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Mainzer Journal. Nr. 267. Mainz, 10. November 1849.

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Mainzer Journal.


Nro 267. Samstag, den 10. November. 1849.


[Beginn Spaltensatz]
Rundschau.

München 6. November. Es ist unsäglich, welche legis-
latorische Trostlosigkeit, welch ein politischer Jammer bei unserer
Deputirtenkammer und bei unserem Ministerium herrscht. Gerade
als ob die Märzstürme des Jahres 1848 nicht gewesen, als ob
die Revolution der Pfalz im Jahre 1849 nicht vorgefallen, als
ob die Fäulniß unserer socialen Zustände keiner Beachtung werth
wäre, werden von dem Ministerium leichtsinnige Gesetzesvor-
schläge den Kammern unterbreitet, wird von den Kammern in
frivoler Zeitverschwendung interpellirt, debattirt und decretirt.
Es geschieht gar nichts, auch nicht das Mindeste um das Grund-
ubel unserer Zeit, die bis in die untersten Schichten der Gesell-
schaft gedrungene Jrreligiosität und Jmmoralität, zu heben und
zu beseitigen. Man vergißt noch immer das Alte: " vanae sine
moribus leges
." Außer der Legislation, außer der Politik liegt
aber noch, freilich in genauem und nahem Zusammenhange mit
unseren übrigen Verhältnissen, auch noch die Justiz im Argen.
Die Gerechtigkeit ist nicht nur die heiligste Pflicht, sie ist auch die
dringendste Schuld, welche der Staat zu lösen die Aufgabe hat,
"denn wenn die Gerechtigkeit untergeht, so hat es keinen Werth,
daß Menschen im Staate leben." Wie wird aber diese Pflicht er-
füllt, wie diese Schuld bezahlt? Leider auf eine Weise, die den
Sinn der Gerechtigkeit im Volke, wo er noch übrig geblieben ist,
abstumpfen, die Begriffe verwirren und das Volk am Rechte
irre machen muß. Wir sind wahrlich keine Freunde von drakoni-
schen Gesetzen und drakonischer Rechtsübung, wir wissen es sehr
wohl, daß wie das Sprüchwort sagt, zu scharf nicht schneidet.
Allein etwas Anderes ist es, mit empörender Grausamkeit rück-
sichtslos überall die Schneide des juristischen Messers anzusetzen,
-- etwas Anderes, mit sentimentaler Erbärmlichkeit kaum den
Rücken des Messers fühlen zu lassen, um ja nicht wehe zu thun.
Wenn man hören und lesen muß, wie in der Pfalz, diesem
leider zu Schande gewordenen Eldorado der Jntelligenz und Ge-
setzlichkeit, selbst gerichtliche Beamte, die ihren Eid verletzt, die
Treue gegen ihren König verrathen, ihre Würde und Stellung
zur Verkehrung aller legalen Ordnung mißbraucht haben, nicht
etwa verdientermaßen ernst bestraft werden, sondern rein discip-
linarisch mit der lächerlichen Strafe einer Amtssuspension von
wenigen Monaten, selbst von wenigen Tagen davonkommen, so
muß man wünschen, daß lieber gar nicht gestraft, als auf diese
Weise der Gerechtigkeit laut Hohn gesprochen und dadurch das
ohnehin nur zu sehr geschwächte Ansehen der Obrigkeit unter Null
herabgedrückt werde. Kann der eidesflüchtige, an Treue insolvent
gewordene Beamte, sey er Richter, oder Gerichtsschreiber, oder
Notar, oder öffentlicher Beamter sonstiger Art, noch auf Ver-
trauen Anspruch machen, kann das Volk noch Zutrauen zu ihm
fassen? Jedes Amt, das vergesse man doch ja nie, geht in dem
Beamten auf,
es subjectivirt sich in ihm nothwendiger Weise.
Die abstracte Jdee des Amtes ist seelenlos und unwirksam, wenn
nicht die concrete Erscheinung des Beamten im Leben Bedeutung
und Gehalt gibt. Wie der Beamte ist, so ist das Amt, die Würde
oder Unwürde des letzteren steht in dieser sublunarischen Welt in
geradem Verhältnisse mit der Würde oder Unwürde des Ersteren.
Doch wenden wir uns von dieser juristischen Nachtseite weg. Wir
haben sie blos berührt, weil wir der Justiz in intimster Gesell-
schaft mit unserer Kammerlegislation und Ministerialpolitik be-
gegneten, denn diese beiden Factoren unserer gebrechlichen Staats-
maschine geben eigentlich die Tonart an, auf welcher die Justiz
fortspielte oder mitspielte. Wir wollen hier von der gesetzgeberi-
schen Jmpotenz einzelner Personen schweigen, wir wollen nur in
wenigen Zügen vom Großen und Ganzen sprechen.

Die Presse, das haben wir Alle erlebt und erfahren, ist der
Haupthebel, womit die Partei des Umsturzes die staatliche Ord-
nung aus den Angeln gehoben und die unglückliche Menge be-
thört oder in Bewegung gesetzt hat, und in der Bethörung und
Bewegung fortan zu erhalten sucht. Gegen Preßzügellosigkeit ist
der einzige Schutz bei Recht und Gericht zu finden. Die Haupt-
[Spaltenumbruch] sache ist jedoch hier, wie bei allem Recht, das Gericht. Je
nachdem dieses componirt ist, wird das Recht in seiner urtheils-
mäßig sich kundgebenden Manifestation entweder als sichernde
Macht, oder als schutzwidrige, ja gefährdende Potenz sich bewäh-
ren. Schlimmeren Händen kann aber gerade jetzt namentlich
in Preßsachen die gerichtliche Gewalt nicht anvertraut werden,
als den Händen der Geschworenen, jetzt wo allenthalben die
Preßsachen dadurch zur reinen Parteisache geworden sind, daß
die Geschworenen ihre Parteiansichten nicht dem Rechte, sondern
das Recht ihrer Parteiansicht unterordnen, und eben wieder
durch die Presse zu solchem Verfahren aufgefordert und planmä-
ßig bearbeitet werden. Jn dem einem Geschworenengerichte un-
terworfenen Preßproceß handelt es sich leider nicht um den Sieg
des Rechtes, sondern um den Sieg der Tagesmeinung, so daß
man hier nicht von einem Veredictum, sondern von einem Male-
dictum
der Geschworenen reden muß. Und jetzt, wo die tägliche
Erfahrung diese traurige Resultate zeigt, wo die Geschworenen
aus Leuten bestehen, die der Regel nach theils zu schwach und
furchtsam sind um es zu wagen, das für wahr Erkannte muthig
auszusprechen, theils zu verdorben, um das als wahr Erkannte
aussprechen zu wollen, -- überläßt man in Bayern die Preßpro-
cesse den Geschworenen und leistet auf diese Weise der Anarchie
und den anarchischen Elementen Vorschub, stellt die Freunde recht-
licher Ordnung rechtlos, und sichert den Feinden der rechtlichen
Ordnung den Triumph des Unrechtes. Wenn man es recht ab-
sichtlich darauf anlegen wollte, doch ja recht schnell die Zeit her-
beizuführen, wo alles Recht zum Faustrechte wird, man könnte
es nicht besser beginnen.

Dazu kommt nun noch der von den Ministern der Kammer
vorgelegte Entwurf eines Amnestiegesetzes, wodurch das
Maß der Rechts= und Begriffsverwirrung ganz voll wird. Auch
wir sind weit entfernt, Gegner einer weisen Amnestie zu seyn,
wir halten im Gegentheile eine Amnestie bei Rebellionen und Re-
volutionen für ein Postulat der Gerechtigkeit, welche
nicht will, daß Alle, welche mit gefangen, auch mit gehangen wer-
den sollen sondern gebietet, daß nur den wahrhaft Schuldigen,
diesen aber auch kategorisch die verschuldete Strafe treffe, daß
dagegen die große Masse der Blinden, Derer, die nicht wissen,
was sie thuen, welche ohne Ueberlegung fortgerissen werden, welche
mehr impetuos als dolos handeln, straffrei bleiben. Wir haben
daher die königlichen Worte der Thronrede, wornach die Ver-
führten von den Verführern unterschieden werden sollen, mit Freu-
den begrüßt; aber unsere Freude ist in Trauer verwandelt worden,
als wir den Entwurf des Amnestiegesetzes zu hören und zu sehen
bekamen. Hier ist von einer weisen Unterscheidung zwischen Ver-
führern und Verführten keine Spur zu finden. Bunt durcheinan-
der und nebeneinander stehen in willkührlichen Gruppen Leichtsinn
und Bosheit, Arglist und Gutmüthigkeit, wissentliche Schlechtig-
keit und unwissentliche Verblendung, frevelhafter und verbreche-
rischer Hochmuth neben unzurechnungsfähiger und verzeihlicher
Niedergeschlagenheit, die trotzige Entschiedenheit für Das was
Unrecht ist, neben der zaghaften Unentschiedenheit für Das was
Recht ist. Man täuscht sich aber in hohem Maße, wenn man
glaubt, durch solche Maßregeln versöhnend zu wirken und be-
schwichtigend zu handeln. Nur Gerechtigkeit, nur die Sühne des
Unrechtes kann versöhnen; Willkühr aber und principlose Unge-
bühr kann nur erbittern. Durch die vorgeschlagene Amnestie wird
ein großer Theil gerade der gefährlichsten Feinde der Ordnung,
nämlich der intellectuellen Urheber der Revolution, die vielfach
zu klug und zu feige waren, um sich an die Spitze zu stellen, zu
vornehm um handgemein zu werden, zu verblüfft, daß ihnen die
durch sie aufgeregten, von ihnen aber nicht mehr lenksamen ochlo-
kratischen Elemente über den Kopf gewachsen waren, -- der
wohlverdienten Strafe entzogen, sie werden aber durch die ihnen
gewordene unrechtmäßige Befreiung eben so wenig gewonnen,
durch die ihnen widerfahrene ungerechte Milde eben so wenig
versöhnt werden, als dies bei allen Amnestirten dieser Gat-
[Ende Spaltensatz]

Mainzer Journal.


Nro 267. Samstag, den 10. November. 1849.


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Rundschau.

✡ München 6. November. Es ist unsäglich, welche legis-
latorische Trostlosigkeit, welch ein politischer Jammer bei unserer
Deputirtenkammer und bei unserem Ministerium herrscht. Gerade
als ob die Märzstürme des Jahres 1848 nicht gewesen, als ob
die Revolution der Pfalz im Jahre 1849 nicht vorgefallen, als
ob die Fäulniß unserer socialen Zustände keiner Beachtung werth
wäre, werden von dem Ministerium leichtsinnige Gesetzesvor-
schläge den Kammern unterbreitet, wird von den Kammern in
frivoler Zeitverschwendung interpellirt, debattirt und decretirt.
Es geschieht gar nichts, auch nicht das Mindeste um das Grund-
ubel unserer Zeit, die bis in die untersten Schichten der Gesell-
schaft gedrungene Jrreligiosität und Jmmoralität, zu heben und
zu beseitigen. Man vergißt noch immer das Alte: « vanae sine
moribus leges
.» Außer der Legislation, außer der Politik liegt
aber noch, freilich in genauem und nahem Zusammenhange mit
unseren übrigen Verhältnissen, auch noch die Justiz im Argen.
Die Gerechtigkeit ist nicht nur die heiligste Pflicht, sie ist auch die
dringendste Schuld, welche der Staat zu lösen die Aufgabe hat,
„denn wenn die Gerechtigkeit untergeht, so hat es keinen Werth,
daß Menschen im Staate leben.“ Wie wird aber diese Pflicht er-
füllt, wie diese Schuld bezahlt? Leider auf eine Weise, die den
Sinn der Gerechtigkeit im Volke, wo er noch übrig geblieben ist,
abstumpfen, die Begriffe verwirren und das Volk am Rechte
irre machen muß. Wir sind wahrlich keine Freunde von drakoni-
schen Gesetzen und drakonischer Rechtsübung, wir wissen es sehr
wohl, daß wie das Sprüchwort sagt, zu scharf nicht schneidet.
Allein etwas Anderes ist es, mit empörender Grausamkeit rück-
sichtslos überall die Schneide des juristischen Messers anzusetzen,
— etwas Anderes, mit sentimentaler Erbärmlichkeit kaum den
Rücken des Messers fühlen zu lassen, um ja nicht wehe zu thun.
Wenn man hören und lesen muß, wie in der Pfalz, diesem
leider zu Schande gewordenen Eldorado der Jntelligenz und Ge-
setzlichkeit, selbst gerichtliche Beamte, die ihren Eid verletzt, die
Treue gegen ihren König verrathen, ihre Würde und Stellung
zur Verkehrung aller legalen Ordnung mißbraucht haben, nicht
etwa verdientermaßen ernst bestraft werden, sondern rein discip-
linarisch mit der lächerlichen Strafe einer Amtssuspension von
wenigen Monaten, selbst von wenigen Tagen davonkommen, so
muß man wünschen, daß lieber gar nicht gestraft, als auf diese
Weise der Gerechtigkeit laut Hohn gesprochen und dadurch das
ohnehin nur zu sehr geschwächte Ansehen der Obrigkeit unter Null
herabgedrückt werde. Kann der eidesflüchtige, an Treue insolvent
gewordene Beamte, sey er Richter, oder Gerichtsschreiber, oder
Notar, oder öffentlicher Beamter sonstiger Art, noch auf Ver-
trauen Anspruch machen, kann das Volk noch Zutrauen zu ihm
fassen? Jedes Amt, das vergesse man doch ja nie, geht in dem
Beamten auf,
es subjectivirt sich in ihm nothwendiger Weise.
Die abstracte Jdee des Amtes ist seelenlos und unwirksam, wenn
nicht die concrete Erscheinung des Beamten im Leben Bedeutung
und Gehalt gibt. Wie der Beamte ist, so ist das Amt, die Würde
oder Unwürde des letzteren steht in dieser sublunarischen Welt in
geradem Verhältnisse mit der Würde oder Unwürde des Ersteren.
Doch wenden wir uns von dieser juristischen Nachtseite weg. Wir
haben sie blos berührt, weil wir der Justiz in intimster Gesell-
schaft mit unserer Kammerlegislation und Ministerialpolitik be-
gegneten, denn diese beiden Factoren unserer gebrechlichen Staats-
maschine geben eigentlich die Tonart an, auf welcher die Justiz
fortspielte oder mitspielte. Wir wollen hier von der gesetzgeberi-
schen Jmpotenz einzelner Personen schweigen, wir wollen nur in
wenigen Zügen vom Großen und Ganzen sprechen.

Die Presse, das haben wir Alle erlebt und erfahren, ist der
Haupthebel, womit die Partei des Umsturzes die staatliche Ord-
nung aus den Angeln gehoben und die unglückliche Menge be-
thört oder in Bewegung gesetzt hat, und in der Bethörung und
Bewegung fortan zu erhalten sucht. Gegen Preßzügellosigkeit ist
der einzige Schutz bei Recht und Gericht zu finden. Die Haupt-
[Spaltenumbruch] sache ist jedoch hier, wie bei allem Recht, das Gericht. Je
nachdem dieses componirt ist, wird das Recht in seiner urtheils-
mäßig sich kundgebenden Manifestation entweder als sichernde
Macht, oder als schutzwidrige, ja gefährdende Potenz sich bewäh-
ren. Schlimmeren Händen kann aber gerade jetzt namentlich
in Preßsachen die gerichtliche Gewalt nicht anvertraut werden,
als den Händen der Geschworenen, jetzt wo allenthalben die
Preßsachen dadurch zur reinen Parteisache geworden sind, daß
die Geschworenen ihre Parteiansichten nicht dem Rechte, sondern
das Recht ihrer Parteiansicht unterordnen, und eben wieder
durch die Presse zu solchem Verfahren aufgefordert und planmä-
ßig bearbeitet werden. Jn dem einem Geschworenengerichte un-
terworfenen Preßproceß handelt es sich leider nicht um den Sieg
des Rechtes, sondern um den Sieg der Tagesmeinung, so daß
man hier nicht von einem Veredictum, sondern von einem Male-
dictum
der Geschworenen reden muß. Und jetzt, wo die tägliche
Erfahrung diese traurige Resultate zeigt, wo die Geschworenen
aus Leuten bestehen, die der Regel nach theils zu schwach und
furchtsam sind um es zu wagen, das für wahr Erkannte muthig
auszusprechen, theils zu verdorben, um das als wahr Erkannte
aussprechen zu wollen, — überläßt man in Bayern die Preßpro-
cesse den Geschworenen und leistet auf diese Weise der Anarchie
und den anarchischen Elementen Vorschub, stellt die Freunde recht-
licher Ordnung rechtlos, und sichert den Feinden der rechtlichen
Ordnung den Triumph des Unrechtes. Wenn man es recht ab-
sichtlich darauf anlegen wollte, doch ja recht schnell die Zeit her-
beizuführen, wo alles Recht zum Faustrechte wird, man könnte
es nicht besser beginnen.

Dazu kommt nun noch der von den Ministern der Kammer
vorgelegte Entwurf eines Amnestiegesetzes, wodurch das
Maß der Rechts= und Begriffsverwirrung ganz voll wird. Auch
wir sind weit entfernt, Gegner einer weisen Amnestie zu seyn,
wir halten im Gegentheile eine Amnestie bei Rebellionen und Re-
volutionen für ein Postulat der Gerechtigkeit, welche
nicht will, daß Alle, welche mit gefangen, auch mit gehangen wer-
den sollen sondern gebietet, daß nur den wahrhaft Schuldigen,
diesen aber auch kategorisch die verschuldete Strafe treffe, daß
dagegen die große Masse der Blinden, Derer, die nicht wissen,
was sie thuen, welche ohne Ueberlegung fortgerissen werden, welche
mehr impetuos als dolos handeln, straffrei bleiben. Wir haben
daher die königlichen Worte der Thronrede, wornach die Ver-
führten von den Verführern unterschieden werden sollen, mit Freu-
den begrüßt; aber unsere Freude ist in Trauer verwandelt worden,
als wir den Entwurf des Amnestiegesetzes zu hören und zu sehen
bekamen. Hier ist von einer weisen Unterscheidung zwischen Ver-
führern und Verführten keine Spur zu finden. Bunt durcheinan-
der und nebeneinander stehen in willkührlichen Gruppen Leichtsinn
und Bosheit, Arglist und Gutmüthigkeit, wissentliche Schlechtig-
keit und unwissentliche Verblendung, frevelhafter und verbreche-
rischer Hochmuth neben unzurechnungsfähiger und verzeihlicher
Niedergeschlagenheit, die trotzige Entschiedenheit für Das was
Unrecht ist, neben der zaghaften Unentschiedenheit für Das was
Recht ist. Man täuscht sich aber in hohem Maße, wenn man
glaubt, durch solche Maßregeln versöhnend zu wirken und be-
schwichtigend zu handeln. Nur Gerechtigkeit, nur die Sühne des
Unrechtes kann versöhnen; Willkühr aber und principlose Unge-
bühr kann nur erbittern. Durch die vorgeschlagene Amnestie wird
ein großer Theil gerade der gefährlichsten Feinde der Ordnung,
nämlich der intellectuellen Urheber der Revolution, die vielfach
zu klug und zu feige waren, um sich an die Spitze zu stellen, zu
vornehm um handgemein zu werden, zu verblüfft, daß ihnen die
durch sie aufgeregten, von ihnen aber nicht mehr lenksamen ochlo-
kratischen Elemente über den Kopf gewachsen waren, — der
wohlverdienten Strafe entzogen, sie werden aber durch die ihnen
gewordene unrechtmäßige Befreiung eben so wenig gewonnen,
durch die ihnen widerfahrene ungerechte Milde eben so wenig
versöhnt werden, als dies bei allen Amnestirten dieser Gat-
[Ende Spaltensatz]

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[0001] Mainzer Journal. Nro 267. Samstag, den 10. November. 1849. Rundschau. ✡ München 6. November. Es ist unsäglich, welche legis- latorische Trostlosigkeit, welch ein politischer Jammer bei unserer Deputirtenkammer und bei unserem Ministerium herrscht. Gerade als ob die Märzstürme des Jahres 1848 nicht gewesen, als ob die Revolution der Pfalz im Jahre 1849 nicht vorgefallen, als ob die Fäulniß unserer socialen Zustände keiner Beachtung werth wäre, werden von dem Ministerium leichtsinnige Gesetzesvor- schläge den Kammern unterbreitet, wird von den Kammern in frivoler Zeitverschwendung interpellirt, debattirt und decretirt. Es geschieht gar nichts, auch nicht das Mindeste um das Grund- ubel unserer Zeit, die bis in die untersten Schichten der Gesell- schaft gedrungene Jrreligiosität und Jmmoralität, zu heben und zu beseitigen. Man vergißt noch immer das Alte: « vanae sine moribus leges.» Außer der Legislation, außer der Politik liegt aber noch, freilich in genauem und nahem Zusammenhange mit unseren übrigen Verhältnissen, auch noch die Justiz im Argen. Die Gerechtigkeit ist nicht nur die heiligste Pflicht, sie ist auch die dringendste Schuld, welche der Staat zu lösen die Aufgabe hat, „denn wenn die Gerechtigkeit untergeht, so hat es keinen Werth, daß Menschen im Staate leben.“ Wie wird aber diese Pflicht er- füllt, wie diese Schuld bezahlt? Leider auf eine Weise, die den Sinn der Gerechtigkeit im Volke, wo er noch übrig geblieben ist, abstumpfen, die Begriffe verwirren und das Volk am Rechte irre machen muß. Wir sind wahrlich keine Freunde von drakoni- schen Gesetzen und drakonischer Rechtsübung, wir wissen es sehr wohl, daß wie das Sprüchwort sagt, zu scharf nicht schneidet. Allein etwas Anderes ist es, mit empörender Grausamkeit rück- sichtslos überall die Schneide des juristischen Messers anzusetzen, — etwas Anderes, mit sentimentaler Erbärmlichkeit kaum den Rücken des Messers fühlen zu lassen, um ja nicht wehe zu thun. Wenn man hören und lesen muß, wie in der Pfalz, diesem leider zu Schande gewordenen Eldorado der Jntelligenz und Ge- setzlichkeit, selbst gerichtliche Beamte, die ihren Eid verletzt, die Treue gegen ihren König verrathen, ihre Würde und Stellung zur Verkehrung aller legalen Ordnung mißbraucht haben, nicht etwa verdientermaßen ernst bestraft werden, sondern rein discip- linarisch mit der lächerlichen Strafe einer Amtssuspension von wenigen Monaten, selbst von wenigen Tagen davonkommen, so muß man wünschen, daß lieber gar nicht gestraft, als auf diese Weise der Gerechtigkeit laut Hohn gesprochen und dadurch das ohnehin nur zu sehr geschwächte Ansehen der Obrigkeit unter Null herabgedrückt werde. Kann der eidesflüchtige, an Treue insolvent gewordene Beamte, sey er Richter, oder Gerichtsschreiber, oder Notar, oder öffentlicher Beamter sonstiger Art, noch auf Ver- trauen Anspruch machen, kann das Volk noch Zutrauen zu ihm fassen? Jedes Amt, das vergesse man doch ja nie, geht in dem Beamten auf, es subjectivirt sich in ihm nothwendiger Weise. Die abstracte Jdee des Amtes ist seelenlos und unwirksam, wenn nicht die concrete Erscheinung des Beamten im Leben Bedeutung und Gehalt gibt. Wie der Beamte ist, so ist das Amt, die Würde oder Unwürde des letzteren steht in dieser sublunarischen Welt in geradem Verhältnisse mit der Würde oder Unwürde des Ersteren. Doch wenden wir uns von dieser juristischen Nachtseite weg. Wir haben sie blos berührt, weil wir der Justiz in intimster Gesell- schaft mit unserer Kammerlegislation und Ministerialpolitik be- gegneten, denn diese beiden Factoren unserer gebrechlichen Staats- maschine geben eigentlich die Tonart an, auf welcher die Justiz fortspielte oder mitspielte. Wir wollen hier von der gesetzgeberi- schen Jmpotenz einzelner Personen schweigen, wir wollen nur in wenigen Zügen vom Großen und Ganzen sprechen. Die Presse, das haben wir Alle erlebt und erfahren, ist der Haupthebel, womit die Partei des Umsturzes die staatliche Ord- nung aus den Angeln gehoben und die unglückliche Menge be- thört oder in Bewegung gesetzt hat, und in der Bethörung und Bewegung fortan zu erhalten sucht. Gegen Preßzügellosigkeit ist der einzige Schutz bei Recht und Gericht zu finden. Die Haupt- sache ist jedoch hier, wie bei allem Recht, das Gericht. Je nachdem dieses componirt ist, wird das Recht in seiner urtheils- mäßig sich kundgebenden Manifestation entweder als sichernde Macht, oder als schutzwidrige, ja gefährdende Potenz sich bewäh- ren. Schlimmeren Händen kann aber gerade jetzt namentlich in Preßsachen die gerichtliche Gewalt nicht anvertraut werden, als den Händen der Geschworenen, jetzt wo allenthalben die Preßsachen dadurch zur reinen Parteisache geworden sind, daß die Geschworenen ihre Parteiansichten nicht dem Rechte, sondern das Recht ihrer Parteiansicht unterordnen, und eben wieder durch die Presse zu solchem Verfahren aufgefordert und planmä- ßig bearbeitet werden. Jn dem einem Geschworenengerichte un- terworfenen Preßproceß handelt es sich leider nicht um den Sieg des Rechtes, sondern um den Sieg der Tagesmeinung, so daß man hier nicht von einem Veredictum, sondern von einem Male- dictum der Geschworenen reden muß. Und jetzt, wo die tägliche Erfahrung diese traurige Resultate zeigt, wo die Geschworenen aus Leuten bestehen, die der Regel nach theils zu schwach und furchtsam sind um es zu wagen, das für wahr Erkannte muthig auszusprechen, theils zu verdorben, um das als wahr Erkannte aussprechen zu wollen, — überläßt man in Bayern die Preßpro- cesse den Geschworenen und leistet auf diese Weise der Anarchie und den anarchischen Elementen Vorschub, stellt die Freunde recht- licher Ordnung rechtlos, und sichert den Feinden der rechtlichen Ordnung den Triumph des Unrechtes. Wenn man es recht ab- sichtlich darauf anlegen wollte, doch ja recht schnell die Zeit her- beizuführen, wo alles Recht zum Faustrechte wird, man könnte es nicht besser beginnen. Dazu kommt nun noch der von den Ministern der Kammer vorgelegte Entwurf eines Amnestiegesetzes, wodurch das Maß der Rechts= und Begriffsverwirrung ganz voll wird. Auch wir sind weit entfernt, Gegner einer weisen Amnestie zu seyn, wir halten im Gegentheile eine Amnestie bei Rebellionen und Re- volutionen für ein Postulat der Gerechtigkeit, welche nicht will, daß Alle, welche mit gefangen, auch mit gehangen wer- den sollen sondern gebietet, daß nur den wahrhaft Schuldigen, diesen aber auch kategorisch die verschuldete Strafe treffe, daß dagegen die große Masse der Blinden, Derer, die nicht wissen, was sie thuen, welche ohne Ueberlegung fortgerissen werden, welche mehr impetuos als dolos handeln, straffrei bleiben. Wir haben daher die königlichen Worte der Thronrede, wornach die Ver- führten von den Verführern unterschieden werden sollen, mit Freu- den begrüßt; aber unsere Freude ist in Trauer verwandelt worden, als wir den Entwurf des Amnestiegesetzes zu hören und zu sehen bekamen. Hier ist von einer weisen Unterscheidung zwischen Ver- führern und Verführten keine Spur zu finden. Bunt durcheinan- der und nebeneinander stehen in willkührlichen Gruppen Leichtsinn und Bosheit, Arglist und Gutmüthigkeit, wissentliche Schlechtig- keit und unwissentliche Verblendung, frevelhafter und verbreche- rischer Hochmuth neben unzurechnungsfähiger und verzeihlicher Niedergeschlagenheit, die trotzige Entschiedenheit für Das was Unrecht ist, neben der zaghaften Unentschiedenheit für Das was Recht ist. Man täuscht sich aber in hohem Maße, wenn man glaubt, durch solche Maßregeln versöhnend zu wirken und be- schwichtigend zu handeln. Nur Gerechtigkeit, nur die Sühne des Unrechtes kann versöhnen; Willkühr aber und principlose Unge- bühr kann nur erbittern. Durch die vorgeschlagene Amnestie wird ein großer Theil gerade der gefährlichsten Feinde der Ordnung, nämlich der intellectuellen Urheber der Revolution, die vielfach zu klug und zu feige waren, um sich an die Spitze zu stellen, zu vornehm um handgemein zu werden, zu verblüfft, daß ihnen die durch sie aufgeregten, von ihnen aber nicht mehr lenksamen ochlo- kratischen Elemente über den Kopf gewachsen waren, — der wohlverdienten Strafe entzogen, sie werden aber durch die ihnen gewordene unrechtmäßige Befreiung eben so wenig gewonnen, durch die ihnen widerfahrene ungerechte Milde eben so wenig versöhnt werden, als dies bei allen Amnestirten dieser Gat-

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 267. Mainz, 10. November 1849, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal267_1849/1>, abgerufen am 16.05.2024.