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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Dritter Jahrgang, Nr. 115. Leipzig (Sachsen), 15. März 1855.

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[Beginn Spaltensatz] Lobgesang der Engel: "Ehre sei Gott in der Höhe!"
anstimmen hört. Die Geburt des Heilandes wird in
Wechselgesängen zwischen Engeln und Hirten gefeiert.
Dann tritt der Bischof einfach gekleidet, um die glanz-
lose Erscheinung Christi auf Erden zu bezeichnen, be-
gleitet von den übrigen Geistlichen, gleichsam den Jün-
gern, aus den heiligen Thüren und stellt, unter lob-
singenden Chören, den in Jsrael wandelnden Erlöser
dar. Verschiedene biblische Lectionen, endlich die Pre-
digt vergegenwärtigen das Lehramt Christi und schlie-
ßen den zweiten Theil des Gottesdienstes.

Auf diese Weise schmückte die christliche Kirche vom
4. bis zum 12. Jahrhundert hin den ganzen Jahres-
kreis ihrer Feste und es lag nahe, daß man nament-
lich den Jnhalt der ungemein dramatisch gehaltenen
Passionsevangelien besonders glanzvoll zur Darstellung
brachte. Anfangs übernahm einer der Geistlichen alle
erzählenden Worte des Evangelisten, ein anderer die
des Heilandes, ein Dritter alle Reden der übrigen
Personen, der Chor aber, was Volk und Priester spre-
chen. Bibeltext und gereimte Verslein wechselten da-
bei miteinander ab, so zwar, daß ersterer immer ge-
sungen, letztere dagegen nur gesprochen wurden; z. B.:

>Petrus singt:
Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen!
und spricht:
Herre Meister, es soll nit sein
Daß du waschest die Füße mein;

Jesus singt:
Werde ich dich nicht waschen, so hast du keinen
    Theil an mir
!

und spricht:
Lässest du dir die Füße nit
Waschen hie zu dieser Zit,
So inhast du sicherlich
Keinen Theil an meinem Rich!

Petrus singt:
Herr, nicht die Füße allein, sondern auch die
    Hände und das Haupt
!

und spricht:
Herr, die Rede soll nit sein,
Wasche nit allein die Füße mein,
Wasche mir das Haupt und auch die Hand,
Eh ich so dure werde gebannt.
u. s. w.

Jn dieser Weise ist die ganze Leidensgeschichte
durchgeführt. Der kirchliche Zweck, dem Volke da-
mit eine recht lebendige Bibelerklärung zu geben, ist
augenfällig.

Der Aufschwung aber, den im 12. Jahrhundert
Poesie und Künste überhaupt in Deutschland nahmen,
konnte auch nicht ohne Einwirkung auf die Passions-
spiele bleiben. Sie erhielten größere Ausdehnung, das
Personal wuchs und durch ihren reichen, leidenschaft-
lichen Stoff wurden sie so anziehend, daß zuletzt wie
die Darsteller so namentlich auch die Zuschauer nicht
länger Raum in den Kirchen finden konnten. Man
mußte sich entschließen, das Gotteshaus zu verlassen.
Auf geweihtem Boden blieb man aber zunächst, indem
man die vergrößerte Bühne auf Kirchhöfen oder in
unmittelbarer Nähe von Kirchen oder Klöstern auf-
schlug. Reichte die Zahl der Geistlichen und Kloster-
schüler nicht mehr für das Passionspersonal aus --
dasselbe stieg ja oft auf mehre Hunderte! -- so nahm
man seine Zuflucht zu Laien. Einige Anfänge von
Theatermaschinerie waren auch schon vorhanden. Um
[Spaltenumbruch] darzustellen, daß der Teufel in den Judas gefahren
sei, mußte dieser einen lebendigen schwarzen Vogel an
den Füßen vor den Mund halten und flattern lassen.
Der Selbstmord des Judas aber war eine förmliche
Hinrichtung durch den Beelzebub, der das Geschäft
des Henkers versah. Er stieg dem Judas auf einer
an einen Galgen gelehnten Leiter voran und zog ihn
an einem Seile nach. Nun konnte man ihn aber
nicht henken lassen, das wäre eine gefährliche Sache
gewesen *); daher ging ein Seil mit Rollen von dem
Galgen bis in die Hölle, um darzustellen, daß die
Seele des Judas verdammt sei. Dieser selbst hatte
vorn am Kleide den schon erwähnten schwarzen Vogel
und die Gedärme von irgend einem andern Thiere
hängen. Sobald ihm nun der Teufel das Kleid auf-
riß, ließ Judas den Vogel fortfliegen und die Gedärme
zur Erde fallen, worauf dann Beide, der Satan und
der Verräther, auf einem schiefen Seile in die Hölle
rutschten.

Schwieriger noch war die Maschinerie bei dem
Tode Christi. Der Vorhang des Tempels zerriß, die
Todten standen auf aus ihren Gräbern, Sonne und
Mond verfinsterten sich u. s. w. Wie das Alles ge-
macht wurde, vermögen wir nicht anzugeben. Wäh-
renddem hing den Schächern ein gemaltes Bild ( ihre
Seele ) aus dem Munde; ein Engel nahm des Guten
Seele in den Himmel, der Teufel entführte die des
Bösen in die Hölle. Bei dem Beinbruche der Schä-
cher lief Blut, wie bei dem Stiche des Longinus in
die Seite des Herrn. Die Nacktheit wurde entweder
durch Hemden dargestellt, welche die Darsteller über
ihre Kleider zogen, oder auch durch enganschließende
fleischfarbene Gewänder.

Als komische Pantomime wurde am Schlusse der
Passionsspiele nicht selten eine großartige Schlägerei
der Wächter am Grabe zum Besten gegeben, nachdem
kurz zuvor die Auferstehungsscene folgendermaßen dar-
gestellt war: Die vier Wächter liegen schlafend an
den vier Ecken des Grabes. Da geschieht plötzlich ein
"tonnerklapf mit büchsen. Jndem stoßt der Salvator
( Heiland ) das grab uff, und stat uffrecht mit einem
fuß uss her ze stigen, und den kumpt ein engel und
bringet ein guldin kron und ein wiß venly ( Fähnlein )
mit eim roten crutz, und spricht zu dem Salvator:

Herre, du solt nemen disse kron
und den köngsstab so schon,
daz dir din vater hat gesant
von himel uff das ierdisch lant.

Und nach dem facht der Salvator an still stande und
spricht:

Jch han geschlaffen und bin erstanden
das wirt verkundet in allen landen.
mie vatter hat enpfangen mich,
daz sönd ir wissen sicherlich.
grosse marter han ich erlitten
und dem tüffel sine band zesnitten.


Unser Planet.

Von den9 1 / 4 Millionen Quadratmeilen Oberfläche,
welche die Erde umfaßt, auf welcher wir Menschen
unser Wesen treiben, sind über 7 Millionen von Wasser
bedeckt, während nur der Rest von2 1 / 4 Quadratmei-
len für Land übrigbleibt. Gleichmäßig über Land und
[Ende Spaltensatz]

*) Daß diese Aufführungen dennoch hin und wieder un-
glücklich abliefen, ist geschichtlich erwiesen.

[Beginn Spaltensatz] Lobgesang der Engel: „Ehre sei Gott in der Höhe!“
anstimmen hört. Die Geburt des Heilandes wird in
Wechselgesängen zwischen Engeln und Hirten gefeiert.
Dann tritt der Bischof einfach gekleidet, um die glanz-
lose Erscheinung Christi auf Erden zu bezeichnen, be-
gleitet von den übrigen Geistlichen, gleichsam den Jün-
gern, aus den heiligen Thüren und stellt, unter lob-
singenden Chören, den in Jsrael wandelnden Erlöser
dar. Verschiedene biblische Lectionen, endlich die Pre-
digt vergegenwärtigen das Lehramt Christi und schlie-
ßen den zweiten Theil des Gottesdienstes.

Auf diese Weise schmückte die christliche Kirche vom
4. bis zum 12. Jahrhundert hin den ganzen Jahres-
kreis ihrer Feste und es lag nahe, daß man nament-
lich den Jnhalt der ungemein dramatisch gehaltenen
Passionsevangelien besonders glanzvoll zur Darstellung
brachte. Anfangs übernahm einer der Geistlichen alle
erzählenden Worte des Evangelisten, ein anderer die
des Heilandes, ein Dritter alle Reden der übrigen
Personen, der Chor aber, was Volk und Priester spre-
chen. Bibeltext und gereimte Verslein wechselten da-
bei miteinander ab, so zwar, daß ersterer immer ge-
sungen, letztere dagegen nur gesprochen wurden; z. B.:

>Petrus singt:
Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen!
und spricht:
Herre Meister, es soll nit sein
Daß du waschest die Füße mein;

Jesus singt:
Werde ich dich nicht waschen, so hast du keinen
    Theil an mir
!

und spricht:
Lässest du dir die Füße nit
Waschen hie zu dieser Zit,
So inhast du sicherlich
Keinen Theil an meinem Rich!

Petrus singt:
Herr, nicht die Füße allein, sondern auch die
    Hände und das Haupt
!

und spricht:
Herr, die Rede soll nit sein,
Wasche nit allein die Füße mein,
Wasche mir das Haupt und auch die Hand,
Eh ich so dure werde gebannt.
u. s. w.

Jn dieser Weise ist die ganze Leidensgeschichte
durchgeführt. Der kirchliche Zweck, dem Volke da-
mit eine recht lebendige Bibelerklärung zu geben, ist
augenfällig.

Der Aufschwung aber, den im 12. Jahrhundert
Poesie und Künste überhaupt in Deutschland nahmen,
konnte auch nicht ohne Einwirkung auf die Passions-
spiele bleiben. Sie erhielten größere Ausdehnung, das
Personal wuchs und durch ihren reichen, leidenschaft-
lichen Stoff wurden sie so anziehend, daß zuletzt wie
die Darsteller so namentlich auch die Zuschauer nicht
länger Raum in den Kirchen finden konnten. Man
mußte sich entschließen, das Gotteshaus zu verlassen.
Auf geweihtem Boden blieb man aber zunächst, indem
man die vergrößerte Bühne auf Kirchhöfen oder in
unmittelbarer Nähe von Kirchen oder Klöstern auf-
schlug. Reichte die Zahl der Geistlichen und Kloster-
schüler nicht mehr für das Passionspersonal aus —
dasselbe stieg ja oft auf mehre Hunderte! — so nahm
man seine Zuflucht zu Laien. Einige Anfänge von
Theatermaschinerie waren auch schon vorhanden. Um
[Spaltenumbruch] darzustellen, daß der Teufel in den Judas gefahren
sei, mußte dieser einen lebendigen schwarzen Vogel an
den Füßen vor den Mund halten und flattern lassen.
Der Selbstmord des Judas aber war eine förmliche
Hinrichtung durch den Beelzebub, der das Geschäft
des Henkers versah. Er stieg dem Judas auf einer
an einen Galgen gelehnten Leiter voran und zog ihn
an einem Seile nach. Nun konnte man ihn aber
nicht henken lassen, das wäre eine gefährliche Sache
gewesen *); daher ging ein Seil mit Rollen von dem
Galgen bis in die Hölle, um darzustellen, daß die
Seele des Judas verdammt sei. Dieser selbst hatte
vorn am Kleide den schon erwähnten schwarzen Vogel
und die Gedärme von irgend einem andern Thiere
hängen. Sobald ihm nun der Teufel das Kleid auf-
riß, ließ Judas den Vogel fortfliegen und die Gedärme
zur Erde fallen, worauf dann Beide, der Satan und
der Verräther, auf einem schiefen Seile in die Hölle
rutschten.

Schwieriger noch war die Maschinerie bei dem
Tode Christi. Der Vorhang des Tempels zerriß, die
Todten standen auf aus ihren Gräbern, Sonne und
Mond verfinsterten sich u. s. w. Wie das Alles ge-
macht wurde, vermögen wir nicht anzugeben. Wäh-
renddem hing den Schächern ein gemaltes Bild ( ihre
Seele ) aus dem Munde; ein Engel nahm des Guten
Seele in den Himmel, der Teufel entführte die des
Bösen in die Hölle. Bei dem Beinbruche der Schä-
cher lief Blut, wie bei dem Stiche des Longinus in
die Seite des Herrn. Die Nacktheit wurde entweder
durch Hemden dargestellt, welche die Darsteller über
ihre Kleider zogen, oder auch durch enganschließende
fleischfarbene Gewänder.

Als komische Pantomime wurde am Schlusse der
Passionsspiele nicht selten eine großartige Schlägerei
der Wächter am Grabe zum Besten gegeben, nachdem
kurz zuvor die Auferstehungsscene folgendermaßen dar-
gestellt war: Die vier Wächter liegen schlafend an
den vier Ecken des Grabes. Da geschieht plötzlich ein
„tonnerklapf mit büchsen. Jndem stoßt der Salvator
( Heiland ) das grab uff, und stat uffrecht mit einem
fuß uss her ze stigen, und den kumpt ein engel und
bringet ein guldin kron und ein wiß venly ( Fähnlein )
mit eim roten crutz, und spricht zu dem Salvator:

Herre, du solt nemen disse kron
und den köngsstab so schon,
daz dir din vater hat gesant
von himel uff das ierdisch lant.

Und nach dem facht der Salvator an still stande und
spricht:

Jch han geschlaffen und bin erstanden
das wirt verkundet in allen landen.
mie vatter hat enpfangen mich,
daz sönd ir wissen sicherlich.
grosse marter han ich erlitten
und dem tüffel sine band zesnitten.


Unser Planet.

Von den9 1 / 4 Millionen Quadratmeilen Oberfläche,
welche die Erde umfaßt, auf welcher wir Menschen
unser Wesen treiben, sind über 7 Millionen von Wasser
bedeckt, während nur der Rest von2 1 / 4 Quadratmei-
len für Land übrigbleibt. Gleichmäßig über Land und
[Ende Spaltensatz]

*) Daß diese Aufführungen dennoch hin und wieder un-
glücklich abliefen, ist geschichtlich erwiesen.
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Jndem stoßt der Salvator ( Heiland ) das grab uff, und stat uffrecht mit einem fuß uss her ze stigen, und den kumpt ein engel und bringet ein guldin kron und ein wiß venly ( Fähnlein ) mit eim roten crutz, und spricht zu dem Salvator: Herre, du solt nemen disse kron und den köngsstab so schon, daz dir din vater hat gesant von himel uff das ierdisch lant. Und nach dem facht der Salvator an still stande und spricht: Jch han geschlaffen und bin erstanden das wirt verkundet in allen landen. mie vatter hat enpfangen mich, daz sönd ir wissen sicherlich. grosse marter han ich erlitten und dem tüffel sine band zesnitten. Unser Planet. Von den9 1 / 4 Millionen Quadratmeilen Oberfläche, welche die Erde umfaßt, auf welcher wir Menschen unser Wesen treiben, sind über 7 Millionen von Wasser bedeckt, während nur der Rest von2 1 / 4 Quadratmei- len für Land übrigbleibt. Gleichmäßig über Land und *) Daß diese Aufführungen dennoch hin und wieder un- glücklich abliefen, ist geschichtlich erwiesen.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und TEI Transkription
Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

Weitere Informationen:

Siehe Dokumentation




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URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig115_1855
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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Dritter Jahrgang, Nr. 115. Leipzig (Sachsen), 15. März 1855, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig115_1855/6>, abgerufen am 14.06.2024.