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Mainzer Journal. Nr. 164. Mainz, 14. Dezember 1848.

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[Beginn Spaltensatz] rückzubringen, die sich durch Jahre glücklich schätzten, seinen Be-
fehlen zu unterstehen."

Eine der lithographirten Correspondenzen gibt folgende Sta-
tistik des Proletariates in Wien:
"Jn Wien hat das
Proletariat auf eine furchterregende Weise zugenommen, und kaum
der 25. Theil der Wiener Straßenbettler verdient eine Unterstüz-
zung. Die Mehrzahl derselben besteht aus Dieben, Schwindlern
und Vagabunden jeder Art, welche den Abend und nicht selten
auch die Nacht in Branntweinkneipen, deren es hier eine sehr
große Anzahl gibt, zubringen. Die Zahl solcher bereits im höch-
sten Grade demoralisirter Personen kann ohne Uebertreibung mit
150,000 angenommen werden. Außerdem werden mehr als 6000
Mädchen und Knaben systematisch zu den gröbsten Lastern und
Verbrechen herangezogen. Das Uebel, welches Wien durch das
Proletariat bedroht, läßt sich in kurzen Worten so zusammen-
stellen: Wien hat 8500 Häuser mit 380,000 Einwohnern. Von
diesen stehen in Versorgung der Commune 5000; 15,000 ergeben
sich der Bettelei; 1000 leben von Diebstahl oder anderen Ver-
brechen; mehr als 2000 treiben durch falsches Spiel ein Ge-
werbe; 20,000 leben von Taglohn von heute auf morgen; eine
gleiche Anzahl wird bei den öffentlichen Erdarbeiten beschäftigt;
6000 befinden sich im Arreste oder im Spinnhause; 1000 haben
keinen Unterstand, und 15,000 ist die geringste Annahme für alle
in Wien befindlichen Schwindler. Mehr als 10,000 wurden von
den Aufsichtsbehörden in diesem Jahre als Trunkenbolde ver-
verhaftet, und nicht weniger als 50,000 ergaben sich mehr oder
weniger dem Branntweiutrinken, welches ihre Erholung aus-
macht und den Kummer und die Sorgen, welche an ihnen nagen,
verscheuchen soll. Würdig reihen sich diesem Zuge mehr als 8000
Gewerbsleute an, welche keinen Verdienst haben, den endlich ge-
wiß nicht weniger als 10,000 sogenannte Geschäftsleute schließen,
welche beim Erwachen des Morgens nicht wissen, woher sie zu
Mittag etwas zu essen bekommen werden. Oeffentliche oder Pri-
vatanstalten, welche dem Anwachsen des Proletariates vorzu-
beugen die Aufgabe hätten, bestehen noch keine."

Berlin 11. December. ( D. A. Z. ) Die Fortdauer des Be-
lagerungszustandes
mit seinen Preßfreiheit und Vereins-
recht fesselnden Wirkungen steht in einem eigenthümlichen Contraste
zu den neuen politischen Lebensacten, zu denen die verliehene Ver-
fassung und die bevorstehenden Wahlen die Bevölkerung her-
ausfordern. Was die Aufhebung des Belagerungszustandes be-
trifft, so hatte man sich freilich ohne irgend eine bestimmte Veran-
lassung der Hoffnung hingegeben, daß eine solche in diesen Tagen
erfolgen werde. Es ergibt sich aber vielmehr als gewiß, daß der
Belagerungszustand bis zum Beginne der neuen Wahlen und viel-
leicht noch länger für Berlin andauern wird. Das Vereinsrecht,
obwohl es durch die neue Verfassung unbedingt garantirt wor-
den, dürfte doch, sobald es wieder ins Leben treten kann, einigen
praktischen Beschränkungen unterliegen, und im Staatsmini-
sterium soll in diesem Augenblicke ein die Thätigkeit
der Clubs regelndes Gesetz
in Erwägung gezogen
werden. Man wird es unter die Lebensbedingungen eines ver-
fassungsmäßig geordneten Staates rechnen müssen, wenn dem
Vereinsrechte keine weitere politische Schranke als die der
Staatsverfassung selbst,
aber diese Schranke in ganz be-
stimmter Weise gezogen wird. Das Gesetz, welches das
Staatsministerium über die Vereine mit vorbehaltlicher Genehmi-
gung der künftigen Kammern vorbereitet, wird, wie man glaubt,
vornämlich dahin gerichtet seyn, die Wirksamkeit der Clubs im
Einklange mit der bestehenden constitutionellen Staatsverfassung
zu erhalten und sie auf die Grenzen derselben anzuweisen. Für
die Preßfreiheit dürften keine restringirenden Bestimmungen von
dem Ministerium Brandenburg zu befürchten seyn.

Die Anstrengungen, welche bereits unter der Hand für die
künftigen Wahlen eröffnet werden, sind enormer Art. Die de-
mokratische Partei, oder was man hier noch so nennen kann,
schmeichelt sich, daß sie bei diesen Wahlen den Sieg davon tragen
und jedenfalls für die zweite Kammer die Majorität gewinnen
werde. Wenn der Belagerungszustand zur rechten Zeit aufgehoben
und öffentliche Wahlversammlungen mehrfach stattfinden kön-
nen, so ließe sich von diesen Hoffnungen reden. Unter den
gegenwärtigen Umständen aber erscheinen die demokratischen
Wirkungsmittel äußerst gering. Dazu kommt die politische Er-
schlaffung unserer Bourgeoisie, die sich täglich in einem erschrecken-
dern Maße offenbart und der alten egoistischen Sonderung vom
Staatsleben zu verfallen droht. Hier wird für die Wahlen Der-
jenige den meisten Anklang finden, der mit den derbsten und un-
abweislichsten Mitteln zuzugreifen versteht, und der einen Zu-
stand verspricht, wie ihn unsere bisherigen Demokratenführer
nicht werden versprechen können und wollen. Es wäre aber
dringend zu wünschen, daß bei den neuen Wahlen auch die po-
[Spaltenumbruch] litische und staatsmännische Jntelligenz überwiegend betheiligt
würde, welche von der Vereinbarungsversammlung sich so ent-
schieden zurückgehalten hatte!

== Aus der bayerischen Pfalz 11. December. Gerechte
Entrüstung geht durch die katholische Pfalz. Die Neue Speyerer
Zeitung
hat sich erfrecht, die Hirtenworte der deutschen Bischöfe
an das katholische Volk in ihren jedem kirchenfeindlichen Bestreben
offenen Spalten in einer Art zu besprechen, daß man nicht weiß,
ob man die großartige Schamlosigkeit mehr verachten, oder die
unselige Verblendung mehr bemitleiden soll, welche aus diesem
Ergusse des bangen Aergers und des urgründlichen Hasses uns
entgegentreten. Von dem Rheine bis zur Oder und Weichsel
und von den Alpen bis hinab zu den Dünen des Meeres haben
die ersehnten Hirtenworte der hochwürdigsten Bischöfe in jeder
gläubigen Brust begeisterten Wiederhall gefunden, und der Ge-
danke an die nimmer zu lösende Einheit und die göttliche Lebens-
kraft der Kirche in diesen Tagen der kläglichen Zerrissenheit und
Schwäche hat alle Herzen der großen deutschen Gemeine gehoben,
welcher an einem Tage und zu einer Stunde die einen
Worte ihrer Oberhirten verkündet wurden. Daß die Neue
Speyerer Zeitung an dieser Erhebung und Begeisterung Theil
nehme, haben wir weder verlangt noch erwartet. Aber wir ver-
langten von ihrer Duldung, daß ihr das religiöse Leben Anders-
gläubiger und jegliche Erscheinung desselben heilig sey; wir ver-
langten von ihrer Wahrhaftigkeit, daß sie es verschmähe, That-
sachen, die ihr unlieb sind, zu verdrehen und so zu verdächtigen.

Aber dazu ist die Neue Speyerer Zeitung viel zu schamlos
und verblendet. Schamlos nennen wir sie, weil sie sich
nicht entblödet, nachdem sie im Eingange ihres Artikels den
heiligen Vater, den edlen Pius IX. in den Koth gezogen, dem
Episcopate Deutschlands anzudichten, als hätte er die erwünschte
Trennung von Kirche und Staat jetzt aufgegeben, nachdem er
die Schule verloren, und die Reaction ihr Haupt erheben sah.
Wer die Bewegungen des gegenwärtigen Jahres auf kirchlichem
Gebiete auch nur oberflächlich verfolgte, der weiß, daß jene Be-
hauptung eine kolossale Unwahrheit enthält. Außerdem ge-
hört für Jeden, der die herrliche Denkschrift der Bischöfe gelesen,
viel dazu, sich oder Andere glauben zu machen, es lehne sich der
Episcopat an die Reaction an. Schamlos nennen wir ferner
jene Zeitung, weil sie es wagt, gegen die geistlichen Würdenträger
der katholischen Kirche in unserm Vaterlande, auf die das ganze
katholische Deutschland mit Ehrfurcht und Liebe blickt, sich einer
Sprache zu bedienen, wie sie die Gasse liebt, nicht wie sie Männer
führen; weil sie die Stirne hat, die Oberhirten der katholischen
Kirche in nackten Worten mit Götzendienern zu vergleichen.
Verblendet aber erscheint uns die Neue Speyerer Zeitung,
weil sie nicht zurückbebt vor dem Gedanken, gegen die Gesammt-
heit
deutscher Bischöfe den unendlich ungleichen Kampf aufzu-
nehmen; weil sie vermeint, so fern sie nur die Versammlung der
Bischöfe zu Würzburg und deren Hirtenbrief als eine " vorüber-
gehende " Erscheinung ansehe, das bedeutungsvolle Ereigniß dieser
Synode auch bereits aus der Weltgeschichte hinausecamotirt zu
haben. Verblendet ist die Neue Speyerer Zeitung endlich,
weil sie nicht einsieht, wohin die Sturmwinde treiben, und daß
sie durch diese Besprechung oberhirtlicher Friedensworte sich selbst
den letzten Fetzen der Maske herabgerissen hat, womit sie lange in
wohlfeiler Kunst die Arglosen zu täuschen gesucht, als kämpfe sie
nicht gegen die katholische Kirche. Wir nehmen Urkunde von die-
sem Artikel der Neuen Speyerer Zeitung. Wie oft mußten wir
von ihr die Betheuerung hören, daß sie nur gegen Personen und
Mißbräuche in der Kirche kämpfe, aber nichts gegen den katholischen
Glauben, nichts gegen die katholische Kirche unternehme. Wir
erwiedern ihr, zu dem Glauben der Kirche gehört auch nothwen-
dig der Glaube an die göttliche Mission der Bischöfe, als der
rechtmäßigen Nachfolger der Apostel. Wo die Bischöfe sind, da
ist die Kirche. Oder war die Versammlung der Bischöfe in Würz-
burg ein Mißbrauch? Oder ist es eine Person und nicht vielmehr
die katholische Sache, gegen welche jener Artikel der N. Sp. Z.,
mit Jngrimm gewappnet bis an die Zähne, zu Felde zieht? Und
werden endlich allenthalben dem Volke die Augen aufgehen, wenn
es sieht, wie die natürliche Wolfstatze unter dem verbrauchten
Schaafsfelle verrätherisch hervorsteht, wenn es fühlt, daß man
sein Heiligstes mit frechen Händen anzutasten sich endlich rüste.
Die Zeit bringt Rosen, für Manche auch zunächst einige Dornen,
meint die N. Sp. Zeitung in ihrer gewohnten hämischen Art.
Jawohl! die Zeit bringt Rosen. Wir werden vielleicht die N.
Sp. Zeitung daran erinnern, wenn sie aufgegangen sind.

sqrt Mainz 14. December. Heute Morgen fand eine feierliche
Kirchenparade sämmtlicher hier garnisonirenden österreichischen
Truppentheile statt. Nach Beendigung des Gottesdienstes huldig-
ten sämmtliche Mannschaften dem neuen Kaiser Franz Joseph I.
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] rückzubringen, die sich durch Jahre glücklich schätzten, seinen Be-
fehlen zu unterstehen.“

Eine der lithographirten Correspondenzen gibt folgende Sta-
tistik des Proletariates in Wien:
„Jn Wien hat das
Proletariat auf eine furchterregende Weise zugenommen, und kaum
der 25. Theil der Wiener Straßenbettler verdient eine Unterstüz-
zung. Die Mehrzahl derselben besteht aus Dieben, Schwindlern
und Vagabunden jeder Art, welche den Abend und nicht selten
auch die Nacht in Branntweinkneipen, deren es hier eine sehr
große Anzahl gibt, zubringen. Die Zahl solcher bereits im höch-
sten Grade demoralisirter Personen kann ohne Uebertreibung mit
150,000 angenommen werden. Außerdem werden mehr als 6000
Mädchen und Knaben systematisch zu den gröbsten Lastern und
Verbrechen herangezogen. Das Uebel, welches Wien durch das
Proletariat bedroht, läßt sich in kurzen Worten so zusammen-
stellen: Wien hat 8500 Häuser mit 380,000 Einwohnern. Von
diesen stehen in Versorgung der Commune 5000; 15,000 ergeben
sich der Bettelei; 1000 leben von Diebstahl oder anderen Ver-
brechen; mehr als 2000 treiben durch falsches Spiel ein Ge-
werbe; 20,000 leben von Taglohn von heute auf morgen; eine
gleiche Anzahl wird bei den öffentlichen Erdarbeiten beschäftigt;
6000 befinden sich im Arreste oder im Spinnhause; 1000 haben
keinen Unterstand, und 15,000 ist die geringste Annahme für alle
in Wien befindlichen Schwindler. Mehr als 10,000 wurden von
den Aufsichtsbehörden in diesem Jahre als Trunkenbolde ver-
verhaftet, und nicht weniger als 50,000 ergaben sich mehr oder
weniger dem Branntweiutrinken, welches ihre Erholung aus-
macht und den Kummer und die Sorgen, welche an ihnen nagen,
verscheuchen soll. Würdig reihen sich diesem Zuge mehr als 8000
Gewerbsleute an, welche keinen Verdienst haben, den endlich ge-
wiß nicht weniger als 10,000 sogenannte Geschäftsleute schließen,
welche beim Erwachen des Morgens nicht wissen, woher sie zu
Mittag etwas zu essen bekommen werden. Oeffentliche oder Pri-
vatanstalten, welche dem Anwachsen des Proletariates vorzu-
beugen die Aufgabe hätten, bestehen noch keine.“

Berlin 11. December. ( D. A. Z. ) Die Fortdauer des Be-
lagerungszustandes
mit seinen Preßfreiheit und Vereins-
recht fesselnden Wirkungen steht in einem eigenthümlichen Contraste
zu den neuen politischen Lebensacten, zu denen die verliehene Ver-
fassung und die bevorstehenden Wahlen die Bevölkerung her-
ausfordern. Was die Aufhebung des Belagerungszustandes be-
trifft, so hatte man sich freilich ohne irgend eine bestimmte Veran-
lassung der Hoffnung hingegeben, daß eine solche in diesen Tagen
erfolgen werde. Es ergibt sich aber vielmehr als gewiß, daß der
Belagerungszustand bis zum Beginne der neuen Wahlen und viel-
leicht noch länger für Berlin andauern wird. Das Vereinsrecht,
obwohl es durch die neue Verfassung unbedingt garantirt wor-
den, dürfte doch, sobald es wieder ins Leben treten kann, einigen
praktischen Beschränkungen unterliegen, und im Staatsmini-
sterium soll in diesem Augenblicke ein die Thätigkeit
der Clubs regelndes Gesetz
in Erwägung gezogen
werden. Man wird es unter die Lebensbedingungen eines ver-
fassungsmäßig geordneten Staates rechnen müssen, wenn dem
Vereinsrechte keine weitere politische Schranke als die der
Staatsverfassung selbst,
aber diese Schranke in ganz be-
stimmter Weise gezogen wird. Das Gesetz, welches das
Staatsministerium über die Vereine mit vorbehaltlicher Genehmi-
gung der künftigen Kammern vorbereitet, wird, wie man glaubt,
vornämlich dahin gerichtet seyn, die Wirksamkeit der Clubs im
Einklange mit der bestehenden constitutionellen Staatsverfassung
zu erhalten und sie auf die Grenzen derselben anzuweisen. Für
die Preßfreiheit dürften keine restringirenden Bestimmungen von
dem Ministerium Brandenburg zu befürchten seyn.

Die Anstrengungen, welche bereits unter der Hand für die
künftigen Wahlen eröffnet werden, sind enormer Art. Die de-
mokratische Partei, oder was man hier noch so nennen kann,
schmeichelt sich, daß sie bei diesen Wahlen den Sieg davon tragen
und jedenfalls für die zweite Kammer die Majorität gewinnen
werde. Wenn der Belagerungszustand zur rechten Zeit aufgehoben
und öffentliche Wahlversammlungen mehrfach stattfinden kön-
nen, so ließe sich von diesen Hoffnungen reden. Unter den
gegenwärtigen Umständen aber erscheinen die demokratischen
Wirkungsmittel äußerst gering. Dazu kommt die politische Er-
schlaffung unserer Bourgeoisie, die sich täglich in einem erschrecken-
dern Maße offenbart und der alten egoistischen Sonderung vom
Staatsleben zu verfallen droht. Hier wird für die Wahlen Der-
jenige den meisten Anklang finden, der mit den derbsten und un-
abweislichsten Mitteln zuzugreifen versteht, und der einen Zu-
stand verspricht, wie ihn unsere bisherigen Demokratenführer
nicht werden versprechen können und wollen. Es wäre aber
dringend zu wünschen, daß bei den neuen Wahlen auch die po-
[Spaltenumbruch] litische und staatsmännische Jntelligenz überwiegend betheiligt
würde, welche von der Vereinbarungsversammlung sich so ent-
schieden zurückgehalten hatte!

== Aus der bayerischen Pfalz 11. December. Gerechte
Entrüstung geht durch die katholische Pfalz. Die Neue Speyerer
Zeitung
hat sich erfrecht, die Hirtenworte der deutschen Bischöfe
an das katholische Volk in ihren jedem kirchenfeindlichen Bestreben
offenen Spalten in einer Art zu besprechen, daß man nicht weiß,
ob man die großartige Schamlosigkeit mehr verachten, oder die
unselige Verblendung mehr bemitleiden soll, welche aus diesem
Ergusse des bangen Aergers und des urgründlichen Hasses uns
entgegentreten. Von dem Rheine bis zur Oder und Weichsel
und von den Alpen bis hinab zu den Dünen des Meeres haben
die ersehnten Hirtenworte der hochwürdigsten Bischöfe in jeder
gläubigen Brust begeisterten Wiederhall gefunden, und der Ge-
danke an die nimmer zu lösende Einheit und die göttliche Lebens-
kraft der Kirche in diesen Tagen der kläglichen Zerrissenheit und
Schwäche hat alle Herzen der großen deutschen Gemeine gehoben,
welcher an einem Tage und zu einer Stunde die einen
Worte ihrer Oberhirten verkündet wurden. Daß die Neue
Speyerer Zeitung an dieser Erhebung und Begeisterung Theil
nehme, haben wir weder verlangt noch erwartet. Aber wir ver-
langten von ihrer Duldung, daß ihr das religiöse Leben Anders-
gläubiger und jegliche Erscheinung desselben heilig sey; wir ver-
langten von ihrer Wahrhaftigkeit, daß sie es verschmähe, That-
sachen, die ihr unlieb sind, zu verdrehen und so zu verdächtigen.

Aber dazu ist die Neue Speyerer Zeitung viel zu schamlos
und verblendet. Schamlos nennen wir sie, weil sie sich
nicht entblödet, nachdem sie im Eingange ihres Artikels den
heiligen Vater, den edlen Pius IX. in den Koth gezogen, dem
Episcopate Deutschlands anzudichten, als hätte er die erwünschte
Trennung von Kirche und Staat jetzt aufgegeben, nachdem er
die Schule verloren, und die Reaction ihr Haupt erheben sah.
Wer die Bewegungen des gegenwärtigen Jahres auf kirchlichem
Gebiete auch nur oberflächlich verfolgte, der weiß, daß jene Be-
hauptung eine kolossale Unwahrheit enthält. Außerdem ge-
hört für Jeden, der die herrliche Denkschrift der Bischöfe gelesen,
viel dazu, sich oder Andere glauben zu machen, es lehne sich der
Episcopat an die Reaction an. Schamlos nennen wir ferner
jene Zeitung, weil sie es wagt, gegen die geistlichen Würdenträger
der katholischen Kirche in unserm Vaterlande, auf die das ganze
katholische Deutschland mit Ehrfurcht und Liebe blickt, sich einer
Sprache zu bedienen, wie sie die Gasse liebt, nicht wie sie Männer
führen; weil sie die Stirne hat, die Oberhirten der katholischen
Kirche in nackten Worten mit Götzendienern zu vergleichen.
Verblendet aber erscheint uns die Neue Speyerer Zeitung,
weil sie nicht zurückbebt vor dem Gedanken, gegen die Gesammt-
heit
deutscher Bischöfe den unendlich ungleichen Kampf aufzu-
nehmen; weil sie vermeint, so fern sie nur die Versammlung der
Bischöfe zu Würzburg und deren Hirtenbrief als eine „ vorüber-
gehende “ Erscheinung ansehe, das bedeutungsvolle Ereigniß dieser
Synode auch bereits aus der Weltgeschichte hinausecamotirt zu
haben. Verblendet ist die Neue Speyerer Zeitung endlich,
weil sie nicht einsieht, wohin die Sturmwinde treiben, und daß
sie durch diese Besprechung oberhirtlicher Friedensworte sich selbst
den letzten Fetzen der Maske herabgerissen hat, womit sie lange in
wohlfeiler Kunst die Arglosen zu täuschen gesucht, als kämpfe sie
nicht gegen die katholische Kirche. Wir nehmen Urkunde von die-
sem Artikel der Neuen Speyerer Zeitung. Wie oft mußten wir
von ihr die Betheuerung hören, daß sie nur gegen Personen und
Mißbräuche in der Kirche kämpfe, aber nichts gegen den katholischen
Glauben, nichts gegen die katholische Kirche unternehme. Wir
erwiedern ihr, zu dem Glauben der Kirche gehört auch nothwen-
dig der Glaube an die göttliche Mission der Bischöfe, als der
rechtmäßigen Nachfolger der Apostel. Wo die Bischöfe sind, da
ist die Kirche. Oder war die Versammlung der Bischöfe in Würz-
burg ein Mißbrauch? Oder ist es eine Person und nicht vielmehr
die katholische Sache, gegen welche jener Artikel der N. Sp. Z.,
mit Jngrimm gewappnet bis an die Zähne, zu Felde zieht? Und
werden endlich allenthalben dem Volke die Augen aufgehen, wenn
es sieht, wie die natürliche Wolfstatze unter dem verbrauchten
Schaafsfelle verrätherisch hervorsteht, wenn es fühlt, daß man
sein Heiligstes mit frechen Händen anzutasten sich endlich rüste.
Die Zeit bringt Rosen, für Manche auch zunächst einige Dornen,
meint die N. Sp. Zeitung in ihrer gewohnten hämischen Art.
Jawohl! die Zeit bringt Rosen. Wir werden vielleicht die N.
Sp. Zeitung daran erinnern, wenn sie aufgegangen sind.

√ Mainz 14. December. Heute Morgen fand eine feierliche
Kirchenparade sämmtlicher hier garnisonirenden österreichischen
Truppentheile statt. Nach Beendigung des Gottesdienstes huldig-
ten sämmtliche Mannschaften dem neuen Kaiser Franz Joseph I.
[Ende Spaltensatz]

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[0003] rückzubringen, die sich durch Jahre glücklich schätzten, seinen Be- fehlen zu unterstehen.“ Eine der lithographirten Correspondenzen gibt folgende Sta- tistik des Proletariates in Wien: „Jn Wien hat das Proletariat auf eine furchterregende Weise zugenommen, und kaum der 25. Theil der Wiener Straßenbettler verdient eine Unterstüz- zung. Die Mehrzahl derselben besteht aus Dieben, Schwindlern und Vagabunden jeder Art, welche den Abend und nicht selten auch die Nacht in Branntweinkneipen, deren es hier eine sehr große Anzahl gibt, zubringen. Die Zahl solcher bereits im höch- sten Grade demoralisirter Personen kann ohne Uebertreibung mit 150,000 angenommen werden. Außerdem werden mehr als 6000 Mädchen und Knaben systematisch zu den gröbsten Lastern und Verbrechen herangezogen. Das Uebel, welches Wien durch das Proletariat bedroht, läßt sich in kurzen Worten so zusammen- stellen: Wien hat 8500 Häuser mit 380,000 Einwohnern. Von diesen stehen in Versorgung der Commune 5000; 15,000 ergeben sich der Bettelei; 1000 leben von Diebstahl oder anderen Ver- brechen; mehr als 2000 treiben durch falsches Spiel ein Ge- werbe; 20,000 leben von Taglohn von heute auf morgen; eine gleiche Anzahl wird bei den öffentlichen Erdarbeiten beschäftigt; 6000 befinden sich im Arreste oder im Spinnhause; 1000 haben keinen Unterstand, und 15,000 ist die geringste Annahme für alle in Wien befindlichen Schwindler. Mehr als 10,000 wurden von den Aufsichtsbehörden in diesem Jahre als Trunkenbolde ver- verhaftet, und nicht weniger als 50,000 ergaben sich mehr oder weniger dem Branntweiutrinken, welches ihre Erholung aus- macht und den Kummer und die Sorgen, welche an ihnen nagen, verscheuchen soll. Würdig reihen sich diesem Zuge mehr als 8000 Gewerbsleute an, welche keinen Verdienst haben, den endlich ge- wiß nicht weniger als 10,000 sogenannte Geschäftsleute schließen, welche beim Erwachen des Morgens nicht wissen, woher sie zu Mittag etwas zu essen bekommen werden. Oeffentliche oder Pri- vatanstalten, welche dem Anwachsen des Proletariates vorzu- beugen die Aufgabe hätten, bestehen noch keine.“ Berlin 11. December. ( D. A. Z. ) Die Fortdauer des Be- lagerungszustandes mit seinen Preßfreiheit und Vereins- recht fesselnden Wirkungen steht in einem eigenthümlichen Contraste zu den neuen politischen Lebensacten, zu denen die verliehene Ver- fassung und die bevorstehenden Wahlen die Bevölkerung her- ausfordern. Was die Aufhebung des Belagerungszustandes be- trifft, so hatte man sich freilich ohne irgend eine bestimmte Veran- lassung der Hoffnung hingegeben, daß eine solche in diesen Tagen erfolgen werde. Es ergibt sich aber vielmehr als gewiß, daß der Belagerungszustand bis zum Beginne der neuen Wahlen und viel- leicht noch länger für Berlin andauern wird. Das Vereinsrecht, obwohl es durch die neue Verfassung unbedingt garantirt wor- den, dürfte doch, sobald es wieder ins Leben treten kann, einigen praktischen Beschränkungen unterliegen, und im Staatsmini- sterium soll in diesem Augenblicke ein die Thätigkeit der Clubs regelndes Gesetz in Erwägung gezogen werden. Man wird es unter die Lebensbedingungen eines ver- fassungsmäßig geordneten Staates rechnen müssen, wenn dem Vereinsrechte keine weitere politische Schranke als die der Staatsverfassung selbst, aber diese Schranke in ganz be- stimmter Weise gezogen wird. Das Gesetz, welches das Staatsministerium über die Vereine mit vorbehaltlicher Genehmi- gung der künftigen Kammern vorbereitet, wird, wie man glaubt, vornämlich dahin gerichtet seyn, die Wirksamkeit der Clubs im Einklange mit der bestehenden constitutionellen Staatsverfassung zu erhalten und sie auf die Grenzen derselben anzuweisen. Für die Preßfreiheit dürften keine restringirenden Bestimmungen von dem Ministerium Brandenburg zu befürchten seyn. Die Anstrengungen, welche bereits unter der Hand für die künftigen Wahlen eröffnet werden, sind enormer Art. Die de- mokratische Partei, oder was man hier noch so nennen kann, schmeichelt sich, daß sie bei diesen Wahlen den Sieg davon tragen und jedenfalls für die zweite Kammer die Majorität gewinnen werde. Wenn der Belagerungszustand zur rechten Zeit aufgehoben und öffentliche Wahlversammlungen mehrfach stattfinden kön- nen, so ließe sich von diesen Hoffnungen reden. Unter den gegenwärtigen Umständen aber erscheinen die demokratischen Wirkungsmittel äußerst gering. Dazu kommt die politische Er- schlaffung unserer Bourgeoisie, die sich täglich in einem erschrecken- dern Maße offenbart und der alten egoistischen Sonderung vom Staatsleben zu verfallen droht. Hier wird für die Wahlen Der- jenige den meisten Anklang finden, der mit den derbsten und un- abweislichsten Mitteln zuzugreifen versteht, und der einen Zu- stand verspricht, wie ihn unsere bisherigen Demokratenführer nicht werden versprechen können und wollen. Es wäre aber dringend zu wünschen, daß bei den neuen Wahlen auch die po- litische und staatsmännische Jntelligenz überwiegend betheiligt würde, welche von der Vereinbarungsversammlung sich so ent- schieden zurückgehalten hatte! == Aus der bayerischen Pfalz 11. December. Gerechte Entrüstung geht durch die katholische Pfalz. Die Neue Speyerer Zeitung hat sich erfrecht, die Hirtenworte der deutschen Bischöfe an das katholische Volk in ihren jedem kirchenfeindlichen Bestreben offenen Spalten in einer Art zu besprechen, daß man nicht weiß, ob man die großartige Schamlosigkeit mehr verachten, oder die unselige Verblendung mehr bemitleiden soll, welche aus diesem Ergusse des bangen Aergers und des urgründlichen Hasses uns entgegentreten. Von dem Rheine bis zur Oder und Weichsel und von den Alpen bis hinab zu den Dünen des Meeres haben die ersehnten Hirtenworte der hochwürdigsten Bischöfe in jeder gläubigen Brust begeisterten Wiederhall gefunden, und der Ge- danke an die nimmer zu lösende Einheit und die göttliche Lebens- kraft der Kirche in diesen Tagen der kläglichen Zerrissenheit und Schwäche hat alle Herzen der großen deutschen Gemeine gehoben, welcher an einem Tage und zu einer Stunde die einen Worte ihrer Oberhirten verkündet wurden. Daß die Neue Speyerer Zeitung an dieser Erhebung und Begeisterung Theil nehme, haben wir weder verlangt noch erwartet. Aber wir ver- langten von ihrer Duldung, daß ihr das religiöse Leben Anders- gläubiger und jegliche Erscheinung desselben heilig sey; wir ver- langten von ihrer Wahrhaftigkeit, daß sie es verschmähe, That- sachen, die ihr unlieb sind, zu verdrehen und so zu verdächtigen. Aber dazu ist die Neue Speyerer Zeitung viel zu schamlos und verblendet. Schamlos nennen wir sie, weil sie sich nicht entblödet, nachdem sie im Eingange ihres Artikels den heiligen Vater, den edlen Pius IX. in den Koth gezogen, dem Episcopate Deutschlands anzudichten, als hätte er die erwünschte Trennung von Kirche und Staat jetzt aufgegeben, nachdem er die Schule verloren, und die Reaction ihr Haupt erheben sah. Wer die Bewegungen des gegenwärtigen Jahres auf kirchlichem Gebiete auch nur oberflächlich verfolgte, der weiß, daß jene Be- hauptung eine kolossale Unwahrheit enthält. Außerdem ge- hört für Jeden, der die herrliche Denkschrift der Bischöfe gelesen, viel dazu, sich oder Andere glauben zu machen, es lehne sich der Episcopat an die Reaction an. Schamlos nennen wir ferner jene Zeitung, weil sie es wagt, gegen die geistlichen Würdenträger der katholischen Kirche in unserm Vaterlande, auf die das ganze katholische Deutschland mit Ehrfurcht und Liebe blickt, sich einer Sprache zu bedienen, wie sie die Gasse liebt, nicht wie sie Männer führen; weil sie die Stirne hat, die Oberhirten der katholischen Kirche in nackten Worten mit Götzendienern zu vergleichen. Verblendet aber erscheint uns die Neue Speyerer Zeitung, weil sie nicht zurückbebt vor dem Gedanken, gegen die Gesammt- heit deutscher Bischöfe den unendlich ungleichen Kampf aufzu- nehmen; weil sie vermeint, so fern sie nur die Versammlung der Bischöfe zu Würzburg und deren Hirtenbrief als eine „ vorüber- gehende “ Erscheinung ansehe, das bedeutungsvolle Ereigniß dieser Synode auch bereits aus der Weltgeschichte hinausecamotirt zu haben. Verblendet ist die Neue Speyerer Zeitung endlich, weil sie nicht einsieht, wohin die Sturmwinde treiben, und daß sie durch diese Besprechung oberhirtlicher Friedensworte sich selbst den letzten Fetzen der Maske herabgerissen hat, womit sie lange in wohlfeiler Kunst die Arglosen zu täuschen gesucht, als kämpfe sie nicht gegen die katholische Kirche. Wir nehmen Urkunde von die- sem Artikel der Neuen Speyerer Zeitung. Wie oft mußten wir von ihr die Betheuerung hören, daß sie nur gegen Personen und Mißbräuche in der Kirche kämpfe, aber nichts gegen den katholischen Glauben, nichts gegen die katholische Kirche unternehme. Wir erwiedern ihr, zu dem Glauben der Kirche gehört auch nothwen- dig der Glaube an die göttliche Mission der Bischöfe, als der rechtmäßigen Nachfolger der Apostel. Wo die Bischöfe sind, da ist die Kirche. Oder war die Versammlung der Bischöfe in Würz- burg ein Mißbrauch? Oder ist es eine Person und nicht vielmehr die katholische Sache, gegen welche jener Artikel der N. Sp. Z., mit Jngrimm gewappnet bis an die Zähne, zu Felde zieht? Und werden endlich allenthalben dem Volke die Augen aufgehen, wenn es sieht, wie die natürliche Wolfstatze unter dem verbrauchten Schaafsfelle verrätherisch hervorsteht, wenn es fühlt, daß man sein Heiligstes mit frechen Händen anzutasten sich endlich rüste. Die Zeit bringt Rosen, für Manche auch zunächst einige Dornen, meint die N. Sp. Zeitung in ihrer gewohnten hämischen Art. Jawohl! die Zeit bringt Rosen. Wir werden vielleicht die N. Sp. Zeitung daran erinnern, wenn sie aufgegangen sind. √ Mainz 14. December. Heute Morgen fand eine feierliche Kirchenparade sämmtlicher hier garnisonirenden österreichischen Truppentheile statt. Nach Beendigung des Gottesdienstes huldig- ten sämmtliche Mannschaften dem neuen Kaiser Franz Joseph I.

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Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 164. Mainz, 14. Dezember 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal164_1848/3>, abgerufen am 29.05.2024.