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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Neue Folge, Erster Jahrgang, Nr. 24. Leipzig (Sachsen), 17. Juni 1843.

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[Beginn Spaltensatz] Werke reizt. Der sanfte Handri war auf einmal wie
umgewandelt. Seine Phantasie erhitzte sich. Die Sträu-
cher bekamen Leben, Gestalt, Willen. Jhre Äste schie-
nen ihm Arme, die Zweige daran Schwerter zu sein.
Das Flüstern des Windes mit den Blättern nahm er
als drohende Herausfoderung, als Verhöhnung seiner
Kleinheit, als Spott über sein Schwert. Er konnte
nicht anders, er mußte sich rächen, mußte den übermü-
thigen Feinden zeigen, was er vermöge, und er hieb
darum unbarmherzig darein, daß die abgeschlagenen
Glieder bald fußhoch die Erde bedeckten. Als er end-
lich seine Schmach hinlänglich abgewaschen zu haben
schien, steckte er sein Schwert in die Scheide, d. h. er
ließ es ruhen, denn die Scheide fehlte ihm, und ging
nach Hause, aber ohne Pilze und ohne dürre Reiser.
Er schien sich vor dem Schwerte zu schämen, es zum
Vertrauten so niedriger Beschäftigungen zu machen. Un-
terwegs ging er nicht Schritt für Schritt, wie ein zwei-
beiniges Wesen, sondern er hüpfte und sprang, wie ein
Pferd, und bildete sich ein, daß er zu Rosse säße. Da-
bei schwang er unablässig das Schwert durch die Luft,
als wäre er im wüthendsten Reiterkampfe.

Als er nach Hause kam, trat er in stolzer Haltung
vor Martha hin und sagte mit unaussprechlicher Selig-
keit: Martha, seht, was ich gefunden habe; jetzt braucht
Jhr Euch vor keiner Plünderung mehr zu fürchten.

Das thue ich auch nicht, sagte Martha ruhig; wo
nichts ist, kann nicht geplündert werden.

Handri stutzte über diese Antwort und sah sich über-
rascht um. Schade, fuhr er fort, daß ich den Säbel
nicht früher gefunden habe. Jn Dehlen hätte ich ihn
brauchen können.

Jch glaube gar, du meinst, es könne sich eine Katze
vor dir fürchten.

Jch meine, es könnte sich mehr vor mir fürchten,
z. B. ein Soldat, oder zwei, oder drei, oder --

Halt ein! ist dir der Kopf verdreht, Junge? Du
siehst in der That fürchterlich aus! Gut, daß eben Sol-
daten kommen, da kannst du gleich einen Beweis dei-
ner Tapferkeit ablegen, aber hüte dich, daß sie dich nicht
bei den Ohren fassen. Wie Kindern keine Scheere ge-
hört, so gehört ihnen noch weniger ein Schwert.

Als Handri die Soldaten erblickte, wurde er auf
einmal kleinlaut. Das Feuer seiner Phantasie war wie
mit kaltem Wasser übergossen worden, und er fühlte
sich wieder so winzigklein, daß ihm die Soldaten wie
Riesen erschienen.

Sie werden mir doch den schönen Säbel nicht neh-
men? fragte er ängstlich.

Wer weiß, Soldaten können keine Waffen in Hän-
den sehen, in die sie nicht gehören.

Jan hatte vor dem Kriege doch auch einen Säbel,
und den hat ihm Niemand genommen.

Das ist kein Wunder, Jan's Säbel war ja von
Holz, war ein bloßes Spielwerk, aber deiner ist ein
wirklicher Säbel.

Da will ich den Säbel doch schnell verstecken.

Mit diesen Worten lief Handri in die Stuben-
kammer, steckte sein Schwert unter das Stroh seines
Nachtlagers und da die Soldaten den Weg nach der
Mühle einschlugen, setzte er sich zu seinem Rade und
spann so aufmerksam an seinem Rocken, wie seit lan-
gen Zeiten nicht.

Jn diesem Augenblicke kamen die übrigen vier Kin-
der ins Zimmer gestürmt und schrieen fast außer Athem
und um die Wette: der kranke Offizier kommt.

Jn der That trat einige Minuten darauf der Oberst
Dolgoruki ins Zimmer und reichte Marthen herzlich die
[Spaltenumbruch] Hand. Jch muß Euch noch einmal sehen, bevor ich
sterbe, sagte er, Marthen freundlich die Hand drückend.

Jhr seht nicht so aus, als sollte es zum Tode gehen,
gnädiger Herr, erwiderte Martha. Jhr seht nach dem
glücklich bestandenen gefährlichen Fieber besser aus, als
ich hätte erwarten können. Jch freue mich, Euch so
wohlauf zu sehen.

Das ist bloßer Schein, ich bin viel kränker, als ich
in dem gefährlichen Fieber war.

Jch begreife Euch nicht. Gefährlicher krank kann
man nicht sein, als Jhr wart.

Und doch ist's so. Der Mensch ist nicht blos Leib,
der Mensch ist auch Seele, Geist, Gemüth. Wenn die
Krankheit in der Seele ihren Sitz aufschlägt, da ist der
Mensch gefährlicher krank als in irgend einer leiblichen
Krankheit.

Aber wie könnt Jhr in der Seele krank sein? Jhr
habt ja kein böses Gewissen, Jhr seid so fromm und
so gut.

Jhr werdet mich verstehen, Martha, wenn ich Euch
sage, daß mich meine Braut verstoßen hat, von der ich
in meinem Fieber so glückliche Träume träumte.

O glaubet ihr nicht. Wie kann eine Braut, und
wäre sie eine Fürstin, einen solchen Bräutigam ver-
stoßen?

Es ist in der Welt Manches möglich, was der
schlichte Sinn der Naturkinder für unmöglich hält.
Habt Jhr nie die Eifersucht gekannt?

O ja, wenn mein Mann mit Andern tanzte und
ihn eine anlachte, da fuhr mirs immer wie ein Dolch
durch die Seele und ich that dann böse, war's aber
doch nicht. Das wird bei Eurer Braut auch so sein.

Es kommt auf die Veranlassung an. Wenn Jhr
geglaubt hättet, daß Euer Mann eine Andere liebte,
während er sich um Eure Hand bewarb, und daß er
sich um Eure Hand blos darum bewarb, weil mit Eu-
rer Hand ein großes Vermögen verbunden war --

Dann -- dann hätte ich ihm den Laufpaß ge-
geben.

Und was glaubt Jhr wol, daß Euer Mann gefühlt
hätte, wenn ihn ein solches Schicksal bei der innigsten
Liebe zu Euch, also unschuldig getroffen hätte?

Das würde ihm freilich großes Herzeleid bereitet
haben.

Nun seht, mit solchem Herzeleid gehe ich jetzt aufs
Neue in die Schlacht. Jch werde hoffentlich nicht wie-
der daraus zurückkehren.

Aber was hat denn Eure Braut auf so arge Ge-
danken gebracht?

Jch begreife es selbst nicht. Ein gefangener Sachse
hat ihr einen Ring zum Verkauf angeboten; wie sie
den Ring besieht, findet sie meinen Namen darauf. Sie
erschrickt und fragt, wie der Ring in seine Hände ge-
kommen sei. Er antwortet, den Ring habe er seiner
Schwester genommen, um ihr die Erinnerung an den
Geber desselben zu benehmen, der sie ja doch nicht hei-
rathen könne. Diese Worte haben sie auf ein Bild
von meinem Lebenswandel geführt, das mich in ihren
Augen ihrer Liebe unwürdig macht.

Jetzt erzählte Martha, wie der Beutel, den sie von
dem Obersten empfangen habe, als sie noch in Dehlen
war, einen Ring enthalten und mit dem Ringe verlo-
ren gegangen sei.

Dolgoruki gereichte das eben nicht sehr zum Troste,
denn er sah darin kein Mittel, seine Unschuld an den
Tag zu bringen, wol aber ein Spiel des Teufels, der
oft aus den besten Handlungen des Menschen ein Werk-
zeug zu seinem Unglücke macht, um dem Egoismus
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Werke reizt. Der sanfte Handri war auf einmal wie
umgewandelt. Seine Phantasie erhitzte sich. Die Sträu-
cher bekamen Leben, Gestalt, Willen. Jhre Äste schie-
nen ihm Arme, die Zweige daran Schwerter zu sein.
Das Flüstern des Windes mit den Blättern nahm er
als drohende Herausfoderung, als Verhöhnung seiner
Kleinheit, als Spott über sein Schwert. Er konnte
nicht anders, er mußte sich rächen, mußte den übermü-
thigen Feinden zeigen, was er vermöge, und er hieb
darum unbarmherzig darein, daß die abgeschlagenen
Glieder bald fußhoch die Erde bedeckten. Als er end-
lich seine Schmach hinlänglich abgewaschen zu haben
schien, steckte er sein Schwert in die Scheide, d. h. er
ließ es ruhen, denn die Scheide fehlte ihm, und ging
nach Hause, aber ohne Pilze und ohne dürre Reiser.
Er schien sich vor dem Schwerte zu schämen, es zum
Vertrauten so niedriger Beschäftigungen zu machen. Un-
terwegs ging er nicht Schritt für Schritt, wie ein zwei-
beiniges Wesen, sondern er hüpfte und sprang, wie ein
Pferd, und bildete sich ein, daß er zu Rosse säße. Da-
bei schwang er unablässig das Schwert durch die Luft,
als wäre er im wüthendsten Reiterkampfe.

Als er nach Hause kam, trat er in stolzer Haltung
vor Martha hin und sagte mit unaussprechlicher Selig-
keit: Martha, seht, was ich gefunden habe; jetzt braucht
Jhr Euch vor keiner Plünderung mehr zu fürchten.

Das thue ich auch nicht, sagte Martha ruhig; wo
nichts ist, kann nicht geplündert werden.

Handri stutzte über diese Antwort und sah sich über-
rascht um. Schade, fuhr er fort, daß ich den Säbel
nicht früher gefunden habe. Jn Dehlen hätte ich ihn
brauchen können.

Jch glaube gar, du meinst, es könne sich eine Katze
vor dir fürchten.

Jch meine, es könnte sich mehr vor mir fürchten,
z. B. ein Soldat, oder zwei, oder drei, oder —

Halt ein! ist dir der Kopf verdreht, Junge? Du
siehst in der That fürchterlich aus! Gut, daß eben Sol-
daten kommen, da kannst du gleich einen Beweis dei-
ner Tapferkeit ablegen, aber hüte dich, daß sie dich nicht
bei den Ohren fassen. Wie Kindern keine Scheere ge-
hört, so gehört ihnen noch weniger ein Schwert.

Als Handri die Soldaten erblickte, wurde er auf
einmal kleinlaut. Das Feuer seiner Phantasie war wie
mit kaltem Wasser übergossen worden, und er fühlte
sich wieder so winzigklein, daß ihm die Soldaten wie
Riesen erschienen.

Sie werden mir doch den schönen Säbel nicht neh-
men? fragte er ängstlich.

Wer weiß, Soldaten können keine Waffen in Hän-
den sehen, in die sie nicht gehören.

Jan hatte vor dem Kriege doch auch einen Säbel,
und den hat ihm Niemand genommen.

Das ist kein Wunder, Jan's Säbel war ja von
Holz, war ein bloßes Spielwerk, aber deiner ist ein
wirklicher Säbel.

Da will ich den Säbel doch schnell verstecken.

Mit diesen Worten lief Handri in die Stuben-
kammer, steckte sein Schwert unter das Stroh seines
Nachtlagers und da die Soldaten den Weg nach der
Mühle einschlugen, setzte er sich zu seinem Rade und
spann so aufmerksam an seinem Rocken, wie seit lan-
gen Zeiten nicht.

Jn diesem Augenblicke kamen die übrigen vier Kin-
der ins Zimmer gestürmt und schrieen fast außer Athem
und um die Wette: der kranke Offizier kommt.

Jn der That trat einige Minuten darauf der Oberst
Dolgoruki ins Zimmer und reichte Marthen herzlich die
[Spaltenumbruch] Hand. Jch muß Euch noch einmal sehen, bevor ich
sterbe, sagte er, Marthen freundlich die Hand drückend.

Jhr seht nicht so aus, als sollte es zum Tode gehen,
gnädiger Herr, erwiderte Martha. Jhr seht nach dem
glücklich bestandenen gefährlichen Fieber besser aus, als
ich hätte erwarten können. Jch freue mich, Euch so
wohlauf zu sehen.

Das ist bloßer Schein, ich bin viel kränker, als ich
in dem gefährlichen Fieber war.

Jch begreife Euch nicht. Gefährlicher krank kann
man nicht sein, als Jhr wart.

Und doch ist's so. Der Mensch ist nicht blos Leib,
der Mensch ist auch Seele, Geist, Gemüth. Wenn die
Krankheit in der Seele ihren Sitz aufschlägt, da ist der
Mensch gefährlicher krank als in irgend einer leiblichen
Krankheit.

Aber wie könnt Jhr in der Seele krank sein? Jhr
habt ja kein böses Gewissen, Jhr seid so fromm und
so gut.

Jhr werdet mich verstehen, Martha, wenn ich Euch
sage, daß mich meine Braut verstoßen hat, von der ich
in meinem Fieber so glückliche Träume träumte.

O glaubet ihr nicht. Wie kann eine Braut, und
wäre sie eine Fürstin, einen solchen Bräutigam ver-
stoßen?

Es ist in der Welt Manches möglich, was der
schlichte Sinn der Naturkinder für unmöglich hält.
Habt Jhr nie die Eifersucht gekannt?

O ja, wenn mein Mann mit Andern tanzte und
ihn eine anlachte, da fuhr mirs immer wie ein Dolch
durch die Seele und ich that dann böse, war's aber
doch nicht. Das wird bei Eurer Braut auch so sein.

Es kommt auf die Veranlassung an. Wenn Jhr
geglaubt hättet, daß Euer Mann eine Andere liebte,
während er sich um Eure Hand bewarb, und daß er
sich um Eure Hand blos darum bewarb, weil mit Eu-
rer Hand ein großes Vermögen verbunden war —

Dann — dann hätte ich ihm den Laufpaß ge-
geben.

Und was glaubt Jhr wol, daß Euer Mann gefühlt
hätte, wenn ihn ein solches Schicksal bei der innigsten
Liebe zu Euch, also unschuldig getroffen hätte?

Das würde ihm freilich großes Herzeleid bereitet
haben.

Nun seht, mit solchem Herzeleid gehe ich jetzt aufs
Neue in die Schlacht. Jch werde hoffentlich nicht wie-
der daraus zurückkehren.

Aber was hat denn Eure Braut auf so arge Ge-
danken gebracht?

Jch begreife es selbst nicht. Ein gefangener Sachse
hat ihr einen Ring zum Verkauf angeboten; wie sie
den Ring besieht, findet sie meinen Namen darauf. Sie
erschrickt und fragt, wie der Ring in seine Hände ge-
kommen sei. Er antwortet, den Ring habe er seiner
Schwester genommen, um ihr die Erinnerung an den
Geber desselben zu benehmen, der sie ja doch nicht hei-
rathen könne. Diese Worte haben sie auf ein Bild
von meinem Lebenswandel geführt, das mich in ihren
Augen ihrer Liebe unwürdig macht.

Jetzt erzählte Martha, wie der Beutel, den sie von
dem Obersten empfangen habe, als sie noch in Dehlen
war, einen Ring enthalten und mit dem Ringe verlo-
ren gegangen sei.

Dolgoruki gereichte das eben nicht sehr zum Troste,
denn er sah darin kein Mittel, seine Unschuld an den
Tag zu bringen, wol aber ein Spiel des Teufels, der
oft aus den besten Handlungen des Menschen ein Werk-
zeug zu seinem Unglücke macht, um dem Egoismus
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Mit diesen Worten lief Handri in die Stuben- kammer, steckte sein Schwert unter das Stroh seines Nachtlagers und da die Soldaten den Weg nach der Mühle einschlugen, setzte er sich zu seinem Rade und spann so aufmerksam an seinem Rocken, wie seit lan- gen Zeiten nicht. Jn diesem Augenblicke kamen die übrigen vier Kin- der ins Zimmer gestürmt und schrieen fast außer Athem und um die Wette: der kranke Offizier kommt. Jn der That trat einige Minuten darauf der Oberst Dolgoruki ins Zimmer und reichte Marthen herzlich die Hand. Jch muß Euch noch einmal sehen, bevor ich sterbe, sagte er, Marthen freundlich die Hand drückend. Jhr seht nicht so aus, als sollte es zum Tode gehen, gnädiger Herr, erwiderte Martha. Jhr seht nach dem glücklich bestandenen gefährlichen Fieber besser aus, als ich hätte erwarten können. Jch freue mich, Euch so wohlauf zu sehen. Das ist bloßer Schein, ich bin viel kränker, als ich in dem gefährlichen Fieber war. Jch begreife Euch nicht. 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Es kommt auf die Veranlassung an. Wenn Jhr geglaubt hättet, daß Euer Mann eine Andere liebte, während er sich um Eure Hand bewarb, und daß er sich um Eure Hand blos darum bewarb, weil mit Eu- rer Hand ein großes Vermögen verbunden war — Dann — dann hätte ich ihm den Laufpaß ge- geben. Und was glaubt Jhr wol, daß Euer Mann gefühlt hätte, wenn ihn ein solches Schicksal bei der innigsten Liebe zu Euch, also unschuldig getroffen hätte? Das würde ihm freilich großes Herzeleid bereitet haben. Nun seht, mit solchem Herzeleid gehe ich jetzt aufs Neue in die Schlacht. Jch werde hoffentlich nicht wie- der daraus zurückkehren. Aber was hat denn Eure Braut auf so arge Ge- danken gebracht? Jch begreife es selbst nicht. Ein gefangener Sachse hat ihr einen Ring zum Verkauf angeboten; wie sie den Ring besieht, findet sie meinen Namen darauf. Sie erschrickt und fragt, wie der Ring in seine Hände ge- kommen sei. Er antwortet, den Ring habe er seiner Schwester genommen, um ihr die Erinnerung an den Geber desselben zu benehmen, der sie ja doch nicht hei- rathen könne. Diese Worte haben sie auf ein Bild von meinem Lebenswandel geführt, das mich in ihren Augen ihrer Liebe unwürdig macht. Jetzt erzählte Martha, wie der Beutel, den sie von dem Obersten empfangen habe, als sie noch in Dehlen war, einen Ring enthalten und mit dem Ringe verlo- ren gegangen sei. Dolgoruki gereichte das eben nicht sehr zum Troste, denn er sah darin kein Mittel, seine Unschuld an den Tag zu bringen, wol aber ein Spiel des Teufels, der oft aus den besten Handlungen des Menschen ein Werk- zeug zu seinem Unglücke macht, um dem Egoismus

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und TEI Transkription
Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Neue Folge, Erster Jahrgang, Nr. 24. Leipzig (Sachsen), 17. Juni 1843, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig024_1843/6>, abgerufen am 14.06.2024.