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Sonntags-Blatt. Nr. 7. Berlin, 16. Februar 1868.

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Sonntags=Blatt
für
Jedermann aus dem Volke.
Nr. 7. -- 1868.Ernst Dohm.Am 16. Februar.


Erscheint jeden Sonntag. Preis bei allen Postämtern vierteljährlich 9 Sgr., bei allen Buchhandlungen und Zeitungs=Spediteuren vierteljährlich 9 Sgr., wöchentlich 9 Pf. frei ins Haus.
Beim Selbstabholen aus der Expedition des Sonntags=Blattes ( Taubenstraße Nr. 27 ) kostet die Nummer nur 6 Pf.



Posthuma.
Eine friesische Novelle
von
Wilhelm Jensen.
( Fortsetzung. )
[Beginn Spaltensatz]

Der junge Mann schien gewöhnt, dieser Hand zu gehorchen; denn
sein starrsehniger Hals bog sich unter ihrem leisen Druck herab,
und das Mädchen streifte mit ihren rothen Lippen freundlich
seine Stirn.

"Du siehst, Paul, die Herren aus der Stadt haben nicht immer
so dumme Einfälle, als Du glaubst", sagte sie lachend dazu, um die
Wolken, die wie ein unheildrohendes Wetter blitzschnell auf dieser
Stirn heraufgezogen waren, zu verscheuchen. Doch es war nicht mehr
nöthig; wie vor allmächtiger Sonne waren sie unter den Lippen
Posthuma's zergangen, nur ein tiefes, brennendes Roth hatte sich
statt ihrer bis an die Schläfe des Schiffers gelagert. Er stand
regungs= und willenlos wie ein Kind; in den auf das Mädchen
gehefteten, weit offenen Augen lag der träumerische Zug, den das
verwegene Antlitz auf dem Gemälde erhielt, wenn ein Sonnenblick
darüber hinflog.

Die junge Baronin blickte unbefangen gerade in sie hinein.

"Wir verstehn uns, Paul", sagte sie, "und das ist genug."

Er fuhr mit der Hand empor und warf das lange Haar aus
der Stirn.

"Genug", wiederholte er. Dann wandte er sich um und warf
einen Blick auf die See. "Jch muß fort, die Jnsel liegt schon im
Schatten", setzte er hinzu. "Leb wohl."

Er reichte der Baronin die Hand.

"Die Flut ist bald auf der Höhe, dann dreht sich der Wind",
sagte diese.

Er nickte.

"Also nach dem Mondwechsel, Paula?" fragte er.

Das Mädchen bejahte.

"Gewiß, ich komme", sagte sie. "Grüße drüben, Paul. Leb
wohl, Paul."

Er drückte zart ihre Hand in der seinen, daß sie auflachte.

"Hat mein Vetter Dich angesteckt, Paul? Du behandelst meine
Finger ja fast so behutsam und ängstlich, wie er, als ob sie zerbrechen
könnten."

Paul ließ rasch die Hand fahren.

"Vergiß uns nicht, Paula", erwiderte er. Es kam leise herüber,
weil er das Gesicht abgewendet hatte, so daß selbst die, der es galt,
es kaum verstand. Dann flog er eilig an den Steg, lös'te sein Boot
und kreuzte gegen den Wind, der sich bereits zu drehen begann,
hinaus.

Die beiden Damen stiegen auf der andern Seite des Deichs in
den Park hinunter. Herr von Torwisch hatte es schon vor ihnen ge-
than und erwartete sie mit dem Bemerken, daß die Zugluft seinen
Rheumatismus vermehre, und daß er seine Gesundheit für den Staats-
dienst schonen müsse. Er war sicherlich schlechtester Laune und hielt
jetzt nicht länger an sich.

"Ein unverschämtes, tölpelhaftes Volk", kreischte er zwischen den
gelben Zähnen; "ich begreife nicht, wie Du an solchem Umgang Ge-
fallen finden kannst, Posthuma!"

Das Mädchen blickte bei der Nennung ihres Namens auf.

"Sagtest Du mir Etwas, Vetter?" fragte sie.

Er biß sich auf die Lippe.

[Spaltenumbruch]

"Jch finde es nicht passend für Deine und meine Stellung, daß
Du mit diesen Leuten verkehrst", wiederholte er.

"Vetter ich glaube, Dir hat wirklich der Wind geschadet", rief
das Mädchen muthwillig. "Mit meinen Verwandten soll ich nicht ver-
kehren? Uebrigens ist es sonderbar", setzte sie nachdenklich hinzu,
"daß sie mir dasselbe von Dir sagen."

"Wie? Jch verstehe nicht -- von mir? Erlauben diese Leute sich,
von mir zu reden?" Er rückte sein Lorgnon zurecht und blickte mit
affektirter Geringschätzigkeit auf seine Begleiterin nieder.

"Nun, Du meinst doch nicht, Vetter, daß man Dich auf der
Hallig erst um Erlaubniß fragen soll, wenn man von Dir sprechen
will", erwiderte Posthuma mit unterdrücktem Lachen.

"So werde ich dies gemeine Volk daran gewöhnen, sobald ich
Amtmann geworden", versetzte er hochmüthig; "wir wollen dann ein-
mal abrechnen und sehen, wer den Kürzeren zieht."

Die Stirnadern des Mädchens schwollen krampfhaft an, und das
Blut schoß ihr ins Gesicht. Doch der wilde Zorn funkelte nur wie
ein Blitz aus ihren Augen über die schmächtige Figur des Sprechers,
dann brach sie in ein lautes Gelächter aus.

"Jch möchte Dich wohl einmal mit Paul abrechnen sehen,
Vetter", rief sie spöttisch.

Herr von Torwisch zog, beleidigt von dieser allzu natürlichen Aus-
legung seiner Worte, die spärlichen Augenbrauen in die Höhe.

"Jch bemerke leider schon die Folgen dieses Umgangs, Posthuma",
antwortete er in vornehm hofmeisterlichem Ton. "Man würde nach
Deinen Reden schwerlich das Freifräulein von Torwisch und die künf-
tige Gemahlin des Amtmannns, Barons von Torwisch, in Dir ver-
muthen."

Jetzt lachte das Mädchen hell auf.

"Ach, so weit sind wir noch lange nicht, Vetter", entgegnete sie
fröhlich, "es sind noch vier, fünf, sechs -- beinahe noch sechs Monate",
fuhr sie haftig, an den Fingern nachzählend, fort, "bis ich zwanzig
Jahre alt werde, und bis dahin bin ich weder Gemahlin, noch
Baronesse, noch überhaupt eine Torwisch, sondern bin Paula Steen,
wie ich drüben heiße, und thue, was ich will, gerad' wie das gemeine
Volk, Vetter, zu dem ich gehöre."

Herr von Torwisch wollte etwas erwidern, doch sie sprang von
seiner Seite weg und hüpfte der Baronin nach, die in einiger Ent-
fernung vor ihnen zum Schloß hinauf schritt.

"Jch will auf die Drossel hören", rief sie noch einmal mit ge-
wendetem Kopf zurück, "die singt viel hübscher als Du, Vetter."
Dann holte sie ihre Mutter ein und legte ihren Arm in den der Ba-
ronin. "Giebst Du auf die Amsel Acht, Mama?" fragte sie. "Sie
baut dies Jahr bei uns, oben in der Birnbaumspitze. Mir ist sie
fast der liebste Vogel; wenn ich sie höre, fällt mir immer die kleine
Drossel ein, die vom Sturm im Frühjahr drüben hinüber verschlagen
wurde, als ich ganz auf der Jnsel war. Sie traute sich nicht übers
Wasser zurück, obgleich sie keinen Baum und keinen Strauch hatte,
worauf sie nisten konnte. Da saß sie Abends auf dem Dachfirst und
sang, und wenn sie anfing, hörten Paul und ich auf, Muscheln zu
suchen, und setzten uns an den grünen Wall und hörten zu. Dann
sang sie so sehnsüchtig nach dem Lande hinüber, als fiele es ihr un-
[Ende Spaltensatz]

Sonntags=Blatt
für
Jedermann aus dem Volke.
Nr. 7. — 1868.Ernst Dohm.Am 16. Februar.


Erscheint jeden Sonntag. Preis bei allen Postämtern vierteljährlich 9 Sgr., bei allen Buchhandlungen und Zeitungs=Spediteuren vierteljährlich 9 Sgr., wöchentlich 9 Pf. frei ins Haus.
Beim Selbstabholen aus der Expedition des Sonntags=Blattes ( Taubenstraße Nr. 27 ) kostet die Nummer nur 6 Pf.



Posthuma.
Eine friesische Novelle
von
Wilhelm Jensen.
( Fortsetzung. )
[Beginn Spaltensatz]

Der junge Mann schien gewöhnt, dieser Hand zu gehorchen; denn
sein starrsehniger Hals bog sich unter ihrem leisen Druck herab,
und das Mädchen streifte mit ihren rothen Lippen freundlich
seine Stirn.

„Du siehst, Paul, die Herren aus der Stadt haben nicht immer
so dumme Einfälle, als Du glaubst“, sagte sie lachend dazu, um die
Wolken, die wie ein unheildrohendes Wetter blitzschnell auf dieser
Stirn heraufgezogen waren, zu verscheuchen. Doch es war nicht mehr
nöthig; wie vor allmächtiger Sonne waren sie unter den Lippen
Posthuma's zergangen, nur ein tiefes, brennendes Roth hatte sich
statt ihrer bis an die Schläfe des Schiffers gelagert. Er stand
regungs= und willenlos wie ein Kind; in den auf das Mädchen
gehefteten, weit offenen Augen lag der träumerische Zug, den das
verwegene Antlitz auf dem Gemälde erhielt, wenn ein Sonnenblick
darüber hinflog.

Die junge Baronin blickte unbefangen gerade in sie hinein.

„Wir verstehn uns, Paul“, sagte sie, „und das ist genug.“

Er fuhr mit der Hand empor und warf das lange Haar aus
der Stirn.

„Genug“, wiederholte er. Dann wandte er sich um und warf
einen Blick auf die See. „Jch muß fort, die Jnsel liegt schon im
Schatten“, setzte er hinzu. „Leb wohl.“

Er reichte der Baronin die Hand.

„Die Flut ist bald auf der Höhe, dann dreht sich der Wind“,
sagte diese.

Er nickte.

„Also nach dem Mondwechsel, Paula?“ fragte er.

Das Mädchen bejahte.

„Gewiß, ich komme“, sagte sie. „Grüße drüben, Paul. Leb
wohl, Paul.“

Er drückte zart ihre Hand in der seinen, daß sie auflachte.

„Hat mein Vetter Dich angesteckt, Paul? Du behandelst meine
Finger ja fast so behutsam und ängstlich, wie er, als ob sie zerbrechen
könnten.“

Paul ließ rasch die Hand fahren.

„Vergiß uns nicht, Paula“, erwiderte er. Es kam leise herüber,
weil er das Gesicht abgewendet hatte, so daß selbst die, der es galt,
es kaum verstand. Dann flog er eilig an den Steg, lös'te sein Boot
und kreuzte gegen den Wind, der sich bereits zu drehen begann,
hinaus.

Die beiden Damen stiegen auf der andern Seite des Deichs in
den Park hinunter. Herr von Torwisch hatte es schon vor ihnen ge-
than und erwartete sie mit dem Bemerken, daß die Zugluft seinen
Rheumatismus vermehre, und daß er seine Gesundheit für den Staats-
dienst schonen müsse. Er war sicherlich schlechtester Laune und hielt
jetzt nicht länger an sich.

„Ein unverschämtes, tölpelhaftes Volk“, kreischte er zwischen den
gelben Zähnen; „ich begreife nicht, wie Du an solchem Umgang Ge-
fallen finden kannst, Posthuma!“

Das Mädchen blickte bei der Nennung ihres Namens auf.

„Sagtest Du mir Etwas, Vetter?“ fragte sie.

Er biß sich auf die Lippe.

[Spaltenumbruch]

„Jch finde es nicht passend für Deine und meine Stellung, daß
Du mit diesen Leuten verkehrst“, wiederholte er.

„Vetter ich glaube, Dir hat wirklich der Wind geschadet“, rief
das Mädchen muthwillig. „Mit meinen Verwandten soll ich nicht ver-
kehren? Uebrigens ist es sonderbar“, setzte sie nachdenklich hinzu,
„daß sie mir dasselbe von Dir sagen.“

„Wie? Jch verstehe nicht — von mir? Erlauben diese Leute sich,
von mir zu reden?“ Er rückte sein Lorgnon zurecht und blickte mit
affektirter Geringschätzigkeit auf seine Begleiterin nieder.

„Nun, Du meinst doch nicht, Vetter, daß man Dich auf der
Hallig erst um Erlaubniß fragen soll, wenn man von Dir sprechen
will“, erwiderte Posthuma mit unterdrücktem Lachen.

„So werde ich dies gemeine Volk daran gewöhnen, sobald ich
Amtmann geworden“, versetzte er hochmüthig; „wir wollen dann ein-
mal abrechnen und sehen, wer den Kürzeren zieht.“

Die Stirnadern des Mädchens schwollen krampfhaft an, und das
Blut schoß ihr ins Gesicht. Doch der wilde Zorn funkelte nur wie
ein Blitz aus ihren Augen über die schmächtige Figur des Sprechers,
dann brach sie in ein lautes Gelächter aus.

„Jch möchte Dich wohl einmal mit Paul abrechnen sehen,
Vetter“, rief sie spöttisch.

Herr von Torwisch zog, beleidigt von dieser allzu natürlichen Aus-
legung seiner Worte, die spärlichen Augenbrauen in die Höhe.

„Jch bemerke leider schon die Folgen dieses Umgangs, Posthuma“,
antwortete er in vornehm hofmeisterlichem Ton. „Man würde nach
Deinen Reden schwerlich das Freifräulein von Torwisch und die künf-
tige Gemahlin des Amtmannns, Barons von Torwisch, in Dir ver-
muthen.“

Jetzt lachte das Mädchen hell auf.

„Ach, so weit sind wir noch lange nicht, Vetter“, entgegnete sie
fröhlich, „es sind noch vier, fünf, sechs — beinahe noch sechs Monate“,
fuhr sie haftig, an den Fingern nachzählend, fort, „bis ich zwanzig
Jahre alt werde, und bis dahin bin ich weder Gemahlin, noch
Baronesse, noch überhaupt eine Torwisch, sondern bin Paula Steen,
wie ich drüben heiße, und thue, was ich will, gerad' wie das gemeine
Volk, Vetter, zu dem ich gehöre.“

Herr von Torwisch wollte etwas erwidern, doch sie sprang von
seiner Seite weg und hüpfte der Baronin nach, die in einiger Ent-
fernung vor ihnen zum Schloß hinauf schritt.

„Jch will auf die Drossel hören“, rief sie noch einmal mit ge-
wendetem Kopf zurück, „die singt viel hübscher als Du, Vetter.“
Dann holte sie ihre Mutter ein und legte ihren Arm in den der Ba-
ronin. „Giebst Du auf die Amsel Acht, Mama?“ fragte sie. „Sie
baut dies Jahr bei uns, oben in der Birnbaumspitze. Mir ist sie
fast der liebste Vogel; wenn ich sie höre, fällt mir immer die kleine
Drossel ein, die vom Sturm im Frühjahr drüben hinüber verschlagen
wurde, als ich ganz auf der Jnsel war. Sie traute sich nicht übers
Wasser zurück, obgleich sie keinen Baum und keinen Strauch hatte,
worauf sie nisten konnte. Da saß sie Abends auf dem Dachfirst und
sang, und wenn sie anfing, hörten Paul und ich auf, Muscheln zu
suchen, und setzten uns an den grünen Wall und hörten zu. Dann
sang sie so sehnsüchtig nach dem Lande hinüber, als fiele es ihr un-
[Ende Spaltensatz]

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Doch es war nicht mehr nöthig; wie vor allmächtiger Sonne waren sie unter den Lippen Posthuma's zergangen, nur ein tiefes, brennendes Roth hatte sich statt ihrer bis an die Schläfe des Schiffers gelagert. Er stand regungs= und willenlos wie ein Kind; in den auf das Mädchen gehefteten, weit offenen Augen lag der träumerische Zug, den das verwegene Antlitz auf dem Gemälde erhielt, wenn ein Sonnenblick darüber hinflog. Die junge Baronin blickte unbefangen gerade in sie hinein. „Wir verstehn uns, Paul“, sagte sie, „und das ist genug.“ Er fuhr mit der Hand empor und warf das lange Haar aus der Stirn. „Genug“, wiederholte er. Dann wandte er sich um und warf einen Blick auf die See. „Jch muß fort, die Jnsel liegt schon im Schatten“, setzte er hinzu. „Leb wohl.“ Er reichte der Baronin die Hand. „Die Flut ist bald auf der Höhe, dann dreht sich der Wind“, sagte diese. Er nickte. „Also nach dem Mondwechsel, Paula?“ fragte er. Das Mädchen bejahte. „Gewiß, ich komme“, sagte sie. „Grüße drüben, Paul. Leb wohl, Paul.“ Er drückte zart ihre Hand in der seinen, daß sie auflachte. „Hat mein Vetter Dich angesteckt, Paul? Du behandelst meine Finger ja fast so behutsam und ängstlich, wie er, als ob sie zerbrechen könnten.“ Paul ließ rasch die Hand fahren. „Vergiß uns nicht, Paula“, erwiderte er. Es kam leise herüber, weil er das Gesicht abgewendet hatte, so daß selbst die, der es galt, es kaum verstand. Dann flog er eilig an den Steg, lös'te sein Boot und kreuzte gegen den Wind, der sich bereits zu drehen begann, hinaus. Die beiden Damen stiegen auf der andern Seite des Deichs in den Park hinunter. Herr von Torwisch hatte es schon vor ihnen ge- than und erwartete sie mit dem Bemerken, daß die Zugluft seinen Rheumatismus vermehre, und daß er seine Gesundheit für den Staats- dienst schonen müsse. Er war sicherlich schlechtester Laune und hielt jetzt nicht länger an sich. „Ein unverschämtes, tölpelhaftes Volk“, kreischte er zwischen den gelben Zähnen; „ich begreife nicht, wie Du an solchem Umgang Ge- fallen finden kannst, Posthuma!“ Das Mädchen blickte bei der Nennung ihres Namens auf. „Sagtest Du mir Etwas, Vetter?“ fragte sie. Er biß sich auf die Lippe. „Jch finde es nicht passend für Deine und meine Stellung, daß Du mit diesen Leuten verkehrst“, wiederholte er. „Vetter ich glaube, Dir hat wirklich der Wind geschadet“, rief das Mädchen muthwillig. „Mit meinen Verwandten soll ich nicht ver- kehren? Uebrigens ist es sonderbar“, setzte sie nachdenklich hinzu, „daß sie mir dasselbe von Dir sagen.“ „Wie? Jch verstehe nicht — von mir? Erlauben diese Leute sich, von mir zu reden?“ Er rückte sein Lorgnon zurecht und blickte mit affektirter Geringschätzigkeit auf seine Begleiterin nieder. „Nun, Du meinst doch nicht, Vetter, daß man Dich auf der Hallig erst um Erlaubniß fragen soll, wenn man von Dir sprechen will“, erwiderte Posthuma mit unterdrücktem Lachen. „So werde ich dies gemeine Volk daran gewöhnen, sobald ich Amtmann geworden“, versetzte er hochmüthig; „wir wollen dann ein- mal abrechnen und sehen, wer den Kürzeren zieht.“ Die Stirnadern des Mädchens schwollen krampfhaft an, und das Blut schoß ihr ins Gesicht. Doch der wilde Zorn funkelte nur wie ein Blitz aus ihren Augen über die schmächtige Figur des Sprechers, dann brach sie in ein lautes Gelächter aus. „Jch möchte Dich wohl einmal mit Paul abrechnen sehen, Vetter“, rief sie spöttisch. Herr von Torwisch zog, beleidigt von dieser allzu natürlichen Aus- legung seiner Worte, die spärlichen Augenbrauen in die Höhe. „Jch bemerke leider schon die Folgen dieses Umgangs, Posthuma“, antwortete er in vornehm hofmeisterlichem Ton. „Man würde nach Deinen Reden schwerlich das Freifräulein von Torwisch und die künf- tige Gemahlin des Amtmannns, Barons von Torwisch, in Dir ver- muthen.“ Jetzt lachte das Mädchen hell auf. „Ach, so weit sind wir noch lange nicht, Vetter“, entgegnete sie fröhlich, „es sind noch vier, fünf, sechs — beinahe noch sechs Monate“, fuhr sie haftig, an den Fingern nachzählend, fort, „bis ich zwanzig Jahre alt werde, und bis dahin bin ich weder Gemahlin, noch Baronesse, noch überhaupt eine Torwisch, sondern bin Paula Steen, wie ich drüben heiße, und thue, was ich will, gerad' wie das gemeine Volk, Vetter, zu dem ich gehöre.“ Herr von Torwisch wollte etwas erwidern, doch sie sprang von seiner Seite weg und hüpfte der Baronin nach, die in einiger Ent- fernung vor ihnen zum Schloß hinauf schritt. „Jch will auf die Drossel hören“, rief sie noch einmal mit ge- wendetem Kopf zurück, „die singt viel hübscher als Du, Vetter.“ Dann holte sie ihre Mutter ein und legte ihren Arm in den der Ba- ronin. „Giebst Du auf die Amsel Acht, Mama?“ fragte sie. „Sie baut dies Jahr bei uns, oben in der Birnbaumspitze. Mir ist sie fast der liebste Vogel; wenn ich sie höre, fällt mir immer die kleine Drossel ein, die vom Sturm im Frühjahr drüben hinüber verschlagen wurde, als ich ganz auf der Jnsel war. Sie traute sich nicht übers Wasser zurück, obgleich sie keinen Baum und keinen Strauch hatte, worauf sie nisten konnte. Da saß sie Abends auf dem Dachfirst und sang, und wenn sie anfing, hörten Paul und ich auf, Muscheln zu suchen, und setzten uns an den grünen Wall und hörten zu. Dann sang sie so sehnsüchtig nach dem Lande hinüber, als fiele es ihr un-

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 7. Berlin, 16. Februar 1868, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt07_1868/1>, abgerufen am 17.05.2024.