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Sonntags-Blatt. Nr. 11. Berlin, 15. März 1868.

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[Beginn Spaltensatz] schen Blick auf das Thier, dann steckte er, Hut und Stock nehmend,
das Testament wieder ein, schloß die Thür der Amtsstube hinter sich
zu und ging pfeifend die ausgetretene hölzerne Treppe hinunter.



"Gewiß, meine Gnädige, ein seltener junger Mann. Jch habe
nun seit zwanzig Jahren Gelegenheit gehabt, tägliche Beobachtungen
über die Qualisikation der Generation unserer Zeit zu ernster Be-
schäftigung anzustellen, allein ich habe Keinen gefunden, der mit Jhrem
Herrn Neffen zu vergleichen wäre. Herr von Torwisch ist eben so
ernst und umsichtsvoll als unermüdlich. Er ist mein Freund ge-
worden. Jch bin ein alter, vielerfahrener Mann; aber ich stehe nicht
an, mein Urtheil oftmals seinen Anschauungen zu akkomodiren."

Es war gegen Abend und der Justizrath kam an der Seite der
Baronin Torwisch durch den Park vom Deich herauf. Er hatte seinen
ersten Sekretär begleitet und einen Besuch auf dem Schlosse ab-
gestattet, wie er es alljährlich einigemal zu thun pflegte. Seit zwei
Stunden unterhielt er die Baronin über ihren zukünftigen Schwieger-
sohn, Herrn von Torwisch. Das Thema war unerschöpflich für ihn,
vorzüglich vielleicht deßhalb, weil er immer dasselbe darüber wieder-
holte. Die Baronin hatte mehrfach versucht, ihn von dem Gegen-
stand abzubringen, doch er kam ausdauernd darauf zurück, als ob er
eine Verpflichtung dazu besäße. Jetzt eben hatte er zum zwanzigsten
Mal einen Dithyrambus über die Amtstüchtigkeit des Sekretärs
vollendet, auf den die Baronin, wie auf die achtzehn vorhergegangenen,
nichts erwiderte. Nur auf den ersten hatte sie eine höfliche allgemeine
Antwort gegeben.

Der Justizrath, dem die Lobesgedanken auszugehen anfingen, wen-
dete sich bei seinen letzten Worten um und sah zurück. Hinter ihnen
kamen, ziemlich entfernt noch, Posthuma und ihr Vetter durch den
Gang herauf. Der Letztere gestikulirte mit der Hand und schien eifrig
zu reden; das Mädchen ging gesenkten Hauptes neben ihm her. Der
Anblick bot dem bedürftigen Lobredner neuen Stoff.

"Ein herrliches Paar", fuhr er fort, "ein schönes Paar, ganz wie
für einander geschaffen. Ein trefflicher Gedanke meines seligen Herrn
Vorgängers. Trotz meinem Alter sehe ich so gern jugendliche Paare
und freue mich ihrer Zukunft. Und eine wie erfreuliche steht diesem
bevor! Es wird keinen Monat mehr dauern -- zwei Monate find's,
nein, morgen sind es schon neun Wochen, daß ich mein Entlassungs-
gesuch abgesandt; in vierzehn Tagen längstens wird Herr von Tor-
wisch meine Stellung bekleiden. Dann giebt es wieder eine Frau
Amtmännin von Torwisch, ganz wie ihre Mutter es gewesen, ebenso
schön und liebenswürdig und hoffentlich auch ebenso glücklich, wie
Sie, meine Gnädige, es gewesen."

Der galante alte Herr hatte dabei die Hand seiner Begleiterin
gefaßt und sie ceremoniös an die Lippen geführt. Er war an der
auf die Landstraße geöffneten Gartenpforte stehen geblieben und
machte Miene, sich zu verabschieden. Die Baronin hatte bei seinen
letzten Worten eine Sekunde die Augen geschlossen, dann lud sie ihn
artig ein, mit hinauf zu kommen und den Thee bei ihr einzunehmen.
Aber ihre Bitten waren vergeblich.

"Zu meinem äußersten Bedauern, meine Gnädige", replizirte der
Justizrath mit einer ablehnenden Bewegung, "doch so lange die Last
noch auf meinen Schultern liegt -- es wird ja bald genug jetzt vor-
bei sein -- ist die Pflicht des Abends ebenso streng wie die des
Morgens, und man soll nicht sagen, daß ich zwanzig Jahre treu aus-
geharrt, um in den letzten Tagen von meinem Posten zu weichen.
Später, meine Gnädige, als ein freier alter Mann, der seine wohl-
verdiente Ruhe genießt, die ihm allerdings schon längst hätte werden
sollen --"

Er lüftete feierlich den Hut vor der Baronin, die sich höflich ver-
neigte. Sie wußte, daß die Pflicht des Abends ihn um diese Stunde
seit zwanzig Jahren ins Casino zu seiner L'hombrepartie mit dem
Bürgermeister rief, und entgegnete nichts. Der Justizrath warf noch
einen Blick auf das schöne, ganz für einander geschaffene Paar, das
jetzt sehr einsilbig bis dicht an sie herangekommen war, und ging mit
einem von vertraulicher Handbewegung begleiteten "Auf Wiedersehn,
lieber Freund" eilig auf die Straße hinaus.

Die Baronin setzte langsam ihren Weg fort, und die beiden An-
dern folgten ihr schweigend in den Saal des Schlosses, der auf den
Park hinaussah. Oben war der Thee bereits servirt. Sie setzten
sich um den Tisch; es war sehr still, nur ab und zu sprach Jemand
ein Wort, wie um das Schweigen zu unterbrechen. Endlich begann
Herr von Torwisch eine lange höhnische Geschichte über seinen Vor-
gesetzten zu erzählen. Er richtete seine Worte an Posthuma, doch nur
die Baronin lächelte hin und wieder gezwungen, um ihre Aufmerk-
samkeit kund zu thun. Das Mädchen machte kein Hehl daraus, daß
sie nicht zuhörte. Es fing an zu dämmern, und sie hatte sich so ge-
setzt, daß sie beim Aufblicken gerade auf das Bild des alten Vikingers
hinsehen mußte. Darauf ruhten auch jetzt ihre Augen, wenn sie
überhaupt ein Ziel hatten. Sie hörte nicht auf die eintönig schnar-
[Spaltenumbruch] renden Worte ihres Nachbars; auch die Blicke der Mutter bemerkte
sie nicht, die manchmal verstohlen über sie hinglitten. Nur färbten
allmälig ihre Wangen sich höher und höher, und sie athmete hastiger.
Dann plötzlich schob sie den Stuhl verwirrt zurück und ging, ohne ein
Wort zu sagen, wieder in den Garten hinab.

"Was hast Du, Posthuma?" fragte die Mutter; doch die Thür
hatte sich schon geschlossen.

"Lassen Sie sie, Frau Mutter", sagte Herr von Torwisch halb-
laut, "sie fühlt sich in letzterer Zeit häufig in meiner Gegenwart be-
fangen, wie es für ein junges Mädchen, dessen Hochzeitstag heran-
rückt, ganz natürlich ist."

Es lag eine solche Unverschämtheit in dem nachlässig vertraulichen
Ton, mit dem die Worte gesprochen waren, daß sogar die Baronin
einen halb verächtlich halb spöttischen Zug in ihrem Gesicht nicht zu
unterdrücken vermochte.

"Das nimmt mich Wunder", antwortete sie, "es liegt sonst nicht
in ihrer Natur."

Herr von Torwisch wußte das selbst und empfand das Dementi,
das ihm damit gegeben worden. Er hatte sich oft genug über die
Rücksichtslosigkeit Posthuma's beklagt, daß es sehr auffällig erscheinen
mußte, wenn dieselbe plötzlich in Befangenheit umgeschlagen sein sollte.
Doch er that, als ob er die Gegenäußerung völlig überhört, und fuhr
gleichmüthig fort:

"Jch habe vorhin mit Posthuma über die Sache geredet und un-
sere Verbindung definitiv auf den 20. Oktober -- ich meine doch, daß
dies ihr Geburtstag ist? -- festgesetzt. Jch werde dann meine Ent-
lassung nehmen und das erste Stockwerk des Schlosses beziehen, da
Sie, Frau Mutter, muthmaßlich diese Räumlichkeiten, die Sie jetzt
bewohnen, zu behalten wünschen. So werde ich warten, bis der alte
Narr endlich einmal sein Entlassungsgesuch vom Todtengräber wirklich
ausgefertigt bekommt, um dann die mir gebührende Stellung meiner
Vorfahren einzunehmen."

Es zuckte schmerzlich bei dieser sicheren Verfügung in dem
Gesicht der Hörerin. Sie hatte eine Beschäftigung begonnen, die ihr
erlaubte, sich abzuwenden, damit er den bitteren Ausdruck nicht ge-
wahre, den seine Verfügung über ihr zwanzigjähriges Eigenthum um
ihre Lippen hervorrief. Sie klammerte sich an die letzte Hoffnung,
den Schlag, der sie bedrohte, so lange als möglich zu verschieben,
und entgegnete scheinbar ruhig:

"Jch glaube, daß Posthuma lieber im Frühling zu heirathen
wünscht, und ich halte diese Verschiebung wegen der mannigfachen
Vorbereitungen für wünschenswerther. Meine Tochter ist auch noch gar
jung und bis jetzt in häuslichen Anordnungen wenig erfahren, so
daß der Winter ihr in vielerlei Beziehung zu Gute kommen dürfte."

Herr von Torwisch verzog keine Miene.

"Sie werden uns ja das Vergnügen erweisen, bei uns zu bleiben,
Frau Mutter", versetzte er trocken, "und Jhre Unterweisungen werden
meiner Frau ebenso zu Statten kommen, wie meiner Braut. Außer-
dem halte ich es für gut, wenn Posthuma sobald als möglich durch
andere Verpflichtungen von der für ihren Stand und ihre Zukunft
ganz unpassenden Gewohnheit des Umherschweifens auf dem Meer
und unter bildungslosen Menschen fern gehalten wird. Jch habe zu
meinem Bedauern bei Jhnen vergeblich auf Abstellung dieser kindi-
schen Laune zu wirken versucht."

Das Gesicht der Baronin röthete sich bei den letzten Worten.

"Meine Tochter ist einem natürlichen Antriebe, mit ihren Ver-
wandten zu verkehren, gefolgt, und ich habe sie nicht darin behindert",
erwiderte sie.

"Aber es sind nicht meine Verwandten und werden auch nicht die
meiner Frau mehr sein", versetzte Herr von Torwisch phlegmatisch.

Die Baronin stand auf und trat ans Fenster.

"Das ist Posthuma's Sache", sagte sie abbrechend. "Sie wird
im Herbst mündig und mag dann über Alles und über die Hochzeit
selbst bestimmen, wie sie will."

Herr von Torwisch hatte sich ebenfalls langsam erhoben.

"Gewiß", versetzte er gleichgültig, "so weit dies den Bestimmun-
gen meines seligen Herrn Oheims nicht zuwider läuft. Wir leben in
keinem Sklavereistaat", fügte er, die Mundwinkel zu einem matten
Lachen herabzerrend, bei, "sie kann über ihre Person frei verfügen,
und ich nehme an, daß sie dies zu thun gedenkt, wenn sie die Hoch-
zeit später als an dem von meinem Herrn Oheim festgesetzten Termin
anberaumen sollte. Jch würde dann zu meinem Bedauern darauf
verzichten müssen, den Lieblingswunsch desselben in Erfüllung gehen
zu sehen, und könnte mich nur dadurch beruhigen, seinem Willen ge-
mäß seinen anderweitigen Verfügungen Genüge zu leisten, so schmerzlich
es mir auch sein würde --"

"Auf die Hälfte des Vermögens verzichten zu müssen", ergänzte
die Baronin leise vor sich hin. Sie und ihre Tochter waren erbar-
mungslos in seiner Hand, sie fühlte es, und nur seine Habsucht, das
Ganze zu erbeuten, trieb ihn überhaupt zu dieser Drohung an. Sie
fühlte, daß sie am ganzen Leibe zitterte, daß sie kein Wort hervor-
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] schen Blick auf das Thier, dann steckte er, Hut und Stock nehmend,
das Testament wieder ein, schloß die Thür der Amtsstube hinter sich
zu und ging pfeifend die ausgetretene hölzerne Treppe hinunter.



„Gewiß, meine Gnädige, ein seltener junger Mann. Jch habe
nun seit zwanzig Jahren Gelegenheit gehabt, tägliche Beobachtungen
über die Qualisikation der Generation unserer Zeit zu ernster Be-
schäftigung anzustellen, allein ich habe Keinen gefunden, der mit Jhrem
Herrn Neffen zu vergleichen wäre. Herr von Torwisch ist eben so
ernst und umsichtsvoll als unermüdlich. Er ist mein Freund ge-
worden. Jch bin ein alter, vielerfahrener Mann; aber ich stehe nicht
an, mein Urtheil oftmals seinen Anschauungen zu akkomodiren.“

Es war gegen Abend und der Justizrath kam an der Seite der
Baronin Torwisch durch den Park vom Deich herauf. Er hatte seinen
ersten Sekretär begleitet und einen Besuch auf dem Schlosse ab-
gestattet, wie er es alljährlich einigemal zu thun pflegte. Seit zwei
Stunden unterhielt er die Baronin über ihren zukünftigen Schwieger-
sohn, Herrn von Torwisch. Das Thema war unerschöpflich für ihn,
vorzüglich vielleicht deßhalb, weil er immer dasselbe darüber wieder-
holte. Die Baronin hatte mehrfach versucht, ihn von dem Gegen-
stand abzubringen, doch er kam ausdauernd darauf zurück, als ob er
eine Verpflichtung dazu besäße. Jetzt eben hatte er zum zwanzigsten
Mal einen Dithyrambus über die Amtstüchtigkeit des Sekretärs
vollendet, auf den die Baronin, wie auf die achtzehn vorhergegangenen,
nichts erwiderte. Nur auf den ersten hatte sie eine höfliche allgemeine
Antwort gegeben.

Der Justizrath, dem die Lobesgedanken auszugehen anfingen, wen-
dete sich bei seinen letzten Worten um und sah zurück. Hinter ihnen
kamen, ziemlich entfernt noch, Posthuma und ihr Vetter durch den
Gang herauf. Der Letztere gestikulirte mit der Hand und schien eifrig
zu reden; das Mädchen ging gesenkten Hauptes neben ihm her. Der
Anblick bot dem bedürftigen Lobredner neuen Stoff.

„Ein herrliches Paar“, fuhr er fort, „ein schönes Paar, ganz wie
für einander geschaffen. Ein trefflicher Gedanke meines seligen Herrn
Vorgängers. Trotz meinem Alter sehe ich so gern jugendliche Paare
und freue mich ihrer Zukunft. Und eine wie erfreuliche steht diesem
bevor! Es wird keinen Monat mehr dauern — zwei Monate find's,
nein, morgen sind es schon neun Wochen, daß ich mein Entlassungs-
gesuch abgesandt; in vierzehn Tagen längstens wird Herr von Tor-
wisch meine Stellung bekleiden. Dann giebt es wieder eine Frau
Amtmännin von Torwisch, ganz wie ihre Mutter es gewesen, ebenso
schön und liebenswürdig und hoffentlich auch ebenso glücklich, wie
Sie, meine Gnädige, es gewesen.“

Der galante alte Herr hatte dabei die Hand seiner Begleiterin
gefaßt und sie ceremoniös an die Lippen geführt. Er war an der
auf die Landstraße geöffneten Gartenpforte stehen geblieben und
machte Miene, sich zu verabschieden. Die Baronin hatte bei seinen
letzten Worten eine Sekunde die Augen geschlossen, dann lud sie ihn
artig ein, mit hinauf zu kommen und den Thee bei ihr einzunehmen.
Aber ihre Bitten waren vergeblich.

„Zu meinem äußersten Bedauern, meine Gnädige“, replizirte der
Justizrath mit einer ablehnenden Bewegung, „doch so lange die Last
noch auf meinen Schultern liegt — es wird ja bald genug jetzt vor-
bei sein — ist die Pflicht des Abends ebenso streng wie die des
Morgens, und man soll nicht sagen, daß ich zwanzig Jahre treu aus-
geharrt, um in den letzten Tagen von meinem Posten zu weichen.
Später, meine Gnädige, als ein freier alter Mann, der seine wohl-
verdiente Ruhe genießt, die ihm allerdings schon längst hätte werden
sollen —“

Er lüftete feierlich den Hut vor der Baronin, die sich höflich ver-
neigte. Sie wußte, daß die Pflicht des Abends ihn um diese Stunde
seit zwanzig Jahren ins Casino zu seiner L'hombrepartie mit dem
Bürgermeister rief, und entgegnete nichts. Der Justizrath warf noch
einen Blick auf das schöne, ganz für einander geschaffene Paar, das
jetzt sehr einsilbig bis dicht an sie herangekommen war, und ging mit
einem von vertraulicher Handbewegung begleiteten „Auf Wiedersehn,
lieber Freund“ eilig auf die Straße hinaus.

Die Baronin setzte langsam ihren Weg fort, und die beiden An-
dern folgten ihr schweigend in den Saal des Schlosses, der auf den
Park hinaussah. Oben war der Thee bereits servirt. Sie setzten
sich um den Tisch; es war sehr still, nur ab und zu sprach Jemand
ein Wort, wie um das Schweigen zu unterbrechen. Endlich begann
Herr von Torwisch eine lange höhnische Geschichte über seinen Vor-
gesetzten zu erzählen. Er richtete seine Worte an Posthuma, doch nur
die Baronin lächelte hin und wieder gezwungen, um ihre Aufmerk-
samkeit kund zu thun. Das Mädchen machte kein Hehl daraus, daß
sie nicht zuhörte. Es fing an zu dämmern, und sie hatte sich so ge-
setzt, daß sie beim Aufblicken gerade auf das Bild des alten Vikingers
hinsehen mußte. Darauf ruhten auch jetzt ihre Augen, wenn sie
überhaupt ein Ziel hatten. Sie hörte nicht auf die eintönig schnar-
[Spaltenumbruch] renden Worte ihres Nachbars; auch die Blicke der Mutter bemerkte
sie nicht, die manchmal verstohlen über sie hinglitten. Nur färbten
allmälig ihre Wangen sich höher und höher, und sie athmete hastiger.
Dann plötzlich schob sie den Stuhl verwirrt zurück und ging, ohne ein
Wort zu sagen, wieder in den Garten hinab.

„Was hast Du, Posthuma?“ fragte die Mutter; doch die Thür
hatte sich schon geschlossen.

„Lassen Sie sie, Frau Mutter“, sagte Herr von Torwisch halb-
laut, „sie fühlt sich in letzterer Zeit häufig in meiner Gegenwart be-
fangen, wie es für ein junges Mädchen, dessen Hochzeitstag heran-
rückt, ganz natürlich ist.“

Es lag eine solche Unverschämtheit in dem nachlässig vertraulichen
Ton, mit dem die Worte gesprochen waren, daß sogar die Baronin
einen halb verächtlich halb spöttischen Zug in ihrem Gesicht nicht zu
unterdrücken vermochte.

„Das nimmt mich Wunder“, antwortete sie, „es liegt sonst nicht
in ihrer Natur.“

Herr von Torwisch wußte das selbst und empfand das Dementi,
das ihm damit gegeben worden. Er hatte sich oft genug über die
Rücksichtslosigkeit Posthuma's beklagt, daß es sehr auffällig erscheinen
mußte, wenn dieselbe plötzlich in Befangenheit umgeschlagen sein sollte.
Doch er that, als ob er die Gegenäußerung völlig überhört, und fuhr
gleichmüthig fort:

„Jch habe vorhin mit Posthuma über die Sache geredet und un-
sere Verbindung definitiv auf den 20. Oktober — ich meine doch, daß
dies ihr Geburtstag ist? — festgesetzt. Jch werde dann meine Ent-
lassung nehmen und das erste Stockwerk des Schlosses beziehen, da
Sie, Frau Mutter, muthmaßlich diese Räumlichkeiten, die Sie jetzt
bewohnen, zu behalten wünschen. So werde ich warten, bis der alte
Narr endlich einmal sein Entlassungsgesuch vom Todtengräber wirklich
ausgefertigt bekommt, um dann die mir gebührende Stellung meiner
Vorfahren einzunehmen.“

Es zuckte schmerzlich bei dieser sicheren Verfügung in dem
Gesicht der Hörerin. Sie hatte eine Beschäftigung begonnen, die ihr
erlaubte, sich abzuwenden, damit er den bitteren Ausdruck nicht ge-
wahre, den seine Verfügung über ihr zwanzigjähriges Eigenthum um
ihre Lippen hervorrief. Sie klammerte sich an die letzte Hoffnung,
den Schlag, der sie bedrohte, so lange als möglich zu verschieben,
und entgegnete scheinbar ruhig:

„Jch glaube, daß Posthuma lieber im Frühling zu heirathen
wünscht, und ich halte diese Verschiebung wegen der mannigfachen
Vorbereitungen für wünschenswerther. Meine Tochter ist auch noch gar
jung und bis jetzt in häuslichen Anordnungen wenig erfahren, so
daß der Winter ihr in vielerlei Beziehung zu Gute kommen dürfte.“

Herr von Torwisch verzog keine Miene.

„Sie werden uns ja das Vergnügen erweisen, bei uns zu bleiben,
Frau Mutter“, versetzte er trocken, „und Jhre Unterweisungen werden
meiner Frau ebenso zu Statten kommen, wie meiner Braut. Außer-
dem halte ich es für gut, wenn Posthuma sobald als möglich durch
andere Verpflichtungen von der für ihren Stand und ihre Zukunft
ganz unpassenden Gewohnheit des Umherschweifens auf dem Meer
und unter bildungslosen Menschen fern gehalten wird. Jch habe zu
meinem Bedauern bei Jhnen vergeblich auf Abstellung dieser kindi-
schen Laune zu wirken versucht.“

Das Gesicht der Baronin röthete sich bei den letzten Worten.

„Meine Tochter ist einem natürlichen Antriebe, mit ihren Ver-
wandten zu verkehren, gefolgt, und ich habe sie nicht darin behindert“,
erwiderte sie.

„Aber es sind nicht meine Verwandten und werden auch nicht die
meiner Frau mehr sein“, versetzte Herr von Torwisch phlegmatisch.

Die Baronin stand auf und trat ans Fenster.

„Das ist Posthuma's Sache“, sagte sie abbrechend. „Sie wird
im Herbst mündig und mag dann über Alles und über die Hochzeit
selbst bestimmen, wie sie will.“

Herr von Torwisch hatte sich ebenfalls langsam erhoben.

„Gewiß“, versetzte er gleichgültig, „so weit dies den Bestimmun-
gen meines seligen Herrn Oheims nicht zuwider läuft. Wir leben in
keinem Sklavereistaat“, fügte er, die Mundwinkel zu einem matten
Lachen herabzerrend, bei, „sie kann über ihre Person frei verfügen,
und ich nehme an, daß sie dies zu thun gedenkt, wenn sie die Hoch-
zeit später als an dem von meinem Herrn Oheim festgesetzten Termin
anberaumen sollte. Jch würde dann zu meinem Bedauern darauf
verzichten müssen, den Lieblingswunsch desselben in Erfüllung gehen
zu sehen, und könnte mich nur dadurch beruhigen, seinem Willen ge-
mäß seinen anderweitigen Verfügungen Genüge zu leisten, so schmerzlich
es mir auch sein würde —“

„Auf die Hälfte des Vermögens verzichten zu müssen“, ergänzte
die Baronin leise vor sich hin. Sie und ihre Tochter waren erbar-
mungslos in seiner Hand, sie fühlte es, und nur seine Habsucht, das
Ganze zu erbeuten, trieb ihn überhaupt zu dieser Drohung an. Sie
fühlte, daß sie am ganzen Leibe zitterte, daß sie kein Wort hervor-
[Ende Spaltensatz]

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[82/0002] 82 schen Blick auf das Thier, dann steckte er, Hut und Stock nehmend, das Testament wieder ein, schloß die Thür der Amtsstube hinter sich zu und ging pfeifend die ausgetretene hölzerne Treppe hinunter. „Gewiß, meine Gnädige, ein seltener junger Mann. Jch habe nun seit zwanzig Jahren Gelegenheit gehabt, tägliche Beobachtungen über die Qualisikation der Generation unserer Zeit zu ernster Be- schäftigung anzustellen, allein ich habe Keinen gefunden, der mit Jhrem Herrn Neffen zu vergleichen wäre. Herr von Torwisch ist eben so ernst und umsichtsvoll als unermüdlich. Er ist mein Freund ge- worden. Jch bin ein alter, vielerfahrener Mann; aber ich stehe nicht an, mein Urtheil oftmals seinen Anschauungen zu akkomodiren.“ Es war gegen Abend und der Justizrath kam an der Seite der Baronin Torwisch durch den Park vom Deich herauf. Er hatte seinen ersten Sekretär begleitet und einen Besuch auf dem Schlosse ab- gestattet, wie er es alljährlich einigemal zu thun pflegte. Seit zwei Stunden unterhielt er die Baronin über ihren zukünftigen Schwieger- sohn, Herrn von Torwisch. Das Thema war unerschöpflich für ihn, vorzüglich vielleicht deßhalb, weil er immer dasselbe darüber wieder- holte. Die Baronin hatte mehrfach versucht, ihn von dem Gegen- stand abzubringen, doch er kam ausdauernd darauf zurück, als ob er eine Verpflichtung dazu besäße. Jetzt eben hatte er zum zwanzigsten Mal einen Dithyrambus über die Amtstüchtigkeit des Sekretärs vollendet, auf den die Baronin, wie auf die achtzehn vorhergegangenen, nichts erwiderte. Nur auf den ersten hatte sie eine höfliche allgemeine Antwort gegeben. Der Justizrath, dem die Lobesgedanken auszugehen anfingen, wen- dete sich bei seinen letzten Worten um und sah zurück. Hinter ihnen kamen, ziemlich entfernt noch, Posthuma und ihr Vetter durch den Gang herauf. Der Letztere gestikulirte mit der Hand und schien eifrig zu reden; das Mädchen ging gesenkten Hauptes neben ihm her. Der Anblick bot dem bedürftigen Lobredner neuen Stoff. „Ein herrliches Paar“, fuhr er fort, „ein schönes Paar, ganz wie für einander geschaffen. Ein trefflicher Gedanke meines seligen Herrn Vorgängers. Trotz meinem Alter sehe ich so gern jugendliche Paare und freue mich ihrer Zukunft. Und eine wie erfreuliche steht diesem bevor! Es wird keinen Monat mehr dauern — zwei Monate find's, nein, morgen sind es schon neun Wochen, daß ich mein Entlassungs- gesuch abgesandt; in vierzehn Tagen längstens wird Herr von Tor- wisch meine Stellung bekleiden. Dann giebt es wieder eine Frau Amtmännin von Torwisch, ganz wie ihre Mutter es gewesen, ebenso schön und liebenswürdig und hoffentlich auch ebenso glücklich, wie Sie, meine Gnädige, es gewesen.“ Der galante alte Herr hatte dabei die Hand seiner Begleiterin gefaßt und sie ceremoniös an die Lippen geführt. Er war an der auf die Landstraße geöffneten Gartenpforte stehen geblieben und machte Miene, sich zu verabschieden. Die Baronin hatte bei seinen letzten Worten eine Sekunde die Augen geschlossen, dann lud sie ihn artig ein, mit hinauf zu kommen und den Thee bei ihr einzunehmen. Aber ihre Bitten waren vergeblich. „Zu meinem äußersten Bedauern, meine Gnädige“, replizirte der Justizrath mit einer ablehnenden Bewegung, „doch so lange die Last noch auf meinen Schultern liegt — es wird ja bald genug jetzt vor- bei sein — ist die Pflicht des Abends ebenso streng wie die des Morgens, und man soll nicht sagen, daß ich zwanzig Jahre treu aus- geharrt, um in den letzten Tagen von meinem Posten zu weichen. Später, meine Gnädige, als ein freier alter Mann, der seine wohl- verdiente Ruhe genießt, die ihm allerdings schon längst hätte werden sollen —“ Er lüftete feierlich den Hut vor der Baronin, die sich höflich ver- neigte. Sie wußte, daß die Pflicht des Abends ihn um diese Stunde seit zwanzig Jahren ins Casino zu seiner L'hombrepartie mit dem Bürgermeister rief, und entgegnete nichts. Der Justizrath warf noch einen Blick auf das schöne, ganz für einander geschaffene Paar, das jetzt sehr einsilbig bis dicht an sie herangekommen war, und ging mit einem von vertraulicher Handbewegung begleiteten „Auf Wiedersehn, lieber Freund“ eilig auf die Straße hinaus. Die Baronin setzte langsam ihren Weg fort, und die beiden An- dern folgten ihr schweigend in den Saal des Schlosses, der auf den Park hinaussah. Oben war der Thee bereits servirt. Sie setzten sich um den Tisch; es war sehr still, nur ab und zu sprach Jemand ein Wort, wie um das Schweigen zu unterbrechen. Endlich begann Herr von Torwisch eine lange höhnische Geschichte über seinen Vor- gesetzten zu erzählen. Er richtete seine Worte an Posthuma, doch nur die Baronin lächelte hin und wieder gezwungen, um ihre Aufmerk- samkeit kund zu thun. Das Mädchen machte kein Hehl daraus, daß sie nicht zuhörte. Es fing an zu dämmern, und sie hatte sich so ge- setzt, daß sie beim Aufblicken gerade auf das Bild des alten Vikingers hinsehen mußte. Darauf ruhten auch jetzt ihre Augen, wenn sie überhaupt ein Ziel hatten. Sie hörte nicht auf die eintönig schnar- renden Worte ihres Nachbars; auch die Blicke der Mutter bemerkte sie nicht, die manchmal verstohlen über sie hinglitten. Nur färbten allmälig ihre Wangen sich höher und höher, und sie athmete hastiger. Dann plötzlich schob sie den Stuhl verwirrt zurück und ging, ohne ein Wort zu sagen, wieder in den Garten hinab. „Was hast Du, Posthuma?“ fragte die Mutter; doch die Thür hatte sich schon geschlossen. „Lassen Sie sie, Frau Mutter“, sagte Herr von Torwisch halb- laut, „sie fühlt sich in letzterer Zeit häufig in meiner Gegenwart be- fangen, wie es für ein junges Mädchen, dessen Hochzeitstag heran- rückt, ganz natürlich ist.“ Es lag eine solche Unverschämtheit in dem nachlässig vertraulichen Ton, mit dem die Worte gesprochen waren, daß sogar die Baronin einen halb verächtlich halb spöttischen Zug in ihrem Gesicht nicht zu unterdrücken vermochte. „Das nimmt mich Wunder“, antwortete sie, „es liegt sonst nicht in ihrer Natur.“ Herr von Torwisch wußte das selbst und empfand das Dementi, das ihm damit gegeben worden. Er hatte sich oft genug über die Rücksichtslosigkeit Posthuma's beklagt, daß es sehr auffällig erscheinen mußte, wenn dieselbe plötzlich in Befangenheit umgeschlagen sein sollte. Doch er that, als ob er die Gegenäußerung völlig überhört, und fuhr gleichmüthig fort: „Jch habe vorhin mit Posthuma über die Sache geredet und un- sere Verbindung definitiv auf den 20. Oktober — ich meine doch, daß dies ihr Geburtstag ist? — festgesetzt. Jch werde dann meine Ent- lassung nehmen und das erste Stockwerk des Schlosses beziehen, da Sie, Frau Mutter, muthmaßlich diese Räumlichkeiten, die Sie jetzt bewohnen, zu behalten wünschen. So werde ich warten, bis der alte Narr endlich einmal sein Entlassungsgesuch vom Todtengräber wirklich ausgefertigt bekommt, um dann die mir gebührende Stellung meiner Vorfahren einzunehmen.“ Es zuckte schmerzlich bei dieser sicheren Verfügung in dem Gesicht der Hörerin. Sie hatte eine Beschäftigung begonnen, die ihr erlaubte, sich abzuwenden, damit er den bitteren Ausdruck nicht ge- wahre, den seine Verfügung über ihr zwanzigjähriges Eigenthum um ihre Lippen hervorrief. Sie klammerte sich an die letzte Hoffnung, den Schlag, der sie bedrohte, so lange als möglich zu verschieben, und entgegnete scheinbar ruhig: „Jch glaube, daß Posthuma lieber im Frühling zu heirathen wünscht, und ich halte diese Verschiebung wegen der mannigfachen Vorbereitungen für wünschenswerther. Meine Tochter ist auch noch gar jung und bis jetzt in häuslichen Anordnungen wenig erfahren, so daß der Winter ihr in vielerlei Beziehung zu Gute kommen dürfte.“ Herr von Torwisch verzog keine Miene. „Sie werden uns ja das Vergnügen erweisen, bei uns zu bleiben, Frau Mutter“, versetzte er trocken, „und Jhre Unterweisungen werden meiner Frau ebenso zu Statten kommen, wie meiner Braut. Außer- dem halte ich es für gut, wenn Posthuma sobald als möglich durch andere Verpflichtungen von der für ihren Stand und ihre Zukunft ganz unpassenden Gewohnheit des Umherschweifens auf dem Meer und unter bildungslosen Menschen fern gehalten wird. Jch habe zu meinem Bedauern bei Jhnen vergeblich auf Abstellung dieser kindi- schen Laune zu wirken versucht.“ Das Gesicht der Baronin röthete sich bei den letzten Worten. „Meine Tochter ist einem natürlichen Antriebe, mit ihren Ver- wandten zu verkehren, gefolgt, und ich habe sie nicht darin behindert“, erwiderte sie. „Aber es sind nicht meine Verwandten und werden auch nicht die meiner Frau mehr sein“, versetzte Herr von Torwisch phlegmatisch. Die Baronin stand auf und trat ans Fenster. „Das ist Posthuma's Sache“, sagte sie abbrechend. „Sie wird im Herbst mündig und mag dann über Alles und über die Hochzeit selbst bestimmen, wie sie will.“ Herr von Torwisch hatte sich ebenfalls langsam erhoben. „Gewiß“, versetzte er gleichgültig, „so weit dies den Bestimmun- gen meines seligen Herrn Oheims nicht zuwider läuft. Wir leben in keinem Sklavereistaat“, fügte er, die Mundwinkel zu einem matten Lachen herabzerrend, bei, „sie kann über ihre Person frei verfügen, und ich nehme an, daß sie dies zu thun gedenkt, wenn sie die Hoch- zeit später als an dem von meinem Herrn Oheim festgesetzten Termin anberaumen sollte. Jch würde dann zu meinem Bedauern darauf verzichten müssen, den Lieblingswunsch desselben in Erfüllung gehen zu sehen, und könnte mich nur dadurch beruhigen, seinem Willen ge- mäß seinen anderweitigen Verfügungen Genüge zu leisten, so schmerzlich es mir auch sein würde —“ „Auf die Hälfte des Vermögens verzichten zu müssen“, ergänzte die Baronin leise vor sich hin. Sie und ihre Tochter waren erbar- mungslos in seiner Hand, sie fühlte es, und nur seine Habsucht, das Ganze zu erbeuten, trieb ihn überhaupt zu dieser Drohung an. Sie fühlte, daß sie am ganzen Leibe zitterte, daß sie kein Wort hervor-

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 11. Berlin, 15. März 1868, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt11_1868/2>, abgerufen am 01.06.2024.