Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

[Beginn Spaltensatz] wirbel. Der Tambour der Franzosen, welcher mit
der Truppe so eben hereinzog zur Beichte, hat seine
Trommel vor sich hingestellt auf das alte schöne Pa-
viment, als müsse die Trommel auch mit beichten. So
schlendert man von einer Kirche in die andere: in die
Rotunda, das majestätisch trauernde Pantheon, in dem
sich Raphael gebettet hat, wie auf der Schwelle zwi-
schen dem Hellenen= und Christenthum; in die Minerva,
den bunten Marmorpalast, mehr ein verschwenderischer
Krönungssaal als ein Gotteshaus. Ueberall liegt schon
der Heiland noch dunkel schlummernd in seinem Grabe
in der Kapelle zwischen einem Walde von silbernen
Kandelabern und unangezündeten Kerzen, noch gleich-
sam verlassen, obschon mancher Beter bereits tief ver-
sunken davor kniet. Der Vorhang ist noch nicht auf-
gezogen. Man stößt auf Gestalten, die so zerknirscht
das Haupt auf den Betschemel legen, daß man sich
sagt, sie müssen viel zu bereuen haben.

Der Gründonnerstag fand uns schon wieder früh
auf dem Platze. Heute war die Tribüne auf der an-
dern Seite der Confession St. Peters errichtet, unter
der nördlichen Kuppel des Querschiffs. Alte Gobelins,
die schon mancher Fuß betreten hat, decken die niedri-
gen, von der Balustrade umschlossenen Stufen, auf
denen, während der Kammerherr in spanischem Costüm
durch die Reihen her und hin wandelt, als wäre er
der Hirt, welcher diese Schaar von schwarzen Läm-
mern weiden muß, Damen aller Nationen fast orienta-
talisch in Demuth kauern, wofern sie es nicht vorziehen,
in ihren vielfältigen Mantillen und Schleiern, an die
Brustwehr gelehnt, sich in Wort oder Blick mit der
Männerwelt zu unterhalten, und da blitzt ein lebhaftes
Kleingewehrfeuer her und hin. Alle Uniformen, alle
Trachten, Husaren, Türken, die unbegreiflichsten Or-
densbänder und Sterne schwimmen dort durcheinander,
ringsum blinkende Hellebarden, Soldatenbärte, die
Spalier machen. Die rothdamastenen Logen dekorirt
die Diplomatie. Ueber dem Throne des Papstes hat
man einen Gobelin der Transfiguration Raphaels, und
auf der Mauer, an welcher die Pilger sitzen, einen der
Cena nach Leonardo ausgespannt. Schon zieht mit
zahllosen Lichtern die Procession durch das Hauptschiff
nach dem Chor, indeß vom Balkon an einem der
Pfeiler der großen Kuppel die Reliquien, hoch erhoben
in Priesterhand, der knieenden Menge gezeigt werden.
Eine Schaar weißer Chorknaben gleich Tauben, die
sich niederlassen, gruppirt sich am Hochaltar unter
St. Peters Grabbaldachin, um herüberzulugen nach
dem bevorstehenden Schauspiele. Die Menschen hoch
oben auf der Galerie der Kuppel sind wie die kleinsten
Mücken anzuschauen.

[Spaltenumbruch]

Jetzt tritt der Papst, ganz weiß gekleidet, mit sei-
nem Gefolge aus dem zwischen den Logen niederwallen-
den Purpurvorhange. Man trägt die Blumensträuße
nach, das silberne Becken, die dreizehn Handtücher, das
kleine Schürzchen von Battist, mit Spitzen besetzt,
dessen sich der heilige Vater gleich bedienen wird, wenn
er sich den Apostelgreisen nähert, welche übrigens in
ihren hohen weißen Mützen wie arme Sünder aus-
sehen, die man zum Tode führen soll, oder noch schlim-
mer, wie Pierrots. So oft der Statthalter Christi
einem der Pilgrime den Fuß gewaschen hat, küßt er
diesen Fuß. Jeder der Greise, wenn der Pontifex
kommt, ihm diesen Dienst der Liebe und Demuth zu
leisten, macht eine abwehrende Bewegung. Es bleibt
doch ein rührendes Symbol in seiner alljährlichen Er-
neuerung. Zu beklagen ist, daß man bei den Cere-
monien, wie überhaupt in der ganzen Andacht der
Charwoche, sich beständig durch das Gaffen der Touri-
sten gestört findet, deren naive Neugier die Grenzen
des Anstandes häufig überschreitet. Was der Jtaliener,
der einen so feinen Takt, eine so zarte Höflichkeit des
Herzens hat, dabei von den "Forestieri" denken mag?
Abgesehen von der Scheu vor dem Mißbrauch des
Gastrechts, sollte man doch mindestens so viel geschicht-
lichen Sinn haben, um hier eine angemessene Haltung
zu beobachten. Selbst der Protestant muß Ehrfurcht
für einen Kultus hegen, dessen starker Einheit wir alles
durch die Nacht der Zeiten überkommene Wissen und
Glauben verdanken. Gerade unter den sogenannten Ge-
bildeten drängt sich leider bei solchen Gelegenheiten oft
eine innere Rohheit vor. Es handelte sich davon, über
der Fußwaschung den Segen des Papstes von der Loggia
herab und die Cena oben in der Halle der Kirche
nicht zu versäumen. Trotz unserer Eintrittskarten muß-
ten wir darauf verzichten, Zeuge des Mahls zu seyn,
bei welchem der heilige Vater wiederum die Armen
bedient, gleich dem großen Vorgänger Gregor, der es
täglich an seiner Marmortafel that. Noch während wir
uns in der Tribune eingekeilt sahen, versicherte man
uns, daß oben bei der Cena die Menge fast ersticke.
Jndessen trieben britische Damen es so weit, daß sie
noch während der " lavanda " über unsere Balustrade vol-
tigirten, mittelst Stühlen, welche ihnen ihre Cavaliere
von der andern Seite herbeischleppten, und wir hörten
noch einige ihrer Landsmänninnen sich groß darüber
verwundern, daß die Schweizer Gardisten sich über die
Episode aufhielten. Wir werden bald Anlaß haben, ein
Seitenstück zu dieser Scene zu constatiren.

Schon nach wenigen Stunden hält unsere Equipage
wieder am Vatikan. Durch die Vorhalle mit der Con-
stantinsstatue winden wir uns zwischen auf= und
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] wirbel. Der Tambour der Franzosen, welcher mit
der Truppe so eben hereinzog zur Beichte, hat seine
Trommel vor sich hingestellt auf das alte schöne Pa-
viment, als müsse die Trommel auch mit beichten. So
schlendert man von einer Kirche in die andere: in die
Rotunda, das majestätisch trauernde Pantheon, in dem
sich Raphael gebettet hat, wie auf der Schwelle zwi-
schen dem Hellenen= und Christenthum; in die Minerva,
den bunten Marmorpalast, mehr ein verschwenderischer
Krönungssaal als ein Gotteshaus. Ueberall liegt schon
der Heiland noch dunkel schlummernd in seinem Grabe
in der Kapelle zwischen einem Walde von silbernen
Kandelabern und unangezündeten Kerzen, noch gleich-
sam verlassen, obschon mancher Beter bereits tief ver-
sunken davor kniet. Der Vorhang ist noch nicht auf-
gezogen. Man stößt auf Gestalten, die so zerknirscht
das Haupt auf den Betschemel legen, daß man sich
sagt, sie müssen viel zu bereuen haben.

Der Gründonnerstag fand uns schon wieder früh
auf dem Platze. Heute war die Tribüne auf der an-
dern Seite der Confession St. Peters errichtet, unter
der nördlichen Kuppel des Querschiffs. Alte Gobelins,
die schon mancher Fuß betreten hat, decken die niedri-
gen, von der Balustrade umschlossenen Stufen, auf
denen, während der Kammerherr in spanischem Costüm
durch die Reihen her und hin wandelt, als wäre er
der Hirt, welcher diese Schaar von schwarzen Läm-
mern weiden muß, Damen aller Nationen fast orienta-
talisch in Demuth kauern, wofern sie es nicht vorziehen,
in ihren vielfältigen Mantillen und Schleiern, an die
Brustwehr gelehnt, sich in Wort oder Blick mit der
Männerwelt zu unterhalten, und da blitzt ein lebhaftes
Kleingewehrfeuer her und hin. Alle Uniformen, alle
Trachten, Husaren, Türken, die unbegreiflichsten Or-
densbänder und Sterne schwimmen dort durcheinander,
ringsum blinkende Hellebarden, Soldatenbärte, die
Spalier machen. Die rothdamastenen Logen dekorirt
die Diplomatie. Ueber dem Throne des Papstes hat
man einen Gobelin der Transfiguration Raphaels, und
auf der Mauer, an welcher die Pilger sitzen, einen der
Cena nach Leonardo ausgespannt. Schon zieht mit
zahllosen Lichtern die Procession durch das Hauptschiff
nach dem Chor, indeß vom Balkon an einem der
Pfeiler der großen Kuppel die Reliquien, hoch erhoben
in Priesterhand, der knieenden Menge gezeigt werden.
Eine Schaar weißer Chorknaben gleich Tauben, die
sich niederlassen, gruppirt sich am Hochaltar unter
St. Peters Grabbaldachin, um herüberzulugen nach
dem bevorstehenden Schauspiele. Die Menschen hoch
oben auf der Galerie der Kuppel sind wie die kleinsten
Mücken anzuschauen.

[Spaltenumbruch]

Jetzt tritt der Papst, ganz weiß gekleidet, mit sei-
nem Gefolge aus dem zwischen den Logen niederwallen-
den Purpurvorhange. Man trägt die Blumensträuße
nach, das silberne Becken, die dreizehn Handtücher, das
kleine Schürzchen von Battist, mit Spitzen besetzt,
dessen sich der heilige Vater gleich bedienen wird, wenn
er sich den Apostelgreisen nähert, welche übrigens in
ihren hohen weißen Mützen wie arme Sünder aus-
sehen, die man zum Tode führen soll, oder noch schlim-
mer, wie Pierrots. So oft der Statthalter Christi
einem der Pilgrime den Fuß gewaschen hat, küßt er
diesen Fuß. Jeder der Greise, wenn der Pontifex
kommt, ihm diesen Dienst der Liebe und Demuth zu
leisten, macht eine abwehrende Bewegung. Es bleibt
doch ein rührendes Symbol in seiner alljährlichen Er-
neuerung. Zu beklagen ist, daß man bei den Cere-
monien, wie überhaupt in der ganzen Andacht der
Charwoche, sich beständig durch das Gaffen der Touri-
sten gestört findet, deren naive Neugier die Grenzen
des Anstandes häufig überschreitet. Was der Jtaliener,
der einen so feinen Takt, eine so zarte Höflichkeit des
Herzens hat, dabei von den „Forestieri“ denken mag?
Abgesehen von der Scheu vor dem Mißbrauch des
Gastrechts, sollte man doch mindestens so viel geschicht-
lichen Sinn haben, um hier eine angemessene Haltung
zu beobachten. Selbst der Protestant muß Ehrfurcht
für einen Kultus hegen, dessen starker Einheit wir alles
durch die Nacht der Zeiten überkommene Wissen und
Glauben verdanken. Gerade unter den sogenannten Ge-
bildeten drängt sich leider bei solchen Gelegenheiten oft
eine innere Rohheit vor. Es handelte sich davon, über
der Fußwaschung den Segen des Papstes von der Loggia
herab und die Cena oben in der Halle der Kirche
nicht zu versäumen. Trotz unserer Eintrittskarten muß-
ten wir darauf verzichten, Zeuge des Mahls zu seyn,
bei welchem der heilige Vater wiederum die Armen
bedient, gleich dem großen Vorgänger Gregor, der es
täglich an seiner Marmortafel that. Noch während wir
uns in der Tribune eingekeilt sahen, versicherte man
uns, daß oben bei der Cena die Menge fast ersticke.
Jndessen trieben britische Damen es so weit, daß sie
noch während der » lavanda « über unsere Balustrade vol-
tigirten, mittelst Stühlen, welche ihnen ihre Cavaliere
von der andern Seite herbeischleppten, und wir hörten
noch einige ihrer Landsmänninnen sich groß darüber
verwundern, daß die Schweizer Gardisten sich über die
Episode aufhielten. Wir werden bald Anlaß haben, ein
Seitenstück zu dieser Scene zu constatiren.

Schon nach wenigen Stunden hält unsere Equipage
wieder am Vatikan. Durch die Vorhalle mit der Con-
stantinsstatue winden wir uns zwischen auf= und
[Ende Spaltensatz]

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0004" n="844"/><fw type="pageNum" place="top">844</fw><cb type="start"/>
wirbel. Der Tambour der Franzosen, welcher mit<lb/>
der Truppe so eben hereinzog zur Beichte, hat seine<lb/>
Trommel vor sich hingestellt auf das alte schöne Pa-<lb/>
viment, als müsse die Trommel auch mit beichten. So<lb/>
schlendert man von einer Kirche in die andere: in die<lb/>
Rotunda, das majestätisch trauernde Pantheon, in dem<lb/>
sich Raphael gebettet hat, wie auf der Schwelle zwi-<lb/>
schen dem Hellenen= und Christenthum; in die Minerva,<lb/>
den bunten Marmorpalast, mehr ein verschwenderischer<lb/>
Krönungssaal als ein Gotteshaus. Ueberall liegt schon<lb/>
der Heiland noch dunkel schlummernd in seinem Grabe<lb/>
in der Kapelle zwischen einem Walde von silbernen<lb/>
Kandelabern und unangezündeten Kerzen, noch gleich-<lb/>
sam verlassen, obschon mancher Beter bereits tief ver-<lb/>
sunken davor kniet. Der Vorhang ist noch nicht auf-<lb/>
gezogen. Man stößt auf Gestalten, die so zerknirscht<lb/>
das Haupt auf den Betschemel legen, daß man sich<lb/>
sagt, sie müssen viel zu bereuen haben.</p><lb/>
        <p>Der Gründonnerstag fand uns schon wieder früh<lb/>
auf dem Platze. Heute war die Tribüne auf der an-<lb/>
dern Seite der Confession St. Peters errichtet, unter<lb/>
der nördlichen Kuppel des Querschiffs. Alte Gobelins,<lb/>
die schon mancher Fuß betreten hat, decken die niedri-<lb/>
gen, von der Balustrade umschlossenen Stufen, auf<lb/>
denen, während der Kammerherr in spanischem Costüm<lb/>
durch die Reihen her und hin wandelt, als wäre er<lb/>
der Hirt, welcher diese Schaar von schwarzen Läm-<lb/>
mern weiden muß, Damen aller Nationen fast orienta-<lb/>
talisch in Demuth kauern, wofern sie es nicht vorziehen,<lb/>
in ihren vielfältigen Mantillen und Schleiern, an die<lb/>
Brustwehr gelehnt, sich in Wort oder Blick mit der<lb/>
Männerwelt zu unterhalten, und da blitzt ein lebhaftes<lb/>
Kleingewehrfeuer her und hin. Alle Uniformen, alle<lb/>
Trachten, Husaren, Türken, die unbegreiflichsten Or-<lb/>
densbänder und Sterne schwimmen dort durcheinander,<lb/>
ringsum blinkende Hellebarden, Soldatenbärte, die<lb/>
Spalier machen. Die rothdamastenen Logen dekorirt<lb/>
die Diplomatie. Ueber dem Throne des Papstes hat<lb/>
man einen Gobelin der Transfiguration Raphaels, und<lb/>
auf der Mauer, an welcher die Pilger sitzen, einen der<lb/>
Cena nach Leonardo ausgespannt. Schon zieht mit<lb/>
zahllosen Lichtern die Procession durch das Hauptschiff<lb/>
nach dem Chor, indeß vom Balkon an einem der<lb/>
Pfeiler der großen Kuppel die Reliquien, hoch erhoben<lb/>
in Priesterhand, der knieenden Menge gezeigt werden.<lb/>
Eine Schaar weißer Chorknaben gleich Tauben, die<lb/>
sich niederlassen, gruppirt sich am Hochaltar unter<lb/>
St. Peters Grabbaldachin, um herüberzulugen nach<lb/>
dem bevorstehenden Schauspiele. Die Menschen hoch<lb/>
oben auf der Galerie der Kuppel sind wie die kleinsten<lb/>
Mücken anzuschauen.</p><lb/>
        <cb n="2"/>
        <p>Jetzt tritt der Papst, ganz weiß gekleidet, mit sei-<lb/>
nem Gefolge aus dem zwischen den Logen niederwallen-<lb/>
den Purpurvorhange. Man trägt die Blumensträuße<lb/>
nach, das silberne Becken, die dreizehn Handtücher, das<lb/>
kleine Schürzchen von Battist, mit Spitzen besetzt,<lb/>
dessen sich der heilige Vater gleich bedienen wird, wenn<lb/>
er sich den Apostelgreisen nähert, welche übrigens in<lb/>
ihren hohen weißen Mützen wie arme Sünder aus-<lb/>
sehen, die man zum Tode führen soll, oder noch schlim-<lb/>
mer, wie Pierrots. So oft der Statthalter Christi<lb/>
einem der Pilgrime den Fuß gewaschen hat, küßt er<lb/>
diesen Fuß. Jeder der Greise, wenn der Pontifex<lb/>
kommt, ihm diesen Dienst der Liebe und Demuth zu<lb/>
leisten, macht eine abwehrende Bewegung. Es bleibt<lb/>
doch ein rührendes Symbol in seiner alljährlichen Er-<lb/>
neuerung. Zu beklagen ist, daß man bei den Cere-<lb/>
monien, wie überhaupt in der ganzen Andacht der<lb/>
Charwoche, sich beständig durch das Gaffen der Touri-<lb/>
sten gestört findet, deren naive Neugier die Grenzen<lb/>
des Anstandes häufig überschreitet. Was der Jtaliener,<lb/>
der einen so feinen Takt, eine so zarte Höflichkeit des<lb/>
Herzens hat, dabei von den &#x201E;Forestieri&#x201C; denken mag?<lb/>
Abgesehen von der Scheu vor dem Mißbrauch des<lb/>
Gastrechts, sollte man doch mindestens so viel geschicht-<lb/>
lichen Sinn haben, um hier eine angemessene Haltung<lb/>
zu beobachten. Selbst der Protestant muß Ehrfurcht<lb/>
für einen Kultus hegen, dessen starker Einheit wir alles<lb/>
durch die Nacht der Zeiten überkommene Wissen und<lb/>
Glauben verdanken. Gerade unter den sogenannten Ge-<lb/>
bildeten drängt sich leider bei solchen Gelegenheiten oft<lb/>
eine innere Rohheit vor. Es handelte sich davon, über<lb/>
der Fußwaschung den Segen des Papstes von der Loggia<lb/>
herab und die Cena oben in der Halle der Kirche<lb/>
nicht zu versäumen. Trotz unserer Eintrittskarten muß-<lb/>
ten wir darauf verzichten, Zeuge des Mahls zu seyn,<lb/>
bei welchem der heilige Vater wiederum die Armen<lb/>
bedient, gleich dem großen Vorgänger Gregor, der es<lb/>
täglich an seiner Marmortafel that. Noch während wir<lb/>
uns in der Tribune eingekeilt sahen, versicherte man<lb/>
uns, daß oben bei der Cena die Menge fast ersticke.<lb/>
Jndessen trieben britische Damen es so weit, daß sie<lb/>
noch während der » <hi rendition="#aq">lavanda</hi> « über unsere Balustrade vol-<lb/>
tigirten, mittelst Stühlen, welche ihnen ihre Cavaliere<lb/>
von der andern Seite herbeischleppten, und wir hörten<lb/>
noch einige ihrer Landsmänninnen sich groß darüber<lb/>
verwundern, daß die Schweizer Gardisten sich über die<lb/>
Episode aufhielten. Wir werden bald Anlaß haben, ein<lb/>
Seitenstück zu dieser Scene zu constatiren.</p><lb/>
        <p>Schon nach wenigen Stunden hält unsere Equipage<lb/>
wieder am Vatikan. Durch die Vorhalle mit der Con-<lb/>
stantinsstatue winden wir uns zwischen auf= und<lb/><cb type="end"/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[844/0004] 844 wirbel. Der Tambour der Franzosen, welcher mit der Truppe so eben hereinzog zur Beichte, hat seine Trommel vor sich hingestellt auf das alte schöne Pa- viment, als müsse die Trommel auch mit beichten. So schlendert man von einer Kirche in die andere: in die Rotunda, das majestätisch trauernde Pantheon, in dem sich Raphael gebettet hat, wie auf der Schwelle zwi- schen dem Hellenen= und Christenthum; in die Minerva, den bunten Marmorpalast, mehr ein verschwenderischer Krönungssaal als ein Gotteshaus. Ueberall liegt schon der Heiland noch dunkel schlummernd in seinem Grabe in der Kapelle zwischen einem Walde von silbernen Kandelabern und unangezündeten Kerzen, noch gleich- sam verlassen, obschon mancher Beter bereits tief ver- sunken davor kniet. Der Vorhang ist noch nicht auf- gezogen. Man stößt auf Gestalten, die so zerknirscht das Haupt auf den Betschemel legen, daß man sich sagt, sie müssen viel zu bereuen haben. Der Gründonnerstag fand uns schon wieder früh auf dem Platze. Heute war die Tribüne auf der an- dern Seite der Confession St. Peters errichtet, unter der nördlichen Kuppel des Querschiffs. Alte Gobelins, die schon mancher Fuß betreten hat, decken die niedri- gen, von der Balustrade umschlossenen Stufen, auf denen, während der Kammerherr in spanischem Costüm durch die Reihen her und hin wandelt, als wäre er der Hirt, welcher diese Schaar von schwarzen Läm- mern weiden muß, Damen aller Nationen fast orienta- talisch in Demuth kauern, wofern sie es nicht vorziehen, in ihren vielfältigen Mantillen und Schleiern, an die Brustwehr gelehnt, sich in Wort oder Blick mit der Männerwelt zu unterhalten, und da blitzt ein lebhaftes Kleingewehrfeuer her und hin. Alle Uniformen, alle Trachten, Husaren, Türken, die unbegreiflichsten Or- densbänder und Sterne schwimmen dort durcheinander, ringsum blinkende Hellebarden, Soldatenbärte, die Spalier machen. Die rothdamastenen Logen dekorirt die Diplomatie. Ueber dem Throne des Papstes hat man einen Gobelin der Transfiguration Raphaels, und auf der Mauer, an welcher die Pilger sitzen, einen der Cena nach Leonardo ausgespannt. Schon zieht mit zahllosen Lichtern die Procession durch das Hauptschiff nach dem Chor, indeß vom Balkon an einem der Pfeiler der großen Kuppel die Reliquien, hoch erhoben in Priesterhand, der knieenden Menge gezeigt werden. Eine Schaar weißer Chorknaben gleich Tauben, die sich niederlassen, gruppirt sich am Hochaltar unter St. Peters Grabbaldachin, um herüberzulugen nach dem bevorstehenden Schauspiele. Die Menschen hoch oben auf der Galerie der Kuppel sind wie die kleinsten Mücken anzuschauen. Jetzt tritt der Papst, ganz weiß gekleidet, mit sei- nem Gefolge aus dem zwischen den Logen niederwallen- den Purpurvorhange. Man trägt die Blumensträuße nach, das silberne Becken, die dreizehn Handtücher, das kleine Schürzchen von Battist, mit Spitzen besetzt, dessen sich der heilige Vater gleich bedienen wird, wenn er sich den Apostelgreisen nähert, welche übrigens in ihren hohen weißen Mützen wie arme Sünder aus- sehen, die man zum Tode führen soll, oder noch schlim- mer, wie Pierrots. So oft der Statthalter Christi einem der Pilgrime den Fuß gewaschen hat, küßt er diesen Fuß. Jeder der Greise, wenn der Pontifex kommt, ihm diesen Dienst der Liebe und Demuth zu leisten, macht eine abwehrende Bewegung. Es bleibt doch ein rührendes Symbol in seiner alljährlichen Er- neuerung. Zu beklagen ist, daß man bei den Cere- monien, wie überhaupt in der ganzen Andacht der Charwoche, sich beständig durch das Gaffen der Touri- sten gestört findet, deren naive Neugier die Grenzen des Anstandes häufig überschreitet. Was der Jtaliener, der einen so feinen Takt, eine so zarte Höflichkeit des Herzens hat, dabei von den „Forestieri“ denken mag? Abgesehen von der Scheu vor dem Mißbrauch des Gastrechts, sollte man doch mindestens so viel geschicht- lichen Sinn haben, um hier eine angemessene Haltung zu beobachten. Selbst der Protestant muß Ehrfurcht für einen Kultus hegen, dessen starker Einheit wir alles durch die Nacht der Zeiten überkommene Wissen und Glauben verdanken. Gerade unter den sogenannten Ge- bildeten drängt sich leider bei solchen Gelegenheiten oft eine innere Rohheit vor. Es handelte sich davon, über der Fußwaschung den Segen des Papstes von der Loggia herab und die Cena oben in der Halle der Kirche nicht zu versäumen. Trotz unserer Eintrittskarten muß- ten wir darauf verzichten, Zeuge des Mahls zu seyn, bei welchem der heilige Vater wiederum die Armen bedient, gleich dem großen Vorgänger Gregor, der es täglich an seiner Marmortafel that. Noch während wir uns in der Tribune eingekeilt sahen, versicherte man uns, daß oben bei der Cena die Menge fast ersticke. Jndessen trieben britische Damen es so weit, daß sie noch während der » lavanda « über unsere Balustrade vol- tigirten, mittelst Stühlen, welche ihnen ihre Cavaliere von der andern Seite herbeischleppten, und wir hörten noch einige ihrer Landsmänninnen sich groß darüber verwundern, daß die Schweizer Gardisten sich über die Episode aufhielten. Wir werden bald Anlaß haben, ein Seitenstück zu dieser Scene zu constatiren. Schon nach wenigen Stunden hält unsere Equipage wieder am Vatikan. Durch die Vorhalle mit der Con- stantinsstatue winden wir uns zwischen auf= und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt36_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt36_1856/4
Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 36. Stuttgart/Tübingen, 7. September 1856, S. 844. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt36_1856/4>, abgerufen am 01.06.2024.