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Sonntags-Blatt. Nr. 18. Berlin, 3. Mai 1868.

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[Beginn Spaltensatz]

"Vater, Jhr wißt, ich heirathe nur Gertrud, sonst Keine; nicht nur
weil ich es geschworen, auch weil ich keine Andere je so lieb haben
und hochhalten könnte wie sie. Meine Gefühle für sie sind noch
ganz dieselben, wie damals, deßhalb kann ich noch nicht zur Heimath
zurückkehren. Gott mag Euch noch lange frisch und gesund erhalten,
Vater, und damit die Mühsal mit der Wirthschaft Euch nicht zu viel
werde, nehmt doch junge Kräfte an zur Hülfe."

"Der Trotzkopf! Seinem alten Vater nicht einmal den einzigen
Wunsch zu erfüllen!" brummte der Alte, in der echten Selbstsucht
eines engen, eigensinnigen Herzens nur seiner Wünsche gedenkend;
im höchsten Grimm zerknitterte er den Brief, und es blieb der einzige,
den er je dem Sohne geschrieben.



Viermal schon hatten die Rosen in der Heimath geblüht, seit
Ewald gegangen; vier lange Jahre -- wie endlos lang der armen,
einsamen Gertrud erscheinend, waren dahingeschlichen, seit er von ihr
geschieden.

Es war im Jahre 1866, als die dräuenden Kriegswolken am
Horizont des Vaterlandes heraufzogen, als bange Gerüchte die Ge-
müther zu beängstigen begannen, dann widerlegt wurden durch neue
Friedenshoffnungen, und doch immer von Neuem und in festerer Ge-
stalt auftauchten. Jmmer bedenklicher ward die Lage des preußischen
Landes, bis es endlich nicht mehr zu unterdrücken war, daß ein ernster
blutiger Krieg bevorstehe.

Jm Dorfe und in den umliegenden Ortschaften begann ein reges
kriegerisches Leben, wie überall im Preußenlande. Die Aushebung
der jungen Burschen, die Wiedereinberufung der schon Gedienten ging
mit Energie und großer Schnelligkeit von statten. Hier und dort
gab es Murren und Wehklagen, besonders bei den verheiratheten
Männern und mehr noch bei deren Frauen; aber im Ganzen herrschte
auch hier, wie aller Orten, ein freudiger, muthiger Geist.

Die drohende Gefahr, die allgemeine Noth und Sorge drängte die
Einzelinteressen mehr und mehr in den Hintergrund. Der eigene Schmerz
kommt nie besser zum Schweigen, als in dem gemeinsamen Kummer
ringsumher. Gertrud, wenngleich niemals klagend oder dahinsiechend
in ihrem Herzeleid, zeigte sich doch rühriger und frischer, als seit langer
Zeit in dem Schaffen und Wirken für die Fortziehenden, in dem Aus-
üben derjenigen Liebesarbeiten, welche später den Verwundeten zum
Nutzen und zur Erleichterung dienen sollten.

Die beiden alten Bauern gingen sorgenschwer einher; sie wußten,
wenn auch nur aus der frühesten Kindheit, wie furchtbar die Kriegs-
furie wüthet. Mutter Beate war im Grunde weniger geängstigt, als
man hätte erwarten sollen, und es hatte seine guten Gründe. Wenn
sie die jungen Burschen truppweise aus dem Dorf und den nächsten
Ortschaften abziehen sah, dann hob sie im Stillen ihre Hände dankend
empor, oder sie sagte auch wohl zu Gertrud:

"Gott sei gelobt, daß ich unsern Ewald geborgen in Amerika
weiß; der zöge auch mit in den Krieg."

Und Gertrud hatte da mit ihrem stillen Lächeln erwidert:

"Muhme, wer hätte geglaubt, Jhr würdet Euch noch jemals mit
Amerika aussöhnen?"

Es war ein schöner, duftiger Abend im Mai, der leise zur Erde
herabsank -- zu der Erde, die still und friedlich in ihrem Frühlingskleide
dalag, und auf der es doch so viel Streit, Wirrniß und Angst gab.
Gertrud war draußen im Garten gewesen und hatte mit Staunen
gesehen, wie die Rosen schon so früh kamen und die Knospen un-
gewöhnlich reich ansetzten; blieben schädliche Nachtfröste aus, so mußte
es ein herrliches Rosenjahr werden. Jetzt saß sie noch im Zwielicht
in der Wohnstube; die Fenster waren geöffnet, Maienduft und den
süßen Hauch der Reseda, die schon im Garten blühte, einzulassen.
Des Mädchens fleißige Hände ruhten still im Schooß; zuweilen
gönnte sie sich eine solche Feierstunde, in der es ihr vorkam, als
könnten die Gedanken doch noch besser ihr Recht haben, als beim
thätigen Schaffen und emsigen Arbeiten.

Und diese Gedanken gingen immer den einen Weg, über Land
und Meer hin zu ihm, ihn umfassend und haltend mit der gleich
warmen Liebe, einer Liebe, so groß und rein in ihrer tiefen Stille,
wie sie nicht oft in ein Menschenherz sich senkt zum Niewieder-
erlöschen.

Draußen stieg der Mond herauf, Alles in seine Silberschleier
hüllend; dazu klagte eine Nachtigall im nahen knospenden Flieder-
gebüsch, von dem ab und zu ein leiser Duft daherwehte. Es
war eine wonnevolle Schönheit ringsum, von Gertrud tief empfun-
den; denn auch der heißeste Schmerz hatte nicht vermocht, sie gegen
die Reize und den versöhnenden Frieden der Natur abzustumpfen; zu
ihr flüchtete das einsame Mädchen oft, wenn das arme Herz mit
seinem Sehnen und Bangen nirgend Ruhe finden wollte, und sie war
ihr stets eine sänftigende Trösterin gewesen. So auch an diesem
Abend, dessen zaubervolle friedliche Stille beruhigend auf Gertrud
[Spaltenumbruch] wirkte. Wie herrlich es doch auf Erden ist! Ob es in dem fernen
Lande wohl halb so schön sein mochte?

Plötzlich verdunkelte ein Schatten das helle Mondlicht, welches
wie ein silberner Streifen auf dem Rasenstück vor dem Fenster ge-
legen. Gertrud schaute verwundert hin; ein Blick genügte ihr.

"Ewald! Heilige Mutter Gottes, es ist Ewald!" jubelte sie.

Er schwang sich durch das niedrige Fenster in die Stube, wie er
so oft als Knabe gethan. Sie lagen einander in den Armen, in
stillem, seligem Entzücken.

"Daß ich Dich noch einmal an meinem Herzen halte, Dich noch
einmal sehe, meine Gertrud, Du Einziggeliebte!" flüsterte Ewald im
Tone tiefster Zärtlichkeit. Jetzt hob er ihr Haupt empor, das an
seiner Brust ruhte, so fest und dicht, als sei dort seine Heimathstätte,
um ihr genau ins Antlitz zu schauen. Blasser war es, nicht mehr so
rund und rosig, wie früher; aber wie lieblich und anmuthig noch,
veredelt und durchgeistigt vom Hauch des Schmerzes, ihm so schön
erscheinend wie kein zweites auf der ganzen weiten Welt.

Und wie sie voll Stolz emporblickte zu dem hohen, stattlichen Mann,
als hätte sie seines Gleichen nie gesehen!

"Darum hast Du so lange nicht geschrieben, um uns die Herzens-
freude nun zu machen! Was führt Dich her, Ewald?"

Sein erst so leuchtender Blick wurde von einer leisen Trauer
umschattet; er zögerte mit der Antwort. Eine furchtbare Ahnung
glitt durch Gertruds Seele, und als spreche sie ein Todesurtheil, sagte
sie dumpf:

"Du bist heimgekehrt, um mit in den Krieg zu ziehen!"

Er neigte stumm das Haupt.

Ein Schauder schüttelte die Gestalt des Mädchens; ihr Antlitz
wurde blaß.

"Auch das noch!" seufzte sie.

"Meinst Du, ich könne zurückbleiben, wenn das Vaterland seine
Söhne ruft?"

"Jst das Vaterland wirklich in so großer Noth und Gefahr?"

"Nur das feste, einmüthige Zusammenstehen von Allen, das
muthige Vorgehen seines Heeres wird es erretten können von dem
schmachvollen Loose, welches man ihm bereiten will."

"Dann mußt Du auch mitziehen, Ewald, es zu vertheidigen."

Sie suchte mit Festigkeit zu sprechen; aber die Stimme zitterte,
und der gewaltige Schmerz wühlte doppelt heiß im Herzen nach der
kurzen Seligkeit, in der es aufgejauchzt.

"Gertrud, ich danke Dir, daß Du dem beigestimmt, was ich als
recht erkannt."



So überwältigt von Freude, so ganz aus sich herausgehend, hatte
Keiner den alten Ulmenhofer je gesehen, als da sein Sohn vor ihm
stand, "ein ganzer Mann", wie er sich ausdrückte.

"Herzensjunge, das ist das Gescheidteste, was Du je im Leben
gethan, heim zu kommen zu Deinem alten Vater! Jch meinte zuletzt
manchmal, ich würde Dein liebes Antlitz nicht mehr auf Erden
erschauen". Dabei strich der alte Bauer zwischen Weinen und Lachen
dem Sohne mit rauher aber rührender Zärtlichkeit über Haupt und
Gesicht. "Und wie schmuck und stattlich Du geworden bist! Es ist ja
die helle Freude, Dich anzusehen. Hast gewiß viel gelernt dort in der
Fremde? Siehst so klug aus, als wüßtest Du manches gute Neue; das
wollen wir uns zu Nutze machen hier auf dem Ulmenhof. Sollst
wirthschaften und regieren, als wärst Du schon der Herr."

Es fiel Ewald, gegenüber dieser aufrichtigen, warmen Freude, die
er nicht erwartet, wirklich schwer, den Zweck seines Kommens zu
erklären; endlich mußte es doch geschehen.

Der alte Bauer fuhr, wie von einem jähen Schlage getroffen,
zurück; alle Weichheit war mit einem Mal verschwunden, die rauhe
Seite wieder außen.

"Deßhalb bist Du wiedergekommen, nur deßhalb? Jch dacht', um
etwas ganz Anderes. Unsinn! Reiner Unsinn! Das Vaterland hat
genug Arme ohne Dich, jeden Feind zu schlagen. Du wirst es nicht
retten, und ohne Dich wird es auch nicht untergehen."

"Wenn Jeder so dächte, Vater --"

"Es braucht aber nicht Jeder so zu denken! Wär' eine ver-
wünschte Schlechtigkeit, wenn zum Beispiel einer der Soldaten so
dächte; Du aber bist frei, bist in aller gesetzlichen Form zum Dienst
untauglich erklärt."

"Wie das gekommen, wißt Jhr gewiß besser als ich, Vater. Mit
rechten Dingen ist es nicht zugegangen, daß mir der Arzt das latei-
nische Wort, welches, wie ich jetzt weiß, Herzfehler heißt, ins Attest schrieb.
Jch ließ es mir damals gefallen, weil ich in der Friedenszeit keine Lust
in mir verspürte, drei Jahre die bunte Jacke zu tragen und Soldat zu
spielen. Jetzt aber steht es anders. Das wär' kein echter deutscher
Mann, der, wenn sein Vaterland ihn ruft, nicht käme und Gut und
Blut dafür einsetzte! Sobald die erste Kunde von der Gefahr zu
uns drang, haben wir Alles verkauft und geordnet dort, und sind nun
hier, Christian und ich, und schon übermorgen müssen wir uns
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]

„Vater, Jhr wißt, ich heirathe nur Gertrud, sonst Keine; nicht nur
weil ich es geschworen, auch weil ich keine Andere je so lieb haben
und hochhalten könnte wie sie. Meine Gefühle für sie sind noch
ganz dieselben, wie damals, deßhalb kann ich noch nicht zur Heimath
zurückkehren. Gott mag Euch noch lange frisch und gesund erhalten,
Vater, und damit die Mühsal mit der Wirthschaft Euch nicht zu viel
werde, nehmt doch junge Kräfte an zur Hülfe.“

„Der Trotzkopf! Seinem alten Vater nicht einmal den einzigen
Wunsch zu erfüllen!“ brummte der Alte, in der echten Selbstsucht
eines engen, eigensinnigen Herzens nur seiner Wünsche gedenkend;
im höchsten Grimm zerknitterte er den Brief, und es blieb der einzige,
den er je dem Sohne geschrieben.



Viermal schon hatten die Rosen in der Heimath geblüht, seit
Ewald gegangen; vier lange Jahre — wie endlos lang der armen,
einsamen Gertrud erscheinend, waren dahingeschlichen, seit er von ihr
geschieden.

Es war im Jahre 1866, als die dräuenden Kriegswolken am
Horizont des Vaterlandes heraufzogen, als bange Gerüchte die Ge-
müther zu beängstigen begannen, dann widerlegt wurden durch neue
Friedenshoffnungen, und doch immer von Neuem und in festerer Ge-
stalt auftauchten. Jmmer bedenklicher ward die Lage des preußischen
Landes, bis es endlich nicht mehr zu unterdrücken war, daß ein ernster
blutiger Krieg bevorstehe.

Jm Dorfe und in den umliegenden Ortschaften begann ein reges
kriegerisches Leben, wie überall im Preußenlande. Die Aushebung
der jungen Burschen, die Wiedereinberufung der schon Gedienten ging
mit Energie und großer Schnelligkeit von statten. Hier und dort
gab es Murren und Wehklagen, besonders bei den verheiratheten
Männern und mehr noch bei deren Frauen; aber im Ganzen herrschte
auch hier, wie aller Orten, ein freudiger, muthiger Geist.

Die drohende Gefahr, die allgemeine Noth und Sorge drängte die
Einzelinteressen mehr und mehr in den Hintergrund. Der eigene Schmerz
kommt nie besser zum Schweigen, als in dem gemeinsamen Kummer
ringsumher. Gertrud, wenngleich niemals klagend oder dahinsiechend
in ihrem Herzeleid, zeigte sich doch rühriger und frischer, als seit langer
Zeit in dem Schaffen und Wirken für die Fortziehenden, in dem Aus-
üben derjenigen Liebesarbeiten, welche später den Verwundeten zum
Nutzen und zur Erleichterung dienen sollten.

Die beiden alten Bauern gingen sorgenschwer einher; sie wußten,
wenn auch nur aus der frühesten Kindheit, wie furchtbar die Kriegs-
furie wüthet. Mutter Beate war im Grunde weniger geängstigt, als
man hätte erwarten sollen, und es hatte seine guten Gründe. Wenn
sie die jungen Burschen truppweise aus dem Dorf und den nächsten
Ortschaften abziehen sah, dann hob sie im Stillen ihre Hände dankend
empor, oder sie sagte auch wohl zu Gertrud:

„Gott sei gelobt, daß ich unsern Ewald geborgen in Amerika
weiß; der zöge auch mit in den Krieg.“

Und Gertrud hatte da mit ihrem stillen Lächeln erwidert:

„Muhme, wer hätte geglaubt, Jhr würdet Euch noch jemals mit
Amerika aussöhnen?“

Es war ein schöner, duftiger Abend im Mai, der leise zur Erde
herabsank — zu der Erde, die still und friedlich in ihrem Frühlingskleide
dalag, und auf der es doch so viel Streit, Wirrniß und Angst gab.
Gertrud war draußen im Garten gewesen und hatte mit Staunen
gesehen, wie die Rosen schon so früh kamen und die Knospen un-
gewöhnlich reich ansetzten; blieben schädliche Nachtfröste aus, so mußte
es ein herrliches Rosenjahr werden. Jetzt saß sie noch im Zwielicht
in der Wohnstube; die Fenster waren geöffnet, Maienduft und den
süßen Hauch der Reseda, die schon im Garten blühte, einzulassen.
Des Mädchens fleißige Hände ruhten still im Schooß; zuweilen
gönnte sie sich eine solche Feierstunde, in der es ihr vorkam, als
könnten die Gedanken doch noch besser ihr Recht haben, als beim
thätigen Schaffen und emsigen Arbeiten.

Und diese Gedanken gingen immer den einen Weg, über Land
und Meer hin zu ihm, ihn umfassend und haltend mit der gleich
warmen Liebe, einer Liebe, so groß und rein in ihrer tiefen Stille,
wie sie nicht oft in ein Menschenherz sich senkt zum Niewieder-
erlöschen.

Draußen stieg der Mond herauf, Alles in seine Silberschleier
hüllend; dazu klagte eine Nachtigall im nahen knospenden Flieder-
gebüsch, von dem ab und zu ein leiser Duft daherwehte. Es
war eine wonnevolle Schönheit ringsum, von Gertrud tief empfun-
den; denn auch der heißeste Schmerz hatte nicht vermocht, sie gegen
die Reize und den versöhnenden Frieden der Natur abzustumpfen; zu
ihr flüchtete das einsame Mädchen oft, wenn das arme Herz mit
seinem Sehnen und Bangen nirgend Ruhe finden wollte, und sie war
ihr stets eine sänftigende Trösterin gewesen. So auch an diesem
Abend, dessen zaubervolle friedliche Stille beruhigend auf Gertrud
[Spaltenumbruch] wirkte. Wie herrlich es doch auf Erden ist! Ob es in dem fernen
Lande wohl halb so schön sein mochte?

Plötzlich verdunkelte ein Schatten das helle Mondlicht, welches
wie ein silberner Streifen auf dem Rasenstück vor dem Fenster ge-
legen. Gertrud schaute verwundert hin; ein Blick genügte ihr.

„Ewald! Heilige Mutter Gottes, es ist Ewald!“ jubelte sie.

Er schwang sich durch das niedrige Fenster in die Stube, wie er
so oft als Knabe gethan. Sie lagen einander in den Armen, in
stillem, seligem Entzücken.

„Daß ich Dich noch einmal an meinem Herzen halte, Dich noch
einmal sehe, meine Gertrud, Du Einziggeliebte!“ flüsterte Ewald im
Tone tiefster Zärtlichkeit. Jetzt hob er ihr Haupt empor, das an
seiner Brust ruhte, so fest und dicht, als sei dort seine Heimathstätte,
um ihr genau ins Antlitz zu schauen. Blasser war es, nicht mehr so
rund und rosig, wie früher; aber wie lieblich und anmuthig noch,
veredelt und durchgeistigt vom Hauch des Schmerzes, ihm so schön
erscheinend wie kein zweites auf der ganzen weiten Welt.

Und wie sie voll Stolz emporblickte zu dem hohen, stattlichen Mann,
als hätte sie seines Gleichen nie gesehen!

„Darum hast Du so lange nicht geschrieben, um uns die Herzens-
freude nun zu machen! Was führt Dich her, Ewald?“

Sein erst so leuchtender Blick wurde von einer leisen Trauer
umschattet; er zögerte mit der Antwort. Eine furchtbare Ahnung
glitt durch Gertruds Seele, und als spreche sie ein Todesurtheil, sagte
sie dumpf:

„Du bist heimgekehrt, um mit in den Krieg zu ziehen!“

Er neigte stumm das Haupt.

Ein Schauder schüttelte die Gestalt des Mädchens; ihr Antlitz
wurde blaß.

„Auch das noch!“ seufzte sie.

„Meinst Du, ich könne zurückbleiben, wenn das Vaterland seine
Söhne ruft?“

„Jst das Vaterland wirklich in so großer Noth und Gefahr?“

„Nur das feste, einmüthige Zusammenstehen von Allen, das
muthige Vorgehen seines Heeres wird es erretten können von dem
schmachvollen Loose, welches man ihm bereiten will.“

„Dann mußt Du auch mitziehen, Ewald, es zu vertheidigen.“

Sie suchte mit Festigkeit zu sprechen; aber die Stimme zitterte,
und der gewaltige Schmerz wühlte doppelt heiß im Herzen nach der
kurzen Seligkeit, in der es aufgejauchzt.

„Gertrud, ich danke Dir, daß Du dem beigestimmt, was ich als
recht erkannt.“



So überwältigt von Freude, so ganz aus sich herausgehend, hatte
Keiner den alten Ulmenhofer je gesehen, als da sein Sohn vor ihm
stand, „ein ganzer Mann“, wie er sich ausdrückte.

„Herzensjunge, das ist das Gescheidteste, was Du je im Leben
gethan, heim zu kommen zu Deinem alten Vater! Jch meinte zuletzt
manchmal, ich würde Dein liebes Antlitz nicht mehr auf Erden
erschauen“. Dabei strich der alte Bauer zwischen Weinen und Lachen
dem Sohne mit rauher aber rührender Zärtlichkeit über Haupt und
Gesicht. „Und wie schmuck und stattlich Du geworden bist! Es ist ja
die helle Freude, Dich anzusehen. Hast gewiß viel gelernt dort in der
Fremde? Siehst so klug aus, als wüßtest Du manches gute Neue; das
wollen wir uns zu Nutze machen hier auf dem Ulmenhof. Sollst
wirthschaften und regieren, als wärst Du schon der Herr.“

Es fiel Ewald, gegenüber dieser aufrichtigen, warmen Freude, die
er nicht erwartet, wirklich schwer, den Zweck seines Kommens zu
erklären; endlich mußte es doch geschehen.

Der alte Bauer fuhr, wie von einem jähen Schlage getroffen,
zurück; alle Weichheit war mit einem Mal verschwunden, die rauhe
Seite wieder außen.

„Deßhalb bist Du wiedergekommen, nur deßhalb? Jch dacht', um
etwas ganz Anderes. Unsinn! Reiner Unsinn! Das Vaterland hat
genug Arme ohne Dich, jeden Feind zu schlagen. Du wirst es nicht
retten, und ohne Dich wird es auch nicht untergehen.“

„Wenn Jeder so dächte, Vater —“

„Es braucht aber nicht Jeder so zu denken! Wär' eine ver-
wünschte Schlechtigkeit, wenn zum Beispiel einer der Soldaten so
dächte; Du aber bist frei, bist in aller gesetzlichen Form zum Dienst
untauglich erklärt.“

„Wie das gekommen, wißt Jhr gewiß besser als ich, Vater. Mit
rechten Dingen ist es nicht zugegangen, daß mir der Arzt das latei-
nische Wort, welches, wie ich jetzt weiß, Herzfehler heißt, ins Attest schrieb.
Jch ließ es mir damals gefallen, weil ich in der Friedenszeit keine Lust
in mir verspürte, drei Jahre die bunte Jacke zu tragen und Soldat zu
spielen. Jetzt aber steht es anders. Das wär' kein echter deutscher
Mann, der, wenn sein Vaterland ihn ruft, nicht käme und Gut und
Blut dafür einsetzte! Sobald die erste Kunde von der Gefahr zu
uns drang, haben wir Alles verkauft und geordnet dort, und sind nun
hier, Christian und ich, und schon übermorgen müssen wir uns
[Ende Spaltensatz]

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[138/0002] 138 „Vater, Jhr wißt, ich heirathe nur Gertrud, sonst Keine; nicht nur weil ich es geschworen, auch weil ich keine Andere je so lieb haben und hochhalten könnte wie sie. Meine Gefühle für sie sind noch ganz dieselben, wie damals, deßhalb kann ich noch nicht zur Heimath zurückkehren. Gott mag Euch noch lange frisch und gesund erhalten, Vater, und damit die Mühsal mit der Wirthschaft Euch nicht zu viel werde, nehmt doch junge Kräfte an zur Hülfe.“ „Der Trotzkopf! Seinem alten Vater nicht einmal den einzigen Wunsch zu erfüllen!“ brummte der Alte, in der echten Selbstsucht eines engen, eigensinnigen Herzens nur seiner Wünsche gedenkend; im höchsten Grimm zerknitterte er den Brief, und es blieb der einzige, den er je dem Sohne geschrieben. Viermal schon hatten die Rosen in der Heimath geblüht, seit Ewald gegangen; vier lange Jahre — wie endlos lang der armen, einsamen Gertrud erscheinend, waren dahingeschlichen, seit er von ihr geschieden. Es war im Jahre 1866, als die dräuenden Kriegswolken am Horizont des Vaterlandes heraufzogen, als bange Gerüchte die Ge- müther zu beängstigen begannen, dann widerlegt wurden durch neue Friedenshoffnungen, und doch immer von Neuem und in festerer Ge- stalt auftauchten. Jmmer bedenklicher ward die Lage des preußischen Landes, bis es endlich nicht mehr zu unterdrücken war, daß ein ernster blutiger Krieg bevorstehe. Jm Dorfe und in den umliegenden Ortschaften begann ein reges kriegerisches Leben, wie überall im Preußenlande. Die Aushebung der jungen Burschen, die Wiedereinberufung der schon Gedienten ging mit Energie und großer Schnelligkeit von statten. Hier und dort gab es Murren und Wehklagen, besonders bei den verheiratheten Männern und mehr noch bei deren Frauen; aber im Ganzen herrschte auch hier, wie aller Orten, ein freudiger, muthiger Geist. Die drohende Gefahr, die allgemeine Noth und Sorge drängte die Einzelinteressen mehr und mehr in den Hintergrund. Der eigene Schmerz kommt nie besser zum Schweigen, als in dem gemeinsamen Kummer ringsumher. Gertrud, wenngleich niemals klagend oder dahinsiechend in ihrem Herzeleid, zeigte sich doch rühriger und frischer, als seit langer Zeit in dem Schaffen und Wirken für die Fortziehenden, in dem Aus- üben derjenigen Liebesarbeiten, welche später den Verwundeten zum Nutzen und zur Erleichterung dienen sollten. Die beiden alten Bauern gingen sorgenschwer einher; sie wußten, wenn auch nur aus der frühesten Kindheit, wie furchtbar die Kriegs- furie wüthet. Mutter Beate war im Grunde weniger geängstigt, als man hätte erwarten sollen, und es hatte seine guten Gründe. Wenn sie die jungen Burschen truppweise aus dem Dorf und den nächsten Ortschaften abziehen sah, dann hob sie im Stillen ihre Hände dankend empor, oder sie sagte auch wohl zu Gertrud: „Gott sei gelobt, daß ich unsern Ewald geborgen in Amerika weiß; der zöge auch mit in den Krieg.“ Und Gertrud hatte da mit ihrem stillen Lächeln erwidert: „Muhme, wer hätte geglaubt, Jhr würdet Euch noch jemals mit Amerika aussöhnen?“ Es war ein schöner, duftiger Abend im Mai, der leise zur Erde herabsank — zu der Erde, die still und friedlich in ihrem Frühlingskleide dalag, und auf der es doch so viel Streit, Wirrniß und Angst gab. Gertrud war draußen im Garten gewesen und hatte mit Staunen gesehen, wie die Rosen schon so früh kamen und die Knospen un- gewöhnlich reich ansetzten; blieben schädliche Nachtfröste aus, so mußte es ein herrliches Rosenjahr werden. Jetzt saß sie noch im Zwielicht in der Wohnstube; die Fenster waren geöffnet, Maienduft und den süßen Hauch der Reseda, die schon im Garten blühte, einzulassen. Des Mädchens fleißige Hände ruhten still im Schooß; zuweilen gönnte sie sich eine solche Feierstunde, in der es ihr vorkam, als könnten die Gedanken doch noch besser ihr Recht haben, als beim thätigen Schaffen und emsigen Arbeiten. Und diese Gedanken gingen immer den einen Weg, über Land und Meer hin zu ihm, ihn umfassend und haltend mit der gleich warmen Liebe, einer Liebe, so groß und rein in ihrer tiefen Stille, wie sie nicht oft in ein Menschenherz sich senkt zum Niewieder- erlöschen. Draußen stieg der Mond herauf, Alles in seine Silberschleier hüllend; dazu klagte eine Nachtigall im nahen knospenden Flieder- gebüsch, von dem ab und zu ein leiser Duft daherwehte. Es war eine wonnevolle Schönheit ringsum, von Gertrud tief empfun- den; denn auch der heißeste Schmerz hatte nicht vermocht, sie gegen die Reize und den versöhnenden Frieden der Natur abzustumpfen; zu ihr flüchtete das einsame Mädchen oft, wenn das arme Herz mit seinem Sehnen und Bangen nirgend Ruhe finden wollte, und sie war ihr stets eine sänftigende Trösterin gewesen. So auch an diesem Abend, dessen zaubervolle friedliche Stille beruhigend auf Gertrud wirkte. Wie herrlich es doch auf Erden ist! Ob es in dem fernen Lande wohl halb so schön sein mochte? Plötzlich verdunkelte ein Schatten das helle Mondlicht, welches wie ein silberner Streifen auf dem Rasenstück vor dem Fenster ge- legen. Gertrud schaute verwundert hin; ein Blick genügte ihr. „Ewald! Heilige Mutter Gottes, es ist Ewald!“ jubelte sie. Er schwang sich durch das niedrige Fenster in die Stube, wie er so oft als Knabe gethan. Sie lagen einander in den Armen, in stillem, seligem Entzücken. „Daß ich Dich noch einmal an meinem Herzen halte, Dich noch einmal sehe, meine Gertrud, Du Einziggeliebte!“ flüsterte Ewald im Tone tiefster Zärtlichkeit. Jetzt hob er ihr Haupt empor, das an seiner Brust ruhte, so fest und dicht, als sei dort seine Heimathstätte, um ihr genau ins Antlitz zu schauen. Blasser war es, nicht mehr so rund und rosig, wie früher; aber wie lieblich und anmuthig noch, veredelt und durchgeistigt vom Hauch des Schmerzes, ihm so schön erscheinend wie kein zweites auf der ganzen weiten Welt. Und wie sie voll Stolz emporblickte zu dem hohen, stattlichen Mann, als hätte sie seines Gleichen nie gesehen! „Darum hast Du so lange nicht geschrieben, um uns die Herzens- freude nun zu machen! Was führt Dich her, Ewald?“ Sein erst so leuchtender Blick wurde von einer leisen Trauer umschattet; er zögerte mit der Antwort. Eine furchtbare Ahnung glitt durch Gertruds Seele, und als spreche sie ein Todesurtheil, sagte sie dumpf: „Du bist heimgekehrt, um mit in den Krieg zu ziehen!“ Er neigte stumm das Haupt. Ein Schauder schüttelte die Gestalt des Mädchens; ihr Antlitz wurde blaß. „Auch das noch!“ seufzte sie. „Meinst Du, ich könne zurückbleiben, wenn das Vaterland seine Söhne ruft?“ „Jst das Vaterland wirklich in so großer Noth und Gefahr?“ „Nur das feste, einmüthige Zusammenstehen von Allen, das muthige Vorgehen seines Heeres wird es erretten können von dem schmachvollen Loose, welches man ihm bereiten will.“ „Dann mußt Du auch mitziehen, Ewald, es zu vertheidigen.“ Sie suchte mit Festigkeit zu sprechen; aber die Stimme zitterte, und der gewaltige Schmerz wühlte doppelt heiß im Herzen nach der kurzen Seligkeit, in der es aufgejauchzt. „Gertrud, ich danke Dir, daß Du dem beigestimmt, was ich als recht erkannt.“ So überwältigt von Freude, so ganz aus sich herausgehend, hatte Keiner den alten Ulmenhofer je gesehen, als da sein Sohn vor ihm stand, „ein ganzer Mann“, wie er sich ausdrückte. „Herzensjunge, das ist das Gescheidteste, was Du je im Leben gethan, heim zu kommen zu Deinem alten Vater! Jch meinte zuletzt manchmal, ich würde Dein liebes Antlitz nicht mehr auf Erden erschauen“. Dabei strich der alte Bauer zwischen Weinen und Lachen dem Sohne mit rauher aber rührender Zärtlichkeit über Haupt und Gesicht. „Und wie schmuck und stattlich Du geworden bist! Es ist ja die helle Freude, Dich anzusehen. Hast gewiß viel gelernt dort in der Fremde? Siehst so klug aus, als wüßtest Du manches gute Neue; das wollen wir uns zu Nutze machen hier auf dem Ulmenhof. Sollst wirthschaften und regieren, als wärst Du schon der Herr.“ Es fiel Ewald, gegenüber dieser aufrichtigen, warmen Freude, die er nicht erwartet, wirklich schwer, den Zweck seines Kommens zu erklären; endlich mußte es doch geschehen. Der alte Bauer fuhr, wie von einem jähen Schlage getroffen, zurück; alle Weichheit war mit einem Mal verschwunden, die rauhe Seite wieder außen. „Deßhalb bist Du wiedergekommen, nur deßhalb? Jch dacht', um etwas ganz Anderes. Unsinn! Reiner Unsinn! Das Vaterland hat genug Arme ohne Dich, jeden Feind zu schlagen. Du wirst es nicht retten, und ohne Dich wird es auch nicht untergehen.“ „Wenn Jeder so dächte, Vater —“ „Es braucht aber nicht Jeder so zu denken! Wär' eine ver- wünschte Schlechtigkeit, wenn zum Beispiel einer der Soldaten so dächte; Du aber bist frei, bist in aller gesetzlichen Form zum Dienst untauglich erklärt.“ „Wie das gekommen, wißt Jhr gewiß besser als ich, Vater. Mit rechten Dingen ist es nicht zugegangen, daß mir der Arzt das latei- nische Wort, welches, wie ich jetzt weiß, Herzfehler heißt, ins Attest schrieb. Jch ließ es mir damals gefallen, weil ich in der Friedenszeit keine Lust in mir verspürte, drei Jahre die bunte Jacke zu tragen und Soldat zu spielen. Jetzt aber steht es anders. Das wär' kein echter deutscher Mann, der, wenn sein Vaterland ihn ruft, nicht käme und Gut und Blut dafür einsetzte! Sobald die erste Kunde von der Gefahr zu uns drang, haben wir Alles verkauft und geordnet dort, und sind nun hier, Christian und ich, und schon übermorgen müssen wir uns

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 18. Berlin, 3. Mai 1868, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt18_1868/2>, abgerufen am 01.06.2024.