Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Neue Folge, Erster Jahrgang, Nr. 25. Leipzig (Sachsen), 24. Juni 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

[Beginn Spaltensatz] Dornenstrauch, Hansen's weiße Locken liegen so weich
auf, wie die weißen Sommerwolken auf dem blauen
Himmel; Kunzen's kleine graue Augen blicken so hoch-
müthig aus ihren Höhlen, als glaubten sie, es sei nir-
gend schöner als bei ihrem Herrn, als erwiesen sie Al-
lem nur eine Gnade, was sie anzublicken die Güte hät-
ten, Hansen's große, blaue Augen leuchten aber hervor
wie die Sterne Gottes, Alles verklärend, was sie anbli-
cken. Seht, unser Offizier, das wird der leibhaftige
Hans, wenn er nur 30 Jahre älter sein wird.

Du sprichst, wie der Blinde von der Farbe. Welch
ein Unterschied zwischen dem Obersten und dem alten
Hans: der Oberst, ein gebildeter, reicher und vornehmer
Herr, von angenehmen Sitten und Manieren, und
Hans, ein armer alter Häusler, roh wie alle andern
Dorfbewohner und unwissend wie sie.

Da thut Jhr dem armen Hans sehr unrecht. Er
spricht wie der Pastor auf der Kanzel und wenn er er-
zählt, da schläft gewiß Niemand ein, wie in der Kirche.

Du bist in den alten Kerl vernarrt, aber so sehr
du ihn auch lieben magst, du wirst ihn doch nicht dem
Obersten gleich stellen.

Mein Auge thut es freilich nicht, aber mein Herz
thut es. Das Herz sieht nicht auf die Kleider, nicht
auf das Geld, nicht auf den Leib, das Herz sieht nur
auf das Herz und da findet es oft, daß, was dem
Auge noch so verschieden erscheint, doch innerlich gleich
ist. Und auf das Jnnere kommt es ja an, sagt unser
Pastor, dem Jhr doch glauben werdet.

Du bist ein Schwadroneur, sagte hier Martha, är-
gerlich, daß sie im Herzen zugeben mußte, was sie eben
angegriffen hatte, und suchte einen schicklichen Anlaß, das
Gespräch abzubrechen. Die eben fröhlich zurückkehrenden
vier andern Kinder gaben ihr denselben, indem sie glaubte,
ihnen die Ungezogenheit verweisen zu müssen, daß sie
den Obersten durch das Dorf begleitet hätten.

Das ist doch keine Ungezogenheit, Jemandem das
Geleite zn geben, sagte Jan, auch hats der Offizier
nicht dafür angesehen. Er fragte mich, als ich vor
ihm hersprang, wo ich hin wollte. Jch antwortete ihm,
ich wollte ihn nur noch einige Augenblicke sehen und
einen Kuß auf die Stirne haben, wie ihn Handri be-
kommen. Er hob mich empor und küßte mich und die
drei Mädel bekamen auch ihr Theil, nachdem ich für
sie gebeten hatte. Hanka bekam sogar noch eine Zugabe
für Handri und Mutter.

Hier eilte Hanka auf die erröthende Mutter und
bot ihr die Stirn zum Kusse. Nimm dir deinen Kuß
von meiner Stirn, sagte sie schalkhaft, die Luft wird
ihn wohl noch nicht verweht haben.

Die Mutter küßte das holde Kind mit Entzücken
zweimal auf die Stirn und strahlte wieder von innerer
Freude.

Mutter, du hast die Gabe für Handri mit weg-
geküßt, sagte Hanka, du mußt mir einen Kuß zurück-
geben.

Als die Mutter ihrem Verlangen genügt hatte, warf
sie sich Handri um den Hals und gab ihm den eben
zurückempfangenen Kuß, wie sie ihn von der Mutter
bekommen hatte, auf den Mund. Hierauf ahmten die
übrigen Kinder das Beispiel Handri's nach und spannen
mit solcher Lust, daß Marja sagte: Schöner kann es
im Paradiese der Spinnerinnen nicht sein, als heute
bei uns.

Schöner wol, aber angenehmer nicht, bemerkte Lena.

Wenn nur der Tisch mit Nektar und Ambrosia
nicht fehlte, seufzte Jan.

Nun der wird uns auch nicht lange mehr fehlen,
[Spaltenumbruch] tröstete Hanka, die Mutter hat köstliche Buttermilch ge-
kauft und bäckt Plinzen.

Nun da wollen wir doch glauben, daß wir im Pa-
radiese seien, sagte Handri. Der Glaube kann ja Berge
versetzen, er kann wol auch aus einer armen Erdenstube
ein reiches Himmelszimmer machen. Überhaupt kommt
es nicht auf die Gegenstände an, ob sie uns wohlge-
fallen, sondern auf die Augen, mit welchen wir sie an-
sehen. Manche Augen sehen, wie Hans sagt, Alles
häßlich, auch das Schönste und Lieblichste, das es un-
ter der Sonne gibt, manche Augen dagegen sehen Al-
les schön, auch das Häßlichste, das zu existiren wagt.

Da sind ja die Augen Manchem zur Lust und
Manchem zur Pein gegeben, sagte Marja; ist das nicht
ungerecht vom lieben Gott?

Nein, sagte Handri belehrend, es ist nicht ungerecht,
denn unsere Augen sind nicht in der Art schön oder
häßlich sehend, wie sie blau oder braun sind. Das Letz-
tere können wir nicht ändern, das Erstere aber steht in
unserer Macht.

Das kann ich doch nicht recht glauben, sagte Lena,
denn wenn ich traurig bin, da erscheint mir Alles dü-
ster und traurig, wenn ich lustig bin, da sieht Alles
heiter und lustig aus. Aber ob ich lustig und traurig
bin, das hängt nicht von mir ab, sondern von Gott.

Das habe ich dem alten Hans auch gesagt, aber
der hat mir die Sache noch weiter erklärt. Er hat mir
gesagt, es sei nicht nöthig, daß wir durch jeden Quark
in Betrübniß geriethen. Wenn wir den rechten Glau-
ben an Gott hätten, dann könnten wir nicht glauben,
daß, was uns auch begegne, uns zum Nachtheil oder
Schaden begegnen könne, wir müßten im Gegentheil
bei Allem annehmen, daß es ein Samenkorn sei, aus
dem sich zu irgend einer Zeit ein süßes Glück für uns
entwickeln werde. Wenn der Acker von der Pflugschar
aufgerissen werde, so würde er auch wol über den Ackers-
mann klagen, wenn er fühlen könnte, wie ein Men-
schenherz, aber doch sei das nöthig, wenn er mehr als
ein Dornen= oder Distelfeld sein wollte.

Jch verstehe, sagte Jan, der alte Hans meint: je-
des Herz sei ein Acker, Gott sei der Ackersmann und
der Schmerz, der es trifft, sei die Pflugschar, die es
durchwühlt, damit es sich später mit grünen Weizen-
feldern bedecken könne. Nun da wollte ich, daß Gott
mich doch lieber zu einer Wiese bestimmte.

Hanka wollte auch lieber eine Wiese sein, aber Han-
dri behauptete, eine Wiese stehe weit unter einem Acker,
denn sie nähre blos das Vieh, der Acker aber nähre
vernünftige Menschen. Da nun die Früchte des Her-
zens für den Himmel bestimmt seien, so müßte jedes
Herz ein Acker sein, denn Gras und Heu könnte im
Himmel, wo nur vernünftige Wesen wären, von kei-
nem Nutzen sein.

Marja und Lena traten auf Handri's Seite. Jan
schwankte lange zwischen seiner und Handri's Ansicht,
bis am Ende Marja's Vorstellung, sie möchte einmal
keinen Mann haben, der lieber eine für das Vieh be-
stimmte Wiese als ein vernünftiger Acker sein wollte,
den Hartnäckigen auf andere Gedanken brachte und er
meinte, wenn der liebe Gott die Pflugschar nur nicht
so tief eingraben lassen wollte, so würde er es wol
auch vertragen können, er wollte sich darum nicht weiter
sträuben, ein Acker Gottes zu sein. Hanka ging nun
auch zu der allgemeinen Ansicht über und wie Martha
mit der Buttermilch kam, war Alles ein Herz und ein
Sinn und freute sich der Buttermilch und der darauf
folgenden Plinzen, als wäre es Nektar und Ambrosia
aus der Himmelsküche herabgebracht.

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Dornenstrauch, Hansen's weiße Locken liegen so weich
auf, wie die weißen Sommerwolken auf dem blauen
Himmel; Kunzen's kleine graue Augen blicken so hoch-
müthig aus ihren Höhlen, als glaubten sie, es sei nir-
gend schöner als bei ihrem Herrn, als erwiesen sie Al-
lem nur eine Gnade, was sie anzublicken die Güte hät-
ten, Hansen's große, blaue Augen leuchten aber hervor
wie die Sterne Gottes, Alles verklärend, was sie anbli-
cken. Seht, unser Offizier, das wird der leibhaftige
Hans, wenn er nur 30 Jahre älter sein wird.

Du sprichst, wie der Blinde von der Farbe. Welch
ein Unterschied zwischen dem Obersten und dem alten
Hans: der Oberst, ein gebildeter, reicher und vornehmer
Herr, von angenehmen Sitten und Manieren, und
Hans, ein armer alter Häusler, roh wie alle andern
Dorfbewohner und unwissend wie sie.

Da thut Jhr dem armen Hans sehr unrecht. Er
spricht wie der Pastor auf der Kanzel und wenn er er-
zählt, da schläft gewiß Niemand ein, wie in der Kirche.

Du bist in den alten Kerl vernarrt, aber so sehr
du ihn auch lieben magst, du wirst ihn doch nicht dem
Obersten gleich stellen.

Mein Auge thut es freilich nicht, aber mein Herz
thut es. Das Herz sieht nicht auf die Kleider, nicht
auf das Geld, nicht auf den Leib, das Herz sieht nur
auf das Herz und da findet es oft, daß, was dem
Auge noch so verschieden erscheint, doch innerlich gleich
ist. Und auf das Jnnere kommt es ja an, sagt unser
Pastor, dem Jhr doch glauben werdet.

Du bist ein Schwadroneur, sagte hier Martha, är-
gerlich, daß sie im Herzen zugeben mußte, was sie eben
angegriffen hatte, und suchte einen schicklichen Anlaß, das
Gespräch abzubrechen. Die eben fröhlich zurückkehrenden
vier andern Kinder gaben ihr denselben, indem sie glaubte,
ihnen die Ungezogenheit verweisen zu müssen, daß sie
den Obersten durch das Dorf begleitet hätten.

Das ist doch keine Ungezogenheit, Jemandem das
Geleite zn geben, sagte Jan, auch hats der Offizier
nicht dafür angesehen. Er fragte mich, als ich vor
ihm hersprang, wo ich hin wollte. Jch antwortete ihm,
ich wollte ihn nur noch einige Augenblicke sehen und
einen Kuß auf die Stirne haben, wie ihn Handri be-
kommen. Er hob mich empor und küßte mich und die
drei Mädel bekamen auch ihr Theil, nachdem ich für
sie gebeten hatte. Hanka bekam sogar noch eine Zugabe
für Handri und Mutter.

Hier eilte Hanka auf die erröthende Mutter und
bot ihr die Stirn zum Kusse. Nimm dir deinen Kuß
von meiner Stirn, sagte sie schalkhaft, die Luft wird
ihn wohl noch nicht verweht haben.

Die Mutter küßte das holde Kind mit Entzücken
zweimal auf die Stirn und strahlte wieder von innerer
Freude.

Mutter, du hast die Gabe für Handri mit weg-
geküßt, sagte Hanka, du mußt mir einen Kuß zurück-
geben.

Als die Mutter ihrem Verlangen genügt hatte, warf
sie sich Handri um den Hals und gab ihm den eben
zurückempfangenen Kuß, wie sie ihn von der Mutter
bekommen hatte, auf den Mund. Hierauf ahmten die
übrigen Kinder das Beispiel Handri's nach und spannen
mit solcher Lust, daß Marja sagte: Schöner kann es
im Paradiese der Spinnerinnen nicht sein, als heute
bei uns.

Schöner wol, aber angenehmer nicht, bemerkte Lena.

Wenn nur der Tisch mit Nektar und Ambrosia
nicht fehlte, seufzte Jan.

Nun der wird uns auch nicht lange mehr fehlen,
[Spaltenumbruch] tröstete Hanka, die Mutter hat köstliche Buttermilch ge-
kauft und bäckt Plinzen.

Nun da wollen wir doch glauben, daß wir im Pa-
radiese seien, sagte Handri. Der Glaube kann ja Berge
versetzen, er kann wol auch aus einer armen Erdenstube
ein reiches Himmelszimmer machen. Überhaupt kommt
es nicht auf die Gegenstände an, ob sie uns wohlge-
fallen, sondern auf die Augen, mit welchen wir sie an-
sehen. Manche Augen sehen, wie Hans sagt, Alles
häßlich, auch das Schönste und Lieblichste, das es un-
ter der Sonne gibt, manche Augen dagegen sehen Al-
les schön, auch das Häßlichste, das zu existiren wagt.

Da sind ja die Augen Manchem zur Lust und
Manchem zur Pein gegeben, sagte Marja; ist das nicht
ungerecht vom lieben Gott?

Nein, sagte Handri belehrend, es ist nicht ungerecht,
denn unsere Augen sind nicht in der Art schön oder
häßlich sehend, wie sie blau oder braun sind. Das Letz-
tere können wir nicht ändern, das Erstere aber steht in
unserer Macht.

Das kann ich doch nicht recht glauben, sagte Lena,
denn wenn ich traurig bin, da erscheint mir Alles dü-
ster und traurig, wenn ich lustig bin, da sieht Alles
heiter und lustig aus. Aber ob ich lustig und traurig
bin, das hängt nicht von mir ab, sondern von Gott.

Das habe ich dem alten Hans auch gesagt, aber
der hat mir die Sache noch weiter erklärt. Er hat mir
gesagt, es sei nicht nöthig, daß wir durch jeden Quark
in Betrübniß geriethen. Wenn wir den rechten Glau-
ben an Gott hätten, dann könnten wir nicht glauben,
daß, was uns auch begegne, uns zum Nachtheil oder
Schaden begegnen könne, wir müßten im Gegentheil
bei Allem annehmen, daß es ein Samenkorn sei, aus
dem sich zu irgend einer Zeit ein süßes Glück für uns
entwickeln werde. Wenn der Acker von der Pflugschar
aufgerissen werde, so würde er auch wol über den Ackers-
mann klagen, wenn er fühlen könnte, wie ein Men-
schenherz, aber doch sei das nöthig, wenn er mehr als
ein Dornen= oder Distelfeld sein wollte.

Jch verstehe, sagte Jan, der alte Hans meint: je-
des Herz sei ein Acker, Gott sei der Ackersmann und
der Schmerz, der es trifft, sei die Pflugschar, die es
durchwühlt, damit es sich später mit grünen Weizen-
feldern bedecken könne. Nun da wollte ich, daß Gott
mich doch lieber zu einer Wiese bestimmte.

Hanka wollte auch lieber eine Wiese sein, aber Han-
dri behauptete, eine Wiese stehe weit unter einem Acker,
denn sie nähre blos das Vieh, der Acker aber nähre
vernünftige Menschen. Da nun die Früchte des Her-
zens für den Himmel bestimmt seien, so müßte jedes
Herz ein Acker sein, denn Gras und Heu könnte im
Himmel, wo nur vernünftige Wesen wären, von kei-
nem Nutzen sein.

Marja und Lena traten auf Handri's Seite. Jan
schwankte lange zwischen seiner und Handri's Ansicht,
bis am Ende Marja's Vorstellung, sie möchte einmal
keinen Mann haben, der lieber eine für das Vieh be-
stimmte Wiese als ein vernünftiger Acker sein wollte,
den Hartnäckigen auf andere Gedanken brachte und er
meinte, wenn der liebe Gott die Pflugschar nur nicht
so tief eingraben lassen wollte, so würde er es wol
auch vertragen können, er wollte sich darum nicht weiter
sträuben, ein Acker Gottes zu sein. Hanka ging nun
auch zu der allgemeinen Ansicht über und wie Martha
mit der Buttermilch kam, war Alles ein Herz und ein
Sinn und freute sich der Buttermilch und der darauf
folgenden Plinzen, als wäre es Nektar und Ambrosia
aus der Himmelsküche herabgebracht.

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div xml:id="Saebel6" type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0006" n="198"/><fw type="pageNum" place="top">198</fw><cb type="start"/>
Dornenstrauch, Hansen's weiße Locken liegen so weich<lb/>
auf, wie die weißen Sommerwolken auf dem blauen<lb/>
Himmel; Kunzen's kleine graue Augen blicken so hoch-<lb/>
müthig aus ihren Höhlen, als glaubten sie, es sei nir-<lb/>
gend schöner als bei ihrem Herrn, als erwiesen sie Al-<lb/>
lem nur eine Gnade, was sie anzublicken die Güte hät-<lb/>
ten, Hansen's große, blaue Augen leuchten aber hervor<lb/>
wie die Sterne Gottes, Alles verklärend, was sie anbli-<lb/>
cken. Seht, unser Offizier, das wird der leibhaftige<lb/>
Hans, wenn er nur 30 Jahre älter sein wird.</p><lb/>
        <p>Du sprichst, wie der Blinde von der Farbe. Welch<lb/>
ein Unterschied zwischen dem Obersten und dem alten<lb/>
Hans: der Oberst, ein gebildeter, reicher und vornehmer<lb/>
Herr, von angenehmen Sitten und Manieren, und<lb/>
Hans, ein armer alter Häusler, roh wie alle andern<lb/>
Dorfbewohner und unwissend wie sie.</p><lb/>
        <p>Da thut Jhr dem armen Hans sehr unrecht. Er<lb/>
spricht wie der Pastor auf der Kanzel und wenn er er-<lb/>
zählt, da schläft gewiß Niemand ein, wie in der Kirche.</p><lb/>
        <p>Du bist in den alten Kerl vernarrt, aber so sehr<lb/>
du ihn auch lieben magst, du wirst ihn doch nicht dem<lb/>
Obersten gleich stellen.</p><lb/>
        <p>Mein Auge thut es freilich nicht, aber mein Herz<lb/>
thut es. Das Herz sieht nicht auf die Kleider, nicht<lb/>
auf das Geld, nicht auf den Leib, das Herz sieht nur<lb/>
auf das Herz und da findet es oft, daß, was dem<lb/>
Auge noch so verschieden erscheint, doch innerlich gleich<lb/>
ist. Und auf das Jnnere kommt es ja an, sagt unser<lb/>
Pastor, dem Jhr doch glauben werdet.</p><lb/>
        <p>Du bist ein Schwadroneur, sagte hier Martha, är-<lb/>
gerlich, daß sie im Herzen zugeben mußte, was sie eben<lb/>
angegriffen hatte, und suchte einen schicklichen Anlaß, das<lb/>
Gespräch abzubrechen. Die eben fröhlich zurückkehrenden<lb/>
vier andern Kinder gaben ihr denselben, indem sie glaubte,<lb/>
ihnen die Ungezogenheit verweisen zu müssen, daß sie<lb/>
den Obersten durch das Dorf begleitet hätten.</p><lb/>
        <p>Das ist doch keine Ungezogenheit, Jemandem das<lb/>
Geleite zn geben, sagte Jan, auch hats der Offizier<lb/>
nicht dafür angesehen. Er fragte mich, als ich vor<lb/>
ihm hersprang, wo ich hin wollte. Jch antwortete ihm,<lb/>
ich wollte ihn nur noch einige Augenblicke sehen und<lb/>
einen Kuß auf die Stirne haben, wie ihn Handri be-<lb/>
kommen. Er hob mich empor und küßte mich und die<lb/>
drei Mädel bekamen auch ihr Theil, nachdem ich für<lb/>
sie gebeten hatte. Hanka bekam sogar noch eine Zugabe<lb/>
für Handri und Mutter.</p><lb/>
        <p>Hier eilte Hanka auf die erröthende Mutter und<lb/>
bot ihr die Stirn zum Kusse. Nimm dir deinen Kuß<lb/>
von meiner Stirn, sagte sie schalkhaft, die Luft wird<lb/>
ihn wohl noch nicht verweht haben.</p><lb/>
        <p>Die Mutter küßte das holde Kind mit Entzücken<lb/>
zweimal auf die Stirn und strahlte wieder von innerer<lb/>
Freude.</p><lb/>
        <p>Mutter, du hast die Gabe für Handri mit weg-<lb/>
geküßt, sagte Hanka, du mußt mir einen Kuß zurück-<lb/>
geben.</p><lb/>
        <p>Als die Mutter ihrem Verlangen genügt hatte, warf<lb/>
sie sich Handri um den Hals und gab ihm den eben<lb/>
zurückempfangenen Kuß, wie sie ihn von der Mutter<lb/>
bekommen hatte, auf den Mund. Hierauf ahmten die<lb/>
übrigen Kinder das Beispiel Handri's nach und spannen<lb/>
mit solcher Lust, daß Marja sagte: Schöner kann es<lb/>
im Paradiese der Spinnerinnen nicht sein, als heute<lb/>
bei uns.</p><lb/>
        <p>Schöner wol, aber angenehmer nicht, bemerkte Lena.</p><lb/>
        <p>Wenn nur der Tisch mit Nektar und Ambrosia<lb/>
nicht fehlte, seufzte Jan.</p><lb/>
        <p>Nun der wird uns auch nicht lange mehr fehlen,<lb/><cb n="2"/>
tröstete Hanka, die Mutter hat köstliche Buttermilch ge-<lb/>
kauft und bäckt Plinzen.</p><lb/>
        <p>Nun da wollen wir doch glauben, daß wir im Pa-<lb/>
radiese seien, sagte Handri. Der Glaube kann ja Berge<lb/>
versetzen, er kann wol auch aus einer armen Erdenstube<lb/>
ein reiches Himmelszimmer machen. Überhaupt kommt<lb/>
es nicht auf die Gegenstände an, ob sie uns wohlge-<lb/>
fallen, sondern auf die Augen, mit welchen wir sie an-<lb/>
sehen. Manche Augen sehen, wie Hans sagt, Alles<lb/>
häßlich, auch das Schönste und Lieblichste, das es un-<lb/>
ter der Sonne gibt, manche Augen dagegen sehen Al-<lb/>
les schön, auch das Häßlichste, das zu existiren wagt.</p><lb/>
        <p>Da sind ja die Augen Manchem zur Lust und<lb/>
Manchem zur Pein gegeben, sagte Marja; ist das nicht<lb/>
ungerecht vom lieben Gott?</p><lb/>
        <p>Nein, sagte Handri belehrend, es ist nicht ungerecht,<lb/>
denn unsere Augen sind nicht in der Art schön oder<lb/>
häßlich sehend, wie sie blau oder braun sind. Das Letz-<lb/>
tere können wir nicht ändern, das Erstere aber steht in<lb/>
unserer Macht.</p><lb/>
        <p>Das kann ich doch nicht recht glauben, sagte Lena,<lb/>
denn wenn ich traurig bin, da erscheint mir Alles dü-<lb/>
ster und traurig, wenn ich lustig bin, da sieht Alles<lb/>
heiter und lustig aus. Aber ob ich lustig und traurig<lb/>
bin, das hängt nicht von mir ab, sondern von Gott.</p><lb/>
        <p>Das habe ich dem alten Hans auch gesagt, aber<lb/>
der hat mir die Sache noch weiter erklärt. Er hat mir<lb/>
gesagt, es sei nicht nöthig, daß wir durch jeden Quark<lb/>
in Betrübniß geriethen. Wenn wir den rechten Glau-<lb/>
ben an Gott hätten, dann könnten wir nicht glauben,<lb/>
daß, was uns auch begegne, uns zum Nachtheil oder<lb/>
Schaden begegnen könne, wir müßten im Gegentheil<lb/>
bei Allem annehmen, daß es ein Samenkorn sei, aus<lb/>
dem sich zu irgend einer Zeit ein süßes Glück für uns<lb/>
entwickeln werde. Wenn der Acker von der Pflugschar<lb/>
aufgerissen werde, so würde er auch wol über den Ackers-<lb/>
mann klagen, wenn er fühlen könnte, wie ein Men-<lb/>
schenherz, aber doch sei das nöthig, wenn er mehr als<lb/>
ein Dornen= oder Distelfeld sein wollte.</p><lb/>
        <p>Jch verstehe, sagte Jan, der alte Hans meint: je-<lb/>
des Herz sei ein Acker, Gott sei der Ackersmann und<lb/>
der Schmerz, der es trifft, sei die Pflugschar, die es<lb/>
durchwühlt, damit es sich später mit grünen Weizen-<lb/>
feldern bedecken könne. Nun da wollte ich, daß Gott<lb/>
mich doch lieber zu einer Wiese bestimmte.</p><lb/>
        <p>Hanka wollte auch lieber eine Wiese sein, aber Han-<lb/>
dri behauptete, eine Wiese stehe weit unter einem Acker,<lb/>
denn sie nähre blos das Vieh, der Acker aber nähre<lb/>
vernünftige Menschen. Da nun die Früchte des Her-<lb/>
zens für den Himmel bestimmt seien, so müßte jedes<lb/>
Herz ein Acker sein, denn Gras und Heu könnte im<lb/>
Himmel, wo nur vernünftige Wesen wären, von kei-<lb/>
nem Nutzen sein.</p><lb/>
        <p>Marja und Lena traten auf Handri's Seite. Jan<lb/>
schwankte lange zwischen seiner und Handri's Ansicht,<lb/>
bis am Ende Marja's Vorstellung, sie möchte einmal<lb/>
keinen Mann haben, der lieber eine für das Vieh be-<lb/>
stimmte Wiese als ein vernünftiger Acker sein wollte,<lb/>
den Hartnäckigen auf andere Gedanken brachte und er<lb/>
meinte, wenn der liebe Gott die Pflugschar nur nicht<lb/>
so tief eingraben lassen wollte, so würde er es wol<lb/>
auch vertragen können, er wollte sich darum nicht weiter<lb/>
sträuben, ein Acker Gottes zu sein. Hanka ging nun<lb/>
auch zu der allgemeinen Ansicht über und wie Martha<lb/>
mit der Buttermilch kam, war Alles ein Herz und ein<lb/>
Sinn und freute sich der Buttermilch und der darauf<lb/>
folgenden Plinzen, als wäre es Nektar und Ambrosia<lb/>
aus der Himmelsküche herabgebracht.</p><lb/>
        <cb type="end"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[198/0006] 198 Dornenstrauch, Hansen's weiße Locken liegen so weich auf, wie die weißen Sommerwolken auf dem blauen Himmel; Kunzen's kleine graue Augen blicken so hoch- müthig aus ihren Höhlen, als glaubten sie, es sei nir- gend schöner als bei ihrem Herrn, als erwiesen sie Al- lem nur eine Gnade, was sie anzublicken die Güte hät- ten, Hansen's große, blaue Augen leuchten aber hervor wie die Sterne Gottes, Alles verklärend, was sie anbli- cken. Seht, unser Offizier, das wird der leibhaftige Hans, wenn er nur 30 Jahre älter sein wird. Du sprichst, wie der Blinde von der Farbe. Welch ein Unterschied zwischen dem Obersten und dem alten Hans: der Oberst, ein gebildeter, reicher und vornehmer Herr, von angenehmen Sitten und Manieren, und Hans, ein armer alter Häusler, roh wie alle andern Dorfbewohner und unwissend wie sie. Da thut Jhr dem armen Hans sehr unrecht. Er spricht wie der Pastor auf der Kanzel und wenn er er- zählt, da schläft gewiß Niemand ein, wie in der Kirche. Du bist in den alten Kerl vernarrt, aber so sehr du ihn auch lieben magst, du wirst ihn doch nicht dem Obersten gleich stellen. Mein Auge thut es freilich nicht, aber mein Herz thut es. Das Herz sieht nicht auf die Kleider, nicht auf das Geld, nicht auf den Leib, das Herz sieht nur auf das Herz und da findet es oft, daß, was dem Auge noch so verschieden erscheint, doch innerlich gleich ist. Und auf das Jnnere kommt es ja an, sagt unser Pastor, dem Jhr doch glauben werdet. Du bist ein Schwadroneur, sagte hier Martha, är- gerlich, daß sie im Herzen zugeben mußte, was sie eben angegriffen hatte, und suchte einen schicklichen Anlaß, das Gespräch abzubrechen. Die eben fröhlich zurückkehrenden vier andern Kinder gaben ihr denselben, indem sie glaubte, ihnen die Ungezogenheit verweisen zu müssen, daß sie den Obersten durch das Dorf begleitet hätten. Das ist doch keine Ungezogenheit, Jemandem das Geleite zn geben, sagte Jan, auch hats der Offizier nicht dafür angesehen. Er fragte mich, als ich vor ihm hersprang, wo ich hin wollte. Jch antwortete ihm, ich wollte ihn nur noch einige Augenblicke sehen und einen Kuß auf die Stirne haben, wie ihn Handri be- kommen. Er hob mich empor und küßte mich und die drei Mädel bekamen auch ihr Theil, nachdem ich für sie gebeten hatte. Hanka bekam sogar noch eine Zugabe für Handri und Mutter. Hier eilte Hanka auf die erröthende Mutter und bot ihr die Stirn zum Kusse. Nimm dir deinen Kuß von meiner Stirn, sagte sie schalkhaft, die Luft wird ihn wohl noch nicht verweht haben. Die Mutter küßte das holde Kind mit Entzücken zweimal auf die Stirn und strahlte wieder von innerer Freude. Mutter, du hast die Gabe für Handri mit weg- geküßt, sagte Hanka, du mußt mir einen Kuß zurück- geben. Als die Mutter ihrem Verlangen genügt hatte, warf sie sich Handri um den Hals und gab ihm den eben zurückempfangenen Kuß, wie sie ihn von der Mutter bekommen hatte, auf den Mund. Hierauf ahmten die übrigen Kinder das Beispiel Handri's nach und spannen mit solcher Lust, daß Marja sagte: Schöner kann es im Paradiese der Spinnerinnen nicht sein, als heute bei uns. Schöner wol, aber angenehmer nicht, bemerkte Lena. Wenn nur der Tisch mit Nektar und Ambrosia nicht fehlte, seufzte Jan. Nun der wird uns auch nicht lange mehr fehlen, tröstete Hanka, die Mutter hat köstliche Buttermilch ge- kauft und bäckt Plinzen. Nun da wollen wir doch glauben, daß wir im Pa- radiese seien, sagte Handri. Der Glaube kann ja Berge versetzen, er kann wol auch aus einer armen Erdenstube ein reiches Himmelszimmer machen. Überhaupt kommt es nicht auf die Gegenstände an, ob sie uns wohlge- fallen, sondern auf die Augen, mit welchen wir sie an- sehen. Manche Augen sehen, wie Hans sagt, Alles häßlich, auch das Schönste und Lieblichste, das es un- ter der Sonne gibt, manche Augen dagegen sehen Al- les schön, auch das Häßlichste, das zu existiren wagt. Da sind ja die Augen Manchem zur Lust und Manchem zur Pein gegeben, sagte Marja; ist das nicht ungerecht vom lieben Gott? Nein, sagte Handri belehrend, es ist nicht ungerecht, denn unsere Augen sind nicht in der Art schön oder häßlich sehend, wie sie blau oder braun sind. Das Letz- tere können wir nicht ändern, das Erstere aber steht in unserer Macht. Das kann ich doch nicht recht glauben, sagte Lena, denn wenn ich traurig bin, da erscheint mir Alles dü- ster und traurig, wenn ich lustig bin, da sieht Alles heiter und lustig aus. Aber ob ich lustig und traurig bin, das hängt nicht von mir ab, sondern von Gott. Das habe ich dem alten Hans auch gesagt, aber der hat mir die Sache noch weiter erklärt. Er hat mir gesagt, es sei nicht nöthig, daß wir durch jeden Quark in Betrübniß geriethen. Wenn wir den rechten Glau- ben an Gott hätten, dann könnten wir nicht glauben, daß, was uns auch begegne, uns zum Nachtheil oder Schaden begegnen könne, wir müßten im Gegentheil bei Allem annehmen, daß es ein Samenkorn sei, aus dem sich zu irgend einer Zeit ein süßes Glück für uns entwickeln werde. Wenn der Acker von der Pflugschar aufgerissen werde, so würde er auch wol über den Ackers- mann klagen, wenn er fühlen könnte, wie ein Men- schenherz, aber doch sei das nöthig, wenn er mehr als ein Dornen= oder Distelfeld sein wollte. Jch verstehe, sagte Jan, der alte Hans meint: je- des Herz sei ein Acker, Gott sei der Ackersmann und der Schmerz, der es trifft, sei die Pflugschar, die es durchwühlt, damit es sich später mit grünen Weizen- feldern bedecken könne. Nun da wollte ich, daß Gott mich doch lieber zu einer Wiese bestimmte. Hanka wollte auch lieber eine Wiese sein, aber Han- dri behauptete, eine Wiese stehe weit unter einem Acker, denn sie nähre blos das Vieh, der Acker aber nähre vernünftige Menschen. Da nun die Früchte des Her- zens für den Himmel bestimmt seien, so müßte jedes Herz ein Acker sein, denn Gras und Heu könnte im Himmel, wo nur vernünftige Wesen wären, von kei- nem Nutzen sein. Marja und Lena traten auf Handri's Seite. Jan schwankte lange zwischen seiner und Handri's Ansicht, bis am Ende Marja's Vorstellung, sie möchte einmal keinen Mann haben, der lieber eine für das Vieh be- stimmte Wiese als ein vernünftiger Acker sein wollte, den Hartnäckigen auf andere Gedanken brachte und er meinte, wenn der liebe Gott die Pflugschar nur nicht so tief eingraben lassen wollte, so würde er es wol auch vertragen können, er wollte sich darum nicht weiter sträuben, ein Acker Gottes zu sein. Hanka ging nun auch zu der allgemeinen Ansicht über und wie Martha mit der Buttermilch kam, war Alles ein Herz und ein Sinn und freute sich der Buttermilch und der darauf folgenden Plinzen, als wäre es Nektar und Ambrosia aus der Himmelsküche herabgebracht.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und TEI Transkription
Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

Weitere Informationen:

Siehe Dokumentation




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig025_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig025_1843/6
Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Neue Folge, Erster Jahrgang, Nr. 25. Leipzig (Sachsen), 24. Juni 1843, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig025_1843/6>, abgerufen am 14.06.2024.