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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Neue Folge, Erster Jahrgang, Nr. 35. Leipzig (Sachsen), 1843-09-02

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[Beginn Spaltensatz] gen, die sich hinter Glurns erheben, lehnt die verfallene
Burg Rotaud, gleich daneben ist Laatsch und gegenüber
Mals mit den Trümmern der Veste Fürstenburg. Von
Mals hat die Haide oder hohe Thalebene, welche sich
von hier bis über Reschen hinaufzieht und von einem
klaren Wiesenbache, der Etsch in ihren Anfängen,
durchflossen wird, den Namen Malserhaide bekommen.
Mals liegt an der Straße, die einerseits über das Worm-
serjoch in einer Höhe von 7500 Fuß in das liebliche
Veltlin und anderseits über die Buffalara in einer Höhe
von 5700 Fuß nach Graubündten führt. Mals ist ein
Mittelpunkt zu den herrlichsten Ausflügen. Die hier be-
ginnenden kleinen Thäler Planail und Matsch führen
zum Langtaufer, dem Nachbar des großen Eismeers, des
Ötzthaler Ferners; in wenigen Stunden kommt man
nach Sulden, jener Riesenmasse von Schnee und Eis-
krystallen, die von der nordöstlichen Flanke des Orteles
in ein wildes enges Thal hinabfällt. Von Mals aus
wird das Thal der malser Haide etwas weiter. Der Weg
führt an drei Seen vorüber, welche die anziehendsten Pro-
specte bieten. Wald bedeckt die Abhänge der Berge und
einen Theil der Seeufer; weit und breit ist keine Spur von
menschlichen Wohnungen, nur da, wo man sie am we-
nigsten erwartet, liegt Haid, wie aus den Wassern her-
vorgehoben, von denen es umgeben ist. Kommt man
über den dritten See bei Graun, so sieht man den Ur-
sprung der Etsch, die hier sehr friedlich ist, und noch
nichts von dem tobenden Charakter zeigt, den sie erst
annimmt, wo sie im Begriff ist, das Vintschgau zu ver-
lassen. Hinter Reschen wird es immer rauher, die Berge
rücken aneinander, die Anpflanzungen verschwinden im-
mer mehr, den Horizont begrenzen mehre Reihen überein-
ander hervorragender Berge von den sonderbarsten For-
men. Hier ist der Übergang des Vintschgaus in das
Jnnthal. Der einzige Ort in dieser Gegend heißt Nau-
ders; er liegt über 3000 Fuß hoch an der äußersten
Grenze des Oberinnthals. Von Nauders senkt sich die
Straße allmälig und die schroffen Felsen des befestigten
Passes von Finstermünz engen sie endlich so ein, daß
die Häuser dieses Ortes an den Felsen zu kleben scheinen
und die Straße durch ein Doppelthor verschlossen wer-
den kann. Jn der Tiefe spielt die grüne Welle des Jnns,
der hier schon ganz wohlgezogen fließt. An beiden Ufern
desselben am Einfluß der Trofana unweit Finstermünz
liegt Landeck, ein großes Dorf, bestehend aus einer lan-
gen Kette zerstreut liegender Häuser. Die Felsen von
Finstermünz weichen hier zurück, das Oberinnthal wird
immer freundlicher. Bei Jmst, einem Marktflecken von
3000 Einwohnern, die früher mit Kanarienvögeln Eu-
ropa von Petersburg bis Lissabon durchzogen, theilt
sich die Straße nach Jnnsbruck und nach Baiern. Auf
dem Wege nach Jnnsbruck kommt man in die Cister-
cienserabtei Stams, die sich durch die Gräber mehrer
Hohenstaufen, namentlich das Konradin's, auszeichnet.
Die Straße nach Baiern führt durchs Gurglthal und
bringt uns in die Gegend von Nassereit, welcher die
auf unserer Abbildung dargestellten drei Schlösser Sieg-
mundsburg, Fernstein und Klamm einen hohen Reiz
geben.



Pariser Gerichtsscene.
Drei Ohren für zwei.

Carton nähert sich dem Tribunal und hält, so hoch er
kann, ein Fläschchen in die Höhe, in welchem etwas
sehr schwer zu Bestimmendes schwimmt.

[Spaltenumbruch]

Präsident. Was ist in dieser Flasche?

Carton. Mein Ohr in Weingeist, Herr Präsident,
geschmückt mit seinem goldenen Ringe, in dem Zustande,
wie es von mir abgetrennt ist.

Präsident. Wie haben Sie Jhr Ohr verloren?

Carton. Da hier sitzt er auf der Bank der An-
geklagten, er nennt sich Robin, ein wahres reißendes
Thier.

Präsident. Erzählen Sie uns die Einzelheiten
der Klage im Zusammenhange.

Carton. Jch erlaube mir, Jhnen diesen in Wein-
geist aufbewahrten Gegenstand vorzulegen, begleitet von
einem Zeugnisse eines berühmten Arztes. Sie können
sehen, daß besagtes Ohr durchaus kein Präparat ist.

Präsident. Wir zweifeln durchaus nicht. Be-
halten Sie Jhr Glas.

Carton. Jch habe es verwahrt und versiegelt zu
Jhrer Einsicht. Eines Abends fuhr ich mit meinem Kar-
ren die Straße St.=Denis hinab, als mir dieser Bur-
sche mit seinem Wagen den Weg versperrte. Jch rief
ihm zu, auszuweichen. Er wich nicht, obgleich ich die
Auffoderung wiederholte. Endlich sprang er von seinem
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schläge die Sache auseinanderzusetzen. Kaum aber bin
ich zur Erde, als mich der Lump auch schon packt, nie-
derwirft, in den Rinnstein schleift und mir mit einem
Bisse das Ohr abbeißt. Sie haben hier den Freund
Bridet, der die Sache mit angesehen hat.

Bridet. Jch hab's gesehen. Jch war eben bei
einem Krämer, um mir ein Licht zu kaufen, und half
nun Carton sein Ohr suchen. Wir haben fast fünf Mi-
nuten gesucht. Endlich fanden wir's im Rinnsteine. Ra-
then Sie einmal, wo es sich da versteckt hatte!

Präsident. Das gehört nicht hierher.

Bridet. Zwischen zwei Pflastersteinen, mein Herr
Präsident, zwischen zwei Pflastersteinen. Wir haben's
dann abgespült und in eine Flasche gethan.

Präsident zu Carton. Verlangen Sie Scha-
denersatz?

Carton. Meiner Treu, nein!

Bridet. Wie dumm du bist! Fodere nur, du
hast ja ein Recht dazu. Wir vertrinken's.

Carton. Ja, und wenn er kein Geld hat, so be-
zahle ich die Kosten. Entschuldigen Sie, ich sah nach
und ich höre das Ohr nicht.

Präsident. Waren Sie lange krank?

Carton. Acht Tage.

Präsident. Hat Sie der Arzt oft besucht?

Carton. Zwei Mal; fürs erste Mal gab ich ihm
sieben Francs, fürs zweite Mal sechs.

Präsident. Angeklagter Robin, wie konntet Jhr
Euch ein solches Vergehen zu Schulden kommen lassen?

Robin. Jch? Herrgott! Unschuldig, rein wie ein
Lamm.

Präsident. Alle Zeugen sprechen aus, daß Jhr
diesem Unglücklichen das Ohr abgebissen habt; man hat
das Ohr auf der Erde gefunden und es uns hier vor-
gezeigt.

Robin. Was beweist denn ein Ohr in Spiritus?

Präsident. Daß es nicht an seinem Platze ist.

Robin. Es ist möglich, daß das Ohr Carton's,
als wir einer über den andern fielen, im Rinnstein lie-
gen geblieben ist. Aber ich, ein Familienvater, gehe
nicht darauf aus, Ohren abzubeißen. Jch habe niemals
Geschmack an solchen Dingen gehabt.

Carton. So muß es von sich selbst losgegan-
gen sein.

Robin. So scheint's.

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] gen, die sich hinter Glurns erheben, lehnt die verfallene
Burg Rotaud, gleich daneben ist Laatsch und gegenüber
Mals mit den Trümmern der Veste Fürstenburg. Von
Mals hat die Haide oder hohe Thalebene, welche sich
von hier bis über Reschen hinaufzieht und von einem
klaren Wiesenbache, der Etsch in ihren Anfängen,
durchflossen wird, den Namen Malserhaide bekommen.
Mals liegt an der Straße, die einerseits über das Worm-
serjoch in einer Höhe von 7500 Fuß in das liebliche
Veltlin und anderseits über die Buffalara in einer Höhe
von 5700 Fuß nach Graubündten führt. Mals ist ein
Mittelpunkt zu den herrlichsten Ausflügen. Die hier be-
ginnenden kleinen Thäler Planail und Matsch führen
zum Langtaufer, dem Nachbar des großen Eismeers, des
Ötzthaler Ferners; in wenigen Stunden kommt man
nach Sulden, jener Riesenmasse von Schnee und Eis-
krystallen, die von der nordöstlichen Flanke des Orteles
in ein wildes enges Thal hinabfällt. Von Mals aus
wird das Thal der malser Haide etwas weiter. Der Weg
führt an drei Seen vorüber, welche die anziehendsten Pro-
specte bieten. Wald bedeckt die Abhänge der Berge und
einen Theil der Seeufer; weit und breit ist keine Spur von
menschlichen Wohnungen, nur da, wo man sie am we-
nigsten erwartet, liegt Haid, wie aus den Wassern her-
vorgehoben, von denen es umgeben ist. Kommt man
über den dritten See bei Graun, so sieht man den Ur-
sprung der Etsch, die hier sehr friedlich ist, und noch
nichts von dem tobenden Charakter zeigt, den sie erst
annimmt, wo sie im Begriff ist, das Vintschgau zu ver-
lassen. Hinter Reschen wird es immer rauher, die Berge
rücken aneinander, die Anpflanzungen verschwinden im-
mer mehr, den Horizont begrenzen mehre Reihen überein-
ander hervorragender Berge von den sonderbarsten For-
men. Hier ist der Übergang des Vintschgaus in das
Jnnthal. Der einzige Ort in dieser Gegend heißt Nau-
ders; er liegt über 3000 Fuß hoch an der äußersten
Grenze des Oberinnthals. Von Nauders senkt sich die
Straße allmälig und die schroffen Felsen des befestigten
Passes von Finstermünz engen sie endlich so ein, daß
die Häuser dieses Ortes an den Felsen zu kleben scheinen
und die Straße durch ein Doppelthor verschlossen wer-
den kann. Jn der Tiefe spielt die grüne Welle des Jnns,
der hier schon ganz wohlgezogen fließt. An beiden Ufern
desselben am Einfluß der Trofana unweit Finstermünz
liegt Landeck, ein großes Dorf, bestehend aus einer lan-
gen Kette zerstreut liegender Häuser. Die Felsen von
Finstermünz weichen hier zurück, das Oberinnthal wird
immer freundlicher. Bei Jmst, einem Marktflecken von
3000 Einwohnern, die früher mit Kanarienvögeln Eu-
ropa von Petersburg bis Lissabon durchzogen, theilt
sich die Straße nach Jnnsbruck und nach Baiern. Auf
dem Wege nach Jnnsbruck kommt man in die Cister-
cienserabtei Stams, die sich durch die Gräber mehrer
Hohenstaufen, namentlich das Konradin's, auszeichnet.
Die Straße nach Baiern führt durchs Gurglthal und
bringt uns in die Gegend von Nassereit, welcher die
auf unserer Abbildung dargestellten drei Schlösser Sieg-
mundsburg, Fernstein und Klamm einen hohen Reiz
geben.



Pariser Gerichtsscene.
Drei Ohren für zwei.

Carton nähert sich dem Tribunal und hält, so hoch er
kann, ein Fläschchen in die Höhe, in welchem etwas
sehr schwer zu Bestimmendes schwimmt.

[Spaltenumbruch]

Präsident. Was ist in dieser Flasche?

Carton. Mein Ohr in Weingeist, Herr Präsident,
geschmückt mit seinem goldenen Ringe, in dem Zustande,
wie es von mir abgetrennt ist.

Präsident. Wie haben Sie Jhr Ohr verloren?

Carton. Da hier sitzt er auf der Bank der An-
geklagten, er nennt sich Robin, ein wahres reißendes
Thier.

Präsident. Erzählen Sie uns die Einzelheiten
der Klage im Zusammenhange.

Carton. Jch erlaube mir, Jhnen diesen in Wein-
geist aufbewahrten Gegenstand vorzulegen, begleitet von
einem Zeugnisse eines berühmten Arztes. Sie können
sehen, daß besagtes Ohr durchaus kein Präparat ist.

Präsident. Wir zweifeln durchaus nicht. Be-
halten Sie Jhr Glas.

Carton. Jch habe es verwahrt und versiegelt zu
Jhrer Einsicht. Eines Abends fuhr ich mit meinem Kar-
ren die Straße St.=Denis hinab, als mir dieser Bur-
sche mit seinem Wagen den Weg versperrte. Jch rief
ihm zu, auszuweichen. Er wich nicht, obgleich ich die
Auffoderung wiederholte. Endlich sprang er von seinem
Wagen, ich von meinem Karren, um uns durch Faust-
schläge die Sache auseinanderzusetzen. Kaum aber bin
ich zur Erde, als mich der Lump auch schon packt, nie-
derwirft, in den Rinnstein schleift und mir mit einem
Bisse das Ohr abbeißt. Sie haben hier den Freund
Bridet, der die Sache mit angesehen hat.

Bridet. Jch hab's gesehen. Jch war eben bei
einem Krämer, um mir ein Licht zu kaufen, und half
nun Carton sein Ohr suchen. Wir haben fast fünf Mi-
nuten gesucht. Endlich fanden wir's im Rinnsteine. Ra-
then Sie einmal, wo es sich da versteckt hatte!

Präsident. Das gehört nicht hierher.

Bridet. Zwischen zwei Pflastersteinen, mein Herr
Präsident, zwischen zwei Pflastersteinen. Wir haben's
dann abgespült und in eine Flasche gethan.

Präsident zu Carton. Verlangen Sie Scha-
denersatz?

Carton. Meiner Treu, nein!

Bridet. Wie dumm du bist! Fodere nur, du
hast ja ein Recht dazu. Wir vertrinken's.

Carton. Ja, und wenn er kein Geld hat, so be-
zahle ich die Kosten. Entschuldigen Sie, ich sah nach
und ich höre das Ohr nicht.

Präsident. Waren Sie lange krank?

Carton. Acht Tage.

Präsident. Hat Sie der Arzt oft besucht?

Carton. Zwei Mal; fürs erste Mal gab ich ihm
sieben Francs, fürs zweite Mal sechs.

Präsident. Angeklagter Robin, wie konntet Jhr
Euch ein solches Vergehen zu Schulden kommen lassen?

Robin. Jch? Herrgott! Unschuldig, rein wie ein
Lamm.

Präsident. Alle Zeugen sprechen aus, daß Jhr
diesem Unglücklichen das Ohr abgebissen habt; man hat
das Ohr auf der Erde gefunden und es uns hier vor-
gezeigt.

Robin. Was beweist denn ein Ohr in Spiritus?

Präsident. Daß es nicht an seinem Platze ist.

Robin. Es ist möglich, daß das Ohr Carton's,
als wir einer über den andern fielen, im Rinnstein lie-
gen geblieben ist. Aber ich, ein Familienvater, gehe
nicht darauf aus, Ohren abzubeißen. Jch habe niemals
Geschmack an solchen Dingen gehabt.

Carton. So muß es von sich selbst losgegan-
gen sein.

Robin. So scheint's.

[Ende Spaltensatz]
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Jch erlaube mir, Jhnen diesen in Wein- geist aufbewahrten Gegenstand vorzulegen, begleitet von einem Zeugnisse eines berühmten Arztes. Sie können sehen, daß besagtes Ohr durchaus kein Präparat ist. Präsident. Wir zweifeln durchaus nicht. Be- halten Sie Jhr Glas. Carton. Jch habe es verwahrt und versiegelt zu Jhrer Einsicht. Eines Abends fuhr ich mit meinem Kar- ren die Straße St.=Denis hinab, als mir dieser Bur- sche mit seinem Wagen den Weg versperrte. Jch rief ihm zu, auszuweichen. Er wich nicht, obgleich ich die Auffoderung wiederholte. Endlich sprang er von seinem Wagen, ich von meinem Karren, um uns durch Faust- schläge die Sache auseinanderzusetzen. Kaum aber bin ich zur Erde, als mich der Lump auch schon packt, nie- derwirft, in den Rinnstein schleift und mir mit einem Bisse das Ohr abbeißt. Sie haben hier den Freund Bridet, der die Sache mit angesehen hat. Bridet. Jch hab's gesehen. Jch war eben bei einem Krämer, um mir ein Licht zu kaufen, und half nun Carton sein Ohr suchen. Wir haben fast fünf Mi- nuten gesucht. Endlich fanden wir's im Rinnsteine. Ra- then Sie einmal, wo es sich da versteckt hatte! Präsident. Das gehört nicht hierher. Bridet. Zwischen zwei Pflastersteinen, mein Herr Präsident, zwischen zwei Pflastersteinen. Wir haben's dann abgespült und in eine Flasche gethan. Präsident zu Carton. Verlangen Sie Scha- denersatz? Carton. Meiner Treu, nein! Bridet. Wie dumm du bist! Fodere nur, du hast ja ein Recht dazu. Wir vertrinken's. Carton. Ja, und wenn er kein Geld hat, so be- zahle ich die Kosten. Entschuldigen Sie, ich sah nach und ich höre das Ohr nicht. Präsident. Waren Sie lange krank? Carton. Acht Tage. Präsident. Hat Sie der Arzt oft besucht? Carton. Zwei Mal; fürs erste Mal gab ich ihm sieben Francs, fürs zweite Mal sechs. Präsident. Angeklagter Robin, wie konntet Jhr Euch ein solches Vergehen zu Schulden kommen lassen? Robin. Jch? Herrgott! Unschuldig, rein wie ein Lamm. Präsident. Alle Zeugen sprechen aus, daß Jhr diesem Unglücklichen das Ohr abgebissen habt; man hat das Ohr auf der Erde gefunden und es uns hier vor- gezeigt. Robin. Was beweist denn ein Ohr in Spiritus? Präsident. Daß es nicht an seinem Platze ist. Robin. Es ist möglich, daß das Ohr Carton's, als wir einer über den andern fielen, im Rinnstein lie- gen geblieben ist. Aber ich, ein Familienvater, gehe nicht darauf aus, Ohren abzubeißen. Jch habe niemals Geschmack an solchen Dingen gehabt. Carton. So muß es von sich selbst losgegan- gen sein. Robin. So scheint's.

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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Neue Folge, Erster Jahrgang, Nr. 35. Leipzig (Sachsen), 1843-09-02, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig035_1843/2>, abgerufen am 01.06.2024.