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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 98. Leipzig (Sachsen), 16. November 1854.

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[Beginn Spaltensatz] der und Augsburg blieb fort und fort wie Haup si
der Familie, so auch Mittelpunkt des gemeinsamen
Geschäfts. Dort mußte also der Überblick gewahrt
werden, dort liefen alle Fäden zusammen, dorthin
flossen aus allen Ländern die Nachrichten, welche auf
die Handelsunternehmungen Einfluß haben konnten,
und dort entstanden auf diese Weise unter den Augen
des Hauses Fugger die ersten deutschen Zeitungen.

Doch, was sagen wir: die ersten deutschen Zeitun-
gen! Trifft doch diese Bezeichnung hier nur insofern
zu, als allerdings deutsche Jnteressen zumeist den Ge-
genstand ihres Jnhalts bilden; da aber die hier zusam-
mengestellten Nachrichten größtentheils von Handels-
häusern ausgingen, so waren sie auch in der damals
üblichen Handelssprache italienisch abgefaßt. Seltener
schon sind die französischen und spanischen Correspon-
denzen, wohingegen wiederum die Zahl der lateini-
schen, meist von Geistlichen und Gelehrten herrühren-
den Briefe nicht unbedeutend vorwiegt. Die übrigen
deutsch geschriebenen Berichte endlich erfahren seitens
unsers Gewährsmanns eine wenig günstige Kritik, nach
welcher sie im Allgemeinen den Stempel großer Unbe-
holfenheit und unerquicklicher Breite ohne Leben und
Frische tragen. Etwas höher stellt berselbe in sprach-
licher Hinsicht die in der Zeitung mitgetheilten deut-
schen Reime, meist satirischen Jnhalts.

Der Umstand nun, daß die Zeitung, wie eben
nachgewiesen, in mehren Sprachen geschrieben wurde,
weist schon auf einen beschränkten Leserkreis hin, und
dazu kam fernerweit, daß das Jnteresse an den Welt-
händeln ja auch noch wenig verbreitet war, ebenso we-
nig wie das, um sie zu verfolgen, erfoderliche Ver-
ständniß. Hierin und in der Langsamkeit, mit wel-
cher die Nachrichten eingingen, liegt der wichtigste Un-
terschied des Zeitungswesens von damals und von heute.
Was auf dem gewöhnlichen Verkehrswege und an den
regelmäßigen Posttagen einging, wurde als " ordinari-
Zeitungen" zusammengestellt, neben denen dann Beila-
gen mit den "extraordinari" ausgegeben wurden. Aus
einer Rechnung, welche Jeremias Krasser, Mitbürger
und Zeitungsschreiber in Augsburg, dem Herrn Phi-
lipp Eduard Fugger im Jahre 1588 vorlegte, ergibt
sich, daß der Schreiber pro Bogen vier Kreuzer er-
hielt. Dieser Preis scheint indeß dem reichen Kauf-
herrn zu hoch angesetzt gewesen zu sein, denn Krasser
hält ihm vor, daß viele andere Herren, die er anführt
( Namen aus Augsburg und der Umgegend ) ihm Dasselbe
zahlen, selbst wenn nicht das ganze Blatt beschrieben
ist. Uebrigens erbietet er sich die ordinari-Zeitungen
für 14 Gulden jährlich zu liefern und die extra-or-
dinari
für je vier Kreuzer oder will auch alle Zeitun-
gen für 25 -- 30 Gulden jährlich schreiben und ins
Haus schicken. Rücksichtlich ihrer Hauptanlage, der
Ausführlichkeit und Wahrheitstreue der Nachrichten und
der Mannichfaltigkeit des Stoffs jedoch entsprachen jene
uralten Zeitungen dem Bedürfnisse des nach Neuigkei-
ten lüsternen Lesers beinahe besser, als dies gegenwär-
tig mit den unserigen der Fall ist.

Einige Proben des Jnhalts jener interessanten Zei-
tungssammlung dürften wol von unsern Lesern willkom-
men geheißen werden, indem sich aus denselben am be-
sten der Vergleich mit unserer heutigen Tagespresse ergibt.

Den Hintergrund der politischen Begebenheiten bil-
deten gegen Ende des 16. Jahrhunderts die religiösen
Bewegungen in Deutschland, gleichzeitig aber waren
Aller Augen auf die unglücklichen Niederlande gerich-
tet, deren blutige Kämpfe gegen spanische Tyrannei in
naher Berührung zur Handelswelt standen. So füllen die
[Spaltenumbruch] tragischen Ereignisse jener Zeit, welche uns Goethe's und
Schiller's Dramen vorführen, viele Blätter aus; mehre
Berichterstatter erzählen die Hinrichtung von Egmont
und Hoorn und was sie geredet haben; ebenso den Tod
der Maria Stuart, die Ermordung Posa's, die Vor-
gänge bei und nach dem Tode des Don Carlos u. s. w.

Ein ganz besonderes Jnteresse gewinnt gerade jetzt
eine in dem Jahrgange 1585 enthaltene Notiz über
einen russischen Gesandten am kaiserlichen Hofe zu
Wien, der um jene Zeit in ähnlicher Weise wie jüngst-
hin sein College Menschikoff bei der Hohen Pforte von
sich reden machte. Die Zeitung erzählt nämlich: "Der
Gesandte des Moskowiters stellte sich gestern Sr. Ma-
jestät vor. Er hatte drei rothe Kappen auf und nahm
von denselben, als er sprach, nur zwei ab. Darüber
zur Rede gestellt, daß er die dritte vor dem Kaiser
aufbehalte, erklärte er, diese nur vor seinem Herrn
abnehmen zu wollen."

Aus der Türkei sind in einigen Jahrgängen der
Zeitung gegen 100 Briefe aufgenommen, die von Kon-
stantinopel bis Wien in der Regel 40 -- 50 Tage un-
terwegs waren; von den außereuropäischen Correspon-
denzen aber erwähnen wir insbesondere die Berichte
aus Amerika, Ostindien, Persien, China und Japan.
Soviel von dem politischen Theile der Zeitungen jener
Tage, neben welchem man auch literarischen Notizen
aller Art eine ziemliche Ausdehnung vergönnte, indem
unter andern "Tractätlein an die Fürsten gegen böse
Weiber und Hexen", ferner "Fliegende Blätter" und
dergleichen mehr der Zeitung als Beilage mitgegeben
wurden. Ebenso brachten die Zeitungen auch damals
schon eine Art Feuilleton, als: landschaftliche Schilde-
rungen, Beschreibungen von Festen, Aufzügen und
Volkssitten, Proceß= und andere sogenannte vermischte
Nachrichten, welche nicht selten ein schlagendes Licht
auf die socialen Zustände des 16. und 17. Jahrhun-
derts zu werfen geeignet sind. Das üppige, prahleri-
sche Leben der Fürsten und adeligen Herren, das trau-
rig gegen die Finanznoth im Staatswesen absticht,
wird besonders häufig geschildert. So wird von einer
zu Prag gefeierten Hochzeit eines Herrn von Rosen-
berg mitgetheilt, was Alles dabei aufgegangen sei,
nämlich: 38 Hirsche, 1300 Hasen, 15,000 Krammets-
vögel, 20,000 Eier, 500 Kapaunen, 5000 Hennen,
1300 Gänse, 800 Schöpse, 50 westfälische Schinken,
17 Centner Schmalz, 7000 Fische, 5 Tonnen Au-
stern, 318 Faß Wein, 170 Faß Bier u. s. w.

Schließlich wollen wir noch einer Correspondenz
aus Komorn vom Jahre [unleserliches Material - 4 Zeichen fehlen]1595 gedenken, in welcher
nachstehendes ( politisches ) Lied an "Kaiser Rudolfus"
enthalten ist:

O römischer Kaiser Rudolph der ander,
Wie ser last du so gar deine erblander,
Regierst sie nicht nach deiner pflicht....
Jch rat Dir, thue recht zur sachen schauen,
Thue nicht Deinem nechsten rat alles vertrauen!
Wilt Du behalten land und leut,
Mach Dich bald uf Wien, es ist große zeit....
Halt justitia im regiment!
Wirstu solches nit thuen und außbleiben,
Wirst Dich nit lang könig in Ungarn schreiben,
So wol von Österreich desgleichen,
Es wirt warlich von Dir müßen weichen.
Was werden die Behaim *) darzue sagen?
Thuen zuvor nit viel nach Dir fragen u. s. w.


[Ende Spaltensatz]
*) Böhmen.

[Beginn Spaltensatz] der und Augsburg blieb fort und fort wie Haup si
der Familie, so auch Mittelpunkt des gemeinsamen
Geschäfts. Dort mußte also der Überblick gewahrt
werden, dort liefen alle Fäden zusammen, dorthin
flossen aus allen Ländern die Nachrichten, welche auf
die Handelsunternehmungen Einfluß haben konnten,
und dort entstanden auf diese Weise unter den Augen
des Hauses Fugger die ersten deutschen Zeitungen.

Doch, was sagen wir: die ersten deutschen Zeitun-
gen! Trifft doch diese Bezeichnung hier nur insofern
zu, als allerdings deutsche Jnteressen zumeist den Ge-
genstand ihres Jnhalts bilden; da aber die hier zusam-
mengestellten Nachrichten größtentheils von Handels-
häusern ausgingen, so waren sie auch in der damals
üblichen Handelssprache italienisch abgefaßt. Seltener
schon sind die französischen und spanischen Correspon-
denzen, wohingegen wiederum die Zahl der lateini-
schen, meist von Geistlichen und Gelehrten herrühren-
den Briefe nicht unbedeutend vorwiegt. Die übrigen
deutsch geschriebenen Berichte endlich erfahren seitens
unsers Gewährsmanns eine wenig günstige Kritik, nach
welcher sie im Allgemeinen den Stempel großer Unbe-
holfenheit und unerquicklicher Breite ohne Leben und
Frische tragen. Etwas höher stellt berselbe in sprach-
licher Hinsicht die in der Zeitung mitgetheilten deut-
schen Reime, meist satirischen Jnhalts.

Der Umstand nun, daß die Zeitung, wie eben
nachgewiesen, in mehren Sprachen geschrieben wurde,
weist schon auf einen beschränkten Leserkreis hin, und
dazu kam fernerweit, daß das Jnteresse an den Welt-
händeln ja auch noch wenig verbreitet war, ebenso we-
nig wie das, um sie zu verfolgen, erfoderliche Ver-
ständniß. Hierin und in der Langsamkeit, mit wel-
cher die Nachrichten eingingen, liegt der wichtigste Un-
terschied des Zeitungswesens von damals und von heute.
Was auf dem gewöhnlichen Verkehrswege und an den
regelmäßigen Posttagen einging, wurde als „ ordinari-
Zeitungen“ zusammengestellt, neben denen dann Beila-
gen mit den „extraordinari“ ausgegeben wurden. Aus
einer Rechnung, welche Jeremias Krasser, Mitbürger
und Zeitungsschreiber in Augsburg, dem Herrn Phi-
lipp Eduard Fugger im Jahre 1588 vorlegte, ergibt
sich, daß der Schreiber pro Bogen vier Kreuzer er-
hielt. Dieser Preis scheint indeß dem reichen Kauf-
herrn zu hoch angesetzt gewesen zu sein, denn Krasser
hält ihm vor, daß viele andere Herren, die er anführt
( Namen aus Augsburg und der Umgegend ) ihm Dasselbe
zahlen, selbst wenn nicht das ganze Blatt beschrieben
ist. Uebrigens erbietet er sich die ordinari-Zeitungen
für 14 Gulden jährlich zu liefern und die extra-or-
dinari
für je vier Kreuzer oder will auch alle Zeitun-
gen für 25 — 30 Gulden jährlich schreiben und ins
Haus schicken. Rücksichtlich ihrer Hauptanlage, der
Ausführlichkeit und Wahrheitstreue der Nachrichten und
der Mannichfaltigkeit des Stoffs jedoch entsprachen jene
uralten Zeitungen dem Bedürfnisse des nach Neuigkei-
ten lüsternen Lesers beinahe besser, als dies gegenwär-
tig mit den unserigen der Fall ist.

Einige Proben des Jnhalts jener interessanten Zei-
tungssammlung dürften wol von unsern Lesern willkom-
men geheißen werden, indem sich aus denselben am be-
sten der Vergleich mit unserer heutigen Tagespresse ergibt.

Den Hintergrund der politischen Begebenheiten bil-
deten gegen Ende des 16. Jahrhunderts die religiösen
Bewegungen in Deutschland, gleichzeitig aber waren
Aller Augen auf die unglücklichen Niederlande gerich-
tet, deren blutige Kämpfe gegen spanische Tyrannei in
naher Berührung zur Handelswelt standen. So füllen die
[Spaltenumbruch] tragischen Ereignisse jener Zeit, welche uns Goethe's und
Schiller's Dramen vorführen, viele Blätter aus; mehre
Berichterstatter erzählen die Hinrichtung von Egmont
und Hoorn und was sie geredet haben; ebenso den Tod
der Maria Stuart, die Ermordung Posa's, die Vor-
gänge bei und nach dem Tode des Don Carlos u. s. w.

Ein ganz besonderes Jnteresse gewinnt gerade jetzt
eine in dem Jahrgange 1585 enthaltene Notiz über
einen russischen Gesandten am kaiserlichen Hofe zu
Wien, der um jene Zeit in ähnlicher Weise wie jüngst-
hin sein College Menschikoff bei der Hohen Pforte von
sich reden machte. Die Zeitung erzählt nämlich: „Der
Gesandte des Moskowiters stellte sich gestern Sr. Ma-
jestät vor. Er hatte drei rothe Kappen auf und nahm
von denselben, als er sprach, nur zwei ab. Darüber
zur Rede gestellt, daß er die dritte vor dem Kaiser
aufbehalte, erklärte er, diese nur vor seinem Herrn
abnehmen zu wollen.“

Aus der Türkei sind in einigen Jahrgängen der
Zeitung gegen 100 Briefe aufgenommen, die von Kon-
stantinopel bis Wien in der Regel 40 — 50 Tage un-
terwegs waren; von den außereuropäischen Correspon-
denzen aber erwähnen wir insbesondere die Berichte
aus Amerika, Ostindien, Persien, China und Japan.
Soviel von dem politischen Theile der Zeitungen jener
Tage, neben welchem man auch literarischen Notizen
aller Art eine ziemliche Ausdehnung vergönnte, indem
unter andern „Tractätlein an die Fürsten gegen böse
Weiber und Hexen“, ferner „Fliegende Blätter“ und
dergleichen mehr der Zeitung als Beilage mitgegeben
wurden. Ebenso brachten die Zeitungen auch damals
schon eine Art Feuilleton, als: landschaftliche Schilde-
rungen, Beschreibungen von Festen, Aufzügen und
Volkssitten, Proceß= und andere sogenannte vermischte
Nachrichten, welche nicht selten ein schlagendes Licht
auf die socialen Zustände des 16. und 17. Jahrhun-
derts zu werfen geeignet sind. Das üppige, prahleri-
sche Leben der Fürsten und adeligen Herren, das trau-
rig gegen die Finanznoth im Staatswesen absticht,
wird besonders häufig geschildert. So wird von einer
zu Prag gefeierten Hochzeit eines Herrn von Rosen-
berg mitgetheilt, was Alles dabei aufgegangen sei,
nämlich: 38 Hirsche, 1300 Hasen, 15,000 Krammets-
vögel, 20,000 Eier, 500 Kapaunen, 5000 Hennen,
1300 Gänse, 800 Schöpse, 50 westfälische Schinken,
17 Centner Schmalz, 7000 Fische, 5 Tonnen Au-
stern, 318 Faß Wein, 170 Faß Bier u. s. w.

Schließlich wollen wir noch einer Correspondenz
aus Komorn vom Jahre [unleserliches Material – 4 Zeichen fehlen]1595 gedenken, in welcher
nachstehendes ( politisches ) Lied an „Kaiser Rudolfus“
enthalten ist:

O römischer Kaiser Rudolph der ander,
Wie ser last du so gar deine erblander,
Regierst sie nicht nach deiner pflicht....
Jch rat Dir, thue recht zur sachen schauen,
Thue nicht Deinem nechsten rat alles vertrauen!
Wilt Du behalten land und leut,
Mach Dich bald uf Wien, es ist große zeit....
Halt justitia im regiment!
Wirstu solches nit thuen und außbleiben,
Wirst Dich nit lang könig in Ungarn schreiben,
So wol von Österreich desgleichen,
Es wirt warlich von Dir müßen weichen.
Was werden die Behaim *) darzue sagen?
Thuen zuvor nit viel nach Dir fragen u. s. w.


[Ende Spaltensatz]
*) Böhmen.
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So füllen die tragischen Ereignisse jener Zeit, welche uns Goethe's und Schiller's Dramen vorführen, viele Blätter aus; mehre Berichterstatter erzählen die Hinrichtung von Egmont und Hoorn und was sie geredet haben; ebenso den Tod der Maria Stuart, die Ermordung Posa's, die Vor- gänge bei und nach dem Tode des Don Carlos u. s. w. Ein ganz besonderes Jnteresse gewinnt gerade jetzt eine in dem Jahrgange 1585 enthaltene Notiz über einen russischen Gesandten am kaiserlichen Hofe zu Wien, der um jene Zeit in ähnlicher Weise wie jüngst- hin sein College Menschikoff bei der Hohen Pforte von sich reden machte. Die Zeitung erzählt nämlich: „Der Gesandte des Moskowiters stellte sich gestern Sr. Ma- jestät vor. Er hatte drei rothe Kappen auf und nahm von denselben, als er sprach, nur zwei ab. Darüber zur Rede gestellt, daß er die dritte vor dem Kaiser aufbehalte, erklärte er, diese nur vor seinem Herrn abnehmen zu wollen.“ Aus der Türkei sind in einigen Jahrgängen der Zeitung gegen 100 Briefe aufgenommen, die von Kon- stantinopel bis Wien in der Regel 40 — 50 Tage un- terwegs waren; von den außereuropäischen Correspon- denzen aber erwähnen wir insbesondere die Berichte aus Amerika, Ostindien, Persien, China und Japan. Soviel von dem politischen Theile der Zeitungen jener Tage, neben welchem man auch literarischen Notizen aller Art eine ziemliche Ausdehnung vergönnte, indem unter andern „Tractätlein an die Fürsten gegen böse Weiber und Hexen“, ferner „Fliegende Blätter“ und dergleichen mehr der Zeitung als Beilage mitgegeben wurden. Ebenso brachten die Zeitungen auch damals schon eine Art Feuilleton, als: landschaftliche Schilde- rungen, Beschreibungen von Festen, Aufzügen und Volkssitten, Proceß= und andere sogenannte vermischte Nachrichten, welche nicht selten ein schlagendes Licht auf die socialen Zustände des 16. und 17. Jahrhun- derts zu werfen geeignet sind. Das üppige, prahleri- sche Leben der Fürsten und adeligen Herren, das trau- rig gegen die Finanznoth im Staatswesen absticht, wird besonders häufig geschildert. So wird von einer zu Prag gefeierten Hochzeit eines Herrn von Rosen- berg mitgetheilt, was Alles dabei aufgegangen sei, nämlich: 38 Hirsche, 1300 Hasen, 15,000 Krammets- vögel, 20,000 Eier, 500 Kapaunen, 5000 Hennen, 1300 Gänse, 800 Schöpse, 50 westfälische Schinken, 17 Centner Schmalz, 7000 Fische, 5 Tonnen Au- stern, 318 Faß Wein, 170 Faß Bier u. s. w. Schließlich wollen wir noch einer Correspondenz aus Komorn vom Jahre ____1595 gedenken, in welcher nachstehendes ( politisches ) Lied an „Kaiser Rudolfus“ enthalten ist: O römischer Kaiser Rudolph der ander, Wie ser last du so gar deine erblander, Regierst sie nicht nach deiner pflicht.... Jch rat Dir, thue recht zur sachen schauen, Thue nicht Deinem nechsten rat alles vertrauen! Wilt Du behalten land und leut, Mach Dich bald uf Wien, es ist große zeit.... Halt justitia im regiment! Wirstu solches nit thuen und außbleiben, Wirst Dich nit lang könig in Ungarn schreiben, So wol von Österreich desgleichen, Es wirt warlich von Dir müßen weichen. Was werden die Behaim *) darzue sagen? Thuen zuvor nit viel nach Dir fragen u. s. w. *) Böhmen.

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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 98. Leipzig (Sachsen), 16. November 1854, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig098_1854/7>, abgerufen am 01.06.2024.