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Sonntags-Blatt. Nr. 23. Berlin, 7. Juni 1868.

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[Beginn Spaltensatz]
Trotz Lotte und Lene.
( Schluß. )

Jn diesem Augenblick war es Bettina, als ob hinter der Kammerthür
ein leises Geräusch ertöne; es schien von dem Anstreifen eines Kleides
oder einer Hand herzurühren, und der Gedanke lag nahe, daß die Schwe-
stern verborgene Zeugen des eben gepflogenen Gesprächs gewesen waren.
Sie traute ihnen dies schon zu. Schon lange hatte sie sich im Stillen
gewundert, daß Lotte und Lene noch nicht erschienen waren; sie hatte auch
Jacobi nach ihnen fragen wollen, es aber im Verlauf des Gesprächs wieder
vergessen. Jetzt aber, da sie Beide hinter der Kammerthür vermuthete,
erwachte auch sobald der ganze Uebermuth und Muthwille ihres neckischen
Dämons, und sie beschloß, die günstige Situation zu benutzen und einige
Pfeile gegen die Thür abzuschießen.

"Sie sehen also, mein hochverehrter Freund", fuhr sie mit einem schel-
mischen Lächeln fort, "daß Sie durchaus keinen reellen Grund zur Trauer
haben. Was Andere nur mit dem Verstand, das haben Sie zugleich mit
Jhrem warmen Herzen errungen. Jede That aber des Geistes oder des
Herzens, die sich von einer sittlichen Grundlage ablös't, ist des Beifalls
werth, und er ist Jhnen in vollem und gerechtem Maße geworden. O daß
ich, die demüthigste Jhrer Schülerinnen, Jhnen neuen Muth einflößen,
von Jhrem Geist all' die verfinsternden Nebel der Verstimmung hinweg-
heben könnte!"

"Sie haben mir durch Jhre Gegenwart schon einen Theil des alten
Muthes zurückgegeben", sagte Jacobi verbindlich.

"O nein, nein, das genügt nicht! Der Grund Jhrer Verstimmung liegt
tiefer und muß durch eine stärkere Kraft, als die meine, gehoben werden.
Sie sind ein Einsiedler geworden und kommen zu wenig an die Luft; das
ist's, was Sie unzufrieden mit sich selbst macht. Jhre Schwestern sind zu
ängstlich und lassen den armen gefangenen Vogel nicht hinaus in die
himmlische Freiheit, die Rheumatismen und Stickflüsse für Sie bereit halten
könnte."

"Meine Schwestern meinen es gut mit mir", begütigte Jacobi. "Jhre
Aengstlichkeit ist ein Zeichen ihrer Liebe."

"So ist es, mein verehrter Freund; aber Sie selbst leiden unter dem
Bann dieser Aengstlichkeit. Jch verkenne durchaus nicht die Vortrefflichkeit
Jhrer Schwestern; ich verehre sie als die treuen Wärterinnen Jhres kost-
baren Lebens; doch gehen sie auf jeden Fall zu weit mit der Verpallisa-
dirung Jhrer Persönlichkeit. Habe ich das nicht selbst oft genug erfahren?
Wurde ich nicht gar manchmal von Jhrer Thür abgewiesen? Die losen
Schwestern! Erfanden sie nicht alle möglichen Krankheiten, um mich los
zu werden? Standen sie nicht an Jhrer Thür Wache und riefen jedem
Passanten ihr "Werda" zu? Nicht passirbar, sagte Schwester Lotte, er hat
Migraine. Heut unmöglich! entschuldigte Schwester Lene. Der Arzt hat
ihm das Denken verboten!"

"Noch immer die alte neckische Schelmin!" lachte der Philosoph. "Aber
so schlimm ist es in der That nicht, liebe Bettina. Sie übertreiben, wie
wir es von Jhnen gewohnt sind; selbst Jhre Schelmerei ist über-
schwänglich!"

"Nun ja, ich führe immer einen Köcher voll Pfeile bei mir, und es
macht mir Freude, hier und da einen, sollte es auch nur auf eine Kammer-
thür sein, abzuschießen. Gönnen Sie mir diese Freude, mein verehrter
Freund, und hören Sie nun, durch welches Mittel Sie von Jhrer un-
heimlichen Melancholie erlös't werden sollen. Jch will heut, morgen, und
so lange ich mich hier aufhalte, ihr Arzt sein. Sie bedürfen, wie ich schon
sagte, der Luft und der Freiheit, der Natur und der Gesellschaft. Jch
biete Jhnen zu allem Diesem die Gelegenheit. Graf Westerhold will
morgen den Starenberger See besuchen und hat mich beauftragt, Sie und
Jhre verehrten Schwestern zu dieser Fahrt einzuladen. Das Wetter ist
herrlich, und ich hoffe, daß Sie diese Einladung nicht zurückweisen werden,
um so weniger, als ich vielleicht nur noch wenige Tage hier sein dürfte."

"Graf Westerhold ist mir ein lieber Freund", entgegnete der Phi-
losoph, "und der See ein vortreffliches Reiseziel; ich befürchte jedoch, daß
meine Schwestern --"

"Sehen Sie", lachte Bettina, "schon wieder Jhre Schwestern! O die
Bösen, daß sie doch vor jeder Jhrer Freuden Schildwacht stehen müssen!
Aber nein! Diesmal soll es Jhnen doch nicht gelingen; ich werde sie selber
fragen, und wehe ihnen dann, wenn sie mir widersprechen sollten! Sind
sie zu Hause?"

"Jch weiß kaum, womit ich ihre Nichtanwesenheit entschuldigen soll",
sagte Jacobi in sichtbarer Verlegenheit. "Sie hinterließen mir, daß sie eine
Morgenvisite machen wollten, aber bald wieder zurückkommen würden; es
muß sie etwas ganz Besonderes gefesselt haben."

"Wie das so geht", lächelte Bettina mit einem Blick nach der Kammer-
thür, "man steht hier und dort still; hinter den Thüren wird man oft
aufgehalten, die Frauen sind neugierig und lauschen gern einer Neuigkeit.
Doch mag es sein, verehrter Freund, ich komme schon wieder. Für jetzt
sei es genug, die Stunde der Akademie ist nicht fern, und ich will nicht
länger stören. Leben Sie wohl und sprechen Sie das Machtwort: ich
will! Opposition mit freiem Mannesmuth und ein unverzagtes: Trotz Lotte
und Lene!"

Mit diesen Worten empfahl sich Bettina, und der Philosoph geleitete
sie bis zur ersten Stufe des Treppenganges.

"Auf Wiedersehen!" flüsterte die Scheidende, ihm nochmals die Hand
reichend, und eilte die Stufen hinab.

Von den Schwestern ließ sich nichts sehen und hören. Die Philippika
der Gegnerin, ihre Anspielungen auf die Thür, die sie nur zu wohl ver-
standen, das schließlich wiederholte Kraftwort: "Trotz Lotte und Lene!" hatte
sie zu schwer verwundet, so daß sie keinen Muth fanden, sich unter die Mün-
[Spaltenumbruch] dung dieser bösen Zunge selbst zu stellen. Nur Eins stand fest: die Ein-
ladung des Grafen Westerhold mußte angenommen werden, einestheils-
um die boshaften Anspielungen Bettina's auf die Freiheitsbeschränkungen
ihres Bruders zu entkräften, anderntheils aber auch, um die Gelegenheit
nicht zu versäumen, sich an der kecken Spötterin während der Reise oder
am See für die erlauschte Vorlesung zu rächen. Kurz und entschlossen
unterrichteten sie deßhalb den Bruder noch denselben Morgen von ihrem
Entschluß, die Einladung Westerholds anzunehmen, so daß, als Bettina
Besuch und Aufforderung gegen Abend wiederholte, kein weiteres Drängen
von ihrer Seite nöthig war.

Am folgenden Morgen herrschte im Hause die rührigste Thätigkeit,
und als der Wagen vorfuhr, erschienen Lotte und Lene mit Schachteln und
Körben, Shawls und Mänteln so schwer bepackt, daß der Kutscher den
Kopf bedenklich schüttelte und Bettina lachend ausrief:

"Herrlich, herrlich! So werden wir in der Wolle sitzen!"

Doch wurden alle Gegenstände glücklich untergebracht; denn der Wagen
war groß und geräumig und die Pferde stark und muthig genug, um das
schwere Gehäuse mit Leichtigkeit davonzutragen.

Drei Stunden später hatte die Gesellschaft ihr Ziel erreicht. Der
Wagen hielt an der Einfahrt zu einem angenehmen Garten, und man
beeilte sich, auszusteigen. Eine Laube, von der aus man einen köstlichen
Blick auf den langgestreckten glänzenden Spiegel des See's genoß, nahm
sie in ihren kühlen Schatten auf, und bald herrschte in dem kleinen Kreise
die ungezwungenste Heiterkeit. Westerhold erzählte von den Seen Nor-
wegens und fesselte eine Zeit lang durch die Anschaulichkeit seiner Schil-
derungen. Währenddessen schnitt Bettina ihren Namen in die Holztafel der
Laube, und Lotte und Lene entledigten die Körbe ihres Jnhalts. Der
Wirth brachte ein Gericht köstlicher Forellen und der Kutscher eine Anzahl
Flaschen, deren Jnhalt den Fischen das verlorene Element ersetzen sollte.
Das Mittagsmahl schmeckte vortrefflich, wurde aber rasch beendet, da Graf
Westerhold den Vorschlag machte, so bald als möglich die Seefahrt an-
zutreten. Man stimmte ihm bei und der Wirth wurde beauftragt, das
Fahrzeug in Stand zu setzen und einen gewandten Führer zu schaffen.
Während dies geschah, ging Bettina im Garten umher und sammelte in
ihrem Strohhut so viel Blumen, als er nur fassen konnte.

"Wollen Sie den Nymphen des See's ein Blumenopfer bringen?"
sagte Jacobi, als sie mit ihrer Beute in die Laube zurückkehrte, "oder ge-
denken Sie einem der Unsterblichen unter uns einen Kranz zu flechten?"

"Vielleicht", entgegnete Bettina; "vor der Hand aber bleibt es ein
Geheimniß."

Jndessen hatte der Wirth des Gartens den verlangten Kahn in Bereit-
schaft setzen lassen und den Herrschaften gehorsamst vermeldet, daß Alles
in Ordnung sei. Jetzt war es Bettina, die mit Ungestüm zur Eile
drängte, und in Kurzem flog das Schifflein, von einer leichten Brise be-
schwingt, über die glänzenden Wellen des See's. Es war eine köstliche
Fahrt. So weit das Auge zu sehen vermochte, Glanz und Herrlichkeit,
hier und dort an den Ufern auftauchende Baumgruppen, dazwischen Villen
mit blumenleuchtenden Terrassen, schaukelnde Fischerbarken, und über all'
dem Funkeln und Blitzen der Wellen die silbernen Spitzen der Alpenkette.
Jacobi war in vortrefflicher Laune. Er entwickelte alle Grazien seiner
Jugend. Er flüsterte Bettina, die an seiner Seite saß und aus den Blu-
men ihres Strohhutes einen Kranz flocht, seelenvolle Worte zu.

"Wie glücklich sehen Sie aus", sagte er leise; "so heiter und sonnig,
wie ein Liebeslied von Goethe. Sind Sie es wirklich, theure Freundin,
und darf ich fragen worüber?"

"Können Sie noch fragen?" entgegnete die Kranzwinderin. "Jch
fühle mich beglückt und selig, weil Sie es sind. Die Natur und die
Freiheit haben Jhnen den Glanz der Jugend zurückgegeben; Jhre Augen
leuchten und verkünden die Rückkehr des Friedens. Sie sind schöner
als je!"

"Schmeichlerin", flüsterte Jacobi dagegen; "kann man auch schön sein
ohne Jugend?"

"Jch liebe den Geist Jhres Gesichts, den Genius, der aus Jhren
warmen, edlen Augen herausleuchtet; das ist die Schönheit, die ich anbete!"

"Wie viel eher gebührte mir es, das zu sagen!" versicherte der
Philosoph. "Jhre Nähe ist Erquickung. Es ist mir, als ob von Jhrem
Genius ein Hauch des Lebens und der Liebe in mich überströmte, so lebendig
bewegt und erregt fühle ich mich!"

"Geht es mir nicht eben so, theurer Freund?" sagte Bettina, "und ist
das nicht das höchste Glück, wenn Zwei mit einander sind und der göttliche
Genius zwischen ihnen waltet?"

"Sie machen mich sehr glücklich, liebe Bettina; geben Sie mir diese
Rose hier zum Andenken!"

"Hier ist sie", lächelte die Freundin, eine halb erblühte dunkelrothe
Rose ihm entgegenhaltend. "Nehmen Sie sie und gedenken Sie meiner,
so lange sie blüht, und auch dann noch, wenn sie verwelkt ist."

"Und was gebe ich Jhnen dagegen?" fragte Jacobi. "O sehen Sie",
lachte er herzlich, indem er die Blumen des Strohhuts durchwühlte, "hier
finde ich noch eine reine helle Rosenknospe, die ist für Sie wie gemacht,
und meine Hand soll sie an Jhrer Brust befestigen. Erlauben Sie?"

Bettina winkte Gewährung und neigte sich ein wenig näher dem Phi-
losophen zu, um ihm das Anstecken zu erleichtern. Diesen Augenblick be-
nutzte Lene, um der Gefühlskoketterie Bettina's, wie sie es wohl nennen
mochte, einen bösen Streich zu spielen. Sie zog aus ihrer Schürzentasche
eine weiße, lang gestrickte, wollene Zipfelmütze, schob sie in einander und
zog sie Jacobi, nachdem sie ihm den Hut abgenommen, weit über
die Ohren.

"Es weht kalt vom See herein", sagte sie ruhig, "mein Bruder könnte
sich erkälten, und: besser verwahrt als beklagt, ist mein Grundsatz!"

"Aber, liebe Lene!" rief Jacobi, außer sich. "Es ist ja noch so warm
und schön, daß man mit unbedecktem Kopf sitzen könnte; soll ich am
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]
Trotz Lotte und Lene.
( Schluß. )

Jn diesem Augenblick war es Bettina, als ob hinter der Kammerthür
ein leises Geräusch ertöne; es schien von dem Anstreifen eines Kleides
oder einer Hand herzurühren, und der Gedanke lag nahe, daß die Schwe-
stern verborgene Zeugen des eben gepflogenen Gesprächs gewesen waren.
Sie traute ihnen dies schon zu. Schon lange hatte sie sich im Stillen
gewundert, daß Lotte und Lene noch nicht erschienen waren; sie hatte auch
Jacobi nach ihnen fragen wollen, es aber im Verlauf des Gesprächs wieder
vergessen. Jetzt aber, da sie Beide hinter der Kammerthür vermuthete,
erwachte auch sobald der ganze Uebermuth und Muthwille ihres neckischen
Dämons, und sie beschloß, die günstige Situation zu benutzen und einige
Pfeile gegen die Thür abzuschießen.

„Sie sehen also, mein hochverehrter Freund“, fuhr sie mit einem schel-
mischen Lächeln fort, „daß Sie durchaus keinen reellen Grund zur Trauer
haben. Was Andere nur mit dem Verstand, das haben Sie zugleich mit
Jhrem warmen Herzen errungen. Jede That aber des Geistes oder des
Herzens, die sich von einer sittlichen Grundlage ablös't, ist des Beifalls
werth, und er ist Jhnen in vollem und gerechtem Maße geworden. O daß
ich, die demüthigste Jhrer Schülerinnen, Jhnen neuen Muth einflößen,
von Jhrem Geist all' die verfinsternden Nebel der Verstimmung hinweg-
heben könnte!“

„Sie haben mir durch Jhre Gegenwart schon einen Theil des alten
Muthes zurückgegeben“, sagte Jacobi verbindlich.

„O nein, nein, das genügt nicht! Der Grund Jhrer Verstimmung liegt
tiefer und muß durch eine stärkere Kraft, als die meine, gehoben werden.
Sie sind ein Einsiedler geworden und kommen zu wenig an die Luft; das
ist's, was Sie unzufrieden mit sich selbst macht. Jhre Schwestern sind zu
ängstlich und lassen den armen gefangenen Vogel nicht hinaus in die
himmlische Freiheit, die Rheumatismen und Stickflüsse für Sie bereit halten
könnte.“

„Meine Schwestern meinen es gut mit mir“, begütigte Jacobi. „Jhre
Aengstlichkeit ist ein Zeichen ihrer Liebe.“

„So ist es, mein verehrter Freund; aber Sie selbst leiden unter dem
Bann dieser Aengstlichkeit. Jch verkenne durchaus nicht die Vortrefflichkeit
Jhrer Schwestern; ich verehre sie als die treuen Wärterinnen Jhres kost-
baren Lebens; doch gehen sie auf jeden Fall zu weit mit der Verpallisa-
dirung Jhrer Persönlichkeit. Habe ich das nicht selbst oft genug erfahren?
Wurde ich nicht gar manchmal von Jhrer Thür abgewiesen? Die losen
Schwestern! Erfanden sie nicht alle möglichen Krankheiten, um mich los
zu werden? Standen sie nicht an Jhrer Thür Wache und riefen jedem
Passanten ihr „Werda“ zu? Nicht passirbar, sagte Schwester Lotte, er hat
Migraine. Heut unmöglich! entschuldigte Schwester Lene. Der Arzt hat
ihm das Denken verboten!“

„Noch immer die alte neckische Schelmin!“ lachte der Philosoph. „Aber
so schlimm ist es in der That nicht, liebe Bettina. Sie übertreiben, wie
wir es von Jhnen gewohnt sind; selbst Jhre Schelmerei ist über-
schwänglich!“

„Nun ja, ich führe immer einen Köcher voll Pfeile bei mir, und es
macht mir Freude, hier und da einen, sollte es auch nur auf eine Kammer-
thür sein, abzuschießen. Gönnen Sie mir diese Freude, mein verehrter
Freund, und hören Sie nun, durch welches Mittel Sie von Jhrer un-
heimlichen Melancholie erlös't werden sollen. Jch will heut, morgen, und
so lange ich mich hier aufhalte, ihr Arzt sein. Sie bedürfen, wie ich schon
sagte, der Luft und der Freiheit, der Natur und der Gesellschaft. Jch
biete Jhnen zu allem Diesem die Gelegenheit. Graf Westerhold will
morgen den Starenberger See besuchen und hat mich beauftragt, Sie und
Jhre verehrten Schwestern zu dieser Fahrt einzuladen. Das Wetter ist
herrlich, und ich hoffe, daß Sie diese Einladung nicht zurückweisen werden,
um so weniger, als ich vielleicht nur noch wenige Tage hier sein dürfte.“

„Graf Westerhold ist mir ein lieber Freund“, entgegnete der Phi-
losoph, „und der See ein vortreffliches Reiseziel; ich befürchte jedoch, daß
meine Schwestern —“

„Sehen Sie“, lachte Bettina, „schon wieder Jhre Schwestern! O die
Bösen, daß sie doch vor jeder Jhrer Freuden Schildwacht stehen müssen!
Aber nein! Diesmal soll es Jhnen doch nicht gelingen; ich werde sie selber
fragen, und wehe ihnen dann, wenn sie mir widersprechen sollten! Sind
sie zu Hause?“

„Jch weiß kaum, womit ich ihre Nichtanwesenheit entschuldigen soll“,
sagte Jacobi in sichtbarer Verlegenheit. „Sie hinterließen mir, daß sie eine
Morgenvisite machen wollten, aber bald wieder zurückkommen würden; es
muß sie etwas ganz Besonderes gefesselt haben.“

„Wie das so geht“, lächelte Bettina mit einem Blick nach der Kammer-
thür, „man steht hier und dort still; hinter den Thüren wird man oft
aufgehalten, die Frauen sind neugierig und lauschen gern einer Neuigkeit.
Doch mag es sein, verehrter Freund, ich komme schon wieder. Für jetzt
sei es genug, die Stunde der Akademie ist nicht fern, und ich will nicht
länger stören. Leben Sie wohl und sprechen Sie das Machtwort: ich
will! Opposition mit freiem Mannesmuth und ein unverzagtes: Trotz Lotte
und Lene!“

Mit diesen Worten empfahl sich Bettina, und der Philosoph geleitete
sie bis zur ersten Stufe des Treppenganges.

„Auf Wiedersehen!“ flüsterte die Scheidende, ihm nochmals die Hand
reichend, und eilte die Stufen hinab.

Von den Schwestern ließ sich nichts sehen und hören. Die Philippika
der Gegnerin, ihre Anspielungen auf die Thür, die sie nur zu wohl ver-
standen, das schließlich wiederholte Kraftwort: „Trotz Lotte und Lene!“ hatte
sie zu schwer verwundet, so daß sie keinen Muth fanden, sich unter die Mün-
[Spaltenumbruch] dung dieser bösen Zunge selbst zu stellen. Nur Eins stand fest: die Ein-
ladung des Grafen Westerhold mußte angenommen werden, einestheils-
um die boshaften Anspielungen Bettina's auf die Freiheitsbeschränkungen
ihres Bruders zu entkräften, anderntheils aber auch, um die Gelegenheit
nicht zu versäumen, sich an der kecken Spötterin während der Reise oder
am See für die erlauschte Vorlesung zu rächen. Kurz und entschlossen
unterrichteten sie deßhalb den Bruder noch denselben Morgen von ihrem
Entschluß, die Einladung Westerholds anzunehmen, so daß, als Bettina
Besuch und Aufforderung gegen Abend wiederholte, kein weiteres Drängen
von ihrer Seite nöthig war.

Am folgenden Morgen herrschte im Hause die rührigste Thätigkeit,
und als der Wagen vorfuhr, erschienen Lotte und Lene mit Schachteln und
Körben, Shawls und Mänteln so schwer bepackt, daß der Kutscher den
Kopf bedenklich schüttelte und Bettina lachend ausrief:

„Herrlich, herrlich! So werden wir in der Wolle sitzen!“

Doch wurden alle Gegenstände glücklich untergebracht; denn der Wagen
war groß und geräumig und die Pferde stark und muthig genug, um das
schwere Gehäuse mit Leichtigkeit davonzutragen.

Drei Stunden später hatte die Gesellschaft ihr Ziel erreicht. Der
Wagen hielt an der Einfahrt zu einem angenehmen Garten, und man
beeilte sich, auszusteigen. Eine Laube, von der aus man einen köstlichen
Blick auf den langgestreckten glänzenden Spiegel des See's genoß, nahm
sie in ihren kühlen Schatten auf, und bald herrschte in dem kleinen Kreise
die ungezwungenste Heiterkeit. Westerhold erzählte von den Seen Nor-
wegens und fesselte eine Zeit lang durch die Anschaulichkeit seiner Schil-
derungen. Währenddessen schnitt Bettina ihren Namen in die Holztafel der
Laube, und Lotte und Lene entledigten die Körbe ihres Jnhalts. Der
Wirth brachte ein Gericht köstlicher Forellen und der Kutscher eine Anzahl
Flaschen, deren Jnhalt den Fischen das verlorene Element ersetzen sollte.
Das Mittagsmahl schmeckte vortrefflich, wurde aber rasch beendet, da Graf
Westerhold den Vorschlag machte, so bald als möglich die Seefahrt an-
zutreten. Man stimmte ihm bei und der Wirth wurde beauftragt, das
Fahrzeug in Stand zu setzen und einen gewandten Führer zu schaffen.
Während dies geschah, ging Bettina im Garten umher und sammelte in
ihrem Strohhut so viel Blumen, als er nur fassen konnte.

„Wollen Sie den Nymphen des See's ein Blumenopfer bringen?“
sagte Jacobi, als sie mit ihrer Beute in die Laube zurückkehrte, „oder ge-
denken Sie einem der Unsterblichen unter uns einen Kranz zu flechten?“

„Vielleicht“, entgegnete Bettina; „vor der Hand aber bleibt es ein
Geheimniß.“

Jndessen hatte der Wirth des Gartens den verlangten Kahn in Bereit-
schaft setzen lassen und den Herrschaften gehorsamst vermeldet, daß Alles
in Ordnung sei. Jetzt war es Bettina, die mit Ungestüm zur Eile
drängte, und in Kurzem flog das Schifflein, von einer leichten Brise be-
schwingt, über die glänzenden Wellen des See's. Es war eine köstliche
Fahrt. So weit das Auge zu sehen vermochte, Glanz und Herrlichkeit,
hier und dort an den Ufern auftauchende Baumgruppen, dazwischen Villen
mit blumenleuchtenden Terrassen, schaukelnde Fischerbarken, und über all'
dem Funkeln und Blitzen der Wellen die silbernen Spitzen der Alpenkette.
Jacobi war in vortrefflicher Laune. Er entwickelte alle Grazien seiner
Jugend. Er flüsterte Bettina, die an seiner Seite saß und aus den Blu-
men ihres Strohhutes einen Kranz flocht, seelenvolle Worte zu.

„Wie glücklich sehen Sie aus“, sagte er leise; „so heiter und sonnig,
wie ein Liebeslied von Goethe. Sind Sie es wirklich, theure Freundin,
und darf ich fragen worüber?“

„Können Sie noch fragen?“ entgegnete die Kranzwinderin. „Jch
fühle mich beglückt und selig, weil Sie es sind. Die Natur und die
Freiheit haben Jhnen den Glanz der Jugend zurückgegeben; Jhre Augen
leuchten und verkünden die Rückkehr des Friedens. Sie sind schöner
als je!“

„Schmeichlerin“, flüsterte Jacobi dagegen; „kann man auch schön sein
ohne Jugend?“

„Jch liebe den Geist Jhres Gesichts, den Genius, der aus Jhren
warmen, edlen Augen herausleuchtet; das ist die Schönheit, die ich anbete!“

„Wie viel eher gebührte mir es, das zu sagen!“ versicherte der
Philosoph. „Jhre Nähe ist Erquickung. Es ist mir, als ob von Jhrem
Genius ein Hauch des Lebens und der Liebe in mich überströmte, so lebendig
bewegt und erregt fühle ich mich!“

„Geht es mir nicht eben so, theurer Freund?“ sagte Bettina, „und ist
das nicht das höchste Glück, wenn Zwei mit einander sind und der göttliche
Genius zwischen ihnen waltet?“

„Sie machen mich sehr glücklich, liebe Bettina; geben Sie mir diese
Rose hier zum Andenken!“

„Hier ist sie“, lächelte die Freundin, eine halb erblühte dunkelrothe
Rose ihm entgegenhaltend. „Nehmen Sie sie und gedenken Sie meiner,
so lange sie blüht, und auch dann noch, wenn sie verwelkt ist.“

„Und was gebe ich Jhnen dagegen?“ fragte Jacobi. „O sehen Sie“,
lachte er herzlich, indem er die Blumen des Strohhuts durchwühlte, „hier
finde ich noch eine reine helle Rosenknospe, die ist für Sie wie gemacht,
und meine Hand soll sie an Jhrer Brust befestigen. Erlauben Sie?“

Bettina winkte Gewährung und neigte sich ein wenig näher dem Phi-
losophen zu, um ihm das Anstecken zu erleichtern. Diesen Augenblick be-
nutzte Lene, um der Gefühlskoketterie Bettina's, wie sie es wohl nennen
mochte, einen bösen Streich zu spielen. Sie zog aus ihrer Schürzentasche
eine weiße, lang gestrickte, wollene Zipfelmütze, schob sie in einander und
zog sie Jacobi, nachdem sie ihm den Hut abgenommen, weit über
die Ohren.

„Es weht kalt vom See herein“, sagte sie ruhig, „mein Bruder könnte
sich erkälten, und: besser verwahrt als beklagt, ist mein Grundsatz!“

„Aber, liebe Lene!“ rief Jacobi, außer sich. „Es ist ja noch so warm
und schön, daß man mit unbedecktem Kopf sitzen könnte; soll ich am
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[180/0004] 180 Trotz Lotte und Lene. ( Schluß. ) Jn diesem Augenblick war es Bettina, als ob hinter der Kammerthür ein leises Geräusch ertöne; es schien von dem Anstreifen eines Kleides oder einer Hand herzurühren, und der Gedanke lag nahe, daß die Schwe- stern verborgene Zeugen des eben gepflogenen Gesprächs gewesen waren. Sie traute ihnen dies schon zu. Schon lange hatte sie sich im Stillen gewundert, daß Lotte und Lene noch nicht erschienen waren; sie hatte auch Jacobi nach ihnen fragen wollen, es aber im Verlauf des Gesprächs wieder vergessen. Jetzt aber, da sie Beide hinter der Kammerthür vermuthete, erwachte auch sobald der ganze Uebermuth und Muthwille ihres neckischen Dämons, und sie beschloß, die günstige Situation zu benutzen und einige Pfeile gegen die Thür abzuschießen. „Sie sehen also, mein hochverehrter Freund“, fuhr sie mit einem schel- mischen Lächeln fort, „daß Sie durchaus keinen reellen Grund zur Trauer haben. Was Andere nur mit dem Verstand, das haben Sie zugleich mit Jhrem warmen Herzen errungen. Jede That aber des Geistes oder des Herzens, die sich von einer sittlichen Grundlage ablös't, ist des Beifalls werth, und er ist Jhnen in vollem und gerechtem Maße geworden. O daß ich, die demüthigste Jhrer Schülerinnen, Jhnen neuen Muth einflößen, von Jhrem Geist all' die verfinsternden Nebel der Verstimmung hinweg- heben könnte!“ „Sie haben mir durch Jhre Gegenwart schon einen Theil des alten Muthes zurückgegeben“, sagte Jacobi verbindlich. „O nein, nein, das genügt nicht! Der Grund Jhrer Verstimmung liegt tiefer und muß durch eine stärkere Kraft, als die meine, gehoben werden. Sie sind ein Einsiedler geworden und kommen zu wenig an die Luft; das ist's, was Sie unzufrieden mit sich selbst macht. Jhre Schwestern sind zu ängstlich und lassen den armen gefangenen Vogel nicht hinaus in die himmlische Freiheit, die Rheumatismen und Stickflüsse für Sie bereit halten könnte.“ „Meine Schwestern meinen es gut mit mir“, begütigte Jacobi. „Jhre Aengstlichkeit ist ein Zeichen ihrer Liebe.“ „So ist es, mein verehrter Freund; aber Sie selbst leiden unter dem Bann dieser Aengstlichkeit. Jch verkenne durchaus nicht die Vortrefflichkeit Jhrer Schwestern; ich verehre sie als die treuen Wärterinnen Jhres kost- baren Lebens; doch gehen sie auf jeden Fall zu weit mit der Verpallisa- dirung Jhrer Persönlichkeit. Habe ich das nicht selbst oft genug erfahren? Wurde ich nicht gar manchmal von Jhrer Thür abgewiesen? Die losen Schwestern! Erfanden sie nicht alle möglichen Krankheiten, um mich los zu werden? Standen sie nicht an Jhrer Thür Wache und riefen jedem Passanten ihr „Werda“ zu? Nicht passirbar, sagte Schwester Lotte, er hat Migraine. Heut unmöglich! entschuldigte Schwester Lene. Der Arzt hat ihm das Denken verboten!“ „Noch immer die alte neckische Schelmin!“ lachte der Philosoph. „Aber so schlimm ist es in der That nicht, liebe Bettina. Sie übertreiben, wie wir es von Jhnen gewohnt sind; selbst Jhre Schelmerei ist über- schwänglich!“ „Nun ja, ich führe immer einen Köcher voll Pfeile bei mir, und es macht mir Freude, hier und da einen, sollte es auch nur auf eine Kammer- thür sein, abzuschießen. Gönnen Sie mir diese Freude, mein verehrter Freund, und hören Sie nun, durch welches Mittel Sie von Jhrer un- heimlichen Melancholie erlös't werden sollen. Jch will heut, morgen, und so lange ich mich hier aufhalte, ihr Arzt sein. Sie bedürfen, wie ich schon sagte, der Luft und der Freiheit, der Natur und der Gesellschaft. Jch biete Jhnen zu allem Diesem die Gelegenheit. Graf Westerhold will morgen den Starenberger See besuchen und hat mich beauftragt, Sie und Jhre verehrten Schwestern zu dieser Fahrt einzuladen. Das Wetter ist herrlich, und ich hoffe, daß Sie diese Einladung nicht zurückweisen werden, um so weniger, als ich vielleicht nur noch wenige Tage hier sein dürfte.“ „Graf Westerhold ist mir ein lieber Freund“, entgegnete der Phi- losoph, „und der See ein vortreffliches Reiseziel; ich befürchte jedoch, daß meine Schwestern —“ „Sehen Sie“, lachte Bettina, „schon wieder Jhre Schwestern! O die Bösen, daß sie doch vor jeder Jhrer Freuden Schildwacht stehen müssen! Aber nein! Diesmal soll es Jhnen doch nicht gelingen; ich werde sie selber fragen, und wehe ihnen dann, wenn sie mir widersprechen sollten! Sind sie zu Hause?“ „Jch weiß kaum, womit ich ihre Nichtanwesenheit entschuldigen soll“, sagte Jacobi in sichtbarer Verlegenheit. „Sie hinterließen mir, daß sie eine Morgenvisite machen wollten, aber bald wieder zurückkommen würden; es muß sie etwas ganz Besonderes gefesselt haben.“ „Wie das so geht“, lächelte Bettina mit einem Blick nach der Kammer- thür, „man steht hier und dort still; hinter den Thüren wird man oft aufgehalten, die Frauen sind neugierig und lauschen gern einer Neuigkeit. Doch mag es sein, verehrter Freund, ich komme schon wieder. Für jetzt sei es genug, die Stunde der Akademie ist nicht fern, und ich will nicht länger stören. Leben Sie wohl und sprechen Sie das Machtwort: ich will! Opposition mit freiem Mannesmuth und ein unverzagtes: Trotz Lotte und Lene!“ Mit diesen Worten empfahl sich Bettina, und der Philosoph geleitete sie bis zur ersten Stufe des Treppenganges. „Auf Wiedersehen!“ flüsterte die Scheidende, ihm nochmals die Hand reichend, und eilte die Stufen hinab. Von den Schwestern ließ sich nichts sehen und hören. Die Philippika der Gegnerin, ihre Anspielungen auf die Thür, die sie nur zu wohl ver- standen, das schließlich wiederholte Kraftwort: „Trotz Lotte und Lene!“ hatte sie zu schwer verwundet, so daß sie keinen Muth fanden, sich unter die Mün- dung dieser bösen Zunge selbst zu stellen. Nur Eins stand fest: die Ein- ladung des Grafen Westerhold mußte angenommen werden, einestheils- um die boshaften Anspielungen Bettina's auf die Freiheitsbeschränkungen ihres Bruders zu entkräften, anderntheils aber auch, um die Gelegenheit nicht zu versäumen, sich an der kecken Spötterin während der Reise oder am See für die erlauschte Vorlesung zu rächen. Kurz und entschlossen unterrichteten sie deßhalb den Bruder noch denselben Morgen von ihrem Entschluß, die Einladung Westerholds anzunehmen, so daß, als Bettina Besuch und Aufforderung gegen Abend wiederholte, kein weiteres Drängen von ihrer Seite nöthig war. Am folgenden Morgen herrschte im Hause die rührigste Thätigkeit, und als der Wagen vorfuhr, erschienen Lotte und Lene mit Schachteln und Körben, Shawls und Mänteln so schwer bepackt, daß der Kutscher den Kopf bedenklich schüttelte und Bettina lachend ausrief: „Herrlich, herrlich! So werden wir in der Wolle sitzen!“ Doch wurden alle Gegenstände glücklich untergebracht; denn der Wagen war groß und geräumig und die Pferde stark und muthig genug, um das schwere Gehäuse mit Leichtigkeit davonzutragen. Drei Stunden später hatte die Gesellschaft ihr Ziel erreicht. Der Wagen hielt an der Einfahrt zu einem angenehmen Garten, und man beeilte sich, auszusteigen. Eine Laube, von der aus man einen köstlichen Blick auf den langgestreckten glänzenden Spiegel des See's genoß, nahm sie in ihren kühlen Schatten auf, und bald herrschte in dem kleinen Kreise die ungezwungenste Heiterkeit. Westerhold erzählte von den Seen Nor- wegens und fesselte eine Zeit lang durch die Anschaulichkeit seiner Schil- derungen. Währenddessen schnitt Bettina ihren Namen in die Holztafel der Laube, und Lotte und Lene entledigten die Körbe ihres Jnhalts. Der Wirth brachte ein Gericht köstlicher Forellen und der Kutscher eine Anzahl Flaschen, deren Jnhalt den Fischen das verlorene Element ersetzen sollte. Das Mittagsmahl schmeckte vortrefflich, wurde aber rasch beendet, da Graf Westerhold den Vorschlag machte, so bald als möglich die Seefahrt an- zutreten. Man stimmte ihm bei und der Wirth wurde beauftragt, das Fahrzeug in Stand zu setzen und einen gewandten Führer zu schaffen. Während dies geschah, ging Bettina im Garten umher und sammelte in ihrem Strohhut so viel Blumen, als er nur fassen konnte. „Wollen Sie den Nymphen des See's ein Blumenopfer bringen?“ sagte Jacobi, als sie mit ihrer Beute in die Laube zurückkehrte, „oder ge- denken Sie einem der Unsterblichen unter uns einen Kranz zu flechten?“ „Vielleicht“, entgegnete Bettina; „vor der Hand aber bleibt es ein Geheimniß.“ Jndessen hatte der Wirth des Gartens den verlangten Kahn in Bereit- schaft setzen lassen und den Herrschaften gehorsamst vermeldet, daß Alles in Ordnung sei. Jetzt war es Bettina, die mit Ungestüm zur Eile drängte, und in Kurzem flog das Schifflein, von einer leichten Brise be- schwingt, über die glänzenden Wellen des See's. Es war eine köstliche Fahrt. 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Sie sind schöner als je!“ „Schmeichlerin“, flüsterte Jacobi dagegen; „kann man auch schön sein ohne Jugend?“ „Jch liebe den Geist Jhres Gesichts, den Genius, der aus Jhren warmen, edlen Augen herausleuchtet; das ist die Schönheit, die ich anbete!“ „Wie viel eher gebührte mir es, das zu sagen!“ versicherte der Philosoph. „Jhre Nähe ist Erquickung. Es ist mir, als ob von Jhrem Genius ein Hauch des Lebens und der Liebe in mich überströmte, so lebendig bewegt und erregt fühle ich mich!“ „Geht es mir nicht eben so, theurer Freund?“ sagte Bettina, „und ist das nicht das höchste Glück, wenn Zwei mit einander sind und der göttliche Genius zwischen ihnen waltet?“ „Sie machen mich sehr glücklich, liebe Bettina; geben Sie mir diese Rose hier zum Andenken!“ „Hier ist sie“, lächelte die Freundin, eine halb erblühte dunkelrothe Rose ihm entgegenhaltend. „Nehmen Sie sie und gedenken Sie meiner, so lange sie blüht, und auch dann noch, wenn sie verwelkt ist.“ „Und was gebe ich Jhnen dagegen?“ fragte Jacobi. „O sehen Sie“, lachte er herzlich, indem er die Blumen des Strohhuts durchwühlte, „hier finde ich noch eine reine helle Rosenknospe, die ist für Sie wie gemacht, und meine Hand soll sie an Jhrer Brust befestigen. Erlauben Sie?“ Bettina winkte Gewährung und neigte sich ein wenig näher dem Phi- losophen zu, um ihm das Anstecken zu erleichtern. Diesen Augenblick be- nutzte Lene, um der Gefühlskoketterie Bettina's, wie sie es wohl nennen mochte, einen bösen Streich zu spielen. Sie zog aus ihrer Schürzentasche eine weiße, lang gestrickte, wollene Zipfelmütze, schob sie in einander und zog sie Jacobi, nachdem sie ihm den Hut abgenommen, weit über die Ohren. „Es weht kalt vom See herein“, sagte sie ruhig, „mein Bruder könnte sich erkälten, und: besser verwahrt als beklagt, ist mein Grundsatz!“ „Aber, liebe Lene!“ rief Jacobi, außer sich. „Es ist ja noch so warm und schön, daß man mit unbedecktem Kopf sitzen könnte; soll ich am

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 23. Berlin, 7. Juni 1868, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt23_1868/4>, abgerufen am 01.06.2024.