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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 7. Lieferung, Nr. 4. Berlin, 25. Juli 1874.

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7. Lief. Nr. 4.Berlin, 25. Juli 1874.2. Jahrgang.
Social-politische Blätter
zur
Unterhaltung u Belehrung
für
die deutschen Arbeiter


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Bestellungen
nehmen alle Postanstalten an; in Berlin
wird bei den Zeitungsspediteuren und
dem Verleger, C. Jhring's Nfgr., Dres-
denerstraße 84, abonnirt.

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Eigenthum der Lassalleaner.

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Diese Blätter
erscheinen regelmäßig jeden Sonnabend
und kosten auf der Post bestellt pro Quar-
tal 10 Sgr.; ein Monatsheft durch Col-
portage bezogen 4 Sgr.

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Das Capital,

so versichert die herrschende ökonomische Schule, bilden
"angesammelte Erzeugnisse früherer Arbeit". Das Capi-
tal, so erklärt man, ist "angesammeltes Arbeits=Erzeugniß.

Man erklärt dies darum, weil man auf diese Be-
hauptung die Berechtigung des Capitalgewinnes gründen
will. -- Wenn nämlich das Capital "angesammeltes Ar-
beits=Erzeugniß " ist, so erscheint der Capitalgewinn gewisser-
maßen als fortwährender Arbeitslohn für früher geleistete
Arbeit.

Sehen wir näher zu:

"Das Capital besteht aus angesammelten Erzeugnissen
früherer Arbeit" -- ganz richtig, Niemand hat etwas da-
gegen einzuwenden.

Allein wenn dieser Satz in Wahrheit beweisen soll,
was zu beweisen er vorgiebt, so muß offenbar nicht nur
festgestellt sein, daß das Capital aus Erzeugnissen früherer
Arbeit besteht, sondern auch: daß es besteht aus Erzeug-
nissen früherer Arbeit derer, die das Capital haben. Denn
sonst -- wenn nämlich dasselbe aus gesammelten Erzeug-
nissen fremder Arbeit bestände -- wäre ja die Ungerechtig-
keit am schreiendsten.

Jst nun das Capital angesammeltes Erzeugniß der
Arbeit derer, die es haben, oder etwa der Arbeit ihrer
Vorfahren? -- das ist die Frage.

Oder, wie man sie auch ausdrücken kann: Haben die
Capitalisten und ihre Vorfahren eignen oder fremden
Arbeitsertrag angesammelt?

Werfen wir zunächst einen kurzen Blick auf die ge-
schichtliche Entwickelung der Eigenthumsverhältnisse seit der
Völkerwanderung, d. h seit der Zeit, in welcher die Ent-
[Spaltenumbruch] wickelung der heutigen Gesellschaft und der heutigen
Staaten, aus der Verwirrung hervortretend, beginnt.

Ursprünglich bestand Leibeignen= und Hörigen=Arbeit;
d. h. der Feudalherr konnte kraft ausdrücklicher gesetzlicher
Bestimmung die Arbeitskraft anderer Menschen ausbeuten,
die Erzeugnisse der Arbeit derselben an sich ziehen. Die
Hörigkeit bestand ursprünglich nicht nur auf dem Lande,
sondern auch in den Städten. Jn letzteren entwickelte sich
das Verhältniß zur Zunfteinrichtung, wo wiederum ein ge-
schlossener Stand, der der Meister, kraft ausdrücklicher,
sogar sehr in's Einzelne gehender gesetzlicher Bestimmungen
die Gesellen und Lehrlinge, d. h. die Arbeiter ihrer Zeit
ausbeuten konnte. Auf Grund der hierdurch angesammelten
Werthe konnte sich der Handel entwickeln, der auf dieser
Grundlage zu neuer Capitalansammlung führte. Da kam
die französische Revolution, unter deren Nachwirkung im
civilisirten Europa das Aufhören aller gesetzlichen Aus-
beutung proklamirt ward. Die Arbeiter standen auf
den Trümmern des Feudalstaates -- frei, aber hungrig.
Schon war die Theilung der Arbeit weit gediehen und keine
Production konnte stattfinden ohne vielfache Produktions-
mittel, d. h. ohne Capital. Das sämmtliche Capital aber,
das im Laufe der Jahrhunderte die Vorfahren dieser jetzt
plötzlich "freien" Arbeit durch ihre Arbeit geschaffen, war
in den Händen derer, denen bisher die Ausbeutung der
Arbeitskraft gesetzlich zugestanden. Wer also jetzt arbeiten
sollte, er wurde zwar nicht mehr gesetzlich gezwungen,
seinen Arbeitsertrag, soweit er über seinen Lebensunter-
halt hinausging, Andern zu überlassen; aber er wurde
thatsächlich dazu gezwungen, durch die Macht der gesell-
schaftlichen Vermögensverhältnisse. Der Arbeiter war
politisch, aber er war nicht social frei geworden. Hatte
ihn früher das Gesetz gezwungen, seinen Arbeitsertrag abzu-
geben, so zwang ihn jetzt der Hunger dazu. Und in man-
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Social-politische Blätter
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Das Capital,

so versichert die herrschende ökonomische Schule, bilden
„angesammelte Erzeugnisse früherer Arbeit“. Das Capi-
tal, so erklärt man, ist „angesammeltes Arbeits=Erzeugniß.

Man erklärt dies darum, weil man auf diese Be-
hauptung die Berechtigung des Capitalgewinnes gründen
will. — Wenn nämlich das Capital „angesammeltes Ar-
beits=Erzeugniß “ ist, so erscheint der Capitalgewinn gewisser-
maßen als fortwährender Arbeitslohn für früher geleistete
Arbeit.

Sehen wir näher zu:

„Das Capital besteht aus angesammelten Erzeugnissen
früherer Arbeit“ — ganz richtig, Niemand hat etwas da-
gegen einzuwenden.

Allein wenn dieser Satz in Wahrheit beweisen soll,
was zu beweisen er vorgiebt, so muß offenbar nicht nur
festgestellt sein, daß das Capital aus Erzeugnissen früherer
Arbeit besteht, sondern auch: daß es besteht aus Erzeug-
nissen früherer Arbeit derer, die das Capital haben. Denn
sonst — wenn nämlich dasselbe aus gesammelten Erzeug-
nissen fremder Arbeit bestände — wäre ja die Ungerechtig-
keit am schreiendsten.

Jst nun das Capital angesammeltes Erzeugniß der
Arbeit derer, die es haben, oder etwa der Arbeit ihrer
Vorfahren? — das ist die Frage.

Oder, wie man sie auch ausdrücken kann: Haben die
Capitalisten und ihre Vorfahren eignen oder fremden
Arbeitsertrag angesammelt?

Werfen wir zunächst einen kurzen Blick auf die ge-
schichtliche Entwickelung der Eigenthumsverhältnisse seit der
Völkerwanderung, d. h seit der Zeit, in welcher die Ent-
[Spaltenumbruch] wickelung der heutigen Gesellschaft und der heutigen
Staaten, aus der Verwirrung hervortretend, beginnt.

Ursprünglich bestand Leibeignen= und Hörigen=Arbeit;
d. h. der Feudalherr konnte kraft ausdrücklicher gesetzlicher
Bestimmung die Arbeitskraft anderer Menschen ausbeuten,
die Erzeugnisse der Arbeit derselben an sich ziehen. Die
Hörigkeit bestand ursprünglich nicht nur auf dem Lande,
sondern auch in den Städten. Jn letzteren entwickelte sich
das Verhältniß zur Zunfteinrichtung, wo wiederum ein ge-
schlossener Stand, der der Meister, kraft ausdrücklicher,
sogar sehr in's Einzelne gehender gesetzlicher Bestimmungen
die Gesellen und Lehrlinge, d. h. die Arbeiter ihrer Zeit
ausbeuten konnte. Auf Grund der hierdurch angesammelten
Werthe konnte sich der Handel entwickeln, der auf dieser
Grundlage zu neuer Capitalansammlung führte. Da kam
die französische Revolution, unter deren Nachwirkung im
civilisirten Europa das Aufhören aller gesetzlichen Aus-
beutung proklamirt ward. Die Arbeiter standen auf
den Trümmern des Feudalstaates — frei, aber hungrig.
Schon war die Theilung der Arbeit weit gediehen und keine
Production konnte stattfinden ohne vielfache Produktions-
mittel, d. h. ohne Capital. Das sämmtliche Capital aber,
das im Laufe der Jahrhunderte die Vorfahren dieser jetzt
plötzlich „freien“ Arbeit durch ihre Arbeit geschaffen, war
in den Händen derer, denen bisher die Ausbeutung der
Arbeitskraft gesetzlich zugestanden. Wer also jetzt arbeiten
sollte, er wurde zwar nicht mehr gesetzlich gezwungen,
seinen Arbeitsertrag, soweit er über seinen Lebensunter-
halt hinausging, Andern zu überlassen; aber er wurde
thatsächlich dazu gezwungen, durch die Macht der gesell-
schaftlichen Vermögensverhältnisse. Der Arbeiter war
politisch, aber er war nicht social frei geworden. Hatte
ihn früher das Gesetz gezwungen, seinen Arbeitsertrag abzu-
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[[173]/0001] 7. Lief. Nr. 4.Berlin, 25. Juli 1874.2. Jahrgang. Social-politische Blätter zur Unterhaltung u Belehrung für die deutschen Arbeiter Bestellungen nehmen alle Postanstalten an; in Berlin wird bei den Zeitungsspediteuren und dem Verleger, C. Jhring's Nfgr., Dres- denerstraße 84, abonnirt. Eigenthum der Lassalleaner. Diese Blätter erscheinen regelmäßig jeden Sonnabend und kosten auf der Post bestellt pro Quar- tal 10 Sgr.; ein Monatsheft durch Col- portage bezogen 4 Sgr. Das Capital, so versichert die herrschende ökonomische Schule, bilden „angesammelte Erzeugnisse früherer Arbeit“. Das Capi- tal, so erklärt man, ist „angesammeltes Arbeits=Erzeugniß. Man erklärt dies darum, weil man auf diese Be- hauptung die Berechtigung des Capitalgewinnes gründen will. — Wenn nämlich das Capital „angesammeltes Ar- beits=Erzeugniß “ ist, so erscheint der Capitalgewinn gewisser- maßen als fortwährender Arbeitslohn für früher geleistete Arbeit. Sehen wir näher zu: „Das Capital besteht aus angesammelten Erzeugnissen früherer Arbeit“ — ganz richtig, Niemand hat etwas da- gegen einzuwenden. Allein wenn dieser Satz in Wahrheit beweisen soll, was zu beweisen er vorgiebt, so muß offenbar nicht nur festgestellt sein, daß das Capital aus Erzeugnissen früherer Arbeit besteht, sondern auch: daß es besteht aus Erzeug- nissen früherer Arbeit derer, die das Capital haben. Denn sonst — wenn nämlich dasselbe aus gesammelten Erzeug- nissen fremder Arbeit bestände — wäre ja die Ungerechtig- keit am schreiendsten. Jst nun das Capital angesammeltes Erzeugniß der Arbeit derer, die es haben, oder etwa der Arbeit ihrer Vorfahren? — das ist die Frage. Oder, wie man sie auch ausdrücken kann: Haben die Capitalisten und ihre Vorfahren eignen oder fremden Arbeitsertrag angesammelt? Werfen wir zunächst einen kurzen Blick auf die ge- schichtliche Entwickelung der Eigenthumsverhältnisse seit der Völkerwanderung, d. h seit der Zeit, in welcher die Ent- wickelung der heutigen Gesellschaft und der heutigen Staaten, aus der Verwirrung hervortretend, beginnt. Ursprünglich bestand Leibeignen= und Hörigen=Arbeit; d. h. der Feudalherr konnte kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung die Arbeitskraft anderer Menschen ausbeuten, die Erzeugnisse der Arbeit derselben an sich ziehen. Die Hörigkeit bestand ursprünglich nicht nur auf dem Lande, sondern auch in den Städten. Jn letzteren entwickelte sich das Verhältniß zur Zunfteinrichtung, wo wiederum ein ge- schlossener Stand, der der Meister, kraft ausdrücklicher, sogar sehr in's Einzelne gehender gesetzlicher Bestimmungen die Gesellen und Lehrlinge, d. h. die Arbeiter ihrer Zeit ausbeuten konnte. Auf Grund der hierdurch angesammelten Werthe konnte sich der Handel entwickeln, der auf dieser Grundlage zu neuer Capitalansammlung führte. Da kam die französische Revolution, unter deren Nachwirkung im civilisirten Europa das Aufhören aller gesetzlichen Aus- beutung proklamirt ward. Die Arbeiter standen auf den Trümmern des Feudalstaates — frei, aber hungrig. Schon war die Theilung der Arbeit weit gediehen und keine Production konnte stattfinden ohne vielfache Produktions- mittel, d. h. ohne Capital. Das sämmtliche Capital aber, das im Laufe der Jahrhunderte die Vorfahren dieser jetzt plötzlich „freien“ Arbeit durch ihre Arbeit geschaffen, war in den Händen derer, denen bisher die Ausbeutung der Arbeitskraft gesetzlich zugestanden. Wer also jetzt arbeiten sollte, er wurde zwar nicht mehr gesetzlich gezwungen, seinen Arbeitsertrag, soweit er über seinen Lebensunter- halt hinausging, Andern zu überlassen; aber er wurde thatsächlich dazu gezwungen, durch die Macht der gesell- schaftlichen Vermögensverhältnisse. Der Arbeiter war politisch, aber er war nicht social frei geworden. Hatte ihn früher das Gesetz gezwungen, seinen Arbeitsertrag abzu- geben, so zwang ihn jetzt der Hunger dazu. Und in man-

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 7. Lieferung, Nr. 4. Berlin, 25. Juli 1874, S. [173]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0704_1874/1>, abgerufen am 17.05.2024.