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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Neue Folge, Erster Jahrgang, Nr. 13. Leipzig (Sachsen), 1. April 1843

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[Beginn Spaltensatz] ob sie auch keine ungleichen Spitzen hätten, die Tinte
untersucht, ob sie auch von Schimmel frei wäre, den
Stuhl geprüft, ob sich nicht etwa im Sitze verborgene
Nadeln fänden, den Bedienten weggeschickt, um nicht
etwa gerade während des glücklichsten Jdeenfangs durch
unnütze Fragen unterbrochen zu werden, kurz alle nur
erdenklichen Störungen aus dem Wege geräumt, denn
er wollte nicht mit halber Seele an einem Werke arbei-
ten, das -- die Frucht eines bewegten Lebens und einer
reichen Erfahrung -- die Menschen über die wichtigste
Kunst belehren sollte, die jemals entdeckt worden ist. Er
sah im Geiste das noch ungeschriebene Werk bereits in
alle Sprachen übersetzt, die Menschheit frei von allem
Übel, sich selbst mit Orden überschüttet und von der
Nachwelt aller folgenden Generationen auf allen Punk-
ten der Erde mit dankbarer Verehrung in Millionen Ab-
bildern bekränzt. Er begann seine Regeln mit der von
Pascal aufgestellten Erklärung: Alles Unglück käme allein
davon her, daß sich die Menschen nicht ruhig im Zim-
mer zu halten wüßten, und entwickelte daraus die Fun-
damentalregel seiner Kunst, sich unter allen Umständen
ruhig in seinem Zimmer zu verhalten. Er wollte eben
die ungeheure Masse von großen und kleinen Übeln auf-
zählen, die Einem im Zimmer durchaus nicht widerfah-
ren könnten, als sich draußen ein boshafter November-
sturm erhob und an seine Fenster schlug, daß sie klirr-
ten. Dieser Umstand erhöhte nicht wenig die behagliche
Stimmung unsers Autors, denn die Fenster waren dicht,
die Laden zu, die Rouleaux herabgelassen und im Zimmer
herrschte eine äußerst angenehme Temperatur. Schlage
nur immer zu an die Fenster, du rauher Geselle, rief
er spottend, ich fürchte dich nicht und wenn du noch
mehr lärmtest. Alles ist fest und sicher vor dir, keine
Spalte, kein Riß, kein Löchelchen in Mauer, Laden,
Fenster und Rouleaux gestattet den Zugang. Die innere
Lust war so lebendig in ihm, daß er ganz aus seiner
Philosophenrolle fiel und den naßkalten Wind, den er
sich in seiner Behaglichkeit nicht unangenehm genug den-
ken konnte, höhnisch ansang: "Komm nur her, komm
nur, schöner Schweizerbub" und nach einer Pause fort-
fuhr: "Hier sitz' ich auf Rasen, mit Rosen bekränzt."
Das letzte Wort überschlug sich jedoch wieder in die Gur-
gel zurück, denn plötzlich wandelte ihn ein gewaltsamer
Husten an, zu gleicher Zeit traten ihm die ätzendsten
Thränen in die Augen und die Nase verzog sich in
krampfhafte Zuckungen. Mit einem durch Prusten und
Husten zusammengequetschten "Was ist denn das?"
sprang er auf, um nach der Ursache der Störung zu
sehen. Die Stube war mit dickem Rauch angefüllt.
Der Wind, den unser Philosoph ebenso sehr verhöhnt
hatte, war nach Nordwest bei Nord umgesprungen, in
welcher Richtung er den Rauch nicht aus der Esse
ließ. Daran hatte P. nicht gedacht, als er sich über
seine Sicherheit vor jedem Unfalle freute; denn aus die-
ser Richtung blies der Wind höchst selten. Zum Un-
glück war das anstoßende Zimmer wegen einer Ausbesse-
rung an der Decke von dem Hauswirthe über und über
getüncht worden und war mit einem solchen Kalkdunst
angefüllt, daß man nicht fünf Minuten darin aushal-
ten konnte, ohne das tödtlichste Kopfweh zu bekommen.
P. klingelte und klingelte zu wiederholten Malen, aber Nie-
mand kam, denn er hatte ja den Bedienten weggeschickt.
Er mußte also selbst auf Mittel denken, den erstickenden
Qualm loszuwerden. Hastig riß er die Rouleaux herab
und die Laden am Fenster auf, wobei er sich die Hand
verstauchte und von den herabfallenden Rouleaux eine
derbe Kopfcontusion holte. Ein eisigkalter Zugwind durch-
schauerte ihn und trieb noch obendrein den Dampf ins
[Spaltenumbruch] Zimmer zurück, statt ihn herauszulassen; dabei schlug
ihn ein feiner Regen ins Gesicht und bedeckte ihm die
Brille dergestalt mit Tropfen, daß er nicht das Geringste
sehen konnte. Mit jedem Windstoße schießt eine zün-
gelnde Flamme aus dem Ofenloche hervor und dann
qualmt eine dicke Rauchwolke heraus. Dem unglückli-
chen Autor bleibt nichts Anderes übrig als der Versuch,
das Feuer zu ersticken. Er holt Wasser herbei, so viel
da ist, läßt sich vor dem Ofen auf die Knie und gießt
das Wasser hinein, um das brennende Holz zu löschen,
aber es reicht nicht hin und vermehrt nur den Rauch
und Qualm. Da greift er endlich zur Zange und reißt
die glimmenden Scheite aus dem Ofen, doch nun flie-
gen ihm Asche und Funken ins Gesicht und der kostbare
Schlafrock fängt an zu brennen; mit eigenen Händen
muß er den Brand ausdrücken, wenn er nicht von der
Flamme verzehrt werden will, und verbrennt sich furcht-
bar die Finger. Seine Geduld ist jetzt zu Ende; hu-
stend, prustend, ächzend, stöhnend, frierend und doch vor
innerer Aufregung schwitzend, wünscht er sich sammt dem
Zimmer, Ofen und Feuer in die andere Welt.

Endlich ist jedes glimmende Stück Holz oder Kohle
durch Tasten und Drücken ausgelöscht, aber das Zim-
mer ist kalt, das Papier von Regen durchnäßt, das
Tintenfaß in der Verwirrung umgeworfen, der Stuhl
beschmuzt, vor Allem aber die kostbare Stimmung hin
und, was noch schlimmer ist, die schöne Fundamental-
regel ist unbrauchbar; denn auch im behaglichsten Zim-
mer ist man vor tausend Unfällen nicht sicher, und die
Wahrheit ist nicht zu widerlegen, daß uns zu Hause
ebenso viele Leiden über den Hals kommen können als
im Freien.



Bostons Handel mit Eis und seine
Holzstrassen.

Es liegen bei Boston an der Küste hin eine Reihe von
schönen süßen Seen. An einem derselben sind eine Masse
Eishäuser. Man bewahrt das Eis nicht wie bei uns in
Gruben. Die Eishäuser stehen auf flachem Grunde auf
Bohlen. Man bringt unter und neben das Eis Tannen-
lohe und Hobelspäne, und deckt auch das ganze Haus
damit zu. Diese Mittel halten das Eis besser als
Gruben und Salz. Mit eben diesen Erhaltungsmitteln
bringt man das Eis nach Ostindien und allen südlichen
Jnseln. Eine Gesellschaft hat vom Hafen aus eine Ei-
senbahn an den fresh Pondsee angelegt und wird sie
an alle Eisseen ausdehnen. Täglich führt man das
Eis von da in die Stadt und zu Schiffe. Der Ver-
brauch des Eises in Boston selbst ist ein Luxusartikel
von Bedeutung, desgleichen an der ganzen Küste, be-
sonders in den großen Städten. Die Quantitäten Eis,
die man nach Ostindien verschifft, sind sehr bedeutend
und werden am Ganges gut bezahlt.

Boston ist eine europäisch=reinliche Stadt und hin-
sichtlich ihrer Verwaltung weit besser organisirt als Neu-
york, Philadelphia, Baltimore u. s. w. Man findet
in wenig Straßen schlechtes Pflaster; die Seitenwege
sind mit Backsteinen über den Fahrweg erhöht, und
dieser macadamisirt. Die macadamisirten Straßen ha-
ben aber hier wie anderwärts den großen Übelstand, daß
sie im Sommer durch Staub, im Winter durch Koth den
Bewohnern sehr unangenehm werden. Sie werden da-
her durch Vereinigung der Hauseigenthümer seit eini-
ger Zeit mit Holz gepflastert.

Das Holzpflaster ist aber weit theurer als das
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] ob sie auch keine ungleichen Spitzen hätten, die Tinte
untersucht, ob sie auch von Schimmel frei wäre, den
Stuhl geprüft, ob sich nicht etwa im Sitze verborgene
Nadeln fänden, den Bedienten weggeschickt, um nicht
etwa gerade während des glücklichsten Jdeenfangs durch
unnütze Fragen unterbrochen zu werden, kurz alle nur
erdenklichen Störungen aus dem Wege geräumt, denn
er wollte nicht mit halber Seele an einem Werke arbei-
ten, das — die Frucht eines bewegten Lebens und einer
reichen Erfahrung — die Menschen über die wichtigste
Kunst belehren sollte, die jemals entdeckt worden ist. Er
sah im Geiste das noch ungeschriebene Werk bereits in
alle Sprachen übersetzt, die Menschheit frei von allem
Übel, sich selbst mit Orden überschüttet und von der
Nachwelt aller folgenden Generationen auf allen Punk-
ten der Erde mit dankbarer Verehrung in Millionen Ab-
bildern bekränzt. Er begann seine Regeln mit der von
Pascal aufgestellten Erklärung: Alles Unglück käme allein
davon her, daß sich die Menschen nicht ruhig im Zim-
mer zu halten wüßten, und entwickelte daraus die Fun-
damentalregel seiner Kunst, sich unter allen Umständen
ruhig in seinem Zimmer zu verhalten. Er wollte eben
die ungeheure Masse von großen und kleinen Übeln auf-
zählen, die Einem im Zimmer durchaus nicht widerfah-
ren könnten, als sich draußen ein boshafter November-
sturm erhob und an seine Fenster schlug, daß sie klirr-
ten. Dieser Umstand erhöhte nicht wenig die behagliche
Stimmung unsers Autors, denn die Fenster waren dicht,
die Laden zu, die Rouleaux herabgelassen und im Zimmer
herrschte eine äußerst angenehme Temperatur. Schlage
nur immer zu an die Fenster, du rauher Geselle, rief
er spottend, ich fürchte dich nicht und wenn du noch
mehr lärmtest. Alles ist fest und sicher vor dir, keine
Spalte, kein Riß, kein Löchelchen in Mauer, Laden,
Fenster und Rouleaux gestattet den Zugang. Die innere
Lust war so lebendig in ihm, daß er ganz aus seiner
Philosophenrolle fiel und den naßkalten Wind, den er
sich in seiner Behaglichkeit nicht unangenehm genug den-
ken konnte, höhnisch ansang: „Komm nur her, komm
nur, schöner Schweizerbub“ und nach einer Pause fort-
fuhr: „Hier sitz' ich auf Rasen, mit Rosen bekränzt.“
Das letzte Wort überschlug sich jedoch wieder in die Gur-
gel zurück, denn plötzlich wandelte ihn ein gewaltsamer
Husten an, zu gleicher Zeit traten ihm die ätzendsten
Thränen in die Augen und die Nase verzog sich in
krampfhafte Zuckungen. Mit einem durch Prusten und
Husten zusammengequetschten „Was ist denn das?“
sprang er auf, um nach der Ursache der Störung zu
sehen. Die Stube war mit dickem Rauch angefüllt.
Der Wind, den unser Philosoph ebenso sehr verhöhnt
hatte, war nach Nordwest bei Nord umgesprungen, in
welcher Richtung er den Rauch nicht aus der Esse
ließ. Daran hatte P. nicht gedacht, als er sich über
seine Sicherheit vor jedem Unfalle freute; denn aus die-
ser Richtung blies der Wind höchst selten. Zum Un-
glück war das anstoßende Zimmer wegen einer Ausbesse-
rung an der Decke von dem Hauswirthe über und über
getüncht worden und war mit einem solchen Kalkdunst
angefüllt, daß man nicht fünf Minuten darin aushal-
ten konnte, ohne das tödtlichste Kopfweh zu bekommen.
P. klingelte und klingelte zu wiederholten Malen, aber Nie-
mand kam, denn er hatte ja den Bedienten weggeschickt.
Er mußte also selbst auf Mittel denken, den erstickenden
Qualm loszuwerden. Hastig riß er die Rouleaux herab
und die Laden am Fenster auf, wobei er sich die Hand
verstauchte und von den herabfallenden Rouleaux eine
derbe Kopfcontusion holte. Ein eisigkalter Zugwind durch-
schauerte ihn und trieb noch obendrein den Dampf ins
[Spaltenumbruch] Zimmer zurück, statt ihn herauszulassen; dabei schlug
ihn ein feiner Regen ins Gesicht und bedeckte ihm die
Brille dergestalt mit Tropfen, daß er nicht das Geringste
sehen konnte. Mit jedem Windstoße schießt eine zün-
gelnde Flamme aus dem Ofenloche hervor und dann
qualmt eine dicke Rauchwolke heraus. Dem unglückli-
chen Autor bleibt nichts Anderes übrig als der Versuch,
das Feuer zu ersticken. Er holt Wasser herbei, so viel
da ist, läßt sich vor dem Ofen auf die Knie und gießt
das Wasser hinein, um das brennende Holz zu löschen,
aber es reicht nicht hin und vermehrt nur den Rauch
und Qualm. Da greift er endlich zur Zange und reißt
die glimmenden Scheite aus dem Ofen, doch nun flie-
gen ihm Asche und Funken ins Gesicht und der kostbare
Schlafrock fängt an zu brennen; mit eigenen Händen
muß er den Brand ausdrücken, wenn er nicht von der
Flamme verzehrt werden will, und verbrennt sich furcht-
bar die Finger. Seine Geduld ist jetzt zu Ende; hu-
stend, prustend, ächzend, stöhnend, frierend und doch vor
innerer Aufregung schwitzend, wünscht er sich sammt dem
Zimmer, Ofen und Feuer in die andere Welt.

Endlich ist jedes glimmende Stück Holz oder Kohle
durch Tasten und Drücken ausgelöscht, aber das Zim-
mer ist kalt, das Papier von Regen durchnäßt, das
Tintenfaß in der Verwirrung umgeworfen, der Stuhl
beschmuzt, vor Allem aber die kostbare Stimmung hin
und, was noch schlimmer ist, die schöne Fundamental-
regel ist unbrauchbar; denn auch im behaglichsten Zim-
mer ist man vor tausend Unfällen nicht sicher, und die
Wahrheit ist nicht zu widerlegen, daß uns zu Hause
ebenso viele Leiden über den Hals kommen können als
im Freien.



Bostons Handel mit Eis und seine
Holzstrassen.

Es liegen bei Boston an der Küste hin eine Reihe von
schönen süßen Seen. An einem derselben sind eine Masse
Eishäuser. Man bewahrt das Eis nicht wie bei uns in
Gruben. Die Eishäuser stehen auf flachem Grunde auf
Bohlen. Man bringt unter und neben das Eis Tannen-
lohe und Hobelspäne, und deckt auch das ganze Haus
damit zu. Diese Mittel halten das Eis besser als
Gruben und Salz. Mit eben diesen Erhaltungsmitteln
bringt man das Eis nach Ostindien und allen südlichen
Jnseln. Eine Gesellschaft hat vom Hafen aus eine Ei-
senbahn an den fresh Pondsee angelegt und wird sie
an alle Eisseen ausdehnen. Täglich führt man das
Eis von da in die Stadt und zu Schiffe. Der Ver-
brauch des Eises in Boston selbst ist ein Luxusartikel
von Bedeutung, desgleichen an der ganzen Küste, be-
sonders in den großen Städten. Die Quantitäten Eis,
die man nach Ostindien verschifft, sind sehr bedeutend
und werden am Ganges gut bezahlt.

Boston ist eine europäisch=reinliche Stadt und hin-
sichtlich ihrer Verwaltung weit besser organisirt als Neu-
york, Philadelphia, Baltimore u. s. w. Man findet
in wenig Straßen schlechtes Pflaster; die Seitenwege
sind mit Backsteinen über den Fahrweg erhöht, und
dieser macadamisirt. Die macadamisirten Straßen ha-
ben aber hier wie anderwärts den großen Übelstand, daß
sie im Sommer durch Staub, im Winter durch Koth den
Bewohnern sehr unangenehm werden. Sie werden da-
her durch Vereinigung der Hauseigenthümer seit eini-
ger Zeit mit Holz gepflastert.

Das Holzpflaster ist aber weit theurer als das
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Da greift er endlich zur Zange und reißt die glimmenden Scheite aus dem Ofen, doch nun flie- gen ihm Asche und Funken ins Gesicht und der kostbare Schlafrock fängt an zu brennen; mit eigenen Händen muß er den Brand ausdrücken, wenn er nicht von der Flamme verzehrt werden will, und verbrennt sich furcht- bar die Finger. Seine Geduld ist jetzt zu Ende; hu- stend, prustend, ächzend, stöhnend, frierend und doch vor innerer Aufregung schwitzend, wünscht er sich sammt dem Zimmer, Ofen und Feuer in die andere Welt. 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Mit eben diesen Erhaltungsmitteln bringt man das Eis nach Ostindien und allen südlichen Jnseln. Eine Gesellschaft hat vom Hafen aus eine Ei- senbahn an den fresh Pondsee angelegt und wird sie an alle Eisseen ausdehnen. Täglich führt man das Eis von da in die Stadt und zu Schiffe. Der Ver- brauch des Eises in Boston selbst ist ein Luxusartikel von Bedeutung, desgleichen an der ganzen Küste, be- sonders in den großen Städten. Die Quantitäten Eis, die man nach Ostindien verschifft, sind sehr bedeutend und werden am Ganges gut bezahlt. Boston ist eine europäisch=reinliche Stadt und hin- sichtlich ihrer Verwaltung weit besser organisirt als Neu- york, Philadelphia, Baltimore u. s. w. Man findet in wenig Straßen schlechtes Pflaster; die Seitenwege sind mit Backsteinen über den Fahrweg erhöht, und dieser macadamisirt. Die macadamisirten Straßen ha- ben aber hier wie anderwärts den großen Übelstand, daß sie im Sommer durch Staub, im Winter durch Koth den Bewohnern sehr unangenehm werden. 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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und TEI Transkription
Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

Weitere Informationen:

Siehe Dokumentation




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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Neue Folge, Erster Jahrgang, Nr. 13. Leipzig (Sachsen), 1. April 1843, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig013_1843/2>, abgerufen am 01.06.2024.