- delt es sich nicht um Aenderung politischer Formen, sondern um radicale Umwandelung des Glaubens, der Gesittung, der ganzen socialen Ordnung der Völker. Wird aber, kann man weiter fragen, das Volk zur Verwirk- lichung solcher Plane sich hergeben? — Das ganze Volk? — Nein; wohl aber im Volke eine große zu Allem entschlossene Masse. Eine politisch, social und ökonomisch, vor Allem aber eine religiös so zerfallene Zeit, wie die unsere, ist ganz geeignet solchen Lehren, wie wir sie oben auseinander gesetzt, Eingang zu verschaffen; und je excentrischer und zugleich einfacher jene Leh- ren sind, um so geeigneter sind sie, um die Massen zu fanatisiren, wie ganz ähnliche, nur mit einem pheudoreligiösen Mysticismus vermischte Lehren bereits im 13. und im 16. Jahrhunderte ganze Massen des Volkes fanatisirt haben. Sie versprechen ein hand- greifliches sinnliches Paradies auf Erden, während sie zugleich mit dem Messer der kalten Verneinung und des bittern Hohnes allen religiösen Glauben aus dem Herzen schneiden. Nun er- scheinen das Eigenthum, die Ehe und das beide stützende Christen- thum als Feinde des Menschengeschlechtes, als das böse Princip, welches der Mehrzahl der Menschen, um eines erlogenen Jenseits, einer eingebildeten Moral und eines angemaßten Rechtes willen die Freuden der Erde vergällte und die Armuth, das Entbehren, die Ungleichheit unter den Menschen hervorgebracht. Zerrissen also müssen werden diese Bande und vernichtet alle Jnstitutionen, die sie schützen. Das ist, wie gesagt, eine Lehre, die ein vielfach sittlich=religiös verkommenes und vom materiellem Elende ge- drücktes Volk da ergreift, wo Ein Funke in einem Nu den schreck- lichsten Brand eines unerhörten Fanatismus entzünden kann. Diese Lehre entfessellt zugleich und stachelt zum höchsten alle sinn- lichen eigennützigen Triebe und Gewalten in der Menschenbrust, die einmal losgelassen, jeden Greuels fähig sind. Und sehen wir nicht wirklich diese communistischen Lehren, was noch vor kurzem Niemand für möglich gehalten, wie eine geistige Pest wirklich um sich greifen und den Menschen Sinn und Besinnung rauben? Der Raum gebietet uns hier abzubrechen; zum Schlusse nur noch unsere feste Ueberzeugung, daß nicht durch politische Ein- richtungen und nicht durch materielle Gewalt, sondern nur durch eine religiös=moralische Hebung des Volkes, im Vereine mit öko- nomischen Verbesserungen, der socialen Revolution, begegnet werden kann. Allerdings wird und kann diese sociale Revolution nie die erträumte communistische Republik verwirklichen, wohl aber Alles mit Blut, Greuel und Verwüstung erfüllen, und das wäre denn die rothe Republik. == Mainz 5. December. Gewalt und Verleumdung waren von jeher die Waffen, zu denen die Ungerechtigkeit griff, wenn man sie nicht ungehindert walten ließ. Das müssen jetzt die Katholiken in Mainz, das mußte besonders einer der besten katholischen Männer unserer Stadt, der Stadtrath Nillius erfahren. Es ist nicht zu sagen, welchen schmählichen Angriffen dieser tadellose, wohlwol- lende, namentlich um den Gewerbstand hochverdiente Mann aus- gesetzt ist, seitdem er das gute Recht der katholischen Bürgerschaft in und außer dem Gemeinderathe ohne Furcht, aber auch ohne Lei- denschaft zu vertheidigen unternommen hat. Jn der Gemeinde- rathssitzung vom vorigen Samstage sollte der längst vorbereitete Gewaltstreich durchgeführt, die katholischen Schulen in Commu- nalschulen verwandelt, mit einem Federstriche den Katholiken ihr alter Schulfonds geraubt werden. Die entschiedene Protestation des Piusvereines, wie nicht minder die der bischöflichen Behörde, Klarheit des Rechtes, die kraftvolle Sprache seiner Vertheidiger, vereitelten für diesmal den Streich. Die Sache wurde nicht blos vertagt, sondern auch, da der protestantische Gemeinde- rath Hestermann, edel genug, aus der Begutachtungs- commission austrat, Stadtrath Nillius an dessen Stelle ge- wählt, — eine kleine Genugthuung für alle bisher gegen die Ka- tholiken geübte Rücksichtslosigkeit. Als die Wahl des Stadtrathes Nillius im Gemeinderathe bekannt gemacht wurde — rief eine Stimme aus dem im Saale versammelten souveränen Pöbel den die Mainzer Zeitung so zartsinnig zum Anstand ermahnt hatte: Er soll gehenkt werden! — Dieß einer aus den vielen Zü- gen roher Brutalität, die an diesem Tage im Namen der Freiheit und Humanität von den Anhängern der allgemeinen Menschen- bildung geübt wurden. An demselben Tage bot sich dieser Partei noch eine feine Gelegenheit dar, ihren ohnmächtigen Haß gegen Nillius auszulassen. Derselbe, hilfreich wie immer, hatte die Bei- vormundschaft über drei Kinder eines Mannes übernommen, der bis zum Wahnsinne seine Familie, wie die gerichtlichen Acten aus- weißen, mißhandelt hatte. Dessen Frau hatte nach langen Leiden auf Ehescheidung geklagt und den Proceß in zwei Jnstanzen ge- wonnen; der Mann appellirte an die dritte Jnstanz und während hier der Proceß schwebte, starb die Frau. Jhre Schwester, welche lange ihre Leiden getheilt, nahm die Kinder zu sich. Nillius aber, seine Pflicht als Beivormund in vollem Maße übend und mit Einwilligung des Vaters, reclamirte die Kinder, behielt das jüngste in seinem Hause, die zwei älteren Mädchen gab er, ebenfalls mit dem Willen des Vaters, in das Pensionat der englischen Fräulein. Bewährte Rechtsgelehrte, namentlich am letzten Tage noch der Anwalt der Kinder in Köln, riethen dem Herrn Nillius die Kinder nicht auszuliefern, wenn er nicht durch einen Befehl der Staatsbehörde dazu angehalten werde. Am letzten Samstage brachte der Vater diesen Befehl bei, und Nillius ließ sofort die Kinder zu einem Freunde bringen, um sie hier dem Vater zu übergeben, welcher jedoch nur durch einen gegen ihn er- wirkten Verhaftsbefehl vermocht werden konnte, dem Beivormunde seine baar gemachten Auslagen im Betrage von mehr als 300 fl. zu ersetzen. Während nun die Kinder im Hause jenes Freundes waren, wurde das älteste Mädchen von einer Frau vor die Thüre gerufen, die Thüre blieb angelehnt — da das Kind einige Augen- blicke zögerte, sah man nach; das Kind war mit jener Person ver- schwunden. Wohin es gekommen, ist nicht schwer zu errathen. Auch die Schwester der verstorbenen Frau war verschwunden. Sie hat ohne allen Zweifel dieses Kind, um es seinem von frü- herher so sehr gefürchteten Vater zu entziehen, zu sich genommen. Diese Sache nun, in welcher Nillius nicht blos rein dasteht, son- dern auch als ein uneigennütziger Wohlthäter an fremden Kindern, als ein pflichtgetreuer und wahrhaft vä- terlicher Vormund erscheint, wurde noch an demselben Tage, wo dies Alles geschah, zu einem Kinderraube, den Nillius mit Jesuiten im Bunde geübt habe, umgestaltet; der Vater, ein adeli- ger Herr Baron, von biederen Volksmännern umgeben, decla- mirte à la Eugene Sue in dem Wirthshause, Mainzer Schmutz- blätter erzählten schon am andern Tage den Roman. Dies zur Charakteristik der hiesigen Zustände; aber so wie gestern Abend der Piusverein den Katzenmusikanten eine Lection gegeben, so wird auch der gesunde und ehrenhafte Sinn in Mainz noch stark genug seyn, um die Gewebe der Lügen und Verleumdungen, wie man auch immer aufs Neue sie ausspinnen mag, zu zerreißen. Damit dem Ehre zu Theil, wem Ehre, Schande aber, wem Schande gebührt. □ Mainz 5. December. Gestern Abend wurden zum ersten- male die Versammlungen des Piusvereines in seinem neuen Lo- cale, dem großen Saale bei Nillius gehalten. Die Schulan- gelegenheit, in welcher dieser Verein mit jener Kraft und Würde, welche das Bewußtseyn des klaren und guten Rechtes verleiht, aufgetreten, war Gegenstand der Besprechung. Da erschallte aufeinmal vor den Fenstern eine Katzenmusik, schwere Steine flo- gen, ohne jedoch wegen der schützenden Läden besondern Scha- den zufügen zu können. Alsbald eilten aus der dichtgedrängten Versammlung eine Anzahl Männer hinunter an das Thor, um Ruhe zu schaffen. Das Thor war geschlossen, die Tumultuanten von Außen schleuderten mächtige Steine wider dasselbe, um es zu zertrümmern. Da öffnete man von Jnnen das Thor, allein an- statt daß die wüthenden Belagerer nun hereinstürmten, nahmen die frechen Buben, so schnell nur ihre Beine sie trugen, feige die Flucht; nur im Fliehen schleuderte Einer einen Stein, welcher einen braven Brüger und Handwerksmann am Kopfe verwun- dete. Die Belagerten aber eilten den Fliehenden nach, machten deren sechs zu Gefangenen und erbeuteten außerdem mehrere Trophäen, als da sind Gießkannen, eine mit einer rothen Feder gezierte Kappe u. dgl. Jnzwischen waren eine österreichische und eine preußische Patrouille herbeigekommen, denen man die Ge- fangenen übergab, um sie den richterlichen Behörden zu überbrin- gen. Hierauf hielt der Piusverein ruhig seine Sitzung weiter. Es hat aber derselbe an diesem Abende der ganzen Stadt einen guten Dienst geleistet. Seit einem halben Jahre stören nächtliche Tumultuanten, Katzenmusikanten, Fenstereinwerfer die Ruhe und die Sicherheit der Bürger, beschädigen das Eigenthum, bedrohen die Personen. Die Mainzer Polizei, deren Muth, Eifer, Wach samkeit und Entschiedenheit unaussprechlich sind, und die das Geld, welches wir, wir Bürger, ihr be- zahlen, eben wirklich ohne besondere Anstrengung verdient, hat unseres Wissens bis jetzt auch noch nicht Ein Skandal verhindert, nicht Einen Schuldigen zur Strafe gebracht. So wurden denn die souveränen Terroristen in ihrer Straflosigkeit täglich über- müthiger; jetzt endlich sind sie an den unrechten Mann gekommen. Nun liegt es an den gerichtlichen Behörden besser ihre Schuldig- keit zu thun, als die Polizei dieselbe bisher erfüllt hat. Genau und streng muß die Untersuchung geführt werden, damit nament- lich auch die Anstifter und Leiter dieser Skandale enthüllt werden: denn so wohl bei dieser als bei früheren Gelegenheiten

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 156. Mainz, 5. Dezember 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal156_1848/2>, abgerufen am 12.06.2024.