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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 30. Stuttgart/Tübingen, 27. Juli 1856.

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[Beginn Spaltensatz] entspränge. Da sie nun ein katholischer geschaffen hat,
weil er sie allein schaffen konnte, so wäre es eine Un-
wahrheit, das Verlangen zu stellen, seine Phantasie
sollte jene Männer beherbergen. Die Frage jedoch:
wozu das Gemälde, wie es ist, in einer protestantischen
Kirche dienlich sey? läßt sich wohl stellen. Für uns
existiren die himmlischen Heerschaaren nicht in der Ge-
staltung, in welcher sie der katholischen Tradition ge-
läufig sind. Cornelius Darstellungen aus der heiligen
Schrift sind erhaben und ehrfurchterweckend, sie sind
gezeugt von einer machtvollen Phantasie, eines um-
fassenden Geistes, aber im Gottesdienste der prote-
stantischen Kirche können sie keine Stelle einnehmen;
denn unser Gottesdienst hat nichts zu thun mit gemal-
ten Marien und Heiligen, unsere Kirche besteht nicht
in den Mauern des Gebäudes, sondern in der versam-
melten Gemeinde, und alle Vereine zur Beförderung
christlicher Kunst müssen ihr Ziel verfehlen, da gar
keines vorhanden ist. Die protestantische Kirche ist keine
Fortbildung der katholischen; sie hat sich losgerissen von
ihr. Sie kennt keine kirchliche Entwicklung im Sinne
der katholischen Tradition, sondern nur eine historische,
welche der Wissenschaft anheim fällt. Sie geht einfach
zurück auf das Forschen in der Bibel und auf das ei-
gene Gewissen des Einzelnen. An die ersten Zeiten
knüpft sie frei von frischem an, und aus ihren Zeugnissen
und aus sich selber schöpft sie Kraft und Berechtigung.

Eine christliche Kunst aber ist ohne Tradition gar
nicht denkbar. Um eine protestantische Kirchenmalerei
erstehen zu lassen, bedürfte es jenes, den romanischen
Völkern innewohnenden Dranges, am Sichtbaren, Greif-
baren seine Andacht zu entzünden, der den Deutschen fremd
ist. ( ? ) Uns ist das Göttliche gegenwärtig, auch wenn wir
es nicht an die Wand unseres Hauses gemalt besitzen,
oder seine Zeichen um den Hals tragen. Wir glauben
nicht an wunderthätige Bilder und geweihte Medaillen.
Jenen aber ist die Malerei ein Bedürfniß der Natur,
sie ist ihnen unentbehrlich; uns erhebt das Wort und
der Gedanke. Jene besitzen in Wahrheit eine Kunst,
deren Produkte für ihr geistiges Leben nothwendige
Nahrung sind, wie Brod und Fleisch und Früchte für
das leibliche, wir dagegen haben nur Künstler, deren
Werke uns nur durch die und für die begeistern, welche
sie hervorbrachten. Bei uns steht jeder große Meister
über seiner Arbeit. Als ein spanischer Bildhauer ein
Jesusbild zornig in Stücke schlug, weil ihm der Be-
steller den bedungenen Preis nicht zahlen wollte, ver-
urtheilte ihn die Jnquisition als einen Verbrecher ge-
gen ein Heiligthum. Der Marmor, der seine Gestalt
vom Künstler empfangen, war durch seine Form zu
einem Theile dessen geworden, den er darstellte. Wäre
[Spaltenumbruch] dergleichen auch heute vielleicht unmöglich, so ist doch
die Anschauung die alte geblieben, und ehe diese nicht
die unsrige wird, werden wir keine kirchliche Kunst be-
sitzen. Der Unterschied beider Richtungen ist aber ein
durchgreifender und seine nothwendigen Folgen sind nicht
dadurch zu tilgen, daß er verneint oder ignorirt wird.

Wer sieht in Raphaels und Murillos Madonnen
mehr, als die Verschmelzung der höchsten Unschuld und
Schönheit? -- Thränen können sie erregen, aber keine
Andacht -- wer in Giotto's Bildern etwas höheres, als
den reinen frommen Sinn ihres Meisters? Correggio's
Ecce Homo, ein Kopf, der, verklärt von unendlichen
Schmerzen, mit seinen dunkeln Augen uns anschaut wie
durch einen Schleier von Thränen, erweckt er mehr als
eine wehmüthige Bewunderung? Sollte er wirklich mehr
erregen, dann müßte uns der durch Jahrhunderte fort-
gebildete byzantinische Urtypus dieses Antlitzes und die
Gewißheit, daß es das wahrhaftige Porträt dessen sey,
den es vorstellen soll, ein Gegenstand frühester Erin-
nerung, fortwährenden unbewußten Betrachtens seyn,
von dem getrennt wir Christus gar nicht denken könnten.
Aber selbst wenn diese äußerlichen Umstände zufällig
einträfen, unser Geist würde sich doch nicht dem Bilde
unterordnen. Wir haben nicht das formende, formbe-
dürfende Element der Jtaliener in uns. Wenn wir
im neuen Testamente lesen, braucht es keines Bildes:
das Wort genügt uns, an das Wort glauben wir und
nicht an das Gemälde.

Wie sehr für unsern Glauben selbst ein Bildniß
Christi unwesentlich sey, dafür gibt die Gesichtsbildung
all unserer Christusköpfe den Beweis. Ueberall sehen
wir doch nur den südlichen, fremden Typus nachge-
ahmt. Jene Völker, wie sie die Jungfrau Maria als
eine Verkörperung alles dessen zu schauen begehrten,
was ihnen in einer Frau erhaben, schön und unbe-
rührt erschien, machten die Gestalt Christi in derselben
Weise zum Jnbegriff männlicher Schönheit. Ohne es
zu wissen, wie die Griechen sich selbst in ihren Göttern
verherrlichten, idealisirten sie die Blüthe ihrer Jugend
in diesen beiden, während Elisabeth auf ähnlichem
Wege zum Urbilde einer betagten Frau, Joseph zu dem
eines alten Mannes, und das Jesuskind zu dem eines
Kindes ward.

Die romanischen Völker verlangen nach der Schön-
heit. Sich selbst wollen sie im höchsten Glanze er-
blicken, entzückt wollen sie seyn von dem, was sie sehen,
die Ekstase ist der Höhepunkt ihres Daseyns. Wo aber
findet sich bei uns ein Trieb wie dieser? Die germa-
nische Race fühlt nicht das Bedürfniß, sich verklärt zu
sehen. Statt sich in dem zu bewundern, was groß
und schön ist in ihr, sucht sie das Unvollkommene lieber
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] entspränge. Da sie nun ein katholischer geschaffen hat,
weil er sie allein schaffen konnte, so wäre es eine Un-
wahrheit, das Verlangen zu stellen, seine Phantasie
sollte jene Männer beherbergen. Die Frage jedoch:
wozu das Gemälde, wie es ist, in einer protestantischen
Kirche dienlich sey? läßt sich wohl stellen. Für uns
existiren die himmlischen Heerschaaren nicht in der Ge-
staltung, in welcher sie der katholischen Tradition ge-
läufig sind. Cornelius Darstellungen aus der heiligen
Schrift sind erhaben und ehrfurchterweckend, sie sind
gezeugt von einer machtvollen Phantasie, eines um-
fassenden Geistes, aber im Gottesdienste der prote-
stantischen Kirche können sie keine Stelle einnehmen;
denn unser Gottesdienst hat nichts zu thun mit gemal-
ten Marien und Heiligen, unsere Kirche besteht nicht
in den Mauern des Gebäudes, sondern in der versam-
melten Gemeinde, und alle Vereine zur Beförderung
christlicher Kunst müssen ihr Ziel verfehlen, da gar
keines vorhanden ist. Die protestantische Kirche ist keine
Fortbildung der katholischen; sie hat sich losgerissen von
ihr. Sie kennt keine kirchliche Entwicklung im Sinne
der katholischen Tradition, sondern nur eine historische,
welche der Wissenschaft anheim fällt. Sie geht einfach
zurück auf das Forschen in der Bibel und auf das ei-
gene Gewissen des Einzelnen. An die ersten Zeiten
knüpft sie frei von frischem an, und aus ihren Zeugnissen
und aus sich selber schöpft sie Kraft und Berechtigung.

Eine christliche Kunst aber ist ohne Tradition gar
nicht denkbar. Um eine protestantische Kirchenmalerei
erstehen zu lassen, bedürfte es jenes, den romanischen
Völkern innewohnenden Dranges, am Sichtbaren, Greif-
baren seine Andacht zu entzünden, der den Deutschen fremd
ist. ( ? ) Uns ist das Göttliche gegenwärtig, auch wenn wir
es nicht an die Wand unseres Hauses gemalt besitzen,
oder seine Zeichen um den Hals tragen. Wir glauben
nicht an wunderthätige Bilder und geweihte Medaillen.
Jenen aber ist die Malerei ein Bedürfniß der Natur,
sie ist ihnen unentbehrlich; uns erhebt das Wort und
der Gedanke. Jene besitzen in Wahrheit eine Kunst,
deren Produkte für ihr geistiges Leben nothwendige
Nahrung sind, wie Brod und Fleisch und Früchte für
das leibliche, wir dagegen haben nur Künstler, deren
Werke uns nur durch die und für die begeistern, welche
sie hervorbrachten. Bei uns steht jeder große Meister
über seiner Arbeit. Als ein spanischer Bildhauer ein
Jesusbild zornig in Stücke schlug, weil ihm der Be-
steller den bedungenen Preis nicht zahlen wollte, ver-
urtheilte ihn die Jnquisition als einen Verbrecher ge-
gen ein Heiligthum. Der Marmor, der seine Gestalt
vom Künstler empfangen, war durch seine Form zu
einem Theile dessen geworden, den er darstellte. Wäre
[Spaltenumbruch] dergleichen auch heute vielleicht unmöglich, so ist doch
die Anschauung die alte geblieben, und ehe diese nicht
die unsrige wird, werden wir keine kirchliche Kunst be-
sitzen. Der Unterschied beider Richtungen ist aber ein
durchgreifender und seine nothwendigen Folgen sind nicht
dadurch zu tilgen, daß er verneint oder ignorirt wird.

Wer sieht in Raphaels und Murillos Madonnen
mehr, als die Verschmelzung der höchsten Unschuld und
Schönheit? — Thränen können sie erregen, aber keine
Andacht — wer in Giotto's Bildern etwas höheres, als
den reinen frommen Sinn ihres Meisters? Correggio's
Ecce Homo, ein Kopf, der, verklärt von unendlichen
Schmerzen, mit seinen dunkeln Augen uns anschaut wie
durch einen Schleier von Thränen, erweckt er mehr als
eine wehmüthige Bewunderung? Sollte er wirklich mehr
erregen, dann müßte uns der durch Jahrhunderte fort-
gebildete byzantinische Urtypus dieses Antlitzes und die
Gewißheit, daß es das wahrhaftige Porträt dessen sey,
den es vorstellen soll, ein Gegenstand frühester Erin-
nerung, fortwährenden unbewußten Betrachtens seyn,
von dem getrennt wir Christus gar nicht denken könnten.
Aber selbst wenn diese äußerlichen Umstände zufällig
einträfen, unser Geist würde sich doch nicht dem Bilde
unterordnen. Wir haben nicht das formende, formbe-
dürfende Element der Jtaliener in uns. Wenn wir
im neuen Testamente lesen, braucht es keines Bildes:
das Wort genügt uns, an das Wort glauben wir und
nicht an das Gemälde.

Wie sehr für unsern Glauben selbst ein Bildniß
Christi unwesentlich sey, dafür gibt die Gesichtsbildung
all unserer Christusköpfe den Beweis. Ueberall sehen
wir doch nur den südlichen, fremden Typus nachge-
ahmt. Jene Völker, wie sie die Jungfrau Maria als
eine Verkörperung alles dessen zu schauen begehrten,
was ihnen in einer Frau erhaben, schön und unbe-
rührt erschien, machten die Gestalt Christi in derselben
Weise zum Jnbegriff männlicher Schönheit. Ohne es
zu wissen, wie die Griechen sich selbst in ihren Göttern
verherrlichten, idealisirten sie die Blüthe ihrer Jugend
in diesen beiden, während Elisabeth auf ähnlichem
Wege zum Urbilde einer betagten Frau, Joseph zu dem
eines alten Mannes, und das Jesuskind zu dem eines
Kindes ward.

Die romanischen Völker verlangen nach der Schön-
heit. Sich selbst wollen sie im höchsten Glanze er-
blicken, entzückt wollen sie seyn von dem, was sie sehen,
die Ekstase ist der Höhepunkt ihres Daseyns. Wo aber
findet sich bei uns ein Trieb wie dieser? Die germa-
nische Race fühlt nicht das Bedürfniß, sich verklärt zu
sehen. Statt sich in dem zu bewundern, was groß
und schön ist in ihr, sucht sie das Unvollkommene lieber
[Ende Spaltensatz]

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Die protestantische Kirche ist keine Fortbildung der katholischen; sie hat sich losgerissen von ihr. Sie kennt keine kirchliche Entwicklung im Sinne der katholischen Tradition, sondern nur eine historische, welche der Wissenschaft anheim fällt. Sie geht einfach zurück auf das Forschen in der Bibel und auf das ei- gene Gewissen des Einzelnen. An die ersten Zeiten knüpft sie frei von frischem an, und aus ihren Zeugnissen und aus sich selber schöpft sie Kraft und Berechtigung. Eine christliche Kunst aber ist ohne Tradition gar nicht denkbar. Um eine protestantische Kirchenmalerei erstehen zu lassen, bedürfte es jenes, den romanischen Völkern innewohnenden Dranges, am Sichtbaren, Greif- baren seine Andacht zu entzünden, der den Deutschen fremd ist. ( ? ) Uns ist das Göttliche gegenwärtig, auch wenn wir es nicht an die Wand unseres Hauses gemalt besitzen, oder seine Zeichen um den Hals tragen. Wir glauben nicht an wunderthätige Bilder und geweihte Medaillen. Jenen aber ist die Malerei ein Bedürfniß der Natur, sie ist ihnen unentbehrlich; uns erhebt das Wort und der Gedanke. Jene besitzen in Wahrheit eine Kunst, deren Produkte für ihr geistiges Leben nothwendige Nahrung sind, wie Brod und Fleisch und Früchte für das leibliche, wir dagegen haben nur Künstler, deren Werke uns nur durch die und für die begeistern, welche sie hervorbrachten. Bei uns steht jeder große Meister über seiner Arbeit. Als ein spanischer Bildhauer ein Jesusbild zornig in Stücke schlug, weil ihm der Be- steller den bedungenen Preis nicht zahlen wollte, ver- urtheilte ihn die Jnquisition als einen Verbrecher ge- gen ein Heiligthum. Der Marmor, der seine Gestalt vom Künstler empfangen, war durch seine Form zu einem Theile dessen geworden, den er darstellte. Wäre dergleichen auch heute vielleicht unmöglich, so ist doch die Anschauung die alte geblieben, und ehe diese nicht die unsrige wird, werden wir keine kirchliche Kunst be- sitzen. Der Unterschied beider Richtungen ist aber ein durchgreifender und seine nothwendigen Folgen sind nicht dadurch zu tilgen, daß er verneint oder ignorirt wird. Wer sieht in Raphaels und Murillos Madonnen mehr, als die Verschmelzung der höchsten Unschuld und Schönheit? — Thränen können sie erregen, aber keine Andacht — wer in Giotto's Bildern etwas höheres, als den reinen frommen Sinn ihres Meisters? Correggio's Ecce Homo, ein Kopf, der, verklärt von unendlichen Schmerzen, mit seinen dunkeln Augen uns anschaut wie durch einen Schleier von Thränen, erweckt er mehr als eine wehmüthige Bewunderung? Sollte er wirklich mehr erregen, dann müßte uns der durch Jahrhunderte fort- gebildete byzantinische Urtypus dieses Antlitzes und die Gewißheit, daß es das wahrhaftige Porträt dessen sey, den es vorstellen soll, ein Gegenstand frühester Erin- nerung, fortwährenden unbewußten Betrachtens seyn, von dem getrennt wir Christus gar nicht denken könnten. Aber selbst wenn diese äußerlichen Umstände zufällig einträfen, unser Geist würde sich doch nicht dem Bilde unterordnen. Wir haben nicht das formende, formbe- dürfende Element der Jtaliener in uns. Wenn wir im neuen Testamente lesen, braucht es keines Bildes: das Wort genügt uns, an das Wort glauben wir und nicht an das Gemälde. Wie sehr für unsern Glauben selbst ein Bildniß Christi unwesentlich sey, dafür gibt die Gesichtsbildung all unserer Christusköpfe den Beweis. Ueberall sehen wir doch nur den südlichen, fremden Typus nachge- ahmt. Jene Völker, wie sie die Jungfrau Maria als eine Verkörperung alles dessen zu schauen begehrten, was ihnen in einer Frau erhaben, schön und unbe- rührt erschien, machten die Gestalt Christi in derselben Weise zum Jnbegriff männlicher Schönheit. 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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 30. Stuttgart/Tübingen, 27. Juli 1856, S. 698. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt30_1856/2>, abgerufen am 01.06.2024.