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Sonntags-Blatt. Nr. 21. Berlin, 24. Mai 1868.

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[Beginn Spaltensatz] Satz anzunehmen, daß von der Zähmung des männlichen Panthers keine
Rede sein kann. Ganz zum Schluß wird er ein wenig schmiegsamer --
gerade genug, um der verirrten Schönen zu verzeihen und ihr wieder sein
Vertrauen zu schenken; aber der Sieg bleibt fast unveränderlich auf der
Seite des starken Geschlechts, und die Pantherin muß immer den Kürzeren
ziehen in dem Wettlauf mit dem Prig ( Prig ist ein unübersetzbarer
englischer Kunstausdruck für einen sehr selbstbewußten, anspruchsvollen,
etwas geckenhaften und den Frauen gegenüber spröden jungen Mann ) .
Denn der Prig ist in den modernen Romanen der natürliche Lebensgefährte
der Pantherin. Nur der Prig kann unausstehlich genug und gleichzeitig
tugendhaft genug sein, um die doppelte Rolle durchzuführen, erst die Heldin
zu ärgern und sie nachher ihren Mangel an Charakter fühlen zu lassen.
Wenn man die Frauen nach den Romanen, besonders nach den von Frauen
geschriebenen, beurtheilen wollte, so kann man kaum zn einem andern
Schluß gelangen, als daß Alle ( die Pantherinnen eingerechnet ) einen tüch-
tigen, unverwüstlichen und etwas hartnäckigen Prig für das edelste Ge-
schöpf des Himmels halten. Seinen geistigen Talenten entspricht auch keine
Aufgabe so vollkommen, als die Charakterbildung des Mädchens, das ihn
heirathen soll. Und das ist die Hauptwahrheit an den literarischen Lebens-
bildern, daß die Prigs von dem andern Geschlecht viel höher geachtet
werden, als von ihrem eigenen. Ein heirathslustiger Prig hat im wirk-
lichen Leben immer große Chancen, und deßhalb mag es gut und recht
sein, daß er in dem Roman immer als der natürliche Gebieter und Monarch
der Heldinnen geschildert wird.

So weit dreibändige Romane gehen, scheint das alte Sprüchwort wahr
zu sein, daß Zank und Streit zwischen Liebenden die beste Nahrung und
der wahre Brennstoff für die Liebe sind; jedenfalls bilden sie den Haupt-
reiz derselben in den Augen aller Schwärmer. Und hätten sie nicht diese
mächtige Autorität auf ihrer Seite, so würde man vielleicht fragen, ob
dieses auf die Probe stellen von Seiten der Dame, und diese Zähmung
von Seiten des Herrn nicht eigentlich ganz unerträglich sind. Jndessen
Romane, wenn sie geschrieben werden sollen, müssen Konflikte haben. Un-
glückliche Heldinnen sind, so zu sagen, eine Nothwendigkeit in der Literatur,
und Prigs sind das beste Mittel, sie durch drei Bände unglücklich zu
erhalten, das man erfinden konnte. Jedem Anfänger, der einen wahrhaft
populären Roman schreiben will, geben wir den wohlgemeinten erfahrungs-
mäßigen Rath, erst eine durch und durch liebenswürdige Heldin zu zeichnen,
und diese dann in kochendem Wasser zu erhalten. Nichts findet so reißenden
Absatz, wie siedende Gefühle.

Schriftsteller und Schriftstellerinnen brauchen niemals an ihrem Ruhm
zu verzweifeln, wenn sie im Stande sind, eine gehörige Menge von Herzens-
angst zu verzapfen und einen weiblichen Charakter unaufhörlich auf die Folter
zu spannen. Es ist ein Beweis von einem zarten Empfindungsvermögen,
wenn man an solchen Todesqualen auf Papier Gefallen findet. Miß-
verständnisse, Enttäuschungen, Thränenbäche und die Verfeindungen der
Liebenden -- das ist es, was die Herzen des Publikums erschüttert. Den
Jammer dieser erdichteten Charakter mit anzuschauen, das ist das wahre
Vergnügen. Das Rom der Cäsaren hatte seine sterbenden Fechter, das
fromme Spanien ergötzt sich an Stierkämpfen; wir sind weit civilisirter,
als Beide, und beschränken uns auf das weniger rohe Schauspiel erdichteter
Grausamkeiten, mit welchen eingebildete Verliebte sich auf der schranken-
losen Arena des Druckpapiers das Leben verbittern.



Am Suez=Kanal.
( Schluß. )

Aus dem Hafen der Stadt tritt das Boot in den Kanal selbst,
welcher, so weit das Auge reicht, in schnurgerader Richtung und
in einer Breite von dreihundert Fuß hinläuft. Vom Verdeck aus
erblickt man zu beiden Seiten desselben, bis zum äußersten Ho-
rizont, ungeheure Wasserflächen, aus der nur hier uud da kleine Jn-
seln hervorragen. Es sind die Menzanah=Seen, die der Kanal kreuzt,
getrennt von ihnen durch meilenlange Deiche. Sie führen wohl mit
Unrecht den Namen Seen, und sind thatsächlich nichts als ein mäch-
tiger Sumpf. Zur Rechten erstrecken sie sich bis gegen den Nil=Arm
der Städte Rosette und Damiette, berühmt durch den unglücklichen
Ausgang des Kreuzzuges Ludwigs des Heiligen. Nach Ost und Süd
dringen sie tief in die Wüste hinein, allmälig in dem Sande derselben
sich verlierend, so daß die Hälfte des Raumes, der beide Meere trennt,
von ihm eingenommen wird. Diese Strecken waren nicht immer
Moräste; unter den stagnirenden Wassern lagen einst bebaute Ebenen,
reich gesegnet mit jener im Alterthum gepriesenen ägyptischen Frucht-
barkeit, über die sich der tanitische Nil=Arm ergoß, der auf seinem
Laufe zum Meer die Mauern mächtiger Städte bespülte.

Nur Trümmer, Reste von Geschirr und Bauten geben Zeugniß
von der einstigen Kulturblüthe dieser Gegenden, und das Wasser des
Nils, welcher, eingedämmt und in vielfachen Kanälen verzweigt, den
Segen ihrer Fruchtbarkeit begründete, deckt heut als Leichentuch die
Wohnstätten jenes intelligenten Volkes.

Meilenweit zieht sich der Kanal längs diesen Gewässern, und auch
wenn er sie hinter sich gelassen, führt er über ehemaligen Wasser-
grund, den Boden des Ballahsee's, welcher gegenwärtig trocken gelegt
und ein fruchtbares Feld zu werden verspricht. Bald aber ist jegliche
Fernsicht nach beiden Seiten hin benommen. Die Wasserstraße hat
[Spaltenumbruch] das Plateau von El Guisr erreicht, das sie durchschneidet, die höchste
Erhebung auf dem Jsthmus. Der Boden des Jsthmus auf dieser
ganzen Strecke ist niedergedrückt und flach bis zu dem Plateau;
es drängt sich dem Beobachter die Ueberzeugung auf, daß das Mittel-
ländische Meer bestrebt gewesen, sich mit dem Rothen Meer zu ver-
einigen, und daß es nur daran durch den Höhenzug von El Guisr
verhindert worden sei. Und so ist es auch. Wie auf der andern
Seite dem Vordringen des Rothen Meeres der Höhenzug von Se-
rapeum, so hat hier das Plateau von El Guisr dem weitern Vor-
dringen der Meere Schranken gesetzt.

El Guisr und Serapeum schließen den großen Süßwassersee Tim-
sah ein, in welchen der Kanal nach Durchschneidung des Plateau's
gelangt und an welchem die Centralstelle der gesammten Anlagen,
Jsmailia, belegen ist.

Jsmailia, die Hauptstadt der Siedelung, der Sitz der Admini-
stration, ist größer und eleganter, als die Hafenstadt Port Said, die
mehr der Mittelpunkt kaufmännischer Operationen, des Gütertransports,
der Werkstätten zur Aufbewahrung und Reparatur der Maschinen bildet.
Jn Jsmailia wohnt die Aristokratie der Feder. Man sieht dort die
Wohnung des Präsidenten, ein bescheidenes Häuschen, das ihm, wenn
er sich in der Stadt befindet, zum Aufenthaltsort dient. Aber er ist
sicherlich hier am wenigsten zu treffen. Gewiß findet man ihn, wo
es irgend eine Gefahr giebt, wo es Muthlose aufzurichten, Kranken
Trost zuzusprechen, Gefährdete zu unterstützen gilt. Seine Anwesen-
heit ist von nicht hoch genug anzuschlagendem Werth für die Arbei-
ter, die auf isolirten Punkten, rings umgeben von dem Sande der
Wüste, wie Schiffbrüchige auf einem Felsen im Meere leben.

Der General=Direktor der Bauten hat ebenfalls in Jsmailia
seinen Sitz. Um ihn gruppiren sich die Bureaus der Jngenieure und
Beamten, wie sich um die Wohnungen der Unternehmer die Bureaus
ihres Verwaltungszweiges etablirt haben.

Das schönste Gebäude der Stadt hat der Agent des Vicekönigs
von Aegypten inne, einen Palast, der einer Residenzstadt Ehre machen
würde.

Der Timsahsee, an welchem Jsmailia liegt, war vor wenig Jah-
ren noch ein wasserloses, ausgetrocknetes Becken, wo aus geborstenem
Schlamm einige von der Sonne verbrannte Binsenbüschel spärlich
emporschossen; der Platz, auf dem die Stadt selbst steht, eine un-
fruchtbare Sandebene, wie die ganze Gegend ringsum. Heut gewährt
dieser See einen anmuthigen Anblick. Blühende Gärten, aus denen
freundliche Häuser sich erheben, umgeben ihn; ein Wasserfall füllt mit
seinem Brausen die Luft. Die Stadt selbst ist geräumig, die Straßen
breit und reinlich, die Häuser von gefälliger, zum Theil künstlerischer
Bauart. Mit Trinkwasser wird sie aus dem vorbeifließenden Süß-
wasser=Kanal versehen, der gleichzeitig auch das elf deutsche Meilen
davon entfernte Port Said damit versorgt, wohin eine durch Dampf-
kraft gespeiste doppelte Leitung es führt. Die Anlegung des Süß-
wasser=Kanals war der Gesellschaft durch Said=Pascha gleich bei ihrer
Gründung zur Bedingung gemacht worden.

Er entspringt einem der alten Arme des Nil, der in dem alt-
testamentlichen Thal Gosen fließt; von diesem ist er gerade auf
Timsah geleitet, wo er eine Biegung nach Süden macht und nun
parallel mit dem Seekanal hinlaufend, endlich bei Suez sich ins
Meer ergießt.

Dieser Süßwasser=Kanal hat für die ganze Siedelung eine große
Wichtigkeit. Nicht nur daß er die Lebensader, das befruchtende,
erhaltende Element für den Boden, für Menschen und Thiere ist in
einem Lande, wo Wasser das kostbarste, seltenste Element bildet.
Er dient gleichzeitig der Gesellschaft auch zur Transitschifffahrt, durch
die Lebensmittel, Material und Reisende aus dem Jnnern und zurück
befördert werden.

Aus dem Umstande, daß der See= und Süßwasser=Kanal sich bei
Timsah begegnen und von da parallel neben einander herlaufen,
entspringt der Gesellschaft noch der weitere Vortheil, sich des Letzteren
bis zur Vollendung der großen Wasserstraße für kleinere Fahrzeuge
von Port Said bis Suez zu bedienen, als Ersatz für den [unleserliches Material - 14 Zeichen fehlen]un-
vollendeten Theil.

Auf diesem Wege sind seit einem Jahre schon täglich über tausend
Tonnen befördert, auf diesem Wege gelangte auch das erste Seeschiff,
ein österreichischer Schooner, der zufälligerweise auch "Primo" hieß,
von Port Said durch den Kanal nach Suez. Jn Jsmailia, das er
als Erfrischungshafen angelaufen, wurde er reich mit Blumenbouquets
und Guirlanden bekränzt, die in den Gärten der Stadt gepflückt wor-
den waren. Nach zwei Tagen gelangte er, so geschmückt, nach Suez,
wozu auf anderem Wege Monate erforderlich gewesen wären.

Der Theil des Seekanals, welcher sich von Jsmailia bis Suez
erstreckt, hat wegen des steinigten Bodens die größten Schwierigkeiten
bei der Durchstechung gemacht. Er ist zum größten Theil von einem
Bassin von bedeutender Ausdehnung und Tiefe ausgefüllt, und zieht
sich zum andern durch die Bitterseen bis nach Suez. Es ist nicht
zweifelhaft, daß die Meere schon in einer entfernt liegenden Zeit ver-
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Satz anzunehmen, daß von der Zähmung des männlichen Panthers keine
Rede sein kann. Ganz zum Schluß wird er ein wenig schmiegsamer —
gerade genug, um der verirrten Schönen zu verzeihen und ihr wieder sein
Vertrauen zu schenken; aber der Sieg bleibt fast unveränderlich auf der
Seite des starken Geschlechts, und die Pantherin muß immer den Kürzeren
ziehen in dem Wettlauf mit dem Prig ( Prig ist ein unübersetzbarer
englischer Kunstausdruck für einen sehr selbstbewußten, anspruchsvollen,
etwas geckenhaften und den Frauen gegenüber spröden jungen Mann ) .
Denn der Prig ist in den modernen Romanen der natürliche Lebensgefährte
der Pantherin. Nur der Prig kann unausstehlich genug und gleichzeitig
tugendhaft genug sein, um die doppelte Rolle durchzuführen, erst die Heldin
zu ärgern und sie nachher ihren Mangel an Charakter fühlen zu lassen.
Wenn man die Frauen nach den Romanen, besonders nach den von Frauen
geschriebenen, beurtheilen wollte, so kann man kaum zn einem andern
Schluß gelangen, als daß Alle ( die Pantherinnen eingerechnet ) einen tüch-
tigen, unverwüstlichen und etwas hartnäckigen Prig für das edelste Ge-
schöpf des Himmels halten. Seinen geistigen Talenten entspricht auch keine
Aufgabe so vollkommen, als die Charakterbildung des Mädchens, das ihn
heirathen soll. Und das ist die Hauptwahrheit an den literarischen Lebens-
bildern, daß die Prigs von dem andern Geschlecht viel höher geachtet
werden, als von ihrem eigenen. Ein heirathslustiger Prig hat im wirk-
lichen Leben immer große Chancen, und deßhalb mag es gut und recht
sein, daß er in dem Roman immer als der natürliche Gebieter und Monarch
der Heldinnen geschildert wird.

So weit dreibändige Romane gehen, scheint das alte Sprüchwort wahr
zu sein, daß Zank und Streit zwischen Liebenden die beste Nahrung und
der wahre Brennstoff für die Liebe sind; jedenfalls bilden sie den Haupt-
reiz derselben in den Augen aller Schwärmer. Und hätten sie nicht diese
mächtige Autorität auf ihrer Seite, so würde man vielleicht fragen, ob
dieses auf die Probe stellen von Seiten der Dame, und diese Zähmung
von Seiten des Herrn nicht eigentlich ganz unerträglich sind. Jndessen
Romane, wenn sie geschrieben werden sollen, müssen Konflikte haben. Un-
glückliche Heldinnen sind, so zu sagen, eine Nothwendigkeit in der Literatur,
und Prigs sind das beste Mittel, sie durch drei Bände unglücklich zu
erhalten, das man erfinden konnte. Jedem Anfänger, der einen wahrhaft
populären Roman schreiben will, geben wir den wohlgemeinten erfahrungs-
mäßigen Rath, erst eine durch und durch liebenswürdige Heldin zu zeichnen,
und diese dann in kochendem Wasser zu erhalten. Nichts findet so reißenden
Absatz, wie siedende Gefühle.

Schriftsteller und Schriftstellerinnen brauchen niemals an ihrem Ruhm
zu verzweifeln, wenn sie im Stande sind, eine gehörige Menge von Herzens-
angst zu verzapfen und einen weiblichen Charakter unaufhörlich auf die Folter
zu spannen. Es ist ein Beweis von einem zarten Empfindungsvermögen,
wenn man an solchen Todesqualen auf Papier Gefallen findet. Miß-
verständnisse, Enttäuschungen, Thränenbäche und die Verfeindungen der
Liebenden — das ist es, was die Herzen des Publikums erschüttert. Den
Jammer dieser erdichteten Charakter mit anzuschauen, das ist das wahre
Vergnügen. Das Rom der Cäsaren hatte seine sterbenden Fechter, das
fromme Spanien ergötzt sich an Stierkämpfen; wir sind weit civilisirter,
als Beide, und beschränken uns auf das weniger rohe Schauspiel erdichteter
Grausamkeiten, mit welchen eingebildete Verliebte sich auf der schranken-
losen Arena des Druckpapiers das Leben verbittern.



Am Suez=Kanal.
( Schluß. )

Aus dem Hafen der Stadt tritt das Boot in den Kanal selbst,
welcher, so weit das Auge reicht, in schnurgerader Richtung und
in einer Breite von dreihundert Fuß hinläuft. Vom Verdeck aus
erblickt man zu beiden Seiten desselben, bis zum äußersten Ho-
rizont, ungeheure Wasserflächen, aus der nur hier uud da kleine Jn-
seln hervorragen. Es sind die Menzanah=Seen, die der Kanal kreuzt,
getrennt von ihnen durch meilenlange Deiche. Sie führen wohl mit
Unrecht den Namen Seen, und sind thatsächlich nichts als ein mäch-
tiger Sumpf. Zur Rechten erstrecken sie sich bis gegen den Nil=Arm
der Städte Rosette und Damiette, berühmt durch den unglücklichen
Ausgang des Kreuzzuges Ludwigs des Heiligen. Nach Ost und Süd
dringen sie tief in die Wüste hinein, allmälig in dem Sande derselben
sich verlierend, so daß die Hälfte des Raumes, der beide Meere trennt,
von ihm eingenommen wird. Diese Strecken waren nicht immer
Moräste; unter den stagnirenden Wassern lagen einst bebaute Ebenen,
reich gesegnet mit jener im Alterthum gepriesenen ägyptischen Frucht-
barkeit, über die sich der tanitische Nil=Arm ergoß, der auf seinem
Laufe zum Meer die Mauern mächtiger Städte bespülte.

Nur Trümmer, Reste von Geschirr und Bauten geben Zeugniß
von der einstigen Kulturblüthe dieser Gegenden, und das Wasser des
Nils, welcher, eingedämmt und in vielfachen Kanälen verzweigt, den
Segen ihrer Fruchtbarkeit begründete, deckt heut als Leichentuch die
Wohnstätten jenes intelligenten Volkes.

Meilenweit zieht sich der Kanal längs diesen Gewässern, und auch
wenn er sie hinter sich gelassen, führt er über ehemaligen Wasser-
grund, den Boden des Ballahsee's, welcher gegenwärtig trocken gelegt
und ein fruchtbares Feld zu werden verspricht. Bald aber ist jegliche
Fernsicht nach beiden Seiten hin benommen. Die Wasserstraße hat
[Spaltenumbruch] das Plateau von El Guisr erreicht, das sie durchschneidet, die höchste
Erhebung auf dem Jsthmus. Der Boden des Jsthmus auf dieser
ganzen Strecke ist niedergedrückt und flach bis zu dem Plateau;
es drängt sich dem Beobachter die Ueberzeugung auf, daß das Mittel-
ländische Meer bestrebt gewesen, sich mit dem Rothen Meer zu ver-
einigen, und daß es nur daran durch den Höhenzug von El Guisr
verhindert worden sei. Und so ist es auch. Wie auf der andern
Seite dem Vordringen des Rothen Meeres der Höhenzug von Se-
rapeum, so hat hier das Plateau von El Guisr dem weitern Vor-
dringen der Meere Schranken gesetzt.

El Guisr und Serapeum schließen den großen Süßwassersee Tim-
sah ein, in welchen der Kanal nach Durchschneidung des Plateau's
gelangt und an welchem die Centralstelle der gesammten Anlagen,
Jsmaïlia, belegen ist.

Jsmaïlia, die Hauptstadt der Siedelung, der Sitz der Admini-
stration, ist größer und eleganter, als die Hafenstadt Port Saïd, die
mehr der Mittelpunkt kaufmännischer Operationen, des Gütertransports,
der Werkstätten zur Aufbewahrung und Reparatur der Maschinen bildet.
Jn Jsmaïlia wohnt die Aristokratie der Feder. Man sieht dort die
Wohnung des Präsidenten, ein bescheidenes Häuschen, das ihm, wenn
er sich in der Stadt befindet, zum Aufenthaltsort dient. Aber er ist
sicherlich hier am wenigsten zu treffen. Gewiß findet man ihn, wo
es irgend eine Gefahr giebt, wo es Muthlose aufzurichten, Kranken
Trost zuzusprechen, Gefährdete zu unterstützen gilt. Seine Anwesen-
heit ist von nicht hoch genug anzuschlagendem Werth für die Arbei-
ter, die auf isolirten Punkten, rings umgeben von dem Sande der
Wüste, wie Schiffbrüchige auf einem Felsen im Meere leben.

Der General=Direktor der Bauten hat ebenfalls in Jsmaïlia
seinen Sitz. Um ihn gruppiren sich die Bureaus der Jngenieure und
Beamten, wie sich um die Wohnungen der Unternehmer die Bureaus
ihres Verwaltungszweiges etablirt haben.

Das schönste Gebäude der Stadt hat der Agent des Vicekönigs
von Aegypten inne, einen Palast, der einer Residenzstadt Ehre machen
würde.

Der Timsahsee, an welchem Jsmaïlia liegt, war vor wenig Jah-
ren noch ein wasserloses, ausgetrocknetes Becken, wo aus geborstenem
Schlamm einige von der Sonne verbrannte Binsenbüschel spärlich
emporschossen; der Platz, auf dem die Stadt selbst steht, eine un-
fruchtbare Sandebene, wie die ganze Gegend ringsum. Heut gewährt
dieser See einen anmuthigen Anblick. Blühende Gärten, aus denen
freundliche Häuser sich erheben, umgeben ihn; ein Wasserfall füllt mit
seinem Brausen die Luft. Die Stadt selbst ist geräumig, die Straßen
breit und reinlich, die Häuser von gefälliger, zum Theil künstlerischer
Bauart. Mit Trinkwasser wird sie aus dem vorbeifließenden Süß-
wasser=Kanal versehen, der gleichzeitig auch das elf deutsche Meilen
davon entfernte Port Saïd damit versorgt, wohin eine durch Dampf-
kraft gespeiste doppelte Leitung es führt. Die Anlegung des Süß-
wasser=Kanals war der Gesellschaft durch Saïd=Pascha gleich bei ihrer
Gründung zur Bedingung gemacht worden.

Er entspringt einem der alten Arme des Nil, der in dem alt-
testamentlichen Thal Gosen fließt; von diesem ist er gerade auf
Timsah geleitet, wo er eine Biegung nach Süden macht und nun
parallel mit dem Seekanal hinlaufend, endlich bei Suez sich ins
Meer ergießt.

Dieser Süßwasser=Kanal hat für die ganze Siedelung eine große
Wichtigkeit. Nicht nur daß er die Lebensader, das befruchtende,
erhaltende Element für den Boden, für Menschen und Thiere ist in
einem Lande, wo Wasser das kostbarste, seltenste Element bildet.
Er dient gleichzeitig der Gesellschaft auch zur Transitschifffahrt, durch
die Lebensmittel, Material und Reisende aus dem Jnnern und zurück
befördert werden.

Aus dem Umstande, daß der See= und Süßwasser=Kanal sich bei
Timsah begegnen und von da parallel neben einander herlaufen,
entspringt der Gesellschaft noch der weitere Vortheil, sich des Letzteren
bis zur Vollendung der großen Wasserstraße für kleinere Fahrzeuge
von Port Saïd bis Suez zu bedienen, als Ersatz für den [unleserliches Material – 14 Zeichen fehlen]un-
vollendeten Theil.

Auf diesem Wege sind seit einem Jahre schon täglich über tausend
Tonnen befördert, auf diesem Wege gelangte auch das erste Seeschiff,
ein österreichischer Schooner, der zufälligerweise auch „Primo“ hieß,
von Port Saïd durch den Kanal nach Suez. Jn Jsmaïlia, das er
als Erfrischungshafen angelaufen, wurde er reich mit Blumenbouquets
und Guirlanden bekränzt, die in den Gärten der Stadt gepflückt wor-
den waren. Nach zwei Tagen gelangte er, so geschmückt, nach Suez,
wozu auf anderem Wege Monate erforderlich gewesen wären.

Der Theil des Seekanals, welcher sich von Jsmaïlia bis Suez
erstreckt, hat wegen des steinigten Bodens die größten Schwierigkeiten
bei der Durchstechung gemacht. Er ist zum größten Theil von einem
Bassin von bedeutender Ausdehnung und Tiefe ausgefüllt, und zieht
sich zum andern durch die Bitterseen bis nach Suez. Es ist nicht
zweifelhaft, daß die Meere schon in einer entfernt liegenden Zeit ver-
[Ende Spaltensatz]

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[167/0007] 167 Satz anzunehmen, daß von der Zähmung des männlichen Panthers keine Rede sein kann. Ganz zum Schluß wird er ein wenig schmiegsamer — gerade genug, um der verirrten Schönen zu verzeihen und ihr wieder sein Vertrauen zu schenken; aber der Sieg bleibt fast unveränderlich auf der Seite des starken Geschlechts, und die Pantherin muß immer den Kürzeren ziehen in dem Wettlauf mit dem Prig ( Prig ist ein unübersetzbarer englischer Kunstausdruck für einen sehr selbstbewußten, anspruchsvollen, etwas geckenhaften und den Frauen gegenüber spröden jungen Mann ) . Denn der Prig ist in den modernen Romanen der natürliche Lebensgefährte der Pantherin. Nur der Prig kann unausstehlich genug und gleichzeitig tugendhaft genug sein, um die doppelte Rolle durchzuführen, erst die Heldin zu ärgern und sie nachher ihren Mangel an Charakter fühlen zu lassen. Wenn man die Frauen nach den Romanen, besonders nach den von Frauen geschriebenen, beurtheilen wollte, so kann man kaum zn einem andern Schluß gelangen, als daß Alle ( die Pantherinnen eingerechnet ) einen tüch- tigen, unverwüstlichen und etwas hartnäckigen Prig für das edelste Ge- schöpf des Himmels halten. Seinen geistigen Talenten entspricht auch keine Aufgabe so vollkommen, als die Charakterbildung des Mädchens, das ihn heirathen soll. Und das ist die Hauptwahrheit an den literarischen Lebens- bildern, daß die Prigs von dem andern Geschlecht viel höher geachtet werden, als von ihrem eigenen. Ein heirathslustiger Prig hat im wirk- lichen Leben immer große Chancen, und deßhalb mag es gut und recht sein, daß er in dem Roman immer als der natürliche Gebieter und Monarch der Heldinnen geschildert wird. So weit dreibändige Romane gehen, scheint das alte Sprüchwort wahr zu sein, daß Zank und Streit zwischen Liebenden die beste Nahrung und der wahre Brennstoff für die Liebe sind; jedenfalls bilden sie den Haupt- reiz derselben in den Augen aller Schwärmer. Und hätten sie nicht diese mächtige Autorität auf ihrer Seite, so würde man vielleicht fragen, ob dieses auf die Probe stellen von Seiten der Dame, und diese Zähmung von Seiten des Herrn nicht eigentlich ganz unerträglich sind. Jndessen Romane, wenn sie geschrieben werden sollen, müssen Konflikte haben. Un- glückliche Heldinnen sind, so zu sagen, eine Nothwendigkeit in der Literatur, und Prigs sind das beste Mittel, sie durch drei Bände unglücklich zu erhalten, das man erfinden konnte. Jedem Anfänger, der einen wahrhaft populären Roman schreiben will, geben wir den wohlgemeinten erfahrungs- mäßigen Rath, erst eine durch und durch liebenswürdige Heldin zu zeichnen, und diese dann in kochendem Wasser zu erhalten. Nichts findet so reißenden Absatz, wie siedende Gefühle. Schriftsteller und Schriftstellerinnen brauchen niemals an ihrem Ruhm zu verzweifeln, wenn sie im Stande sind, eine gehörige Menge von Herzens- angst zu verzapfen und einen weiblichen Charakter unaufhörlich auf die Folter zu spannen. Es ist ein Beweis von einem zarten Empfindungsvermögen, wenn man an solchen Todesqualen auf Papier Gefallen findet. Miß- verständnisse, Enttäuschungen, Thränenbäche und die Verfeindungen der Liebenden — das ist es, was die Herzen des Publikums erschüttert. Den Jammer dieser erdichteten Charakter mit anzuschauen, das ist das wahre Vergnügen. Das Rom der Cäsaren hatte seine sterbenden Fechter, das fromme Spanien ergötzt sich an Stierkämpfen; wir sind weit civilisirter, als Beide, und beschränken uns auf das weniger rohe Schauspiel erdichteter Grausamkeiten, mit welchen eingebildete Verliebte sich auf der schranken- losen Arena des Druckpapiers das Leben verbittern. Am Suez=Kanal. ( Schluß. ) Aus dem Hafen der Stadt tritt das Boot in den Kanal selbst, welcher, so weit das Auge reicht, in schnurgerader Richtung und in einer Breite von dreihundert Fuß hinläuft. Vom Verdeck aus erblickt man zu beiden Seiten desselben, bis zum äußersten Ho- rizont, ungeheure Wasserflächen, aus der nur hier uud da kleine Jn- seln hervorragen. Es sind die Menzanah=Seen, die der Kanal kreuzt, getrennt von ihnen durch meilenlange Deiche. Sie führen wohl mit Unrecht den Namen Seen, und sind thatsächlich nichts als ein mäch- tiger Sumpf. Zur Rechten erstrecken sie sich bis gegen den Nil=Arm der Städte Rosette und Damiette, berühmt durch den unglücklichen Ausgang des Kreuzzuges Ludwigs des Heiligen. Nach Ost und Süd dringen sie tief in die Wüste hinein, allmälig in dem Sande derselben sich verlierend, so daß die Hälfte des Raumes, der beide Meere trennt, von ihm eingenommen wird. Diese Strecken waren nicht immer Moräste; unter den stagnirenden Wassern lagen einst bebaute Ebenen, reich gesegnet mit jener im Alterthum gepriesenen ägyptischen Frucht- barkeit, über die sich der tanitische Nil=Arm ergoß, der auf seinem Laufe zum Meer die Mauern mächtiger Städte bespülte. Nur Trümmer, Reste von Geschirr und Bauten geben Zeugniß von der einstigen Kulturblüthe dieser Gegenden, und das Wasser des Nils, welcher, eingedämmt und in vielfachen Kanälen verzweigt, den Segen ihrer Fruchtbarkeit begründete, deckt heut als Leichentuch die Wohnstätten jenes intelligenten Volkes. Meilenweit zieht sich der Kanal längs diesen Gewässern, und auch wenn er sie hinter sich gelassen, führt er über ehemaligen Wasser- grund, den Boden des Ballahsee's, welcher gegenwärtig trocken gelegt und ein fruchtbares Feld zu werden verspricht. Bald aber ist jegliche Fernsicht nach beiden Seiten hin benommen. Die Wasserstraße hat das Plateau von El Guisr erreicht, das sie durchschneidet, die höchste Erhebung auf dem Jsthmus. Der Boden des Jsthmus auf dieser ganzen Strecke ist niedergedrückt und flach bis zu dem Plateau; es drängt sich dem Beobachter die Ueberzeugung auf, daß das Mittel- ländische Meer bestrebt gewesen, sich mit dem Rothen Meer zu ver- einigen, und daß es nur daran durch den Höhenzug von El Guisr verhindert worden sei. Und so ist es auch. Wie auf der andern Seite dem Vordringen des Rothen Meeres der Höhenzug von Se- rapeum, so hat hier das Plateau von El Guisr dem weitern Vor- dringen der Meere Schranken gesetzt. El Guisr und Serapeum schließen den großen Süßwassersee Tim- sah ein, in welchen der Kanal nach Durchschneidung des Plateau's gelangt und an welchem die Centralstelle der gesammten Anlagen, Jsmaïlia, belegen ist. Jsmaïlia, die Hauptstadt der Siedelung, der Sitz der Admini- stration, ist größer und eleganter, als die Hafenstadt Port Saïd, die mehr der Mittelpunkt kaufmännischer Operationen, des Gütertransports, der Werkstätten zur Aufbewahrung und Reparatur der Maschinen bildet. Jn Jsmaïlia wohnt die Aristokratie der Feder. Man sieht dort die Wohnung des Präsidenten, ein bescheidenes Häuschen, das ihm, wenn er sich in der Stadt befindet, zum Aufenthaltsort dient. Aber er ist sicherlich hier am wenigsten zu treffen. Gewiß findet man ihn, wo es irgend eine Gefahr giebt, wo es Muthlose aufzurichten, Kranken Trost zuzusprechen, Gefährdete zu unterstützen gilt. Seine Anwesen- heit ist von nicht hoch genug anzuschlagendem Werth für die Arbei- ter, die auf isolirten Punkten, rings umgeben von dem Sande der Wüste, wie Schiffbrüchige auf einem Felsen im Meere leben. Der General=Direktor der Bauten hat ebenfalls in Jsmaïlia seinen Sitz. Um ihn gruppiren sich die Bureaus der Jngenieure und Beamten, wie sich um die Wohnungen der Unternehmer die Bureaus ihres Verwaltungszweiges etablirt haben. Das schönste Gebäude der Stadt hat der Agent des Vicekönigs von Aegypten inne, einen Palast, der einer Residenzstadt Ehre machen würde. Der Timsahsee, an welchem Jsmaïlia liegt, war vor wenig Jah- ren noch ein wasserloses, ausgetrocknetes Becken, wo aus geborstenem Schlamm einige von der Sonne verbrannte Binsenbüschel spärlich emporschossen; der Platz, auf dem die Stadt selbst steht, eine un- fruchtbare Sandebene, wie die ganze Gegend ringsum. Heut gewährt dieser See einen anmuthigen Anblick. Blühende Gärten, aus denen freundliche Häuser sich erheben, umgeben ihn; ein Wasserfall füllt mit seinem Brausen die Luft. Die Stadt selbst ist geräumig, die Straßen breit und reinlich, die Häuser von gefälliger, zum Theil künstlerischer Bauart. Mit Trinkwasser wird sie aus dem vorbeifließenden Süß- wasser=Kanal versehen, der gleichzeitig auch das elf deutsche Meilen davon entfernte Port Saïd damit versorgt, wohin eine durch Dampf- kraft gespeiste doppelte Leitung es führt. Die Anlegung des Süß- wasser=Kanals war der Gesellschaft durch Saïd=Pascha gleich bei ihrer Gründung zur Bedingung gemacht worden. Er entspringt einem der alten Arme des Nil, der in dem alt- testamentlichen Thal Gosen fließt; von diesem ist er gerade auf Timsah geleitet, wo er eine Biegung nach Süden macht und nun parallel mit dem Seekanal hinlaufend, endlich bei Suez sich ins Meer ergießt. Dieser Süßwasser=Kanal hat für die ganze Siedelung eine große Wichtigkeit. Nicht nur daß er die Lebensader, das befruchtende, erhaltende Element für den Boden, für Menschen und Thiere ist in einem Lande, wo Wasser das kostbarste, seltenste Element bildet. Er dient gleichzeitig der Gesellschaft auch zur Transitschifffahrt, durch die Lebensmittel, Material und Reisende aus dem Jnnern und zurück befördert werden. Aus dem Umstande, daß der See= und Süßwasser=Kanal sich bei Timsah begegnen und von da parallel neben einander herlaufen, entspringt der Gesellschaft noch der weitere Vortheil, sich des Letzteren bis zur Vollendung der großen Wasserstraße für kleinere Fahrzeuge von Port Saïd bis Suez zu bedienen, als Ersatz für den ______________un- vollendeten Theil. Auf diesem Wege sind seit einem Jahre schon täglich über tausend Tonnen befördert, auf diesem Wege gelangte auch das erste Seeschiff, ein österreichischer Schooner, der zufälligerweise auch „Primo“ hieß, von Port Saïd durch den Kanal nach Suez. Jn Jsmaïlia, das er als Erfrischungshafen angelaufen, wurde er reich mit Blumenbouquets und Guirlanden bekränzt, die in den Gärten der Stadt gepflückt wor- den waren. Nach zwei Tagen gelangte er, so geschmückt, nach Suez, wozu auf anderem Wege Monate erforderlich gewesen wären. Der Theil des Seekanals, welcher sich von Jsmaïlia bis Suez erstreckt, hat wegen des steinigten Bodens die größten Schwierigkeiten bei der Durchstechung gemacht. Er ist zum größten Theil von einem Bassin von bedeutender Ausdehnung und Tiefe ausgefüllt, und zieht sich zum andern durch die Bitterseen bis nach Suez. Es ist nicht zweifelhaft, daß die Meere schon in einer entfernt liegenden Zeit ver-

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Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
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Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 21. Berlin, 24. Mai 1868, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt21_1868/7>, abgerufen am 01.06.2024.