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Sonntags-Blatt. Nr. 4. Berlin, 26. Januar 1868.

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Wissenschaft, Kunst und Literatur. [Beginn Spaltensatz]
Aus dem Leben des Kardinals Mazarin.
( Fortsetzung. )

" Gnädigster Herr", sagte Beringhen, "ich bringe Jhnen eine gute
Nachricht."

"Und welche?" fragte Mazarin mit seinem kalten Lächeln
und seiner feinen Stimme.

"Die Königin befindet sich, was Ew. Eminenz anbetrifft, in einer
besseren Stimmung, als man denkt."

"Und was kann Sie berechtigen, Herr von Beringhen, an einen
für mich so günstigen Umstand zu glauben?"

"Eine Unterredung, die sie so eben mit dem Herrn von Brienne
hatte, die ich anhörte, und bei welcher sie sich geneigt zeigte, Sie zu
ihrem ersten Minister zu ernennen."

Ganz gegen die Erwartung des Boten verschwand das Lächeln
von den Lippen des Kardinals; sein Gesicht schien ganz gleichgültig
und seine Blicke unempfindlich, jedoch tief forschend, als wollten sie in
das Herz des Boten dringen.

"Aha!" sagte er. "Sie haben diese Unterredung mit angehört?"

"Ja, gnädigster Herr."

"Und was sagte Brienne?"

"Er sagte, daß die Königin eines ersten Ministers bedürfe, und
daß Ew. Eminenz die beste Wahl sei, die sie treffen könne, da Sie
ein eben sowohl in Geschäften erfahrener Staatsmann, als ein ihr
vollkommen ergebener Diener sein würden."

"Also hat Brienne für meine Ergebenheit gut gesagt?" fragte
Mazarin.

"Er sagte, daß er gewiß sei, daß eine so große Gunst Ew.
Eminenz tief ergreifen würde, und daß, da edle Seelen nichts mehr
fessele, als die Erkenntlichkeit, er sicher sei, daß Jhre Majestät auf
Sie zählen können."

"Und was haben Jhre Majestät darauf erwidert?"

"Jhre Majestät fürchten, daß Sie frühere Verpflichtungen über-
nommen hätten."

Mazarin lächelte.

"Jch danke, Herr von Beringhen", sagte er; "seien Sie ver-
sichert, daß ich mich bei Gelegenheit der Mühe erinnern werde, die
Sie sich genommen haben, mir diese Nachricht zu hinterbringen."

Er trat nun einen Schritt zurück, um wieder in das Spielzimmer
zu gehen.

"Jst das Alles, was Jhre Eminenz zu sagen haben?" fragte
Beringhen.

"Was soll ich Jhnen weiter sagen? Sie kündigen mir an, daß
Sie einer Unterhaltung zugehört haben, in welcher die Königin gute
Absichten für mich verrieth. Jch habe mich nur bei Jhnen zu be-
danken, und ich danke Jhnen."

Beringhen sah, daß Mazarin, der ohne Zweifel eine Falle fürchtete,
entschlossen war, an sich zu halten.

"Hören Sie mich, gnädigster Herr", sprach er, "ich werde ganz
offen mit Jhnen reden: ich komme nicht aus eigenem Antrieb."

"Aha", sagte Mazarin, "und von wem kommen Sie denn?"

"Jch komme im Namen der Königin."

Jetzt glänzten die Augen des zukünftigen Ministers.

"Das ist etwas Anderes", sagte er; "reden Sie, mein lieber
Beringhen, reden Sie."

Beringhen erzählte ihm, daß er nichts von der Unterhaltung der
Königin mit Herrn von Brienne gehört habe, die indessen statt-
gefunden und die ihm Jhre Majestät ganz mitgetheilt hätte.

"So ist es also Jhre Majestät, die Sie beauftragt hat, zu mir
zu kommen."

"Sie selbst", antwortete Beringhen.

"Auf Jhre Ehre?"

"Auf das Wort eines Edelmanns! Sie wünscht zu wissen, ob sie
sich auf Sie verlassen kann, und ob im Fall, daß sie Sie unterstützt,
Sie sie wieder unterstützen werden?"

Von dem größten Mißtrauen sogleich zu dem größten Vertrauen
übergehend, sagte Mazarin:

"Herr von Beringhen, gehen Sie zur Königin zurück und sagen
Sie ihr, daß ich, ohne irgend eine Bedingung zu machen, mein
ganzes Schicksal in ihre Hände lege. Jch verzichte auf alle Vor-
theile, die mir der König durch seine Erklärung gewährt."

"Gnädigster Herr, ich habe ein sehr schlechtes Gedächtniß, und ich
fürchte in der That, die Ausdrücke, deren Sie sich bedienen, indem ich
sie der Königin hinterbringe, nicht mit dieser Kraft wiedergeben zu
können. Jch will Feder und Tinte holen, damit Sie mir solche
schriftlich geben."

[Spaltenumbruch]

"Nicht doch! Wenn wir dies begehren, so würde man vermuthen,
daß wir eine wichtige [unleserliches Material - 9 Zeichen fehlen]Konferenz mit einander haben."

"Wohlan", sagte Beringhen, indem er eine Brieftafel aus der
Tasche zog und sie nebst einer Bleifeder dem Kardinal darreichte,
"schreiben Sie."

Nun konnte Mazarin nicht mehr ausweichen, er nahm die Brief-
tafel und schrieb:

"Jch werde niemals einen andern Willen als den der Königin
haben. Von ganzem Herzen verzichte ich auf jeden Vortheil, den
mir die Erklärung zuspricht, ich überlasse sie sammt allen meinen
anderen Jnteressen, ohne allen Rückhalt, der unvergleichlichen Güte
Jhrer Majestät. Von meiner Hand geschrieben und unterzeichnet.
Jhro Majestät demüthigster, gehorsamster und getreuester Unterthan
und sehr erkenntliche Kreatur. --

    Jules, Kardinal von Mazarin."

Offen stellte er die Brieftafel Beringhen zu, der das Versprechen
las und dann den Kopf schüttelte.

"Wie"? sagte der Kardinal, "finden Sie, mein lieber Herr von
Beringhen, daß das Billet nicht Alles sagt, was es sagen sollte?"

"Jm Gegentheil", sagte Beringhen, "ich finde es so vortrefflich,
daß ich viel darum geben möchte, und die Königin gewiß auch, wenn
es statt mit Bleifeder mit Tinte geschrieben wäre. Das Blei ver-
wischt sich so leicht, wie Sie wissen, gnädigster Herr."

"Sagen Sie der Königin", versetzte der Kardinal, "daß ich es
später mit Tinte auf Papier, auf Pergament, auf Stahl, auf was
sie will, schreiben, und wenn es sein muß, mit meinem Blut unter-
zeichnen will."

"Fügen Sie dies als Nachschrift hinzu, gnädigster Herr", sagte
Beringhen, der gern Alles auf das Gewissenhafteste that, "es ist noch
Raum dazu vorhanden."

Der Kardinal schrieb das gewünschte Postskriptum, und Beringhen,
ganz vergnügt über den Erfolg seiner Unterhandluna,[unleserliches Material] brachte das Ver-
sprechen in den Louvre zurück.

Noch war der Graf von Brienne bei der Königin, als Beringhen
zurückkam. Dieser wollte sich mit Bescheidenheit entfernen, allein die
Königin hielt ihn zurück. Nachdem sie mit großer Freude gelesen,
was Mazarin geschrieben, befahl sie Beringhen, sofort zu dem Kar-
dinal zurückzukehren und ihn zu ihr zu bescheiden. Mazarin erschien,
und die Königin gab ihm in Gegenwart Beringhens und des Grafen
von Brienne die Brieftafel zurück, überreichte ihm auch das inzwischen
ausgefertigte Patent, das ihn zu ihrem ersten Minister und zum Chef
des Staatsraths ernannte. Auf einen Wink der Königin zogen sich
Brienne und Beringhen zurück, worauf sie mit dem neuen Premier-
Minister eine Unterredung unter vier Augen hatte, die mehrere Stun-
den währte und unzweifelhaft zu beiderseitiger Zufriedenheit endigte.

So wurde Mazarin das Schicksal Frankreichs, denn auch die
Königin wurde ihm vollständig unterthan, und ebenso wußte er den
jungen König bis zum letzten Athemzuge nach seinem Willen zu len-
ken, wenngleich sich dieser nicht selten sehr ungeberdig und wider-
spenstig zeigte.

II.

Mazarins ferneres Leben war ein steter Kampf, sich in seiner
allgewaltigen Stellung zu behaupten und die Macht des Königthums
nach Jnnen und Außen zu stärken und zu wahren. Sein Genie hat
Beides zu erreichen gewußt, so bedenklich die Wage auch zuweilen
schwankte.

Die Zahl seiner Feinde war Legion, und dazu nahmen sie im
alten Staat die erste Stellung ein. Gegen den neuen Premier-
Minister verbanden sich die Parlamente, der vornehme Adel und die
hohe Geistlichkeit. Die Parlamente, unter denen das von Paris das
einflußreichste war, bildeten nicht nur die obersten Gerichtshöfe, son-
dern sie hatten auch das große Vorrecht, die königlichen Edikte ein-
zuregistriren oder solches zu verweigern. Nur im ersteren Falle
erhielten jene Gesetzeskraft; widersprach aber das Parlament, so
mußten sie unausgeführt bleiben, es sei denn, daß die Regierung
Muth und Macht genug besaß, sie dennoch und gewaltsam ins Werk
zu setzen. Der Adel hatte feste Schlösser, große Städte und ganze
Provinzen inne. Seine Mitglieder hausten darin wie unumschränkte
Fürsten und unterhielten ein zahlreiches Gefolge von Edelleuten und
ansehnliche Truppenkörper, mit denen sie die Heere des Königs be-
kriegten. Der Einfluß und die Macht der Geistlichkeit war eine mehr
verborgene, aber darum um so furchtbarere, indem sie die Gemüther
und Gewissen der Massen beherrschte und nach Gefallen lenkte. An
ihrer Spitze stand der Coadjutor von Paris, der spätere Erzbischof
und Kardinal Retz, ein ebenso begabter wie verschlagener Mann.
[Ende Spaltensatz]


Wissenschaft, Kunst und Literatur. [Beginn Spaltensatz]
Aus dem Leben des Kardinals Mazarin.
( Fortsetzung. )

Gnädigster Herr“, sagte Beringhen, „ich bringe Jhnen eine gute
Nachricht.“

„Und welche?“ fragte Mazarin mit seinem kalten Lächeln
und seiner feinen Stimme.

„Die Königin befindet sich, was Ew. Eminenz anbetrifft, in einer
besseren Stimmung, als man denkt.“

„Und was kann Sie berechtigen, Herr von Beringhen, an einen
für mich so günstigen Umstand zu glauben?“

„Eine Unterredung, die sie so eben mit dem Herrn von Brienne
hatte, die ich anhörte, und bei welcher sie sich geneigt zeigte, Sie zu
ihrem ersten Minister zu ernennen.“

Ganz gegen die Erwartung des Boten verschwand das Lächeln
von den Lippen des Kardinals; sein Gesicht schien ganz gleichgültig
und seine Blicke unempfindlich, jedoch tief forschend, als wollten sie in
das Herz des Boten dringen.

„Aha!“ sagte er. „Sie haben diese Unterredung mit angehört?“

„Ja, gnädigster Herr.“

„Und was sagte Brienne?“

„Er sagte, daß die Königin eines ersten Ministers bedürfe, und
daß Ew. Eminenz die beste Wahl sei, die sie treffen könne, da Sie
ein eben sowohl in Geschäften erfahrener Staatsmann, als ein ihr
vollkommen ergebener Diener sein würden.“

„Also hat Brienne für meine Ergebenheit gut gesagt?“ fragte
Mazarin.

„Er sagte, daß er gewiß sei, daß eine so große Gunst Ew.
Eminenz tief ergreifen würde, und daß, da edle Seelen nichts mehr
fessele, als die Erkenntlichkeit, er sicher sei, daß Jhre Majestät auf
Sie zählen können.“

„Und was haben Jhre Majestät darauf erwidert?“

„Jhre Majestät fürchten, daß Sie frühere Verpflichtungen über-
nommen hätten.“

Mazarin lächelte.

„Jch danke, Herr von Beringhen“, sagte er; „seien Sie ver-
sichert, daß ich mich bei Gelegenheit der Mühe erinnern werde, die
Sie sich genommen haben, mir diese Nachricht zu hinterbringen.“

Er trat nun einen Schritt zurück, um wieder in das Spielzimmer
zu gehen.

„Jst das Alles, was Jhre Eminenz zu sagen haben?“ fragte
Beringhen.

„Was soll ich Jhnen weiter sagen? Sie kündigen mir an, daß
Sie einer Unterhaltung zugehört haben, in welcher die Königin gute
Absichten für mich verrieth. Jch habe mich nur bei Jhnen zu be-
danken, und ich danke Jhnen.“

Beringhen sah, daß Mazarin, der ohne Zweifel eine Falle fürchtete,
entschlossen war, an sich zu halten.

„Hören Sie mich, gnädigster Herr“, sprach er, „ich werde ganz
offen mit Jhnen reden: ich komme nicht aus eigenem Antrieb.“

„Aha“, sagte Mazarin, „und von wem kommen Sie denn?“

„Jch komme im Namen der Königin.“

Jetzt glänzten die Augen des zukünftigen Ministers.

„Das ist etwas Anderes“, sagte er; „reden Sie, mein lieber
Beringhen, reden Sie.“

Beringhen erzählte ihm, daß er nichts von der Unterhaltung der
Königin mit Herrn von Brienne gehört habe, die indessen statt-
gefunden und die ihm Jhre Majestät ganz mitgetheilt hätte.

„So ist es also Jhre Majestät, die Sie beauftragt hat, zu mir
zu kommen.“

„Sie selbst“, antwortete Beringhen.

„Auf Jhre Ehre?“

„Auf das Wort eines Edelmanns! Sie wünscht zu wissen, ob sie
sich auf Sie verlassen kann, und ob im Fall, daß sie Sie unterstützt,
Sie sie wieder unterstützen werden?“

Von dem größten Mißtrauen sogleich zu dem größten Vertrauen
übergehend, sagte Mazarin:

„Herr von Beringhen, gehen Sie zur Königin zurück und sagen
Sie ihr, daß ich, ohne irgend eine Bedingung zu machen, mein
ganzes Schicksal in ihre Hände lege. Jch verzichte auf alle Vor-
theile, die mir der König durch seine Erklärung gewährt.“

„Gnädigster Herr, ich habe ein sehr schlechtes Gedächtniß, und ich
fürchte in der That, die Ausdrücke, deren Sie sich bedienen, indem ich
sie der Königin hinterbringe, nicht mit dieser Kraft wiedergeben zu
können. Jch will Feder und Tinte holen, damit Sie mir solche
schriftlich geben.“

[Spaltenumbruch]

„Nicht doch! Wenn wir dies begehren, so würde man vermuthen,
daß wir eine wichtige [unleserliches Material – 9 Zeichen fehlen]Konferenz mit einander haben.“

„Wohlan“, sagte Beringhen, indem er eine Brieftafel aus der
Tasche zog und sie nebst einer Bleifeder dem Kardinal darreichte,
„schreiben Sie.“

Nun konnte Mazarin nicht mehr ausweichen, er nahm die Brief-
tafel und schrieb:

„Jch werde niemals einen andern Willen als den der Königin
haben. Von ganzem Herzen verzichte ich auf jeden Vortheil, den
mir die Erklärung zuspricht, ich überlasse sie sammt allen meinen
anderen Jnteressen, ohne allen Rückhalt, der unvergleichlichen Güte
Jhrer Majestät. Von meiner Hand geschrieben und unterzeichnet.
Jhro Majestät demüthigster, gehorsamster und getreuester Unterthan
und sehr erkenntliche Kreatur. —

    Jules, Kardinal von Mazarin.“

Offen stellte er die Brieftafel Beringhen zu, der das Versprechen
las und dann den Kopf schüttelte.

„Wie“? sagte der Kardinal, „finden Sie, mein lieber Herr von
Beringhen, daß das Billet nicht Alles sagt, was es sagen sollte?“

„Jm Gegentheil“, sagte Beringhen, „ich finde es so vortrefflich,
daß ich viel darum geben möchte, und die Königin gewiß auch, wenn
es statt mit Bleifeder mit Tinte geschrieben wäre. Das Blei ver-
wischt sich so leicht, wie Sie wissen, gnädigster Herr.“

„Sagen Sie der Königin“, versetzte der Kardinal, „daß ich es
später mit Tinte auf Papier, auf Pergament, auf Stahl, auf was
sie will, schreiben, und wenn es sein muß, mit meinem Blut unter-
zeichnen will.“

„Fügen Sie dies als Nachschrift hinzu, gnädigster Herr“, sagte
Beringhen, der gern Alles auf das Gewissenhafteste that, „es ist noch
Raum dazu vorhanden.“

Der Kardinal schrieb das gewünschte Postskriptum, und Beringhen,
ganz vergnügt über den Erfolg seiner Unterhandluna,[unleserliches Material] brachte das Ver-
sprechen in den Louvre zurück.

Noch war der Graf von Brienne bei der Königin, als Beringhen
zurückkam. Dieser wollte sich mit Bescheidenheit entfernen, allein die
Königin hielt ihn zurück. Nachdem sie mit großer Freude gelesen,
was Mazarin geschrieben, befahl sie Beringhen, sofort zu dem Kar-
dinal zurückzukehren und ihn zu ihr zu bescheiden. Mazarin erschien,
und die Königin gab ihm in Gegenwart Beringhens und des Grafen
von Brienne die Brieftafel zurück, überreichte ihm auch das inzwischen
ausgefertigte Patent, das ihn zu ihrem ersten Minister und zum Chef
des Staatsraths ernannte. Auf einen Wink der Königin zogen sich
Brienne und Beringhen zurück, worauf sie mit dem neuen Premier-
Minister eine Unterredung unter vier Augen hatte, die mehrere Stun-
den währte und unzweifelhaft zu beiderseitiger Zufriedenheit endigte.

So wurde Mazarin das Schicksal Frankreichs, denn auch die
Königin wurde ihm vollständig unterthan, und ebenso wußte er den
jungen König bis zum letzten Athemzuge nach seinem Willen zu len-
ken, wenngleich sich dieser nicht selten sehr ungeberdig und wider-
spenstig zeigte.

II.

Mazarins ferneres Leben war ein steter Kampf, sich in seiner
allgewaltigen Stellung zu behaupten und die Macht des Königthums
nach Jnnen und Außen zu stärken und zu wahren. Sein Genie hat
Beides zu erreichen gewußt, so bedenklich die Wage auch zuweilen
schwankte.

Die Zahl seiner Feinde war Legion, und dazu nahmen sie im
alten Staat die erste Stellung ein. Gegen den neuen Premier-
Minister verbanden sich die Parlamente, der vornehme Adel und die
hohe Geistlichkeit. Die Parlamente, unter denen das von Paris das
einflußreichste war, bildeten nicht nur die obersten Gerichtshöfe, son-
dern sie hatten auch das große Vorrecht, die königlichen Edikte ein-
zuregistriren oder solches zu verweigern. Nur im ersteren Falle
erhielten jene Gesetzeskraft; widersprach aber das Parlament, so
mußten sie unausgeführt bleiben, es sei denn, daß die Regierung
Muth und Macht genug besaß, sie dennoch und gewaltsam ins Werk
zu setzen. Der Adel hatte feste Schlösser, große Städte und ganze
Provinzen inne. Seine Mitglieder hausten darin wie unumschränkte
Fürsten und unterhielten ein zahlreiches Gefolge von Edelleuten und
ansehnliche Truppenkörper, mit denen sie die Heere des Königs be-
kriegten. Der Einfluß und die Macht der Geistlichkeit war eine mehr
verborgene, aber darum um so furchtbarere, indem sie die Gemüther
und Gewissen der Massen beherrschte und nach Gefallen lenkte. An
ihrer Spitze stand der Coadjutor von Paris, der spätere Erzbischof
und Kardinal Retz, ein ebenso begabter wie verschlagener Mann.
[Ende Spaltensatz]

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[30/0006] 30 Wissenschaft, Kunst und Literatur. Aus dem Leben des Kardinals Mazarin. ( Fortsetzung. ) „ Gnädigster Herr“, sagte Beringhen, „ich bringe Jhnen eine gute Nachricht.“ „Und welche?“ fragte Mazarin mit seinem kalten Lächeln und seiner feinen Stimme. „Die Königin befindet sich, was Ew. Eminenz anbetrifft, in einer besseren Stimmung, als man denkt.“ „Und was kann Sie berechtigen, Herr von Beringhen, an einen für mich so günstigen Umstand zu glauben?“ „Eine Unterredung, die sie so eben mit dem Herrn von Brienne hatte, die ich anhörte, und bei welcher sie sich geneigt zeigte, Sie zu ihrem ersten Minister zu ernennen.“ Ganz gegen die Erwartung des Boten verschwand das Lächeln von den Lippen des Kardinals; sein Gesicht schien ganz gleichgültig und seine Blicke unempfindlich, jedoch tief forschend, als wollten sie in das Herz des Boten dringen. „Aha!“ sagte er. „Sie haben diese Unterredung mit angehört?“ „Ja, gnädigster Herr.“ „Und was sagte Brienne?“ „Er sagte, daß die Königin eines ersten Ministers bedürfe, und daß Ew. Eminenz die beste Wahl sei, die sie treffen könne, da Sie ein eben sowohl in Geschäften erfahrener Staatsmann, als ein ihr vollkommen ergebener Diener sein würden.“ „Also hat Brienne für meine Ergebenheit gut gesagt?“ fragte Mazarin. „Er sagte, daß er gewiß sei, daß eine so große Gunst Ew. Eminenz tief ergreifen würde, und daß, da edle Seelen nichts mehr fessele, als die Erkenntlichkeit, er sicher sei, daß Jhre Majestät auf Sie zählen können.“ „Und was haben Jhre Majestät darauf erwidert?“ „Jhre Majestät fürchten, daß Sie frühere Verpflichtungen über- nommen hätten.“ Mazarin lächelte. „Jch danke, Herr von Beringhen“, sagte er; „seien Sie ver- sichert, daß ich mich bei Gelegenheit der Mühe erinnern werde, die Sie sich genommen haben, mir diese Nachricht zu hinterbringen.“ Er trat nun einen Schritt zurück, um wieder in das Spielzimmer zu gehen. „Jst das Alles, was Jhre Eminenz zu sagen haben?“ fragte Beringhen. „Was soll ich Jhnen weiter sagen? Sie kündigen mir an, daß Sie einer Unterhaltung zugehört haben, in welcher die Königin gute Absichten für mich verrieth. Jch habe mich nur bei Jhnen zu be- danken, und ich danke Jhnen.“ Beringhen sah, daß Mazarin, der ohne Zweifel eine Falle fürchtete, entschlossen war, an sich zu halten. „Hören Sie mich, gnädigster Herr“, sprach er, „ich werde ganz offen mit Jhnen reden: ich komme nicht aus eigenem Antrieb.“ „Aha“, sagte Mazarin, „und von wem kommen Sie denn?“ „Jch komme im Namen der Königin.“ Jetzt glänzten die Augen des zukünftigen Ministers. „Das ist etwas Anderes“, sagte er; „reden Sie, mein lieber Beringhen, reden Sie.“ Beringhen erzählte ihm, daß er nichts von der Unterhaltung der Königin mit Herrn von Brienne gehört habe, die indessen statt- gefunden und die ihm Jhre Majestät ganz mitgetheilt hätte. „So ist es also Jhre Majestät, die Sie beauftragt hat, zu mir zu kommen.“ „Sie selbst“, antwortete Beringhen. „Auf Jhre Ehre?“ „Auf das Wort eines Edelmanns! Sie wünscht zu wissen, ob sie sich auf Sie verlassen kann, und ob im Fall, daß sie Sie unterstützt, Sie sie wieder unterstützen werden?“ Von dem größten Mißtrauen sogleich zu dem größten Vertrauen übergehend, sagte Mazarin: „Herr von Beringhen, gehen Sie zur Königin zurück und sagen Sie ihr, daß ich, ohne irgend eine Bedingung zu machen, mein ganzes Schicksal in ihre Hände lege. Jch verzichte auf alle Vor- theile, die mir der König durch seine Erklärung gewährt.“ „Gnädigster Herr, ich habe ein sehr schlechtes Gedächtniß, und ich fürchte in der That, die Ausdrücke, deren Sie sich bedienen, indem ich sie der Königin hinterbringe, nicht mit dieser Kraft wiedergeben zu können. Jch will Feder und Tinte holen, damit Sie mir solche schriftlich geben.“ „Nicht doch! Wenn wir dies begehren, so würde man vermuthen, daß wir eine wichtige _________Konferenz mit einander haben.“ „Wohlan“, sagte Beringhen, indem er eine Brieftafel aus der Tasche zog und sie nebst einer Bleifeder dem Kardinal darreichte, „schreiben Sie.“ Nun konnte Mazarin nicht mehr ausweichen, er nahm die Brief- tafel und schrieb: „Jch werde niemals einen andern Willen als den der Königin haben. Von ganzem Herzen verzichte ich auf jeden Vortheil, den mir die Erklärung zuspricht, ich überlasse sie sammt allen meinen anderen Jnteressen, ohne allen Rückhalt, der unvergleichlichen Güte Jhrer Majestät. Von meiner Hand geschrieben und unterzeichnet. Jhro Majestät demüthigster, gehorsamster und getreuester Unterthan und sehr erkenntliche Kreatur. — Jules, Kardinal von Mazarin.“ Offen stellte er die Brieftafel Beringhen zu, der das Versprechen las und dann den Kopf schüttelte. „Wie“? sagte der Kardinal, „finden Sie, mein lieber Herr von Beringhen, daß das Billet nicht Alles sagt, was es sagen sollte?“ „Jm Gegentheil“, sagte Beringhen, „ich finde es so vortrefflich, daß ich viel darum geben möchte, und die Königin gewiß auch, wenn es statt mit Bleifeder mit Tinte geschrieben wäre. Das Blei ver- wischt sich so leicht, wie Sie wissen, gnädigster Herr.“ „Sagen Sie der Königin“, versetzte der Kardinal, „daß ich es später mit Tinte auf Papier, auf Pergament, auf Stahl, auf was sie will, schreiben, und wenn es sein muß, mit meinem Blut unter- zeichnen will.“ „Fügen Sie dies als Nachschrift hinzu, gnädigster Herr“, sagte Beringhen, der gern Alles auf das Gewissenhafteste that, „es ist noch Raum dazu vorhanden.“ Der Kardinal schrieb das gewünschte Postskriptum, und Beringhen, ganz vergnügt über den Erfolg seiner Unterhandluna,_ brachte das Ver- sprechen in den Louvre zurück. Noch war der Graf von Brienne bei der Königin, als Beringhen zurückkam. Dieser wollte sich mit Bescheidenheit entfernen, allein die Königin hielt ihn zurück. Nachdem sie mit großer Freude gelesen, was Mazarin geschrieben, befahl sie Beringhen, sofort zu dem Kar- dinal zurückzukehren und ihn zu ihr zu bescheiden. Mazarin erschien, und die Königin gab ihm in Gegenwart Beringhens und des Grafen von Brienne die Brieftafel zurück, überreichte ihm auch das inzwischen ausgefertigte Patent, das ihn zu ihrem ersten Minister und zum Chef des Staatsraths ernannte. Auf einen Wink der Königin zogen sich Brienne und Beringhen zurück, worauf sie mit dem neuen Premier- Minister eine Unterredung unter vier Augen hatte, die mehrere Stun- den währte und unzweifelhaft zu beiderseitiger Zufriedenheit endigte. So wurde Mazarin das Schicksal Frankreichs, denn auch die Königin wurde ihm vollständig unterthan, und ebenso wußte er den jungen König bis zum letzten Athemzuge nach seinem Willen zu len- ken, wenngleich sich dieser nicht selten sehr ungeberdig und wider- spenstig zeigte. II. Mazarins ferneres Leben war ein steter Kampf, sich in seiner allgewaltigen Stellung zu behaupten und die Macht des Königthums nach Jnnen und Außen zu stärken und zu wahren. Sein Genie hat Beides zu erreichen gewußt, so bedenklich die Wage auch zuweilen schwankte. Die Zahl seiner Feinde war Legion, und dazu nahmen sie im alten Staat die erste Stellung ein. Gegen den neuen Premier- Minister verbanden sich die Parlamente, der vornehme Adel und die hohe Geistlichkeit. Die Parlamente, unter denen das von Paris das einflußreichste war, bildeten nicht nur die obersten Gerichtshöfe, son- dern sie hatten auch das große Vorrecht, die königlichen Edikte ein- zuregistriren oder solches zu verweigern. Nur im ersteren Falle erhielten jene Gesetzeskraft; widersprach aber das Parlament, so mußten sie unausgeführt bleiben, es sei denn, daß die Regierung Muth und Macht genug besaß, sie dennoch und gewaltsam ins Werk zu setzen. Der Adel hatte feste Schlösser, große Städte und ganze Provinzen inne. Seine Mitglieder hausten darin wie unumschränkte Fürsten und unterhielten ein zahlreiches Gefolge von Edelleuten und ansehnliche Truppenkörper, mit denen sie die Heere des Königs be- kriegten. Der Einfluß und die Macht der Geistlichkeit war eine mehr verborgene, aber darum um so furchtbarere, indem sie die Gemüther und Gewissen der Massen beherrschte und nach Gefallen lenkte. An ihrer Spitze stand der Coadjutor von Paris, der spätere Erzbischof und Kardinal Retz, ein ebenso begabter wie verschlagener Mann.

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Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 4. Berlin, 26. Januar 1868, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt04_1868/6>, abgerufen am 01.06.2024.