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Sonntags-Blatt. Nr. 8. Berlin, 23. Februar 1868.

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[Beginn Spaltensatz] 200,000 Thaler für Zeitungs=Jnserate, und seinen Agenten noch
20 pCt. der Brutto=Einnahme geben konnte, so dürfte die Anführung
dieser Thatsache einerseits zum Beweise von dem großartigen Um-
fang und dem glänzenden Erfolg des simplen Mehlgeschäfts genügen,
und andererseits die Behauptung rechtfertigen, daß Tausende von
Menschen, durch die verlockenden Annoncen irre geleitet, in dem ganz
unschuldigen Linsen= und Gerstenmehl ein Mittel zu finden hofften,
welches sie von ihrem Leiden befreien, sie vielleicht gar verjüngen und
wo möglich vor jeder Krankheit schützen sollte. Diese am Narrenseil
geführten Gläubigen bezahlten ihre Panacee mit eben so viel Thalern,
als sie kaum Pfennige werth war. Der feste Glaube an die Heil-
wirkung eines Arkanums verwandelt sich in Aberglauben, wenn die
Wissenschaft das Dunkel aufhellt, die Erfahrung den Schleier des
Jrrthums lüftet und die Unwirksamkeit des einst gepriesenen Wunder-
mittels sich im Laufe der Zeit herausstellt. Dies verdiente Schicksal
theilt die Revalenta mit den Goldberger'schen Ketten, den Lieber'schen
Kräutern, den Pillen aus Kommißbrot, aus Lakritzensaft, den Pulvern
aus weißem Zucker u. a. m., und die Zeit ist bereits gekommen, wo
sie und eine sehr große Anzahl von durch die Lärmposaune der
Marktschreierei einst so vielfach gepriesenen und glorifizirten Geheim-
mitteln gänzlich der Vergessenheit anheimgefallen sind. Ob aber die
längst verschollenen Geheimmittel nicht einmal wieder unter einem
andern Namen und in einer andern Form als Sterne erster Größe
in der Geheimmittel=Jndustrie glänzen werden, dafür möchte ich nicht
die Bürgschaft übernehmen -- wenigstens schreckt das Beispiel der
Revalenta davon ab. Denn einige Jahre früher, bevor das Linsen= und
Gerstenmehl unter dem Namen Revalenta in den Zeitungen als un-
trügliche Panacee gefeiert und besungen wurde, figurirte dasselbe Mehl
als Arkanum unter dem viel richtigeren Namen Ervalenta; allein
dieser Name hatte keine Zugkraft. Uebrigens findet die unersättliche
Geldgier stets neue Mittel und Wege, sich Eingang und Gehör
zu erschleichen, um das sonst so klare Auge des natürlichen Verstandes
zu umschleiern. Die ursprüngliche und durch Schwindel genährte Be-
geisterung für ein Geheimmittel schwindet, wenn der Nimbus gefallen
ist, um einem andern souveränen Mittel die Stelle einzuräumen. Die
Betrogenen, welche sich dann nicht mehr schämen, einzugestehen, sie
seien nur eine Fundgrube für die Geldgier eines Quacksalbers gewesen,
können zum bösen Spiel noch eine gute Miene machen, wenn nur ihre
Börse eine Einbuße gelitten, und sie selbst inzwischen keinen Schaden
an ihrer Gesundheit genommen haben. Doch ein so unschuldiges
Spielzeug, wie die Revalenta, Pillen und Lakritzensaft, Pulver aus
weißem Zucker, Brustsaft aus Zuckersyrup u. a. m. sind gerade nicht
alle marktschreierisch ausposaunten Mittel, und gesetzt, sie wären es,
so entstände doch ein nicht gering anzuschlagender Schaden schon da-
durch, daß die Zeit, in der Hülfe hätte geschafft werden können,
nutzlos vorübergegangen ist. Darum bleibt es ewig wahr:

[Spaltenumbruch]
"Ein Ding mag noch so närrisch sein,
Es sei nur neu, so nimmt's den Haufen ein:
Er sieht und er erstaunt. Kein Kluger darf ihm wehren.
Doch kommt die Zeit und mahnt an ihre Pflicht;
Denn sie versteht die Kunst, die Narren zu bekehren,
Sie mögen wollen oder nicht."
Gellert, der grüne Esel.

Wenn die Geheimmittelkrämer in ihren gewöhnlichen Beschäf-
tigungen mehr oder weniger Fiasco gemacht und ein untrügliches
Mittelchen gegen alle erdenklichen Krankheiten oder gegen solche, die
nur an einem bestimmten Theil des Körpers vorkommen, ersonnen
haben, dem sie, um Käufer anzulocken, einen recht abenteuerlichen Na-
men beilegen, so rücken sie unter dem Banner von Wohlthätern der
leidenden Menschheit in die Schlacht. Jhre Parole ist Uneigennützig-
keit. Allein wie verträgt sich die bei allen Jndustrierittern wieder-
kehrende Behauptung mit ihren Handlungen? Man findet in unseren
Lokalblätten fast wöchentlich ein Schriftchen des Dr. Doecks in
Barnstorf über Magenkrampf annoncirt, welches im Jnteresse der
leidenden Menschheit gratis vertheilt wird. Nichtsdestoweniger ging
die Uneigennützigkeit des Verfassers so weit, daß er einen an Knochen-
fraß des Rückenwirbelkörpers leidenden Mann, welcher ihm angab,
sein Leiden könne im Magen sitzen, in diesem Vorurtheil bestärkte und
ihm eine Dosis seines angeblich bereits über ein Vierteljahrhundert
erprobten Mittels für den billigen Preis von 10 Thalern überließ.
Dasselbe Mittel verordnete er auch einer Schwindsüchtigen. Daß
beiden Kranken nicht geholfen wurde, sondern nur deren Börsen eine
empfindliche Einbuße erlitten, habe ich wohl kaum nöthig zu erwähnen.
Verdient derjenige aber den Namen eines Wohlthäters der leidenden
Menschheit, der das Publikum gleichsam am Narrenseil umher führt
und dessen Leichtgläubigkeit ausbeutet, um seinen Säckel auf eine
unverdiente und unwürdige Weise zu füllen und den Kranken ver-
gebens der Hülfe harren zu lassen? Jst das etwa ein Wohlthäter der
leidenden Menschheit, der, angeblich im Besitz eines untrüglichen und
unfehlbaren Gehimmittels, dasselbe auf freche, ja verbrecherische Weise
zu seinem eigenen Vortheil verwerthet, ohne es ein Gemeingut werden
zu lassen? Soll denn die Panacee nur eine Domaine der wohl-
habenden Klassen und nur derer sein, welche die Vorsehung mit
Glücksgütern gesegnet hat? Soll sie denen nur zu Gute kommen, die
sich ihr Leiden schon durch einen größeren Comfort erträglicher machen
können? Für die Armen haben die vermeintlichen Beglücker der leiden-
den Menschheit kein fühlendes Herz; sie können immerhin von Krank-
heiten jeglicher Art heimgesucht werden, an deren Bett treten sie nicht,
denn es fehlen ihnen ja die Mittel, die Geldgier ihrer Wohlthäter zu
befriedigen; mit ihnen wollen sie keine Gemeinschaft haben, denn ihre
Taschen auszuleeren lohnt ihnen nicht.

( Fortsetzung folgt. )

[Ende Spaltensatz]

Lose Blätter.
[Beginn Spaltensatz]

M. Eine Bettlerin als Mutter einer Königin. Während der Un-
ruhen unter der Regierung Karls I. von England begab sich die Tochter
eines Bauern, der in jenen Wirren Gut und Leben verloren, als Bett-
lerin nach London, um als Magd ein Unterkommen zu finden. Sie war
sechszehn Jahre alt, aber bei aller Schönheit, die selbst von den Lumpen
ihrer Kleidung nicht verhüllt werden konnte, unwissend und unerfahren in
jeder weiblichen Fertigkeit; nur grobe Feldarbeit hatte sie daheim bei ihren
Aeltern verrichtet.

Eine gleichfalls arme, aber mildherzige Wittwe hatte der Waise ein
Obdach gewährt, in dessen Nähe ein reicher Brauer wohnte, der sich zu-
weilen der Hülfe dieses arbeitsamen Mädchens bei der Zusendung von
Porterbier an seine Kunden bediente. Jhre unermüdete Pünktlichkeit ver-
anlaßte Jenen, sie als Stubenmädchen in seine Dienste zu nehmen, wo-
durch es ihr möglich wurde, mehr an sich und ihre Kleidung zu wenden,
so daß bald die Blicke der Männer von der liebreizenden Erscheinung
angezogen wurden. Auch ihr Brotherr, zwar schon ein bejahrter Wittwer,
doch noch rüstig und lebensmunter, machte die Bemerkung, daß Jenny ein
sehr liebenswürdiges Mädchen sei. Da er kinderlos war, also ganz un-
abhängig handeln konnte, so erwählte er sie zu seiner Gattin; und er hatte
den Schritt nicht zu bereuen, denn als solche that Jenny Alles, um sich
seiner Liebe werth zu machen. Drei Jahre nach der Verheirathung starb
der Brauer und hinterließ sein ungeheures Vermögen der kinderlosen
Gattin. Diese war nun außer Stande, das umfangreiche Geschäft des
Verstorbenen fortzusetzen, zumal auch viele Schwierigkeiten bei der, übri-
gens rechtmäßigen Antretung der Erbschaft sich in den Weg stellten, so
daß sie des Beistandes eines Rechtsgelehrten bedurfte. Als solcher hatte
schon bei Lebzeiten ihres Gatten der berühmte Sachwalter Hyde fungirt.
Sie erwählte ihn also um so lieber zu ihrem Rathgeber, als er ihr stets
viel Zuneigung gezeigt und auch das Testament verfaßt hatte, durch
welches sie in eine ganz unabhängige Lage versetzt worden war.

Hyde fand theils die Reize und Tugenden des jungen schönen Weibes,
theils auch das enorme Vermögen so sehr nach seinen Wünschen, daß er
[Spaltenumbruch] bald mit einem Heiratsantrage hervortrat. Sie willigte ein; Hyde stieg
von Stufe zu Stufe und beschloß seine Laufbahn als Graf Clarendon.
Aus Beider Ehe war eine Tochter entsprossen, welche die Gemahlin König
Jakobs I. von England, und als solche die Mutter zweier Königinnen,
Maria und Anna, wurde.

So endete eine Bettlerin und lieferte den Beweis, daß auch die be-
scheidene Demuth den Gipfel menschlicher Höhe und Macht zu erreichen
fähig ist.



M. Afghanischer Aberglaube. Die Afghanen glauben, die kleinen
Wirbelwinde, welche Staub und dürre Blätter mit sich führen, würden
von Geistern hervorgebracht, und ein erfahrener Molla oder Geistlicher
könne Reichthümer dabei erwerben -- vorausgesetzt, daß er arm und recht-
schaffen sei. Er nimmt in solchem Fall ein Papier zur Hand, worauf
ein Verzeichniß seiner guten Handlungen steht, stellt sich damit in eine
Ebene, wo er solche Wirbel anzutreffen meint, und harrt geduldig ihrer
Ankunft. Dann wirft er jenes Papier hinein, das sich in einen Haufen
Gold verwandeln soll. Gelingt der Versuch nicht -- ein Beispiel vom
Gegentheil ist noch nicht bekannt geworden! -- so lag die Schuld an ihm;
er muß wieder nach Hause gehen und nachdenken, was seinen Kenntnissen
oder seiner Tugend fehle. Nimmt man dagegen ein dürres Blatt aus
einem solchen Wirbelwind und befestigt es auf dem Magen, so kann man
Speisen und Getränke im Uebermaß zu sich nehmen, ohne den Magen zu
überladen. Was gäbe nicht Mancher für ein so kostbares Blatt!



Briefkasten.

W. in B.: Jn der Regel nicht vor dem Abdruck. -- A. R. in Br.:
Jhre Poesien sind doch von zu aufregendem Jnhalt! -- C. S. in B.:
Soll benutzt werden. -- C. v. K. in B.: Erhalten. Jhre Frage ist
bereits durch die letzte Nummer unseres Blattes thatsächlich beantwortet.

[Ende Spaltensatz]

Zur Besprechung die Redaktion betreffender Angelegenheiten ist der Redakteur dieses Blattes jeden Montag und Dienstag von
12 bis 2 Uhr in dem Redaktionsbureau, Potsdamerstraße Nr. 20, anwesend, wohin auch alle Zusendungen erbeten werden.



Druck und Verlag von Franz Duncker in Berlin. -- Verantwortlicher Redakteur: Ernst Dohm in Berlin.

[Beginn Spaltensatz] 200,000 Thaler für Zeitungs=Jnserate, und seinen Agenten noch
20 pCt. der Brutto=Einnahme geben konnte, so dürfte die Anführung
dieser Thatsache einerseits zum Beweise von dem großartigen Um-
fang und dem glänzenden Erfolg des simplen Mehlgeschäfts genügen,
und andererseits die Behauptung rechtfertigen, daß Tausende von
Menschen, durch die verlockenden Annoncen irre geleitet, in dem ganz
unschuldigen Linsen= und Gerstenmehl ein Mittel zu finden hofften,
welches sie von ihrem Leiden befreien, sie vielleicht gar verjüngen und
wo möglich vor jeder Krankheit schützen sollte. Diese am Narrenseil
geführten Gläubigen bezahlten ihre Panacee mit eben so viel Thalern,
als sie kaum Pfennige werth war. Der feste Glaube an die Heil-
wirkung eines Arkanums verwandelt sich in Aberglauben, wenn die
Wissenschaft das Dunkel aufhellt, die Erfahrung den Schleier des
Jrrthums lüftet und die Unwirksamkeit des einst gepriesenen Wunder-
mittels sich im Laufe der Zeit herausstellt. Dies verdiente Schicksal
theilt die Revalenta mit den Goldberger'schen Ketten, den Lieber'schen
Kräutern, den Pillen aus Kommißbrot, aus Lakritzensaft, den Pulvern
aus weißem Zucker u. a. m., und die Zeit ist bereits gekommen, wo
sie und eine sehr große Anzahl von durch die Lärmposaune der
Marktschreierei einst so vielfach gepriesenen und glorifizirten Geheim-
mitteln gänzlich der Vergessenheit anheimgefallen sind. Ob aber die
längst verschollenen Geheimmittel nicht einmal wieder unter einem
andern Namen und in einer andern Form als Sterne erster Größe
in der Geheimmittel=Jndustrie glänzen werden, dafür möchte ich nicht
die Bürgschaft übernehmen — wenigstens schreckt das Beispiel der
Revalenta davon ab. Denn einige Jahre früher, bevor das Linsen= und
Gerstenmehl unter dem Namen Revalenta in den Zeitungen als un-
trügliche Panacee gefeiert und besungen wurde, figurirte dasselbe Mehl
als Arkanum unter dem viel richtigeren Namen Ervalenta; allein
dieser Name hatte keine Zugkraft. Uebrigens findet die unersättliche
Geldgier stets neue Mittel und Wege, sich Eingang und Gehör
zu erschleichen, um das sonst so klare Auge des natürlichen Verstandes
zu umschleiern. Die ursprüngliche und durch Schwindel genährte Be-
geisterung für ein Geheimmittel schwindet, wenn der Nimbus gefallen
ist, um einem andern souveränen Mittel die Stelle einzuräumen. Die
Betrogenen, welche sich dann nicht mehr schämen, einzugestehen, sie
seien nur eine Fundgrube für die Geldgier eines Quacksalbers gewesen,
können zum bösen Spiel noch eine gute Miene machen, wenn nur ihre
Börse eine Einbuße gelitten, und sie selbst inzwischen keinen Schaden
an ihrer Gesundheit genommen haben. Doch ein so unschuldiges
Spielzeug, wie die Revalenta, Pillen und Lakritzensaft, Pulver aus
weißem Zucker, Brustsaft aus Zuckersyrup u. a. m. sind gerade nicht
alle marktschreierisch ausposaunten Mittel, und gesetzt, sie wären es,
so entstände doch ein nicht gering anzuschlagender Schaden schon da-
durch, daß die Zeit, in der Hülfe hätte geschafft werden können,
nutzlos vorübergegangen ist. Darum bleibt es ewig wahr:

[Spaltenumbruch]
„Ein Ding mag noch so närrisch sein,
Es sei nur neu, so nimmt's den Haufen ein:
Er sieht und er erstaunt. Kein Kluger darf ihm wehren.
Doch kommt die Zeit und mahnt an ihre Pflicht;
Denn sie versteht die Kunst, die Narren zu bekehren,
Sie mögen wollen oder nicht.“
Gellert, der grüne Esel.

Wenn die Geheimmittelkrämer in ihren gewöhnlichen Beschäf-
tigungen mehr oder weniger Fiasco gemacht und ein untrügliches
Mittelchen gegen alle erdenklichen Krankheiten oder gegen solche, die
nur an einem bestimmten Theil des Körpers vorkommen, ersonnen
haben, dem sie, um Käufer anzulocken, einen recht abenteuerlichen Na-
men beilegen, so rücken sie unter dem Banner von Wohlthätern der
leidenden Menschheit in die Schlacht. Jhre Parole ist Uneigennützig-
keit. Allein wie verträgt sich die bei allen Jndustrierittern wieder-
kehrende Behauptung mit ihren Handlungen? Man findet in unseren
Lokalblätten fast wöchentlich ein Schriftchen des Dr. Doecks in
Barnstorf über Magenkrampf annoncirt, welches im Jnteresse der
leidenden Menschheit gratis vertheilt wird. Nichtsdestoweniger ging
die Uneigennützigkeit des Verfassers so weit, daß er einen an Knochen-
fraß des Rückenwirbelkörpers leidenden Mann, welcher ihm angab,
sein Leiden könne im Magen sitzen, in diesem Vorurtheil bestärkte und
ihm eine Dosis seines angeblich bereits über ein Vierteljahrhundert
erprobten Mittels für den billigen Preis von 10 Thalern überließ.
Dasselbe Mittel verordnete er auch einer Schwindsüchtigen. Daß
beiden Kranken nicht geholfen wurde, sondern nur deren Börsen eine
empfindliche Einbuße erlitten, habe ich wohl kaum nöthig zu erwähnen.
Verdient derjenige aber den Namen eines Wohlthäters der leidenden
Menschheit, der das Publikum gleichsam am Narrenseil umher führt
und dessen Leichtgläubigkeit ausbeutet, um seinen Säckel auf eine
unverdiente und unwürdige Weise zu füllen und den Kranken ver-
gebens der Hülfe harren zu lassen? Jst das etwa ein Wohlthäter der
leidenden Menschheit, der, angeblich im Besitz eines untrüglichen und
unfehlbaren Gehimmittels, dasselbe auf freche, ja verbrecherische Weise
zu seinem eigenen Vortheil verwerthet, ohne es ein Gemeingut werden
zu lassen? Soll denn die Panacee nur eine Domaine der wohl-
habenden Klassen und nur derer sein, welche die Vorsehung mit
Glücksgütern gesegnet hat? Soll sie denen nur zu Gute kommen, die
sich ihr Leiden schon durch einen größeren Comfort erträglicher machen
können? Für die Armen haben die vermeintlichen Beglücker der leiden-
den Menschheit kein fühlendes Herz; sie können immerhin von Krank-
heiten jeglicher Art heimgesucht werden, an deren Bett treten sie nicht,
denn es fehlen ihnen ja die Mittel, die Geldgier ihrer Wohlthäter zu
befriedigen; mit ihnen wollen sie keine Gemeinschaft haben, denn ihre
Taschen auszuleeren lohnt ihnen nicht.

( Fortsetzung folgt. )

[Ende Spaltensatz]

Lose Blätter.
[Beginn Spaltensatz]

M. Eine Bettlerin als Mutter einer Königin. Während der Un-
ruhen unter der Regierung Karls I. von England begab sich die Tochter
eines Bauern, der in jenen Wirren Gut und Leben verloren, als Bett-
lerin nach London, um als Magd ein Unterkommen zu finden. Sie war
sechszehn Jahre alt, aber bei aller Schönheit, die selbst von den Lumpen
ihrer Kleidung nicht verhüllt werden konnte, unwissend und unerfahren in
jeder weiblichen Fertigkeit; nur grobe Feldarbeit hatte sie daheim bei ihren
Aeltern verrichtet.

Eine gleichfalls arme, aber mildherzige Wittwe hatte der Waise ein
Obdach gewährt, in dessen Nähe ein reicher Brauer wohnte, der sich zu-
weilen der Hülfe dieses arbeitsamen Mädchens bei der Zusendung von
Porterbier an seine Kunden bediente. Jhre unermüdete Pünktlichkeit ver-
anlaßte Jenen, sie als Stubenmädchen in seine Dienste zu nehmen, wo-
durch es ihr möglich wurde, mehr an sich und ihre Kleidung zu wenden,
so daß bald die Blicke der Männer von der liebreizenden Erscheinung
angezogen wurden. Auch ihr Brotherr, zwar schon ein bejahrter Wittwer,
doch noch rüstig und lebensmunter, machte die Bemerkung, daß Jenny ein
sehr liebenswürdiges Mädchen sei. Da er kinderlos war, also ganz un-
abhängig handeln konnte, so erwählte er sie zu seiner Gattin; und er hatte
den Schritt nicht zu bereuen, denn als solche that Jenny Alles, um sich
seiner Liebe werth zu machen. Drei Jahre nach der Verheirathung starb
der Brauer und hinterließ sein ungeheures Vermögen der kinderlosen
Gattin. Diese war nun außer Stande, das umfangreiche Geschäft des
Verstorbenen fortzusetzen, zumal auch viele Schwierigkeiten bei der, übri-
gens rechtmäßigen Antretung der Erbschaft sich in den Weg stellten, so
daß sie des Beistandes eines Rechtsgelehrten bedurfte. Als solcher hatte
schon bei Lebzeiten ihres Gatten der berühmte Sachwalter Hyde fungirt.
Sie erwählte ihn also um so lieber zu ihrem Rathgeber, als er ihr stets
viel Zuneigung gezeigt und auch das Testament verfaßt hatte, durch
welches sie in eine ganz unabhängige Lage versetzt worden war.

Hyde fand theils die Reize und Tugenden des jungen schönen Weibes,
theils auch das enorme Vermögen so sehr nach seinen Wünschen, daß er
[Spaltenumbruch] bald mit einem Heiratsantrage hervortrat. Sie willigte ein; Hyde stieg
von Stufe zu Stufe und beschloß seine Laufbahn als Graf Clarendon.
Aus Beider Ehe war eine Tochter entsprossen, welche die Gemahlin König
Jakobs I. von England, und als solche die Mutter zweier Königinnen,
Maria und Anna, wurde.

So endete eine Bettlerin und lieferte den Beweis, daß auch die be-
scheidene Demuth den Gipfel menschlicher Höhe und Macht zu erreichen
fähig ist.



M. Afghanischer Aberglaube. Die Afghanen glauben, die kleinen
Wirbelwinde, welche Staub und dürre Blätter mit sich führen, würden
von Geistern hervorgebracht, und ein erfahrener Molla oder Geistlicher
könne Reichthümer dabei erwerben — vorausgesetzt, daß er arm und recht-
schaffen sei. Er nimmt in solchem Fall ein Papier zur Hand, worauf
ein Verzeichniß seiner guten Handlungen steht, stellt sich damit in eine
Ebene, wo er solche Wirbel anzutreffen meint, und harrt geduldig ihrer
Ankunft. Dann wirft er jenes Papier hinein, das sich in einen Haufen
Gold verwandeln soll. Gelingt der Versuch nicht — ein Beispiel vom
Gegentheil ist noch nicht bekannt geworden! — so lag die Schuld an ihm;
er muß wieder nach Hause gehen und nachdenken, was seinen Kenntnissen
oder seiner Tugend fehle. Nimmt man dagegen ein dürres Blatt aus
einem solchen Wirbelwind und befestigt es auf dem Magen, so kann man
Speisen und Getränke im Uebermaß zu sich nehmen, ohne den Magen zu
überladen. Was gäbe nicht Mancher für ein so kostbares Blatt!



Briefkasten.

W. in B.: Jn der Regel nicht vor dem Abdruck. — A. R. in Br.:
Jhre Poesien sind doch von zu aufregendem Jnhalt! — C. S. in B.:
Soll benutzt werden. — C. v. K. in B.: Erhalten. Jhre Frage ist
bereits durch die letzte Nummer unseres Blattes thatsächlich beantwortet.

[Ende Spaltensatz]

☞ Zur Besprechung die Redaktion betreffender Angelegenheiten ist der Redakteur dieses Blattes jeden Montag und Dienstag von
12 bis 2 Uhr in dem Redaktionsbureau, Potsdamerstraße Nr. 20, anwesend, wohin auch alle Zusendungen erbeten werden.



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[64/0008] 64 200,000 Thaler für Zeitungs=Jnserate, und seinen Agenten noch 20 pCt. der Brutto=Einnahme geben konnte, so dürfte die Anführung dieser Thatsache einerseits zum Beweise von dem großartigen Um- fang und dem glänzenden Erfolg des simplen Mehlgeschäfts genügen, und andererseits die Behauptung rechtfertigen, daß Tausende von Menschen, durch die verlockenden Annoncen irre geleitet, in dem ganz unschuldigen Linsen= und Gerstenmehl ein Mittel zu finden hofften, welches sie von ihrem Leiden befreien, sie vielleicht gar verjüngen und wo möglich vor jeder Krankheit schützen sollte. Diese am Narrenseil geführten Gläubigen bezahlten ihre Panacee mit eben so viel Thalern, als sie kaum Pfennige werth war. Der feste Glaube an die Heil- wirkung eines Arkanums verwandelt sich in Aberglauben, wenn die Wissenschaft das Dunkel aufhellt, die Erfahrung den Schleier des Jrrthums lüftet und die Unwirksamkeit des einst gepriesenen Wunder- mittels sich im Laufe der Zeit herausstellt. Dies verdiente Schicksal theilt die Revalenta mit den Goldberger'schen Ketten, den Lieber'schen Kräutern, den Pillen aus Kommißbrot, aus Lakritzensaft, den Pulvern aus weißem Zucker u. a. m., und die Zeit ist bereits gekommen, wo sie und eine sehr große Anzahl von durch die Lärmposaune der Marktschreierei einst so vielfach gepriesenen und glorifizirten Geheim- mitteln gänzlich der Vergessenheit anheimgefallen sind. Ob aber die längst verschollenen Geheimmittel nicht einmal wieder unter einem andern Namen und in einer andern Form als Sterne erster Größe in der Geheimmittel=Jndustrie glänzen werden, dafür möchte ich nicht die Bürgschaft übernehmen — wenigstens schreckt das Beispiel der Revalenta davon ab. Denn einige Jahre früher, bevor das Linsen= und Gerstenmehl unter dem Namen Revalenta in den Zeitungen als un- trügliche Panacee gefeiert und besungen wurde, figurirte dasselbe Mehl als Arkanum unter dem viel richtigeren Namen Ervalenta; allein dieser Name hatte keine Zugkraft. Uebrigens findet die unersättliche Geldgier stets neue Mittel und Wege, sich Eingang und Gehör zu erschleichen, um das sonst so klare Auge des natürlichen Verstandes zu umschleiern. Die ursprüngliche und durch Schwindel genährte Be- geisterung für ein Geheimmittel schwindet, wenn der Nimbus gefallen ist, um einem andern souveränen Mittel die Stelle einzuräumen. Die Betrogenen, welche sich dann nicht mehr schämen, einzugestehen, sie seien nur eine Fundgrube für die Geldgier eines Quacksalbers gewesen, können zum bösen Spiel noch eine gute Miene machen, wenn nur ihre Börse eine Einbuße gelitten, und sie selbst inzwischen keinen Schaden an ihrer Gesundheit genommen haben. Doch ein so unschuldiges Spielzeug, wie die Revalenta, Pillen und Lakritzensaft, Pulver aus weißem Zucker, Brustsaft aus Zuckersyrup u. a. m. sind gerade nicht alle marktschreierisch ausposaunten Mittel, und gesetzt, sie wären es, so entstände doch ein nicht gering anzuschlagender Schaden schon da- durch, daß die Zeit, in der Hülfe hätte geschafft werden können, nutzlos vorübergegangen ist. Darum bleibt es ewig wahr: „Ein Ding mag noch so närrisch sein, Es sei nur neu, so nimmt's den Haufen ein: Er sieht und er erstaunt. Kein Kluger darf ihm wehren. Doch kommt die Zeit und mahnt an ihre Pflicht; Denn sie versteht die Kunst, die Narren zu bekehren, Sie mögen wollen oder nicht.“ Gellert, der grüne Esel. Wenn die Geheimmittelkrämer in ihren gewöhnlichen Beschäf- tigungen mehr oder weniger Fiasco gemacht und ein untrügliches Mittelchen gegen alle erdenklichen Krankheiten oder gegen solche, die nur an einem bestimmten Theil des Körpers vorkommen, ersonnen haben, dem sie, um Käufer anzulocken, einen recht abenteuerlichen Na- men beilegen, so rücken sie unter dem Banner von Wohlthätern der leidenden Menschheit in die Schlacht. Jhre Parole ist Uneigennützig- keit. Allein wie verträgt sich die bei allen Jndustrierittern wieder- kehrende Behauptung mit ihren Handlungen? Man findet in unseren Lokalblätten fast wöchentlich ein Schriftchen des Dr. Doecks in Barnstorf über Magenkrampf annoncirt, welches im Jnteresse der leidenden Menschheit gratis vertheilt wird. Nichtsdestoweniger ging die Uneigennützigkeit des Verfassers so weit, daß er einen an Knochen- fraß des Rückenwirbelkörpers leidenden Mann, welcher ihm angab, sein Leiden könne im Magen sitzen, in diesem Vorurtheil bestärkte und ihm eine Dosis seines angeblich bereits über ein Vierteljahrhundert erprobten Mittels für den billigen Preis von 10 Thalern überließ. Dasselbe Mittel verordnete er auch einer Schwindsüchtigen. Daß beiden Kranken nicht geholfen wurde, sondern nur deren Börsen eine empfindliche Einbuße erlitten, habe ich wohl kaum nöthig zu erwähnen. Verdient derjenige aber den Namen eines Wohlthäters der leidenden Menschheit, der das Publikum gleichsam am Narrenseil umher führt und dessen Leichtgläubigkeit ausbeutet, um seinen Säckel auf eine unverdiente und unwürdige Weise zu füllen und den Kranken ver- gebens der Hülfe harren zu lassen? Jst das etwa ein Wohlthäter der leidenden Menschheit, der, angeblich im Besitz eines untrüglichen und unfehlbaren Gehimmittels, dasselbe auf freche, ja verbrecherische Weise zu seinem eigenen Vortheil verwerthet, ohne es ein Gemeingut werden zu lassen? Soll denn die Panacee nur eine Domaine der wohl- habenden Klassen und nur derer sein, welche die Vorsehung mit Glücksgütern gesegnet hat? Soll sie denen nur zu Gute kommen, die sich ihr Leiden schon durch einen größeren Comfort erträglicher machen können? Für die Armen haben die vermeintlichen Beglücker der leiden- den Menschheit kein fühlendes Herz; sie können immerhin von Krank- heiten jeglicher Art heimgesucht werden, an deren Bett treten sie nicht, denn es fehlen ihnen ja die Mittel, die Geldgier ihrer Wohlthäter zu befriedigen; mit ihnen wollen sie keine Gemeinschaft haben, denn ihre Taschen auszuleeren lohnt ihnen nicht. ( Fortsetzung folgt. ) Lose Blätter. M. Eine Bettlerin als Mutter einer Königin. Während der Un- ruhen unter der Regierung Karls I. von England begab sich die Tochter eines Bauern, der in jenen Wirren Gut und Leben verloren, als Bett- lerin nach London, um als Magd ein Unterkommen zu finden. Sie war sechszehn Jahre alt, aber bei aller Schönheit, die selbst von den Lumpen ihrer Kleidung nicht verhüllt werden konnte, unwissend und unerfahren in jeder weiblichen Fertigkeit; nur grobe Feldarbeit hatte sie daheim bei ihren Aeltern verrichtet. Eine gleichfalls arme, aber mildherzige Wittwe hatte der Waise ein Obdach gewährt, in dessen Nähe ein reicher Brauer wohnte, der sich zu- weilen der Hülfe dieses arbeitsamen Mädchens bei der Zusendung von Porterbier an seine Kunden bediente. Jhre unermüdete Pünktlichkeit ver- anlaßte Jenen, sie als Stubenmädchen in seine Dienste zu nehmen, wo- durch es ihr möglich wurde, mehr an sich und ihre Kleidung zu wenden, so daß bald die Blicke der Männer von der liebreizenden Erscheinung angezogen wurden. Auch ihr Brotherr, zwar schon ein bejahrter Wittwer, doch noch rüstig und lebensmunter, machte die Bemerkung, daß Jenny ein sehr liebenswürdiges Mädchen sei. Da er kinderlos war, also ganz un- abhängig handeln konnte, so erwählte er sie zu seiner Gattin; und er hatte den Schritt nicht zu bereuen, denn als solche that Jenny Alles, um sich seiner Liebe werth zu machen. Drei Jahre nach der Verheirathung starb der Brauer und hinterließ sein ungeheures Vermögen der kinderlosen Gattin. Diese war nun außer Stande, das umfangreiche Geschäft des Verstorbenen fortzusetzen, zumal auch viele Schwierigkeiten bei der, übri- gens rechtmäßigen Antretung der Erbschaft sich in den Weg stellten, so daß sie des Beistandes eines Rechtsgelehrten bedurfte. Als solcher hatte schon bei Lebzeiten ihres Gatten der berühmte Sachwalter Hyde fungirt. Sie erwählte ihn also um so lieber zu ihrem Rathgeber, als er ihr stets viel Zuneigung gezeigt und auch das Testament verfaßt hatte, durch welches sie in eine ganz unabhängige Lage versetzt worden war. Hyde fand theils die Reize und Tugenden des jungen schönen Weibes, theils auch das enorme Vermögen so sehr nach seinen Wünschen, daß er bald mit einem Heiratsantrage hervortrat. Sie willigte ein; Hyde stieg von Stufe zu Stufe und beschloß seine Laufbahn als Graf Clarendon. Aus Beider Ehe war eine Tochter entsprossen, welche die Gemahlin König Jakobs I. von England, und als solche die Mutter zweier Königinnen, Maria und Anna, wurde. So endete eine Bettlerin und lieferte den Beweis, daß auch die be- scheidene Demuth den Gipfel menschlicher Höhe und Macht zu erreichen fähig ist. M. Afghanischer Aberglaube. Die Afghanen glauben, die kleinen Wirbelwinde, welche Staub und dürre Blätter mit sich führen, würden von Geistern hervorgebracht, und ein erfahrener Molla oder Geistlicher könne Reichthümer dabei erwerben — vorausgesetzt, daß er arm und recht- schaffen sei. Er nimmt in solchem Fall ein Papier zur Hand, worauf ein Verzeichniß seiner guten Handlungen steht, stellt sich damit in eine Ebene, wo er solche Wirbel anzutreffen meint, und harrt geduldig ihrer Ankunft. Dann wirft er jenes Papier hinein, das sich in einen Haufen Gold verwandeln soll. Gelingt der Versuch nicht — ein Beispiel vom Gegentheil ist noch nicht bekannt geworden! — so lag die Schuld an ihm; er muß wieder nach Hause gehen und nachdenken, was seinen Kenntnissen oder seiner Tugend fehle. Nimmt man dagegen ein dürres Blatt aus einem solchen Wirbelwind und befestigt es auf dem Magen, so kann man Speisen und Getränke im Uebermaß zu sich nehmen, ohne den Magen zu überladen. Was gäbe nicht Mancher für ein so kostbares Blatt! Briefkasten. W. in B.: Jn der Regel nicht vor dem Abdruck. — A. R. in Br.: Jhre Poesien sind doch von zu aufregendem Jnhalt! — C. S. in B.: Soll benutzt werden. — C. v. K. in B.: Erhalten. Jhre Frage ist bereits durch die letzte Nummer unseres Blattes thatsächlich beantwortet. ☞ Zur Besprechung die Redaktion betreffender Angelegenheiten ist der Redakteur dieses Blattes jeden Montag und Dienstag von 12 bis 2 Uhr in dem Redaktionsbureau, Potsdamerstraße Nr. 20, anwesend, wohin auch alle Zusendungen erbeten werden. Druck und Verlag von Franz Duncker in Berlin. — Verantwortlicher Redakteur: Ernst Dohm in Berlin.

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 8. Berlin, 23. Februar 1868, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt08_1868/8>, abgerufen am 01.06.2024.