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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 7. Lieferung, Nr. 2. Berlin, 10. Juli 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 154
[Beginn Spaltensatz] weniger ungerechtfertigt, als der Zins. Man beruft sich
zu dessen Rechtfertigung auf das Risico; allein dem gegen-
über kann man nicht genug hervorheben, daß das geschäft-
liche Risico nicht etwa eine Naturnothwendigkeit, sondern
ein in den heutigen Verhältnissen begründeter Mißstand ist,
der abgeschaft werden kann und abgeschafft werden muß.
Die Theilung der Arbeit ist es, welche die ganze heutige
Produktion durchzieht. Die Arbeit ist zerlegt, "getheilt",
aber sie ist planmäßig getheilt, es dürfen z. B. nicht mehr
Stecknadelknöpfe gemacht werden, als Stifte. Eins muß
dem andern entsprechen, Alles sich in einander fügen. Es
liegt in der Theilung der Arbeit also auch eiue Verbin-
dung, Vereinigung
der Arbeit nach einem bestimmten
Plane.

Dem entsprechend finden wir in jeder Werkstatt, in
jeder Fabrik strikte Anordnung von oben, weil nur durch
solche das schließliche Jneinandergreifen der äußerlich ge-
trennten Beschäftigungszweige möglich wird und wir finden
diese Regelung um so mehr, je großartiger der Betrieb, je
weiter getrieben die Arbeitseintheilung in einem Etablisse-
ment ist. --

Und so wie jedes Etablissement im Einzelnen, hat die
Gesellschaft im Großen ihre Arbeitseintheilung.

Die Gesellschaft hat sich im Ganzen für die Pro-
duktion in bestimmt auf besondere Productionsthätigkeit
gerichtete Gruppen zerlegt, in Bäcker, Schneider, Schlosser,
Maschinenfabrikanten, Portefeuillefabrikanten, Colonial-
waarenhändler u. s. w. Je großartiger in einer Gegend
der Verkehr ist, desto mehr ist die Productionsthätigkeit
der Gesellschaft getheilt. Während man in Dörfern Leute
findet, welche zwei bis drei verschiedene Geschäfte betreiben,
giebt es in den größern Städten Personen, welche für ver-
schiedene Geschäfte ein und dieselbe Arbeit verrichten.

Aber merkwürdig. Während man es für unerhört
halten würde, wenn ein Stecknadelfabrikant mehr Steck-
nadelknöpfe als Stifte anfertigen ließe, so daß ihm jene
nutzlos liegen bleiben müßten, findet man es ganz natürlich,
wenn bei der Arbeitseintheilung der Gesellschaft im Großen,
wo gleichfalls die einzelnen Productionszweige sich in die
Hand arbeiten sollen, der eine Zweig mehr producirt als
den anderen, denen er in die Hand arbeiten soll, entspricht.
Während man also bezüglich der Einzeletablissements voll-
kommen einsieht, daß der Theilung der Arbeit die regelnde
Anordnung, die Vereinigung der Arbeit entsprechen muß,
betrachtet man es als ganz natürlich, daß in der pro-
ducirenden Gesellschaft im Ganzen eine gemeinsame Leitung
nicht erforderlich sei. Wenn z. B. die Hutbänderfabrikan-
ten mehr Bänder verfertigt haben, als die Hutfabrikanten
brauchen können, so spricht man von Ueberproduction und
bedauert dies wohl, meint aber schließlich, es sei eben nicht
zu ändern.

Hier steckt der Ursprung des Risieos; in diesem merk-
würdigen Widerspruche in der heutigen Gesellschaft, daß
während das Fundament der Productionsweise auf der
striktesten, planmäßigsten Theilung der Arbeit beruht,
[Spaltenumbruch] die obere Region der Production sich in planloser Thei-
lung der Arbeit verwirrt.

Freilich ist es nicht leicht, das Bedürfniß in den ver-
schiedenen Fächern vorauszusehen, aber nur darum, weil
die Productionsweise an und für sich eine ganz verfehlte ist.

Die Ungleichheit des Vermögens beruht auf der Tren-
nung der Arbeit von den Arbeitswerkzeugen, auf dem feind-
lichen Verhältniß zwischen Kapital und Arbeit; ist die Ver-
mögensungleichheit aber da, so läßt sich das Bedürfniß
schwieriger vorhersehen. Wären aber die Produktionsbe-
dingungen solche, daß ungefähr gleiche Vermögensverhält-
nisse entständen, so wäre auch, da die Bedürfnisse großer
Massen von Menschen, die sich in ungefähr gleichen Ver-
hältnissen befinden, der Bedarf in jedem unmittelbaren
Bedürfnißzweige annähernd vorauszusehen; wäre aber die-
ser festgestellt, so würde sich demgemäß auch der Bedarf
der entsprechenden Produktionsinstrumente annähernd be-
stimmen lassen.

Jetzt aber liegt die Sache anders. Jeder Unternehmer
produzirt für sich allein darauf los; er ist weder in der
Lage das gesammte gesellschaftliche Bedürfniß bemessen zu
können, noch zu wissen, wieviel seine Konkurrenten produ-
ziren werden. Daher ist plötzlich der Markt überfüllt mit
einer Waare, während es an der andern mangelt; der
Eine gewinnt, der Andere verliert und der "natürliche
Preis" der Waare ist fast nie vor den Schwankungen des
Marktes genau zu erkennen. Der Verlust, der den Einen
getroffen, pflanzt sich durch die vielen verschlungenen Ka-
näle des Kredits und des gesellschaftlichen Zusammenhanges
nach allen Seiten fort. Jst nun gar ein solcher Schaden
irgendwo im Großen hervorgetreten und droht jetzt sich
fortzupflanzen, so entsteht allgemeines Mißtrauen, Furcht,
kurz eine Krise entsteht, durch welche die ganze Produktion
ins Stocken geräth.

Aus diesem nur im Allgemeinen skizzirten Sachverhalt
aus der Planlosigkeit der Gesammtproduktion ergiebt sich
das Risico für jeden der vielen, gänzlich vereinzelten Unter-
nehmer. Das Risico ist also allerdings in dem heutigen
Gesellschaftszustande nothwendig vorhanden; allein weit
entfernt, daß hierin ein Grund läge, diesen Gesellschafts-
zustand zu billigen, liegt darin vielmehr gerade ein Haupt-
grund, ihn zu verwerfen. Der einzelne Fabrikant hat
Recht, wenn er versichert, daß er sein Kapital riskire, allein
er ist im Jrrthum, wenn er glaubt, auf die Existenz des
Risicos die Berechtigung seines Unternehmergewinns gründen
zu können. Das Risico selbst geht ja aus einem ver-
werflichen Zustande hervor, aus der Planlosigkeit der Pro-
duktionsweise, welche die Grundlage aller Spekulationen,
des Wuchers, des Börsenspiels und des Schwindels ist.
Auf Grund dieser Unsicherheit im Gange der Produktion
treiben die Besitzenden ihr gegenseitiges Spiel, während
die Arbeiter nur das Nothwendigste abbekommen, ja hier
und da bei gänzlicher Arbeitslosigkeit, am schwersten die
Folgen solchen Konkurrenzspiels zu tragen haben. Da nun
aber doch die Gesellschaft gemeinsam d. h. vermittelst gegen-
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 154
[Beginn Spaltensatz] weniger ungerechtfertigt, als der Zins. Man beruft sich
zu dessen Rechtfertigung auf das Risico; allein dem gegen-
über kann man nicht genug hervorheben, daß das geschäft-
liche Risico nicht etwa eine Naturnothwendigkeit, sondern
ein in den heutigen Verhältnissen begründeter Mißstand ist,
der abgeschaft werden kann und abgeschafft werden muß.
Die Theilung der Arbeit ist es, welche die ganze heutige
Produktion durchzieht. Die Arbeit ist zerlegt, „getheilt“,
aber sie ist planmäßig getheilt, es dürfen z. B. nicht mehr
Stecknadelknöpfe gemacht werden, als Stifte. Eins muß
dem andern entsprechen, Alles sich in einander fügen. Es
liegt in der Theilung der Arbeit also auch eiue Verbin-
dung, Vereinigung
der Arbeit nach einem bestimmten
Plane.

Dem entsprechend finden wir in jeder Werkstatt, in
jeder Fabrik strikte Anordnung von oben, weil nur durch
solche das schließliche Jneinandergreifen der äußerlich ge-
trennten Beschäftigungszweige möglich wird und wir finden
diese Regelung um so mehr, je großartiger der Betrieb, je
weiter getrieben die Arbeitseintheilung in einem Etablisse-
ment ist. —

Und so wie jedes Etablissement im Einzelnen, hat die
Gesellschaft im Großen ihre Arbeitseintheilung.

Die Gesellschaft hat sich im Ganzen für die Pro-
duktion in bestimmt auf besondere Productionsthätigkeit
gerichtete Gruppen zerlegt, in Bäcker, Schneider, Schlosser,
Maschinenfabrikanten, Portefeuillefabrikanten, Colonial-
waarenhändler u. s. w. Je großartiger in einer Gegend
der Verkehr ist, desto mehr ist die Productionsthätigkeit
der Gesellschaft getheilt. Während man in Dörfern Leute
findet, welche zwei bis drei verschiedene Geschäfte betreiben,
giebt es in den größern Städten Personen, welche für ver-
schiedene Geschäfte ein und dieselbe Arbeit verrichten.

Aber merkwürdig. Während man es für unerhört
halten würde, wenn ein Stecknadelfabrikant mehr Steck-
nadelknöpfe als Stifte anfertigen ließe, so daß ihm jene
nutzlos liegen bleiben müßten, findet man es ganz natürlich,
wenn bei der Arbeitseintheilung der Gesellschaft im Großen,
wo gleichfalls die einzelnen Productionszweige sich in die
Hand arbeiten sollen, der eine Zweig mehr producirt als
den anderen, denen er in die Hand arbeiten soll, entspricht.
Während man also bezüglich der Einzeletablissements voll-
kommen einsieht, daß der Theilung der Arbeit die regelnde
Anordnung, die Vereinigung der Arbeit entsprechen muß,
betrachtet man es als ganz natürlich, daß in der pro-
ducirenden Gesellschaft im Ganzen eine gemeinsame Leitung
nicht erforderlich sei. Wenn z. B. die Hutbänderfabrikan-
ten mehr Bänder verfertigt haben, als die Hutfabrikanten
brauchen können, so spricht man von Ueberproduction und
bedauert dies wohl, meint aber schließlich, es sei eben nicht
zu ändern.

Hier steckt der Ursprung des Risieos; in diesem merk-
würdigen Widerspruche in der heutigen Gesellschaft, daß
während das Fundament der Productionsweise auf der
striktesten, planmäßigsten Theilung der Arbeit beruht,
[Spaltenumbruch] die obere Region der Production sich in planloser Thei-
lung der Arbeit verwirrt.

Freilich ist es nicht leicht, das Bedürfniß in den ver-
schiedenen Fächern vorauszusehen, aber nur darum, weil
die Productionsweise an und für sich eine ganz verfehlte ist.

Die Ungleichheit des Vermögens beruht auf der Tren-
nung der Arbeit von den Arbeitswerkzeugen, auf dem feind-
lichen Verhältniß zwischen Kapital und Arbeit; ist die Ver-
mögensungleichheit aber da, so läßt sich das Bedürfniß
schwieriger vorhersehen. Wären aber die Produktionsbe-
dingungen solche, daß ungefähr gleiche Vermögensverhält-
nisse entständen, so wäre auch, da die Bedürfnisse großer
Massen von Menschen, die sich in ungefähr gleichen Ver-
hältnissen befinden, der Bedarf in jedem unmittelbaren
Bedürfnißzweige annähernd vorauszusehen; wäre aber die-
ser festgestellt, so würde sich demgemäß auch der Bedarf
der entsprechenden Produktionsinstrumente annähernd be-
stimmen lassen.

Jetzt aber liegt die Sache anders. Jeder Unternehmer
produzirt für sich allein darauf los; er ist weder in der
Lage das gesammte gesellschaftliche Bedürfniß bemessen zu
können, noch zu wissen, wieviel seine Konkurrenten produ-
ziren werden. Daher ist plötzlich der Markt überfüllt mit
einer Waare, während es an der andern mangelt; der
Eine gewinnt, der Andere verliert und der „natürliche
Preis“ der Waare ist fast nie vor den Schwankungen des
Marktes genau zu erkennen. Der Verlust, der den Einen
getroffen, pflanzt sich durch die vielen verschlungenen Ka-
näle des Kredits und des gesellschaftlichen Zusammenhanges
nach allen Seiten fort. Jst nun gar ein solcher Schaden
irgendwo im Großen hervorgetreten und droht jetzt sich
fortzupflanzen, so entsteht allgemeines Mißtrauen, Furcht,
kurz eine Krise entsteht, durch welche die ganze Produktion
ins Stocken geräth.

Aus diesem nur im Allgemeinen skizzirten Sachverhalt
aus der Planlosigkeit der Gesammtproduktion ergiebt sich
das Risico für jeden der vielen, gänzlich vereinzelten Unter-
nehmer. Das Risico ist also allerdings in dem heutigen
Gesellschaftszustande nothwendig vorhanden; allein weit
entfernt, daß hierin ein Grund läge, diesen Gesellschafts-
zustand zu billigen, liegt darin vielmehr gerade ein Haupt-
grund, ihn zu verwerfen. Der einzelne Fabrikant hat
Recht, wenn er versichert, daß er sein Kapital riskire, allein
er ist im Jrrthum, wenn er glaubt, auf die Existenz des
Risicos die Berechtigung seines Unternehmergewinns gründen
zu können. Das Risico selbst geht ja aus einem ver-
werflichen Zustande hervor, aus der Planlosigkeit der Pro-
duktionsweise, welche die Grundlage aller Spekulationen,
des Wuchers, des Börsenspiels und des Schwindels ist.
Auf Grund dieser Unsicherheit im Gange der Produktion
treiben die Besitzenden ihr gegenseitiges Spiel, während
die Arbeiter nur das Nothwendigste abbekommen, ja hier
und da bei gänzlicher Arbeitslosigkeit, am schwersten die
Folgen solchen Konkurrenzspiels zu tragen haben. Da nun
aber doch die Gesellschaft gemeinsam d. h. vermittelst gegen-
[Ende Spaltensatz]

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Der Verlust, der den Einen getroffen, pflanzt sich durch die vielen verschlungenen Ka- näle des Kredits und des gesellschaftlichen Zusammenhanges nach allen Seiten fort. Jst nun gar ein solcher Schaden irgendwo im Großen hervorgetreten und droht jetzt sich fortzupflanzen, so entsteht allgemeines Mißtrauen, Furcht, kurz eine Krise entsteht, durch welche die ganze Produktion ins Stocken geräth. Aus diesem nur im Allgemeinen skizzirten Sachverhalt aus der Planlosigkeit der Gesammtproduktion ergiebt sich das Risico für jeden der vielen, gänzlich vereinzelten Unter- nehmer. Das Risico ist also allerdings in dem heutigen Gesellschaftszustande nothwendig vorhanden; allein weit entfernt, daß hierin ein Grund läge, diesen Gesellschafts- zustand zu billigen, liegt darin vielmehr gerade ein Haupt- grund, ihn zu verwerfen. Der einzelne Fabrikant hat Recht, wenn er versichert, daß er sein Kapital riskire, allein er ist im Jrrthum, wenn er glaubt, auf die Existenz des Risicos die Berechtigung seines Unternehmergewinns gründen zu können. Das Risico selbst geht ja aus einem ver- werflichen Zustande hervor, aus der Planlosigkeit der Pro- duktionsweise, welche die Grundlage aller Spekulationen, des Wuchers, des Börsenspiels und des Schwindels ist. Auf Grund dieser Unsicherheit im Gange der Produktion treiben die Besitzenden ihr gegenseitiges Spiel, während die Arbeiter nur das Nothwendigste abbekommen, ja hier und da bei gänzlicher Arbeitslosigkeit, am schwersten die Folgen solchen Konkurrenzspiels zu tragen haben. Da nun aber doch die Gesellschaft gemeinsam d. h. vermittelst gegen-

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 7. Lieferung, Nr. 2. Berlin, 10. Juli 1874, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0702_1874/2>, abgerufen am 01.06.2024.