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Sonntags-Blatt. Nr. 5. Berlin, 2. Februar 1868.

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[Beginn Spaltensatz] sich dasselbe zu erklären, bald Dumont, den Unterhofmeister, bald La-
porte und einen Zimmerjungen, der gegenwärtig war. Laporte, der
Chamarante für einen Spion hielt und fürchtete, daß man glauben
möchte, daß er es sei, der dem König solche Dinge gegen den Kar-
dinal in den Kopf setze, wiederholte, was Chamarante eintretend ge-
sagt hatte, und bemerkte Seiner Majestät, daß Sie schlafen gehen
müßten, um Jhro Eminenz nicht länger warten zu lassen. Der
König spielte aber den Tauben und blieb stumm und unbeweglich, so
daß der Kardinal, nachdem er beinahe eine halbe Stunde gewartet
hatte, sich langweilte und die kleine Treppe hinabstieg, die auf den
Korridor führte. Als er wegging, machten die Degen und Sporen
der Leute, die in seiner Begleitung waren, einen solchen Lärm, daß
der König sich endlich zu reden entschloß.

"Der Herr Kardinal", sagte er, "macht einen entsetzlichen Lärm;
er muß wenigstens fünfhundert Personen in seinem Gefolge haben."

Mit dem vierzehnten Jahre wurde der König "mündig" er-
klärt, und sollte nunmehr selbstständig und allein regieren; allein er
blieb nach wie vor und hinsichtlich der bedeutendsten Dinge von dem
Kardinal abhängig, was folgende Geschichtchen beweisen.

Birragues, der erste Garderobier des Königs, hatte den Herrn
von Crequi, den dienstthuenden Kammerherrn, gebeten, ein gutes Wort
für seinen Vetter einzulegen, der, Fähndrich bei einem Regiment der
Picardie, in dem Gefecht von Etampes blessirt war und um die
Stelle seines Lieutenants bat, welcher in demselben Treffen gefallen
war. Der König fand die Gewährung dieser Bitte gerecht und ver-
sprach sehr freundlich, mit der Königin und dem Kardinal darüber zu
sprechen; aber fünf oder sechs Tage darauf hatte er noch keine Ant-
wort gegeben, und Herr von Crequi, der zugegen war, als Laporte
ihn ankleidete, fragte ihn, ob er die Gnade gehabt, sich des An-
liegens von Herrn Birragues zu erinnern? Der König antwortete
nicht und stellte sich, als habe er Nichts gehört.

"Sire", sagte nun Laporte, der, die Schleifen an den Beinkleidern
des Königs zubindend, neben ihm kniete, "Sire, die, welche die Ehre
haben, Ew. Majestät anzugehören, sind sehr unglücklich, weil sie nicht
einmal hoffen dürfen, die gerechtesten Wünsche erfüllt zu sehen."

Nun näherte der König seinen Mund dem Ohr des Kammerdieners
und sagte leise und klagend:

"Es ist nicht meine Schuld, mein lieber Laporte; ich habe mit
ihm davon gesprochen, aber es hat Nichts geholfen."

"Sieh, Laporte", sagte der König eines Morgens zu seinem
Kammerdiener, indem er eine Hand voll Goldstücke aus seiner Tasche
nahm, "hier sind hundert Louis, die der Herr Direktor der Finanzen
mir schickt, theils um sie zu meinem Vergnügen zu verwenden, theils
um freigebig gegen die Soldaten sein zu können. Verwahre
sie mir."

"Und warum will Ew. Majestät sie nicht selbst verwahren?"

"Ach", sagte der König, "weil ich fürchte, daß bei den langen
Stiefeln, die ich trage, dieses Geld mich belästigen würde."

"Ja, wenn es in den Taschen der Beinkleider bliebe", antwortete
Laporte, "aber warum wollen Ew. Majestät es nicht in die Tasche
Jhres Wammses stecken?"

"Du hast Recht", sagte der König, innerlich nur zu sehr erfreut,
hundert Louis zu besitzen, "ich werde sie behalten."

Aber er sollte nicht lange der Besitzer dieser Summe sein.

Während des Aufenthalts in St. Germain hatte Moreau, der
erste Garderobendiener des Königs, eilf Pistolen für Handschuhe aus-
gelegt. Da nun, wie schon gesagt, am Hofe allgemeine Armuth
herrschte, vermißte dieser das ausgelegte Geld und wendete sich, als er
erfuhr, daß dem Könige hundert Louis übermacht waren, sogleich an
Laporte mit der Bitte, ihm zu seinem Gelde zu verhelfen. Laporte
übernahm es, den König noch denselben Abend darum zu bitten.

"Sire", sagte Laporte beim Auskleiden, "Moreau hat für
Ew. Majestät Garderobenbedürfnisse, während wir in St. Germain
waren, eilf Pistolen vorgeschossen, und da in jetziger schlimmer Zeit
Jeder das Seinige bedarf, habe ich ihm versprochen, Ew. Majestät
um Erstattung dieses kleinen Vorschusses zu bitten."

"Ach!" sagte der König traurig, "Du kommst zu spät, mein lieber
Laporte; ich habe kein Geld mehr."

"Und wofür haben Sie es ausgegeben, Sire?"

"Jch habe es nicht ausgegeben, Laporte."

"Haben Sie bei dem Kardinal gespielt und verloren?"

"Nein; Du weißt wohl, daß ich nicht reich genug bin, um zu
spielen."

"Ach! Ach! Sire", sagte Laporte, "ich errathe die Sache; ich
wette, daß der Kardinal Jhnen Jhr Geld abgenommen hat."

"Ja", murmelte der König, tief seufzend; "siehst Du nun, daß
Du Unrecht thatest, es heute Morgen nicht in Verwahrung zu
nehmen?"

Wirklich hatte der Kardinal den ungewöhnlichen Wohlstand des
Königs bemerkt und sein königliches Mündel ohne Umstände rein
ausgeplündert.     ( Fortsetzung folgt. )

[Spaltenumbruch]
Ewald Christian von Kleist.
Von
W. Buchner.

Die letzten Jahre haben manchen edlen Tod auf dem Schlacht-
felde gesehen. So mag es gestattet sein, auch eines Todten
zu gedenken, welcher vor hundert Jahren den schönsten Kriegertod
fand und durch denselben den Glanz seines Vaterlandes ver-
mehrte. Denn der Gefallene war nicht nur ein tapferer preußischer
Offizier, er war auch ein weithin bekannter und gefeierter Dichter.
Gehört Ewald Christian von Kleist unter den deutschen Dichtern des
achtzehnten Jahrhunderts auch nicht zu den bedeutendsten, so ist er
ein so vollkommener Ausdruck einer gewissen Richtung der damaligen
Poesie, so bietet er durch den Zwiespalt seiner feinfühligen Natur mit
seinem kriegerischen Beruf eine so rührende Erscheinung dar, und ist
sein Leben durch einen traurigen und doch schönen Tod für das Vater-
land in so edler Weise abgeschlossen, daß er zu den gemüthlich an-
ziehendsten Dichtergestalten seiner Zeit gehört und auch jetzt noch einer
eingehenden Betrachtung würdig ist.

Ewald Christian von Kleist ward geboren am 7. März 1715 zu
Zeblin unweit Cöslin in Pommern; sein Vater lebte als Landwirth
auf seinen Gütern. Von Kleists Jugend ist wenig bekannt; im neun-
ten Jahre schickten ihn die Aeltern in die Jesuitenschule zu Kron in
Polen, im fünfzehnten auf das Gymnasium zu Danzig. Er war ein
lebhafter, muthiger Knabe, der im Bewußtsein leiblicher und geistiger
Kraft manchen muthwilligen Streich machte. Jm siebzehnten Jahre,
1731, bezog Kleist die Königsberger Hochschule und studirte daselbst,
um sich nach des Vaters Wunsch für eine Anstellung als Beamter
vorzubereiten, mit ungemeinem Eifer die Rechte, Philosophie, Physik,
Mathematik, ältere und neuere Sprachen. Es geht aus allem diesem
hervor, daß er keineswegs zu den zahlreichen Adeligen damaliger und
späterer Zeit gehört, welche, von Jugend auf nur für den Heerdienst
bestimmt, höherer Bildung entbehren zu können glauben; es war viel-
mehr ein Zufall, welcher den feingebildeten, feinfühlenden Kleist zum
Kriegsmann machte. Nach Vollendung seiner Studien nämlich machte
er eine Reise nach Dänemark, wo er hochgestellte Verwandte hatte.
Dieses Königreich stand im achtzehnten Jahrhundert mit Deutschland
auf dem besten Fuß; die regierende Familie, aus Schleswig=Holstein
stammend, fühlte sich selbst als deutsch, sprach deutsch und zog eine
große Menge deutscher Beamter und Gelehrter nach Dänemark.
Da eine anderweite Anstellung sich nicht fand, so ließ sich Kleist,
widerwillig genug, durch seine Verwandten, zwei dänische Generale,
bestimmen, ebenfalls in Dienste zu treten; so ward er 1736 dänischer
Offizier.

Das Jahr 1740, der Regierungsantritt Friedrichs des Großen,
brachte den Beginn der schlesischen Kriege. Friedrich II. rief die im
Auslande dienenden Preußen, darunter auch unsern Kleist, zurück;
derselbe ward zum Lieutenant beim Regiment des Prinzen Heinrich
ernannt. Einige Jahre verbrachte er im eintönigen Garnisonsdienst
von Potsdam; den Kameraden war seine Bildung, ihm ihre Roheit
lästig. Die Langeweile des geistlosen Rekrutendrillens war ihm, dem
wohlunterrichteten, dichterisch angeregten jungen Mann entsetzlich, und
seine Briefe enthalten manchen Stoßseufzer: "Unter Offizieren ist es
eine Art von Schande, ein Dichter zu sein; wenn ich Leute von
edlem Charakter in anderen Ständen antreffe, bekomme ich immer
Lust, den Soldatenstand zu verlassen, weil sie darin immer ziemlich
selten sind. O wer doch jetzt nicht alle Tage zweimal exerziren
müßte!" So fühlte er sich sehr unbehaglich; bei seinem kärglichen
Gehalt blieben Schulden, bei seinem lebhaften Wesen Händel nicht
aus. So hatte Kleist 1743 mit einem andern Offizier einen Zwei-
kampf, in welchem er schwer am Arm verwundet wurde. Den
Kranken besuchte Gleim, ein junger und nachmals gefeierter Dichter,
welcher damals in Potsdam verweilte, und erbot sich zum Vorlesen:
ein heiteres Gedichtchen, welches Gleim las, reizte Kleist zu so lautem
Lachen, daß die Wunde aufbrach und heftig blutete -- zu großem Glück;
denn dieser Zufall beförderte sehr die rasche Heilung, welche Kleist,
wie er selbst scherzend sprach, Gleim und der Dichtkunst verdankte. Von
dieser Zeit an verband die Beiden lebenslang eine innige Freund-
schaft, und zugleich die Uebung der Dichtkunst.

An den Feldzügen von 1744 und 1745 nahm Kleist Theil, kehrte
dann aber wieder nach dem ihm so widerwärtigen Potsdam zurück.
Hier entfaltete sich nunmehr seine dichterische Kraft lebendiger, und es
ist auffällig genug, daß sie, im Gegensatz zu dem kriegerischen Lebens-
beruf des Dichters, mit besonderer Vorliebe bei friedlichen und länd-
lichen Bildern verweilt. Kleist pflegte täglich spazieren zu gehen;
diese einsamen Gänge nannte er scherzend seine "poetische Bilderjagd";
es beschäftigte ihn nämlich seit dem Sommer 1746 die Dichtung, welche
vornehmlich seinen Namen berühmt gemacht hat, die "Landlust" oder,
wie er es auf Gleims Rath nannte, der "Frühling."

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] sich dasselbe zu erklären, bald Dumont, den Unterhofmeister, bald La-
porte und einen Zimmerjungen, der gegenwärtig war. Laporte, der
Chamarante für einen Spion hielt und fürchtete, daß man glauben
möchte, daß er es sei, der dem König solche Dinge gegen den Kar-
dinal in den Kopf setze, wiederholte, was Chamarante eintretend ge-
sagt hatte, und bemerkte Seiner Majestät, daß Sie schlafen gehen
müßten, um Jhro Eminenz nicht länger warten zu lassen. Der
König spielte aber den Tauben und blieb stumm und unbeweglich, so
daß der Kardinal, nachdem er beinahe eine halbe Stunde gewartet
hatte, sich langweilte und die kleine Treppe hinabstieg, die auf den
Korridor führte. Als er wegging, machten die Degen und Sporen
der Leute, die in seiner Begleitung waren, einen solchen Lärm, daß
der König sich endlich zu reden entschloß.

„Der Herr Kardinal“, sagte er, „macht einen entsetzlichen Lärm;
er muß wenigstens fünfhundert Personen in seinem Gefolge haben.“

Mit dem vierzehnten Jahre wurde der König „mündig“ er-
klärt, und sollte nunmehr selbstständig und allein regieren; allein er
blieb nach wie vor und hinsichtlich der bedeutendsten Dinge von dem
Kardinal abhängig, was folgende Geschichtchen beweisen.

Birragues, der erste Garderobier des Königs, hatte den Herrn
von Créqui, den dienstthuenden Kammerherrn, gebeten, ein gutes Wort
für seinen Vetter einzulegen, der, Fähndrich bei einem Regiment der
Picardie, in dem Gefecht von Etampes blessirt war und um die
Stelle seines Lieutenants bat, welcher in demselben Treffen gefallen
war. Der König fand die Gewährung dieser Bitte gerecht und ver-
sprach sehr freundlich, mit der Königin und dem Kardinal darüber zu
sprechen; aber fünf oder sechs Tage darauf hatte er noch keine Ant-
wort gegeben, und Herr von Créqui, der zugegen war, als Laporte
ihn ankleidete, fragte ihn, ob er die Gnade gehabt, sich des An-
liegens von Herrn Birragues zu erinnern? Der König antwortete
nicht und stellte sich, als habe er Nichts gehört.

„Sire“, sagte nun Laporte, der, die Schleifen an den Beinkleidern
des Königs zubindend, neben ihm kniete, „Sire, die, welche die Ehre
haben, Ew. Majestät anzugehören, sind sehr unglücklich, weil sie nicht
einmal hoffen dürfen, die gerechtesten Wünsche erfüllt zu sehen.“

Nun näherte der König seinen Mund dem Ohr des Kammerdieners
und sagte leise und klagend:

„Es ist nicht meine Schuld, mein lieber Laporte; ich habe mit
ihm davon gesprochen, aber es hat Nichts geholfen.“

„Sieh, Laporte“, sagte der König eines Morgens zu seinem
Kammerdiener, indem er eine Hand voll Goldstücke aus seiner Tasche
nahm, „hier sind hundert Louis, die der Herr Direktor der Finanzen
mir schickt, theils um sie zu meinem Vergnügen zu verwenden, theils
um freigebig gegen die Soldaten sein zu können. Verwahre
sie mir.“

„Und warum will Ew. Majestät sie nicht selbst verwahren?“

„Ach“, sagte der König, „weil ich fürchte, daß bei den langen
Stiefeln, die ich trage, dieses Geld mich belästigen würde.“

„Ja, wenn es in den Taschen der Beinkleider bliebe“, antwortete
Laporte, „aber warum wollen Ew. Majestät es nicht in die Tasche
Jhres Wammses stecken?“

„Du hast Recht“, sagte der König, innerlich nur zu sehr erfreut,
hundert Louis zu besitzen, „ich werde sie behalten.“

Aber er sollte nicht lange der Besitzer dieser Summe sein.

Während des Aufenthalts in St. Germain hatte Moreau, der
erste Garderobendiener des Königs, eilf Pistolen für Handschuhe aus-
gelegt. Da nun, wie schon gesagt, am Hofe allgemeine Armuth
herrschte, vermißte dieser das ausgelegte Geld und wendete sich, als er
erfuhr, daß dem Könige hundert Louis übermacht waren, sogleich an
Laporte mit der Bitte, ihm zu seinem Gelde zu verhelfen. Laporte
übernahm es, den König noch denselben Abend darum zu bitten.

„Sire“, sagte Laporte beim Auskleiden, „Moreau hat für
Ew. Majestät Garderobenbedürfnisse, während wir in St. Germain
waren, eilf Pistolen vorgeschossen, und da in jetziger schlimmer Zeit
Jeder das Seinige bedarf, habe ich ihm versprochen, Ew. Majestät
um Erstattung dieses kleinen Vorschusses zu bitten.“

„Ach!“ sagte der König traurig, „Du kommst zu spät, mein lieber
Laporte; ich habe kein Geld mehr.“

„Und wofür haben Sie es ausgegeben, Sire?“

„Jch habe es nicht ausgegeben, Laporte.“

„Haben Sie bei dem Kardinal gespielt und verloren?“

„Nein; Du weißt wohl, daß ich nicht reich genug bin, um zu
spielen.“

„Ach! Ach! Sire“, sagte Laporte, „ich errathe die Sache; ich
wette, daß der Kardinal Jhnen Jhr Geld abgenommen hat.“

„Ja“, murmelte der König, tief seufzend; „siehst Du nun, daß
Du Unrecht thatest, es heute Morgen nicht in Verwahrung zu
nehmen?“

Wirklich hatte der Kardinal den ungewöhnlichen Wohlstand des
Königs bemerkt und sein königliches Mündel ohne Umstände rein
ausgeplündert.     ( Fortsetzung folgt. )

[Spaltenumbruch]
Ewald Christian von Kleist.
Von
W. Buchner.

Die letzten Jahre haben manchen edlen Tod auf dem Schlacht-
felde gesehen. So mag es gestattet sein, auch eines Todten
zu gedenken, welcher vor hundert Jahren den schönsten Kriegertod
fand und durch denselben den Glanz seines Vaterlandes ver-
mehrte. Denn der Gefallene war nicht nur ein tapferer preußischer
Offizier, er war auch ein weithin bekannter und gefeierter Dichter.
Gehört Ewald Christian von Kleist unter den deutschen Dichtern des
achtzehnten Jahrhunderts auch nicht zu den bedeutendsten, so ist er
ein so vollkommener Ausdruck einer gewissen Richtung der damaligen
Poesie, so bietet er durch den Zwiespalt seiner feinfühligen Natur mit
seinem kriegerischen Beruf eine so rührende Erscheinung dar, und ist
sein Leben durch einen traurigen und doch schönen Tod für das Vater-
land in so edler Weise abgeschlossen, daß er zu den gemüthlich an-
ziehendsten Dichtergestalten seiner Zeit gehört und auch jetzt noch einer
eingehenden Betrachtung würdig ist.

Ewald Christian von Kleist ward geboren am 7. März 1715 zu
Zeblin unweit Cöslin in Pommern; sein Vater lebte als Landwirth
auf seinen Gütern. Von Kleists Jugend ist wenig bekannt; im neun-
ten Jahre schickten ihn die Aeltern in die Jesuitenschule zu Kron in
Polen, im fünfzehnten auf das Gymnasium zu Danzig. Er war ein
lebhafter, muthiger Knabe, der im Bewußtsein leiblicher und geistiger
Kraft manchen muthwilligen Streich machte. Jm siebzehnten Jahre,
1731, bezog Kleist die Königsberger Hochschule und studirte daselbst,
um sich nach des Vaters Wunsch für eine Anstellung als Beamter
vorzubereiten, mit ungemeinem Eifer die Rechte, Philosophie, Physik,
Mathematik, ältere und neuere Sprachen. Es geht aus allem diesem
hervor, daß er keineswegs zu den zahlreichen Adeligen damaliger und
späterer Zeit gehört, welche, von Jugend auf nur für den Heerdienst
bestimmt, höherer Bildung entbehren zu können glauben; es war viel-
mehr ein Zufall, welcher den feingebildeten, feinfühlenden Kleist zum
Kriegsmann machte. Nach Vollendung seiner Studien nämlich machte
er eine Reise nach Dänemark, wo er hochgestellte Verwandte hatte.
Dieses Königreich stand im achtzehnten Jahrhundert mit Deutschland
auf dem besten Fuß; die regierende Familie, aus Schleswig=Holstein
stammend, fühlte sich selbst als deutsch, sprach deutsch und zog eine
große Menge deutscher Beamter und Gelehrter nach Dänemark.
Da eine anderweite Anstellung sich nicht fand, so ließ sich Kleist,
widerwillig genug, durch seine Verwandten, zwei dänische Generale,
bestimmen, ebenfalls in Dienste zu treten; so ward er 1736 dänischer
Offizier.

Das Jahr 1740, der Regierungsantritt Friedrichs des Großen,
brachte den Beginn der schlesischen Kriege. Friedrich II. rief die im
Auslande dienenden Preußen, darunter auch unsern Kleist, zurück;
derselbe ward zum Lieutenant beim Regiment des Prinzen Heinrich
ernannt. Einige Jahre verbrachte er im eintönigen Garnisonsdienst
von Potsdam; den Kameraden war seine Bildung, ihm ihre Roheit
lästig. Die Langeweile des geistlosen Rekrutendrillens war ihm, dem
wohlunterrichteten, dichterisch angeregten jungen Mann entsetzlich, und
seine Briefe enthalten manchen Stoßseufzer: „Unter Offizieren ist es
eine Art von Schande, ein Dichter zu sein; wenn ich Leute von
edlem Charakter in anderen Ständen antreffe, bekomme ich immer
Lust, den Soldatenstand zu verlassen, weil sie darin immer ziemlich
selten sind. O wer doch jetzt nicht alle Tage zweimal exerziren
müßte!“ So fühlte er sich sehr unbehaglich; bei seinem kärglichen
Gehalt blieben Schulden, bei seinem lebhaften Wesen Händel nicht
aus. So hatte Kleist 1743 mit einem andern Offizier einen Zwei-
kampf, in welchem er schwer am Arm verwundet wurde. Den
Kranken besuchte Gleim, ein junger und nachmals gefeierter Dichter,
welcher damals in Potsdam verweilte, und erbot sich zum Vorlesen:
ein heiteres Gedichtchen, welches Gleim las, reizte Kleist zu so lautem
Lachen, daß die Wunde aufbrach und heftig blutete — zu großem Glück;
denn dieser Zufall beförderte sehr die rasche Heilung, welche Kleist,
wie er selbst scherzend sprach, Gleim und der Dichtkunst verdankte. Von
dieser Zeit an verband die Beiden lebenslang eine innige Freund-
schaft, und zugleich die Uebung der Dichtkunst.

An den Feldzügen von 1744 und 1745 nahm Kleist Theil, kehrte
dann aber wieder nach dem ihm so widerwärtigen Potsdam zurück.
Hier entfaltete sich nunmehr seine dichterische Kraft lebendiger, und es
ist auffällig genug, daß sie, im Gegensatz zu dem kriegerischen Lebens-
beruf des Dichters, mit besonderer Vorliebe bei friedlichen und länd-
lichen Bildern verweilt. Kleist pflegte täglich spazieren zu gehen;
diese einsamen Gänge nannte er scherzend seine „poetische Bilderjagd“;
es beschäftigte ihn nämlich seit dem Sommer 1746 die Dichtung, welche
vornehmlich seinen Namen berühmt gemacht hat, die „Landlust“ oder,
wie er es auf Gleims Rath nannte, der „Frühling.“

[Ende Spaltensatz]
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[39/0007] 39 sich dasselbe zu erklären, bald Dumont, den Unterhofmeister, bald La- porte und einen Zimmerjungen, der gegenwärtig war. Laporte, der Chamarante für einen Spion hielt und fürchtete, daß man glauben möchte, daß er es sei, der dem König solche Dinge gegen den Kar- dinal in den Kopf setze, wiederholte, was Chamarante eintretend ge- sagt hatte, und bemerkte Seiner Majestät, daß Sie schlafen gehen müßten, um Jhro Eminenz nicht länger warten zu lassen. Der König spielte aber den Tauben und blieb stumm und unbeweglich, so daß der Kardinal, nachdem er beinahe eine halbe Stunde gewartet hatte, sich langweilte und die kleine Treppe hinabstieg, die auf den Korridor führte. Als er wegging, machten die Degen und Sporen der Leute, die in seiner Begleitung waren, einen solchen Lärm, daß der König sich endlich zu reden entschloß. „Der Herr Kardinal“, sagte er, „macht einen entsetzlichen Lärm; er muß wenigstens fünfhundert Personen in seinem Gefolge haben.“ Mit dem vierzehnten Jahre wurde der König „mündig“ er- klärt, und sollte nunmehr selbstständig und allein regieren; allein er blieb nach wie vor und hinsichtlich der bedeutendsten Dinge von dem Kardinal abhängig, was folgende Geschichtchen beweisen. Birragues, der erste Garderobier des Königs, hatte den Herrn von Créqui, den dienstthuenden Kammerherrn, gebeten, ein gutes Wort für seinen Vetter einzulegen, der, Fähndrich bei einem Regiment der Picardie, in dem Gefecht von Etampes blessirt war und um die Stelle seines Lieutenants bat, welcher in demselben Treffen gefallen war. Der König fand die Gewährung dieser Bitte gerecht und ver- sprach sehr freundlich, mit der Königin und dem Kardinal darüber zu sprechen; aber fünf oder sechs Tage darauf hatte er noch keine Ant- wort gegeben, und Herr von Créqui, der zugegen war, als Laporte ihn ankleidete, fragte ihn, ob er die Gnade gehabt, sich des An- liegens von Herrn Birragues zu erinnern? Der König antwortete nicht und stellte sich, als habe er Nichts gehört. „Sire“, sagte nun Laporte, der, die Schleifen an den Beinkleidern des Königs zubindend, neben ihm kniete, „Sire, die, welche die Ehre haben, Ew. Majestät anzugehören, sind sehr unglücklich, weil sie nicht einmal hoffen dürfen, die gerechtesten Wünsche erfüllt zu sehen.“ Nun näherte der König seinen Mund dem Ohr des Kammerdieners und sagte leise und klagend: „Es ist nicht meine Schuld, mein lieber Laporte; ich habe mit ihm davon gesprochen, aber es hat Nichts geholfen.“ „Sieh, Laporte“, sagte der König eines Morgens zu seinem Kammerdiener, indem er eine Hand voll Goldstücke aus seiner Tasche nahm, „hier sind hundert Louis, die der Herr Direktor der Finanzen mir schickt, theils um sie zu meinem Vergnügen zu verwenden, theils um freigebig gegen die Soldaten sein zu können. Verwahre sie mir.“ „Und warum will Ew. Majestät sie nicht selbst verwahren?“ „Ach“, sagte der König, „weil ich fürchte, daß bei den langen Stiefeln, die ich trage, dieses Geld mich belästigen würde.“ „Ja, wenn es in den Taschen der Beinkleider bliebe“, antwortete Laporte, „aber warum wollen Ew. Majestät es nicht in die Tasche Jhres Wammses stecken?“ „Du hast Recht“, sagte der König, innerlich nur zu sehr erfreut, hundert Louis zu besitzen, „ich werde sie behalten.“ Aber er sollte nicht lange der Besitzer dieser Summe sein. Während des Aufenthalts in St. Germain hatte Moreau, der erste Garderobendiener des Königs, eilf Pistolen für Handschuhe aus- gelegt. Da nun, wie schon gesagt, am Hofe allgemeine Armuth herrschte, vermißte dieser das ausgelegte Geld und wendete sich, als er erfuhr, daß dem Könige hundert Louis übermacht waren, sogleich an Laporte mit der Bitte, ihm zu seinem Gelde zu verhelfen. Laporte übernahm es, den König noch denselben Abend darum zu bitten. „Sire“, sagte Laporte beim Auskleiden, „Moreau hat für Ew. Majestät Garderobenbedürfnisse, während wir in St. Germain waren, eilf Pistolen vorgeschossen, und da in jetziger schlimmer Zeit Jeder das Seinige bedarf, habe ich ihm versprochen, Ew. Majestät um Erstattung dieses kleinen Vorschusses zu bitten.“ „Ach!“ sagte der König traurig, „Du kommst zu spät, mein lieber Laporte; ich habe kein Geld mehr.“ „Und wofür haben Sie es ausgegeben, Sire?“ „Jch habe es nicht ausgegeben, Laporte.“ „Haben Sie bei dem Kardinal gespielt und verloren?“ „Nein; Du weißt wohl, daß ich nicht reich genug bin, um zu spielen.“ „Ach! Ach! Sire“, sagte Laporte, „ich errathe die Sache; ich wette, daß der Kardinal Jhnen Jhr Geld abgenommen hat.“ „Ja“, murmelte der König, tief seufzend; „siehst Du nun, daß Du Unrecht thatest, es heute Morgen nicht in Verwahrung zu nehmen?“ Wirklich hatte der Kardinal den ungewöhnlichen Wohlstand des Königs bemerkt und sein königliches Mündel ohne Umstände rein ausgeplündert. ( Fortsetzung folgt. ) Ewald Christian von Kleist. Von W. Buchner. Die letzten Jahre haben manchen edlen Tod auf dem Schlacht- felde gesehen. So mag es gestattet sein, auch eines Todten zu gedenken, welcher vor hundert Jahren den schönsten Kriegertod fand und durch denselben den Glanz seines Vaterlandes ver- mehrte. Denn der Gefallene war nicht nur ein tapferer preußischer Offizier, er war auch ein weithin bekannter und gefeierter Dichter. Gehört Ewald Christian von Kleist unter den deutschen Dichtern des achtzehnten Jahrhunderts auch nicht zu den bedeutendsten, so ist er ein so vollkommener Ausdruck einer gewissen Richtung der damaligen Poesie, so bietet er durch den Zwiespalt seiner feinfühligen Natur mit seinem kriegerischen Beruf eine so rührende Erscheinung dar, und ist sein Leben durch einen traurigen und doch schönen Tod für das Vater- land in so edler Weise abgeschlossen, daß er zu den gemüthlich an- ziehendsten Dichtergestalten seiner Zeit gehört und auch jetzt noch einer eingehenden Betrachtung würdig ist. Ewald Christian von Kleist ward geboren am 7. März 1715 zu Zeblin unweit Cöslin in Pommern; sein Vater lebte als Landwirth auf seinen Gütern. Von Kleists Jugend ist wenig bekannt; im neun- ten Jahre schickten ihn die Aeltern in die Jesuitenschule zu Kron in Polen, im fünfzehnten auf das Gymnasium zu Danzig. Er war ein lebhafter, muthiger Knabe, der im Bewußtsein leiblicher und geistiger Kraft manchen muthwilligen Streich machte. Jm siebzehnten Jahre, 1731, bezog Kleist die Königsberger Hochschule und studirte daselbst, um sich nach des Vaters Wunsch für eine Anstellung als Beamter vorzubereiten, mit ungemeinem Eifer die Rechte, Philosophie, Physik, Mathematik, ältere und neuere Sprachen. Es geht aus allem diesem hervor, daß er keineswegs zu den zahlreichen Adeligen damaliger und späterer Zeit gehört, welche, von Jugend auf nur für den Heerdienst bestimmt, höherer Bildung entbehren zu können glauben; es war viel- mehr ein Zufall, welcher den feingebildeten, feinfühlenden Kleist zum Kriegsmann machte. Nach Vollendung seiner Studien nämlich machte er eine Reise nach Dänemark, wo er hochgestellte Verwandte hatte. Dieses Königreich stand im achtzehnten Jahrhundert mit Deutschland auf dem besten Fuß; die regierende Familie, aus Schleswig=Holstein stammend, fühlte sich selbst als deutsch, sprach deutsch und zog eine große Menge deutscher Beamter und Gelehrter nach Dänemark. Da eine anderweite Anstellung sich nicht fand, so ließ sich Kleist, widerwillig genug, durch seine Verwandten, zwei dänische Generale, bestimmen, ebenfalls in Dienste zu treten; so ward er 1736 dänischer Offizier. Das Jahr 1740, der Regierungsantritt Friedrichs des Großen, brachte den Beginn der schlesischen Kriege. Friedrich II. rief die im Auslande dienenden Preußen, darunter auch unsern Kleist, zurück; derselbe ward zum Lieutenant beim Regiment des Prinzen Heinrich ernannt. Einige Jahre verbrachte er im eintönigen Garnisonsdienst von Potsdam; den Kameraden war seine Bildung, ihm ihre Roheit lästig. Die Langeweile des geistlosen Rekrutendrillens war ihm, dem wohlunterrichteten, dichterisch angeregten jungen Mann entsetzlich, und seine Briefe enthalten manchen Stoßseufzer: „Unter Offizieren ist es eine Art von Schande, ein Dichter zu sein; wenn ich Leute von edlem Charakter in anderen Ständen antreffe, bekomme ich immer Lust, den Soldatenstand zu verlassen, weil sie darin immer ziemlich selten sind. O wer doch jetzt nicht alle Tage zweimal exerziren müßte!“ So fühlte er sich sehr unbehaglich; bei seinem kärglichen Gehalt blieben Schulden, bei seinem lebhaften Wesen Händel nicht aus. So hatte Kleist 1743 mit einem andern Offizier einen Zwei- kampf, in welchem er schwer am Arm verwundet wurde. Den Kranken besuchte Gleim, ein junger und nachmals gefeierter Dichter, welcher damals in Potsdam verweilte, und erbot sich zum Vorlesen: ein heiteres Gedichtchen, welches Gleim las, reizte Kleist zu so lautem Lachen, daß die Wunde aufbrach und heftig blutete — zu großem Glück; denn dieser Zufall beförderte sehr die rasche Heilung, welche Kleist, wie er selbst scherzend sprach, Gleim und der Dichtkunst verdankte. Von dieser Zeit an verband die Beiden lebenslang eine innige Freund- schaft, und zugleich die Uebung der Dichtkunst. An den Feldzügen von 1744 und 1745 nahm Kleist Theil, kehrte dann aber wieder nach dem ihm so widerwärtigen Potsdam zurück. Hier entfaltete sich nunmehr seine dichterische Kraft lebendiger, und es ist auffällig genug, daß sie, im Gegensatz zu dem kriegerischen Lebens- beruf des Dichters, mit besonderer Vorliebe bei friedlichen und länd- lichen Bildern verweilt. Kleist pflegte täglich spazieren zu gehen; diese einsamen Gänge nannte er scherzend seine „poetische Bilderjagd“; es beschäftigte ihn nämlich seit dem Sommer 1746 die Dichtung, welche vornehmlich seinen Namen berühmt gemacht hat, die „Landlust“ oder, wie er es auf Gleims Rath nannte, der „Frühling.“

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 5. Berlin, 2. Februar 1868, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt05_1868/7>, abgerufen am 14.06.2024.