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Sonntags-Blatt. Nr. 11. Berlin, 15. März 1868.

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[Beginn Spaltensatz] beladen über den Moosteppich hin. Sonst war es todtenstill auf
Land und Meer, nur ein heller, lang hinjubelnder Schlag kam aus
den Wipfeln des Birnbaums, in dem die Frucht der Lenzesblüthe zu
reifen begann; aber es war nicht mehr die Drossel, es war die
Nachtigall.

Das Moos lag in tiefem, schweigendem Schatten; langsam, Linie
um Linie, zog von der Lichtung der silberne Streifen des höher stei-
genden Mondes heran. Er schien zu zögern, endlich küßte er schüch-
tern den Gewandsaum Posthuma's und stieg allmälig über ihre
regungslose Gestalt empor. Sie lag, gleichmäßig tief aufathmend,
mit geschlossenen Augen, die Lippe an der des Jugendfreundes hängend.
Nun fuhr sie erschreckt auf und sah verwirrt umher, denn das Mond-
licht trat über ihre Stirn. Jhr Gesicht brannte, ein seltsames Feuer
zitterte in ihren Augen. Sie warf einen Blick nach dem Himmel,
dann beugte sie sich hastig wieder zu ihrem Gefährten nieder.

"Paul, es ist spät; ich muß fort, Paul", flüsterte sie ihm heimlich
ins Ohr. Er öffnete träumerisch die Augen und bedeckte ihre Hand,
ihren Nacken, ihre Lippe mit Küssen. Dann sprang er auf, und sie
hängte sich an seinen Arm.

"Willst Du jetzt mit auf die See fahren?" fragte er, noch immer
wie im Traum lächelnd.

Sie barg die glühende Stirn an seiner Brnst.

"Morgen", antwortete sie; "Mama weiß sonst nicht, wo ich bleibe,
und sucht mich."

Sie gingen den Deichabhang hinan; er trug sie fast, denn sie
legte sich auf ihn, als ob die Füße ihr versagten und sie sich auf seine
Stärke verlasse. Auch der Seewind hatte sich gelegt; die Flut stand
auf der Höhe und begann leise zurück zu ebben. Einige Minuten
blieben sie noch, sich umschlungen haltend, auf dem Deich stehn und
blickten, Wange an Wange, auf die weite, mondbestrahlte Fläche hin-
aus; dann machte Posthuma sich liebreich aus seinen Armen los.

"Geh jetzt, Paul, geh", bat sie; "aber komm früh morgen, ich
zähle die Minuten, wenn es zu dämmern anfängt."

Er antwortete nur:

"Paula, liebes Mädchen"! und küßte sie zum Abschied. Sie
erröthete bei dem letzten Wort bis an den Nacken hinab und lehnte
sich, den Kopf hin und her wiegend, noch einmal an seine Schulter.

"Was für Kinder waren wir noch vor einer Stunde", sagte sie
leise, "wir wollten Bruder und Schwester sein --" Sie brach
lachend ab.

"Was soll nur werden?" fragte Paul jetzt plötzlich wie sich besinnend.

"Werden?" wiederholte sie, ihn erstaunt anblickend. "Wir leben
drüben bis ans Ende, wie wir es vorhin besprochen; nur die Schwester
kommt nicht mit", setzte sie ausgelassen hinzu.

"Und Deine Mutter -- Dein Vetter, den Du heirathen solltest,
Paula?"

[Spaltenumbruch]

"Das geht ja nicht mehr", entgegnete sie kurz, "und damit ist es
gut". Sie legte einen Augenblick nachdenklich die Stirn in die Hand.
"Das findet sich Alles", sagte sie aufblickend, "und wenn gar nichts
Anderes bleibt, so gehen wir hinüber wie wir sind, und ich sage zur
Muhme und zum Onkel: Hier ist eine Frau, die nicht Baronin Tor-
wisch und Amtmännin werden wollte, sondern Paula Steen ist und
bleiben will, wie sie es von jeher gewesen". Sie lachte ihm fröhlich
dabei ins nachdenkliche Gesicht. "Das hat noch Zeit", fuhr sie un-
bekümmert fort, "bis zu meinem Geburtstag können wir warten und
sehen, ob sich nichts ändert, und dann sagen wir dem Vetter, daß er
um ein Paar Monate, und im Grunde um zwanzig Jahre zu spät
gekommen, denn so lange gehörte ich schon Paul Steen und Paul
Steen mir, obgleich wir Beide es erst heut Abend erfahren."

Auch von der Stirn des jungen Mannes verschwanden unter dem
sorglosen Klang der Worte die Schatten, die einen Moment darüber
hingeflogen. Er umschloß die Geliebte innig mit den kraftvollen
Armen und küßte sie blitzgeschwind auf Augen und Lippen. Dann
war er fort und rief aus dem Kahn: "Auf morgen!" zurück und ver-
schwand in dem goldenen Streifen, den der Mond über die zitternde
Flut hinspiegelte.

Posthuma streckte die Arme aus, als bereuten sie zu spät, den
Flüchtling selbst entlassen zu haben. Sie winkte, bis der Kahn un-
deutlicher wurde und allmälig in dem silbernen Reflex verschwamm.
Dann sah sie noch die Funken, die glänzend von den Rudern sprühten,
und horchte auf den Schlag derselben, der lang durch die stille Nacht
herüber kam, bis er sich mit dem leisen Gesang der Wellen vermischte
und murmelnd in der Ferne erstarb. Sie dachte nicht mehr an die
Mutter, welche ihrer harren mußte; Anderes dachte sie, so lange bis
ihre Brust zu glühen und ihr Herz zu klopfen begann, daß sie mit
zitternder Hand hastig ihr Kleid aufriß und Beides dem kühlenden Nacht-
hauch preisgab. Dann war der letzte, ferne, grüßende Laut verklun-
gen, und sie wandte sich, um zum Schloß hinauf zu gehen. Langsam
stieg sie den Deichabhang nieder, die Nachtigall schlug noch immer,
und wie sie den Weg zurückschritt, den sie eine Viertelstunde zuvor
an der Brust des Jugendfreundes herauf gekommen, vergaß sie das
Schloß, wie sie die Mutter, die Welt und sich selbst vergessen. Un-
widerstehlich zog es sie an den Baum zurück, auf das Moos, wo sie
zusammen geruht. Sie kniete nieder und bedeckte das Gesicht mit
den Händen, dann legte sie gedankenmüde den Kopf auf das weiche
Lager. Sorgsam suchte sie die Stelle, auf der Pauls Schläfe einen
leichten Eindruck hinterlassen, und legte die Wange in diesen hinein.
Jhre Glieder bewegten sich noch eine Weile im Halbschlaf, und die
Lippen flüsterten und lächelten mondbeglänzt selige Traumgedanken zu
dem unermüdlichen Hochzeitsliede der Nachtigall.

( Fortsetzung folgt. )

[Ende Spaltensatz]

Album.
[Beginn Spaltensatz]
Scheiden.
Jch hätt' es nimmermehr gedacht,
Daß es das Herz so traurig macht,
Von seinem Lieb zu scheiden.
Das Herz, es ist ein kleines Haus,
Bald Glück, bald Leid fliegt ein und aus,
Ein offner Käfig Beiden.
Grau ist das arme Vöglein Leid,
Das Glück, es trägt ein golden Kleid,
[Spaltenumbruch] Hellglänzendes Gefieder.
Das Glück fliegt auf zum Sonnenlicht,
Tief unten, wo der Dorn es sticht,
Läßt still das Leid sich nieder.
Mir hatt' mit hellem Jubellaut
Das Vöglein Glück ins Herz geschaut --
Nun ist er mir verflogen;
Jetzt zieht ein Schiff durchs Lebensmeer,
Darein steh' ich, und nebenher
Kommt grau das Leid gezogen.
Carl Ergmann.
[Ende Spaltensatz]

Aus der Zeit.
[Beginn Spaltensatz]
Politik, Literatur, Handel und Ackerbau im Königreich
Griechenland.

Nach einem Artikel der Saturday Review.
( Fortsetzung. )

Die moderne griechische Literatur kann sich verschiedener vorzüglicher
Werke rühmen. Es ist nicht nöthig, die Herausgabe der Briefe des Pho-
tius und die Untersuchung der Homerischen Streitfrage von Mr. John
Baletta hier zu erwähnen, da diese Werke in England veröffentlicht worden
sind. Bemerkenswerth ist es jedoch, daß mehrere Werke im Ausland und
in fremden Sprachen von Gelehrten herausgegeben wurden, die vollständig
fähig sind, sowohl ihre alte als ihre neue Sprache zu schreiben. Die
Storia delle Isole Jonie sotto il Reggimento dei Reipubblicani Fran-
cesi
von Graf Lunzi von Zante ist nur italienisch erschienen, obgleich der
[Spaltenumbruch] erste Band "Ueber die politischen Zustände der Jonischen Jnseln unter
der venetianischen Herrschaft" in Athen 1856 griechisch erschien, ehe es in
einer verbesserten italienischen Uebersetzung ( 1858 ) herauskam. Vor wenigen
Monaten gab ein in Athen lebender gelehrter Grieche aus Kreta ein
interessantes Werk über Homer in französischer Sprache heraus: Topo-
graphie et Plan Strategique de l'Iliade, par M. G. Nicolaides
. Ein
junger Grieche, Konstantin Sathas, hat sich durch seine historischen Unter-
suchungen ausgezeichnet. Er hat zwei Bände herausgegeben, welche viel-
versprechend für die Zukunft sind. Sein erstes Werk war die Herausgabe
einer inedirten Chronik von Galaxidi, die an und für sich von keinem
großen Werth ist, aber von ihm mit scharfsinnigen Anmerkungen versehen
wurde. Seine zweite Veröffentlichung besteht in einer Sammlung von
unedirten Gedichten, in welchen sich einige merkwürdige Notizen über die
griechischen Söldner finden, die in Jtalien unter dem Namen der Stra-
dioten dienten. Dieses Werk wurde auf Kosten der griechischen Regierung
herausgegeben. Die Griechen haben im Allgemeinen das Studium ihrer
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] beladen über den Moosteppich hin. Sonst war es todtenstill auf
Land und Meer, nur ein heller, lang hinjubelnder Schlag kam aus
den Wipfeln des Birnbaums, in dem die Frucht der Lenzesblüthe zu
reifen begann; aber es war nicht mehr die Drossel, es war die
Nachtigall.

Das Moos lag in tiefem, schweigendem Schatten; langsam, Linie
um Linie, zog von der Lichtung der silberne Streifen des höher stei-
genden Mondes heran. Er schien zu zögern, endlich küßte er schüch-
tern den Gewandsaum Posthuma's und stieg allmälig über ihre
regungslose Gestalt empor. Sie lag, gleichmäßig tief aufathmend,
mit geschlossenen Augen, die Lippe an der des Jugendfreundes hängend.
Nun fuhr sie erschreckt auf und sah verwirrt umher, denn das Mond-
licht trat über ihre Stirn. Jhr Gesicht brannte, ein seltsames Feuer
zitterte in ihren Augen. Sie warf einen Blick nach dem Himmel,
dann beugte sie sich hastig wieder zu ihrem Gefährten nieder.

„Paul, es ist spät; ich muß fort, Paul“, flüsterte sie ihm heimlich
ins Ohr. Er öffnete träumerisch die Augen und bedeckte ihre Hand,
ihren Nacken, ihre Lippe mit Küssen. Dann sprang er auf, und sie
hängte sich an seinen Arm.

„Willst Du jetzt mit auf die See fahren?“ fragte er, noch immer
wie im Traum lächelnd.

Sie barg die glühende Stirn an seiner Brnst.

„Morgen“, antwortete sie; „Mama weiß sonst nicht, wo ich bleibe,
und sucht mich.“

Sie gingen den Deichabhang hinan; er trug sie fast, denn sie
legte sich auf ihn, als ob die Füße ihr versagten und sie sich auf seine
Stärke verlasse. Auch der Seewind hatte sich gelegt; die Flut stand
auf der Höhe und begann leise zurück zu ebben. Einige Minuten
blieben sie noch, sich umschlungen haltend, auf dem Deich stehn und
blickten, Wange an Wange, auf die weite, mondbestrahlte Fläche hin-
aus; dann machte Posthuma sich liebreich aus seinen Armen los.

„Geh jetzt, Paul, geh“, bat sie; „aber komm früh morgen, ich
zähle die Minuten, wenn es zu dämmern anfängt.“

Er antwortete nur:

„Paula, liebes Mädchen“! und küßte sie zum Abschied. Sie
erröthete bei dem letzten Wort bis an den Nacken hinab und lehnte
sich, den Kopf hin und her wiegend, noch einmal an seine Schulter.

„Was für Kinder waren wir noch vor einer Stunde“, sagte sie
leise, „wir wollten Bruder und Schwester sein —“ Sie brach
lachend ab.

„Was soll nur werden?“ fragte Paul jetzt plötzlich wie sich besinnend.

„Werden?“ wiederholte sie, ihn erstaunt anblickend. „Wir leben
drüben bis ans Ende, wie wir es vorhin besprochen; nur die Schwester
kommt nicht mit“, setzte sie ausgelassen hinzu.

„Und Deine Mutter — Dein Vetter, den Du heirathen solltest,
Paula?“

[Spaltenumbruch]

„Das geht ja nicht mehr“, entgegnete sie kurz, „und damit ist es
gut“. Sie legte einen Augenblick nachdenklich die Stirn in die Hand.
„Das findet sich Alles“, sagte sie aufblickend, „und wenn gar nichts
Anderes bleibt, so gehen wir hinüber wie wir sind, und ich sage zur
Muhme und zum Onkel: Hier ist eine Frau, die nicht Baronin Tor-
wisch und Amtmännin werden wollte, sondern Paula Steen ist und
bleiben will, wie sie es von jeher gewesen“. Sie lachte ihm fröhlich
dabei ins nachdenkliche Gesicht. „Das hat noch Zeit“, fuhr sie un-
bekümmert fort, „bis zu meinem Geburtstag können wir warten und
sehen, ob sich nichts ändert, und dann sagen wir dem Vetter, daß er
um ein Paar Monate, und im Grunde um zwanzig Jahre zu spät
gekommen, denn so lange gehörte ich schon Paul Steen und Paul
Steen mir, obgleich wir Beide es erst heut Abend erfahren.“

Auch von der Stirn des jungen Mannes verschwanden unter dem
sorglosen Klang der Worte die Schatten, die einen Moment darüber
hingeflogen. Er umschloß die Geliebte innig mit den kraftvollen
Armen und küßte sie blitzgeschwind auf Augen und Lippen. Dann
war er fort und rief aus dem Kahn: „Auf morgen!“ zurück und ver-
schwand in dem goldenen Streifen, den der Mond über die zitternde
Flut hinspiegelte.

Posthuma streckte die Arme aus, als bereuten sie zu spät, den
Flüchtling selbst entlassen zu haben. Sie winkte, bis der Kahn un-
deutlicher wurde und allmälig in dem silbernen Reflex verschwamm.
Dann sah sie noch die Funken, die glänzend von den Rudern sprühten,
und horchte auf den Schlag derselben, der lang durch die stille Nacht
herüber kam, bis er sich mit dem leisen Gesang der Wellen vermischte
und murmelnd in der Ferne erstarb. Sie dachte nicht mehr an die
Mutter, welche ihrer harren mußte; Anderes dachte sie, so lange bis
ihre Brust zu glühen und ihr Herz zu klopfen begann, daß sie mit
zitternder Hand hastig ihr Kleid aufriß und Beides dem kühlenden Nacht-
hauch preisgab. Dann war der letzte, ferne, grüßende Laut verklun-
gen, und sie wandte sich, um zum Schloß hinauf zu gehen. Langsam
stieg sie den Deichabhang nieder, die Nachtigall schlug noch immer,
und wie sie den Weg zurückschritt, den sie eine Viertelstunde zuvor
an der Brust des Jugendfreundes herauf gekommen, vergaß sie das
Schloß, wie sie die Mutter, die Welt und sich selbst vergessen. Un-
widerstehlich zog es sie an den Baum zurück, auf das Moos, wo sie
zusammen geruht. Sie kniete nieder und bedeckte das Gesicht mit
den Händen, dann legte sie gedankenmüde den Kopf auf das weiche
Lager. Sorgsam suchte sie die Stelle, auf der Pauls Schläfe einen
leichten Eindruck hinterlassen, und legte die Wange in diesen hinein.
Jhre Glieder bewegten sich noch eine Weile im Halbschlaf, und die
Lippen flüsterten und lächelten mondbeglänzt selige Traumgedanken zu
dem unermüdlichen Hochzeitsliede der Nachtigall.

( Fortsetzung folgt. )

[Ende Spaltensatz]

Album.
[Beginn Spaltensatz]
Scheiden.
Jch hätt' es nimmermehr gedacht,
Daß es das Herz so traurig macht,
Von seinem Lieb zu scheiden.
Das Herz, es ist ein kleines Haus,
Bald Glück, bald Leid fliegt ein und aus,
Ein offner Käfig Beiden.
Grau ist das arme Vöglein Leid,
Das Glück, es trägt ein golden Kleid,
[Spaltenumbruch] Hellglänzendes Gefieder.
Das Glück fliegt auf zum Sonnenlicht,
Tief unten, wo der Dorn es sticht,
Läßt still das Leid sich nieder.
Mir hatt' mit hellem Jubellaut
Das Vöglein Glück ins Herz geschaut —
Nun ist er mir verflogen;
Jetzt zieht ein Schiff durchs Lebensmeer,
Darein steh' ich, und nebenher
Kommt grau das Leid gezogen.
Carl Ergmann.
[Ende Spaltensatz]

Aus der Zeit.
[Beginn Spaltensatz]
Politik, Literatur, Handel und Ackerbau im Königreich
Griechenland.

Nach einem Artikel der Saturday Review.
( Fortsetzung. )

Die moderne griechische Literatur kann sich verschiedener vorzüglicher
Werke rühmen. Es ist nicht nöthig, die Herausgabe der Briefe des Pho-
tius und die Untersuchung der Homerischen Streitfrage von Mr. John
Baletta hier zu erwähnen, da diese Werke in England veröffentlicht worden
sind. Bemerkenswerth ist es jedoch, daß mehrere Werke im Ausland und
in fremden Sprachen von Gelehrten herausgegeben wurden, die vollständig
fähig sind, sowohl ihre alte als ihre neue Sprache zu schreiben. Die
Storia delle Isole Jonie sotto il Reggimento dei Reipubblicani Fran-
cesi
von Graf Lunzi von Zante ist nur italienisch erschienen, obgleich der
[Spaltenumbruch] erste Band „Ueber die politischen Zustände der Jonischen Jnseln unter
der venetianischen Herrschaft“ in Athen 1856 griechisch erschien, ehe es in
einer verbesserten italienischen Uebersetzung ( 1858 ) herauskam. Vor wenigen
Monaten gab ein in Athen lebender gelehrter Grieche aus Kreta ein
interessantes Werk über Homer in französischer Sprache heraus: Topo-
graphie et Plan Stratégique de l'Iliade, par M. G. Nicolaïdes
. Ein
junger Grieche, Konstantin Sathas, hat sich durch seine historischen Unter-
suchungen ausgezeichnet. Er hat zwei Bände herausgegeben, welche viel-
versprechend für die Zukunft sind. Sein erstes Werk war die Herausgabe
einer inedirten Chronik von Galaxidi, die an und für sich von keinem
großen Werth ist, aber von ihm mit scharfsinnigen Anmerkungen versehen
wurde. Seine zweite Veröffentlichung besteht in einer Sammlung von
unedirten Gedichten, in welchen sich einige merkwürdige Notizen über die
griechischen Söldner finden, die in Jtalien unter dem Namen der Stra-
dioten dienten. Dieses Werk wurde auf Kosten der griechischen Regierung
herausgegeben. Die Griechen haben im Allgemeinen das Studium ihrer
[Ende Spaltensatz]

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[84/0004] 84 beladen über den Moosteppich hin. Sonst war es todtenstill auf Land und Meer, nur ein heller, lang hinjubelnder Schlag kam aus den Wipfeln des Birnbaums, in dem die Frucht der Lenzesblüthe zu reifen begann; aber es war nicht mehr die Drossel, es war die Nachtigall. Das Moos lag in tiefem, schweigendem Schatten; langsam, Linie um Linie, zog von der Lichtung der silberne Streifen des höher stei- genden Mondes heran. Er schien zu zögern, endlich küßte er schüch- tern den Gewandsaum Posthuma's und stieg allmälig über ihre regungslose Gestalt empor. Sie lag, gleichmäßig tief aufathmend, mit geschlossenen Augen, die Lippe an der des Jugendfreundes hängend. Nun fuhr sie erschreckt auf und sah verwirrt umher, denn das Mond- licht trat über ihre Stirn. Jhr Gesicht brannte, ein seltsames Feuer zitterte in ihren Augen. Sie warf einen Blick nach dem Himmel, dann beugte sie sich hastig wieder zu ihrem Gefährten nieder. „Paul, es ist spät; ich muß fort, Paul“, flüsterte sie ihm heimlich ins Ohr. Er öffnete träumerisch die Augen und bedeckte ihre Hand, ihren Nacken, ihre Lippe mit Küssen. Dann sprang er auf, und sie hängte sich an seinen Arm. „Willst Du jetzt mit auf die See fahren?“ fragte er, noch immer wie im Traum lächelnd. Sie barg die glühende Stirn an seiner Brnst. „Morgen“, antwortete sie; „Mama weiß sonst nicht, wo ich bleibe, und sucht mich.“ Sie gingen den Deichabhang hinan; er trug sie fast, denn sie legte sich auf ihn, als ob die Füße ihr versagten und sie sich auf seine Stärke verlasse. Auch der Seewind hatte sich gelegt; die Flut stand auf der Höhe und begann leise zurück zu ebben. Einige Minuten blieben sie noch, sich umschlungen haltend, auf dem Deich stehn und blickten, Wange an Wange, auf die weite, mondbestrahlte Fläche hin- aus; dann machte Posthuma sich liebreich aus seinen Armen los. „Geh jetzt, Paul, geh“, bat sie; „aber komm früh morgen, ich zähle die Minuten, wenn es zu dämmern anfängt.“ Er antwortete nur: „Paula, liebes Mädchen“! und küßte sie zum Abschied. Sie erröthete bei dem letzten Wort bis an den Nacken hinab und lehnte sich, den Kopf hin und her wiegend, noch einmal an seine Schulter. „Was für Kinder waren wir noch vor einer Stunde“, sagte sie leise, „wir wollten Bruder und Schwester sein —“ Sie brach lachend ab. „Was soll nur werden?“ fragte Paul jetzt plötzlich wie sich besinnend. „Werden?“ wiederholte sie, ihn erstaunt anblickend. „Wir leben drüben bis ans Ende, wie wir es vorhin besprochen; nur die Schwester kommt nicht mit“, setzte sie ausgelassen hinzu. „Und Deine Mutter — Dein Vetter, den Du heirathen solltest, Paula?“ „Das geht ja nicht mehr“, entgegnete sie kurz, „und damit ist es gut“. Sie legte einen Augenblick nachdenklich die Stirn in die Hand. „Das findet sich Alles“, sagte sie aufblickend, „und wenn gar nichts Anderes bleibt, so gehen wir hinüber wie wir sind, und ich sage zur Muhme und zum Onkel: Hier ist eine Frau, die nicht Baronin Tor- wisch und Amtmännin werden wollte, sondern Paula Steen ist und bleiben will, wie sie es von jeher gewesen“. Sie lachte ihm fröhlich dabei ins nachdenkliche Gesicht. „Das hat noch Zeit“, fuhr sie un- bekümmert fort, „bis zu meinem Geburtstag können wir warten und sehen, ob sich nichts ändert, und dann sagen wir dem Vetter, daß er um ein Paar Monate, und im Grunde um zwanzig Jahre zu spät gekommen, denn so lange gehörte ich schon Paul Steen und Paul Steen mir, obgleich wir Beide es erst heut Abend erfahren.“ Auch von der Stirn des jungen Mannes verschwanden unter dem sorglosen Klang der Worte die Schatten, die einen Moment darüber hingeflogen. Er umschloß die Geliebte innig mit den kraftvollen Armen und küßte sie blitzgeschwind auf Augen und Lippen. Dann war er fort und rief aus dem Kahn: „Auf morgen!“ zurück und ver- schwand in dem goldenen Streifen, den der Mond über die zitternde Flut hinspiegelte. Posthuma streckte die Arme aus, als bereuten sie zu spät, den Flüchtling selbst entlassen zu haben. Sie winkte, bis der Kahn un- deutlicher wurde und allmälig in dem silbernen Reflex verschwamm. Dann sah sie noch die Funken, die glänzend von den Rudern sprühten, und horchte auf den Schlag derselben, der lang durch die stille Nacht herüber kam, bis er sich mit dem leisen Gesang der Wellen vermischte und murmelnd in der Ferne erstarb. Sie dachte nicht mehr an die Mutter, welche ihrer harren mußte; Anderes dachte sie, so lange bis ihre Brust zu glühen und ihr Herz zu klopfen begann, daß sie mit zitternder Hand hastig ihr Kleid aufriß und Beides dem kühlenden Nacht- hauch preisgab. Dann war der letzte, ferne, grüßende Laut verklun- gen, und sie wandte sich, um zum Schloß hinauf zu gehen. Langsam stieg sie den Deichabhang nieder, die Nachtigall schlug noch immer, und wie sie den Weg zurückschritt, den sie eine Viertelstunde zuvor an der Brust des Jugendfreundes herauf gekommen, vergaß sie das Schloß, wie sie die Mutter, die Welt und sich selbst vergessen. Un- widerstehlich zog es sie an den Baum zurück, auf das Moos, wo sie zusammen geruht. Sie kniete nieder und bedeckte das Gesicht mit den Händen, dann legte sie gedankenmüde den Kopf auf das weiche Lager. Sorgsam suchte sie die Stelle, auf der Pauls Schläfe einen leichten Eindruck hinterlassen, und legte die Wange in diesen hinein. Jhre Glieder bewegten sich noch eine Weile im Halbschlaf, und die Lippen flüsterten und lächelten mondbeglänzt selige Traumgedanken zu dem unermüdlichen Hochzeitsliede der Nachtigall. ( Fortsetzung folgt. ) Album. Scheiden. Jch hätt' es nimmermehr gedacht, Daß es das Herz so traurig macht, Von seinem Lieb zu scheiden. Das Herz, es ist ein kleines Haus, Bald Glück, bald Leid fliegt ein und aus, Ein offner Käfig Beiden. Grau ist das arme Vöglein Leid, Das Glück, es trägt ein golden Kleid, Hellglänzendes Gefieder. Das Glück fliegt auf zum Sonnenlicht, Tief unten, wo der Dorn es sticht, Läßt still das Leid sich nieder. Mir hatt' mit hellem Jubellaut Das Vöglein Glück ins Herz geschaut — Nun ist er mir verflogen; Jetzt zieht ein Schiff durchs Lebensmeer, Darein steh' ich, und nebenher Kommt grau das Leid gezogen. Carl Ergmann. Aus der Zeit. Politik, Literatur, Handel und Ackerbau im Königreich Griechenland. Nach einem Artikel der Saturday Review. ( Fortsetzung. ) Die moderne griechische Literatur kann sich verschiedener vorzüglicher Werke rühmen. Es ist nicht nöthig, die Herausgabe der Briefe des Pho- tius und die Untersuchung der Homerischen Streitfrage von Mr. John Baletta hier zu erwähnen, da diese Werke in England veröffentlicht worden sind. Bemerkenswerth ist es jedoch, daß mehrere Werke im Ausland und in fremden Sprachen von Gelehrten herausgegeben wurden, die vollständig fähig sind, sowohl ihre alte als ihre neue Sprache zu schreiben. Die Storia delle Isole Jonie sotto il Reggimento dei Reipubblicani Fran- cesi von Graf Lunzi von Zante ist nur italienisch erschienen, obgleich der erste Band „Ueber die politischen Zustände der Jonischen Jnseln unter der venetianischen Herrschaft“ in Athen 1856 griechisch erschien, ehe es in einer verbesserten italienischen Uebersetzung ( 1858 ) herauskam. Vor wenigen Monaten gab ein in Athen lebender gelehrter Grieche aus Kreta ein interessantes Werk über Homer in französischer Sprache heraus: Topo- graphie et Plan Stratégique de l'Iliade, par M. G. Nicolaïdes. Ein junger Grieche, Konstantin Sathas, hat sich durch seine historischen Unter- suchungen ausgezeichnet. Er hat zwei Bände herausgegeben, welche viel- versprechend für die Zukunft sind. Sein erstes Werk war die Herausgabe einer inedirten Chronik von Galaxidi, die an und für sich von keinem großen Werth ist, aber von ihm mit scharfsinnigen Anmerkungen versehen wurde. Seine zweite Veröffentlichung besteht in einer Sammlung von unedirten Gedichten, in welchen sich einige merkwürdige Notizen über die griechischen Söldner finden, die in Jtalien unter dem Namen der Stra- dioten dienten. Dieses Werk wurde auf Kosten der griechischen Regierung herausgegeben. Die Griechen haben im Allgemeinen das Studium ihrer

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Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 11. Berlin, 15. März 1868, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt11_1868/4>, abgerufen am 01.06.2024.