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Sonntags-Blatt. Nr. 24. Berlin, 14. Juni 1868.

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[Beginn Spaltensatz] 1795 in den gesammelten "chemischen Versuchen" *), einem fünf
Bände fassenden Buche, niedergelegt. Nie versucht er hier die Re-
sultate auf Kosten der Wahrheit auszuschmücken, sondern klagt stets
bescheiden seine Unkenntniß an, sobald sich ein undurchdringlicher
Schleier der weiteren Aufklärung feindlich zeigt. Seine Versuche
theilt er, entgegen dem Gebrauch seiner Vorgänger, mit allen Opera-
tionen und daraus gezogenen Schlüssen mit, nie gleicht er die selbst
bei dem geübtesten Analytiker eintretenden kleinen Differenzen zur
Zahl 100 resp. der genommenen Menge des Stoffes willkürlich aus.
Obgleich er sich wohl bewußt sein konnte, wie seine Geschicklichkeit
in chemischen Untersuchungen fast einzig dastand, so hält er sich doch
nicht für unfehlbar, meint im Gegentheil in der Vorrede seines oben
angeführten Buches " Plus vident oculi, quam oculus, deßhalb
bitte ich alle Chemiker, meine Versuche einer recht gründlichen Prü-
fung zu unterziehen und das Wahre von dem Falschen zu scheiden".
Jn diesem Buche lehrt er zwei bis dahin verwechselte Mineralien, den
Witherit und Strontianit, unterscheiden; während er in dem ersteren
Mineral den kohlensauren Baryt, in dem andern die Strontianerde
nachweist, hebt er als charakteristische Eigenthümlichkeit des Strontianits
das Verbrennen mit schöner rother Flamme hervor, was seitdem die
Feuerwerkerei in so reichem Maße zur beliebten rothen bengalischen
Flamme benutzt hat. Die Alaunerde erkennt er als in Aetzkalilauge
löslich -- ein Umstand, der das Anwenden von hartem Wasser zur
Wäsche verbietet. Die Yttererde, die Beryllerde werden durch seine
Bestätigung in der Gelehrtenwelt anerkannt. Namhafte Chemiker
ersuchen ihn bei Zweifeln, die ihre Entdeckungen erregen, um sein
Urtheil, welches z. B. das von Müller von Reichenstein aufgefundene
Metall "Tellur" in diese aristokratische Klasse der Naturkörper ein-
treten heißt.

Das lange gehegte Vorurtheil, daß das Kali nur im Pflanzen-
reich und daß das Natron nur im Kochsalz als eine Verbindung auf-
treten, zerstört er gründlich durch den Nachweis des Kali's im Laurit,
des Natrons im Borax. Die mit diesen Anschauungen geschaffenen
Namen, wie "vegetabilisches Alkali" für Kali und "Mineral=Alkali"
für Natron hebt er hiermit zugleich auf.

[Spaltenumbruch]

Bedeutende Verdienste hat er sich um die Untersuchung von Mi-
neralquellen erworben. So hat er an Ort und Stelle die Karlsbader
Quellsoolen und den Königsbronn zu Unna in Westphalen analysirt.
Bekümmern wir uns weniger um die gefundenen Bestandtheile und
die daraus gezogenen medizinischen Schlüsse, sondern heben wir seinen
wiederholten Hinweis auf die Nothwendigkeit hervor, die Sprudel in
der Jndustrie besser und würdiger zu benutzen. Die Ausbeutung des
kohlensauren Natrons, der Soda, beträgt jetzt mehrere Tausend Centner
jährlich. Vor ihm war keine Fabrikation von Mineralwassern, diese
jetzt so mächtig entfaltete Jndustrie, möglich. Schreiben wir an
dieser Stelle unbesorgt diese Förderung des Volkswohlstandes dem
Klaproth zu. Alle einzelnen Versuche anzuführen, die dieses volumi-
nöse Buch enthält, könnte nur ermüdend wirken; kehren wir uns lieber
einer neuen Seite seiner Leistungen mit wenigen Worten zu, die keins
seiner Bücher, wohl aber mehr als eine Abhandlung der Berliner
Akademie der Wissenschaften mittheilte. Die in Deutschland hart be-
kämpften Lavoisin'schen Jdeen über die Verbrennung der Körper durch
Zutritt von Sauerstoff, die damit verbundenen Ansichten über die so-
genannte Verkalkung, Verwesung, finden durch Klaproths anschauliche
Versuche zuerst bei den Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften
Eingang, dann durch sein energisches Wirken auch bei allen Natur-
forschern des deutschen Reichs.

Ein anderes, seine Thätigkeit beweisendes Buch ist nicht von ihm
allein, sondern in Gemeinschaft mit einem Professor Wolff im Jahre
1816, kurz vor seinem Tode, mit der nicht recht zu erklärenden
Widmung an den "Kaiser von Rußland, den Vater seiner wahrhaft
glücklichen Völker" herausgegeben. "Chemisches Wörterbuch" ist der
Titel dieses Werkes, das noch in keinem seiner Artikel veraltet ist.
Die Nomenclatur des Buches ist eine vorzügliche, heut noch kaum
veränderte, trotz der seitdem mit Riesenschritten vorwärts eilenden Chemie.

Klaproth hat ein gutes Fundament vornehmlich für die analytische
Chemie gelegt; er hat durch Verbreitung der Lavoisin'schen Theorien
auch schon ein solides Fachwerk darauf gesetzt und seinen Nachfolgern
die Möglichkeit verschafft, so schnell, wie es geschehen, ein stolzes
Haus auf dem Fundament zu erbauen. Mögen die Männer, die
dieses Haus immer wohnlicher und würdiger ausstatten, gleich ihm
ihre Mühen und Sorgen belohnt sehen!

[Ende Spaltensatz]

Lose Blätter.
[Beginn Spaltensatz]

M. Der "kranke Mann in Europa", mit welcher Bezeichnung bekanntlich
die Türkei gemeint ist, stammt zuerst von dem Spötter Voltaire, und
zwar in einem seiner Briefe an Katharina von Rußland her. Zwischen
ihm und der Kaiserin waren über den Gesundheitszustand des kranken
Türken vertrauliche Aeußerungen gepflogen worden, und Voltaire sprach
es mit voller Bestimmtheit aus, der "kranke Mann könne nur in den über
ihn zusammenschlagenden Armen Rußlands sein richtiges und wohlverdientes
Ende finden!" Das Voltaire'sche Wort vom kranken Mann, der auf den
letzten Schlag des russischen Czaren warte, war in die russischen Hof-
traditionen übergegangen und hatte sich in denselben als pikanter Ausdruck
einer Jdee festgesetzt, welche das Schicksal selbst in die Bestimmung Ruß-
lands eingepflanzt habe.



M. Geschichtliches Kuriosum. Auf der Versammlung zu Nürnberg
faßten die Deputirten des fränkischen Kreises unterm 14. Februar 1650
folgenden merkwürdigen Beschluß: "Um die durch den Krieg gänzlich herab-
gekommene Bevölkerung des Landes wieder zu heben und die waffenfähige
Mannschaft zu rekrutiren, damit man dem drohenden Erbfeinde des christ-
lichen Namens, den in Ungarn eingefallenen Türken, stattlich gewachsen
sein möge, sollen hinfüro innerhalb der nächsten zehn Jahre alle Jünglinge
und Jungfrauen unter sechszig Jahren von der Aufnahme in den geistlichen
Stand ausgeschlossen sein; den Priestern, welche nicht in Klöstern oder
Kollegiatstiften befindlich, [unleserliches Material - 3 Zeichen fehlen]sei erlaubt, sich gleich zu verheirathen; jedem
Manne sei gestattet, zwei Weiber zu ehelichen, dabei soll jedoch derselbe
ernstlich erinnert, auch auf den Kanzeln öfters öffentlich ermahnt werden,
sich dergestalten hierinnen zu verhalten und vorzusehen, daß er sich
nöthiger und gebührender Discretion und Vorsorge befleiße, damit er als
ein ehrlicher Mann, der sich zwei Weiber zu nehmen getraut, beiden Ehe-
frauen nicht allein nothwendig Ungemach und Unwillen verhüte."



M. Eine feindliche Jnvasion bei Madame Clicquot. Als Anno
1815 die Deutschen und Russen den freundlichen Besuch der Franzosen
eben so freundschaftlich erwiderten, lagen in den Kellern der Madame
Clicquot zu Rheims gegen 200,000 Flaschen vortrefflichen Champagners
[Spaltenumbruch] aufgestapelt. Ein russisches Bataillon erhielt von seinem Kommandanten
die Erlaubniß, dem Moussirenden nach Herzenslust zuzusprechen. Madame
Clicquot, von dem Schicksal in Kenntniß gesetzt, welches ihren Batterien,
den Kosaken gegenüber, bevorstand, war weit entfernt, in Ohnmacht zu
fallen; gelassen erwiderte sie: "Jmmer zu, laßt sie nur den Wein ver-
suchen, sie werden schon wiederkommen und für blankes Geld kaufen, wo-
von sie heut die Probe nehmen!" Und so geschah es. Die Russen fanden
den Champagner so über alle Maßen gut, daß es ihnen noch heut un-
möglich ist, darauf zu verzichten. Jedes Jahr befördert Madame Clicquot
für zwei Millionen Francs Champagner nach Rußland, pro Flasche fünf-
zehn Francs. Wohl wenigen Weinhändlern ist bei einer feindlichen Jn-
vasion ein solcher Glücksstern aufgegangen.



M. Anti=Tabakiana. Papst Urban VIII. sprach das Anathema aus
über Jeden, der in der Kirche -- Tabak schnupfen würde. Sultan
Amurat IV. verurtheilte die Raucher zum Tode, und ein Edikt des Berner
Senats vom Jahre 1661 stellte das Tabakrauchen dem Raub und Mord
gleich. Tempora mutantur!



M. Unter den Wisserihs, einem mächtigen Volksstamm Kabuls, in
den Bergen zwischen Persien und Jndien, herrscht eine Sitte, die wohl
nirgend ihres Gleichen hat. Findet nämlich eine Frau Gefallen an einem
Manne, so sendet sie den Trommelschläger des Lagers mit einem Tuch
ab, um dasselbe an der Mütze des Auserkorenen zu befestigen. Der
Trommelschläger wartet die Gelegenheit ab, bis er seinen Auftrag in
öffentlicher Versammlung ausrichten kann, wobei er den Namen des Weibes
nennt, das der Mann sofort heirathen muß.



Briefkasten.

Fr. in D.: Bereits veraltet. Auch erinnern wir uns, Aehnliches in
einem andern Blatte gelesen zu haben. -- A. v. P.: Wo haben Sie Jhre
Metrik studirt?

[Ende Spaltensatz]

Zur Besprechung die Redaktion betreffender Angelegenheiten ist der Redakteur dieses Blattes jeden Montag und Dienstag von
12 bis 2 Uhr in dem Redaktionsbureau, Potsdamerstraße Nr. 20, anwesend, wohin auch alle Zusendungen erbeten werden.



Druck und Verlag von Franz Duncker in Berlin. -- Verantwortlicher Redakteur: Ernst Dohm in Berlin.

*) Mineralogisch=chemische Versuche von M. H. Klaproth. Berlin und
Posen, 1795. Hof=Buchdruckerei.

[Beginn Spaltensatz] 1795 in den gesammelten „chemischen Versuchen“ *), einem fünf
Bände fassenden Buche, niedergelegt. Nie versucht er hier die Re-
sultate auf Kosten der Wahrheit auszuschmücken, sondern klagt stets
bescheiden seine Unkenntniß an, sobald sich ein undurchdringlicher
Schleier der weiteren Aufklärung feindlich zeigt. Seine Versuche
theilt er, entgegen dem Gebrauch seiner Vorgänger, mit allen Opera-
tionen und daraus gezogenen Schlüssen mit, nie gleicht er die selbst
bei dem geübtesten Analytiker eintretenden kleinen Differenzen zur
Zahl 100 resp. der genommenen Menge des Stoffes willkürlich aus.
Obgleich er sich wohl bewußt sein konnte, wie seine Geschicklichkeit
in chemischen Untersuchungen fast einzig dastand, so hält er sich doch
nicht für unfehlbar, meint im Gegentheil in der Vorrede seines oben
angeführten Buches „ Plus vident oculi, quam oculus, deßhalb
bitte ich alle Chemiker, meine Versuche einer recht gründlichen Prü-
fung zu unterziehen und das Wahre von dem Falschen zu scheiden“.
Jn diesem Buche lehrt er zwei bis dahin verwechselte Mineralien, den
Witherit und Strontianit, unterscheiden; während er in dem ersteren
Mineral den kohlensauren Baryt, in dem andern die Strontianerde
nachweist, hebt er als charakteristische Eigenthümlichkeit des Strontianits
das Verbrennen mit schöner rother Flamme hervor, was seitdem die
Feuerwerkerei in so reichem Maße zur beliebten rothen bengalischen
Flamme benutzt hat. Die Alaunerde erkennt er als in Aetzkalilauge
löslich — ein Umstand, der das Anwenden von hartem Wasser zur
Wäsche verbietet. Die Yttererde, die Beryllerde werden durch seine
Bestätigung in der Gelehrtenwelt anerkannt. Namhafte Chemiker
ersuchen ihn bei Zweifeln, die ihre Entdeckungen erregen, um sein
Urtheil, welches z. B. das von Müller von Reichenstein aufgefundene
Metall „Tellur“ in diese aristokratische Klasse der Naturkörper ein-
treten heißt.

Das lange gehegte Vorurtheil, daß das Kali nur im Pflanzen-
reich und daß das Natron nur im Kochsalz als eine Verbindung auf-
treten, zerstört er gründlich durch den Nachweis des Kali's im Laurit,
des Natrons im Borax. Die mit diesen Anschauungen geschaffenen
Namen, wie „vegetabilisches Alkali“ für Kali und „Mineral=Alkali“
für Natron hebt er hiermit zugleich auf.

[Spaltenumbruch]

Bedeutende Verdienste hat er sich um die Untersuchung von Mi-
neralquellen erworben. So hat er an Ort und Stelle die Karlsbader
Quellsoolen und den Königsbronn zu Unna in Westphalen analysirt.
Bekümmern wir uns weniger um die gefundenen Bestandtheile und
die daraus gezogenen medizinischen Schlüsse, sondern heben wir seinen
wiederholten Hinweis auf die Nothwendigkeit hervor, die Sprudel in
der Jndustrie besser und würdiger zu benutzen. Die Ausbeutung des
kohlensauren Natrons, der Soda, beträgt jetzt mehrere Tausend Centner
jährlich. Vor ihm war keine Fabrikation von Mineralwassern, diese
jetzt so mächtig entfaltete Jndustrie, möglich. Schreiben wir an
dieser Stelle unbesorgt diese Förderung des Volkswohlstandes dem
Klaproth zu. Alle einzelnen Versuche anzuführen, die dieses volumi-
nöse Buch enthält, könnte nur ermüdend wirken; kehren wir uns lieber
einer neuen Seite seiner Leistungen mit wenigen Worten zu, die keins
seiner Bücher, wohl aber mehr als eine Abhandlung der Berliner
Akademie der Wissenschaften mittheilte. Die in Deutschland hart be-
kämpften Lavoisin'schen Jdeen über die Verbrennung der Körper durch
Zutritt von Sauerstoff, die damit verbundenen Ansichten über die so-
genannte Verkalkung, Verwesung, finden durch Klaproths anschauliche
Versuche zuerst bei den Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften
Eingang, dann durch sein energisches Wirken auch bei allen Natur-
forschern des deutschen Reichs.

Ein anderes, seine Thätigkeit beweisendes Buch ist nicht von ihm
allein, sondern in Gemeinschaft mit einem Professor Wolff im Jahre
1816, kurz vor seinem Tode, mit der nicht recht zu erklärenden
Widmung an den „Kaiser von Rußland, den Vater seiner wahrhaft
glücklichen Völker“ herausgegeben. „Chemisches Wörterbuch“ ist der
Titel dieses Werkes, das noch in keinem seiner Artikel veraltet ist.
Die Nomenclatur des Buches ist eine vorzügliche, heut noch kaum
veränderte, trotz der seitdem mit Riesenschritten vorwärts eilenden Chemie.

Klaproth hat ein gutes Fundament vornehmlich für die analytische
Chemie gelegt; er hat durch Verbreitung der Lavoisin'schen Theorien
auch schon ein solides Fachwerk darauf gesetzt und seinen Nachfolgern
die Möglichkeit verschafft, so schnell, wie es geschehen, ein stolzes
Haus auf dem Fundament zu erbauen. Mögen die Männer, die
dieses Haus immer wohnlicher und würdiger ausstatten, gleich ihm
ihre Mühen und Sorgen belohnt sehen!

[Ende Spaltensatz]

Lose Blätter.
[Beginn Spaltensatz]

M. Der „kranke Mann in Europa“, mit welcher Bezeichnung bekanntlich
die Türkei gemeint ist, stammt zuerst von dem Spötter Voltaire, und
zwar in einem seiner Briefe an Katharina von Rußland her. Zwischen
ihm und der Kaiserin waren über den Gesundheitszustand des kranken
Türken vertrauliche Aeußerungen gepflogen worden, und Voltaire sprach
es mit voller Bestimmtheit aus, der „kranke Mann könne nur in den über
ihn zusammenschlagenden Armen Rußlands sein richtiges und wohlverdientes
Ende finden!“ Das Voltaire'sche Wort vom kranken Mann, der auf den
letzten Schlag des russischen Czaren warte, war in die russischen Hof-
traditionen übergegangen und hatte sich in denselben als pikanter Ausdruck
einer Jdee festgesetzt, welche das Schicksal selbst in die Bestimmung Ruß-
lands eingepflanzt habe.



M. Geschichtliches Kuriosum. Auf der Versammlung zu Nürnberg
faßten die Deputirten des fränkischen Kreises unterm 14. Februar 1650
folgenden merkwürdigen Beschluß: „Um die durch den Krieg gänzlich herab-
gekommene Bevölkerung des Landes wieder zu heben und die waffenfähige
Mannschaft zu rekrutiren, damit man dem drohenden Erbfeinde des christ-
lichen Namens, den in Ungarn eingefallenen Türken, stattlich gewachsen
sein möge, sollen hinfüro innerhalb der nächsten zehn Jahre alle Jünglinge
und Jungfrauen unter sechszig Jahren von der Aufnahme in den geistlichen
Stand ausgeschlossen sein; den Priestern, welche nicht in Klöstern oder
Kollegiatstiften befindlich, [unleserliches Material – 3 Zeichen fehlen]sei erlaubt, sich gleich zu verheirathen; jedem
Manne sei gestattet, zwei Weiber zu ehelichen, dabei soll jedoch derselbe
ernstlich erinnert, auch auf den Kanzeln öfters öffentlich ermahnt werden,
sich dergestalten hierinnen zu verhalten und vorzusehen, daß er sich
nöthiger und gebührender Discretion und Vorsorge befleiße, damit er als
ein ehrlicher Mann, der sich zwei Weiber zu nehmen getraut, beiden Ehe-
frauen nicht allein nothwendig Ungemach und Unwillen verhüte.“



M. Eine feindliche Jnvasion bei Madame Clicquot. Als Anno
1815 die Deutschen und Russen den freundlichen Besuch der Franzosen
eben so freundschaftlich erwiderten, lagen in den Kellern der Madame
Clicquot zu Rheims gegen 200,000 Flaschen vortrefflichen Champagners
[Spaltenumbruch] aufgestapelt. Ein russisches Bataillon erhielt von seinem Kommandanten
die Erlaubniß, dem Moussirenden nach Herzenslust zuzusprechen. Madame
Clicquot, von dem Schicksal in Kenntniß gesetzt, welches ihren Batterien,
den Kosaken gegenüber, bevorstand, war weit entfernt, in Ohnmacht zu
fallen; gelassen erwiderte sie: „Jmmer zu, laßt sie nur den Wein ver-
suchen, sie werden schon wiederkommen und für blankes Geld kaufen, wo-
von sie heut die Probe nehmen!“ Und so geschah es. Die Russen fanden
den Champagner so über alle Maßen gut, daß es ihnen noch heut un-
möglich ist, darauf zu verzichten. Jedes Jahr befördert Madame Clicquot
für zwei Millionen Francs Champagner nach Rußland, pro Flasche fünf-
zehn Francs. Wohl wenigen Weinhändlern ist bei einer feindlichen Jn-
vasion ein solcher Glücksstern aufgegangen.



M. Anti=Tabakiana. Papst Urban VIII. sprach das Anathema aus
über Jeden, der in der Kirche — Tabak schnupfen würde. Sultan
Amurat IV. verurtheilte die Raucher zum Tode, und ein Edikt des Berner
Senats vom Jahre 1661 stellte das Tabakrauchen dem Raub und Mord
gleich. Tempora mutantur!



M. Unter den Wisserihs, einem mächtigen Volksstamm Kabuls, in
den Bergen zwischen Persien und Jndien, herrscht eine Sitte, die wohl
nirgend ihres Gleichen hat. Findet nämlich eine Frau Gefallen an einem
Manne, so sendet sie den Trommelschläger des Lagers mit einem Tuch
ab, um dasselbe an der Mütze des Auserkorenen zu befestigen. Der
Trommelschläger wartet die Gelegenheit ab, bis er seinen Auftrag in
öffentlicher Versammlung ausrichten kann, wobei er den Namen des Weibes
nennt, das der Mann sofort heirathen muß.



Briefkasten.

Fr. in D.: Bereits veraltet. Auch erinnern wir uns, Aehnliches in
einem andern Blatte gelesen zu haben. — A. v. P.: Wo haben Sie Jhre
Metrik studirt?

[Ende Spaltensatz]

☞ Zur Besprechung die Redaktion betreffender Angelegenheiten ist der Redakteur dieses Blattes jeden Montag und Dienstag von
12 bis 2 Uhr in dem Redaktionsbureau, Potsdamerstraße Nr. 20, anwesend, wohin auch alle Zusendungen erbeten werden.



Druck und Verlag von Franz Duncker in Berlin. — Verantwortlicher Redakteur: Ernst Dohm in Berlin.

*) Mineralogisch=chemische Versuche von M. H. Klaproth. Berlin und
Posen, 1795. Hof=Buchdruckerei.
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[192/0008] 192 1795 in den gesammelten „chemischen Versuchen“ *), einem fünf Bände fassenden Buche, niedergelegt. Nie versucht er hier die Re- sultate auf Kosten der Wahrheit auszuschmücken, sondern klagt stets bescheiden seine Unkenntniß an, sobald sich ein undurchdringlicher Schleier der weiteren Aufklärung feindlich zeigt. Seine Versuche theilt er, entgegen dem Gebrauch seiner Vorgänger, mit allen Opera- tionen und daraus gezogenen Schlüssen mit, nie gleicht er die selbst bei dem geübtesten Analytiker eintretenden kleinen Differenzen zur Zahl 100 resp. der genommenen Menge des Stoffes willkürlich aus. Obgleich er sich wohl bewußt sein konnte, wie seine Geschicklichkeit in chemischen Untersuchungen fast einzig dastand, so hält er sich doch nicht für unfehlbar, meint im Gegentheil in der Vorrede seines oben angeführten Buches „ Plus vident oculi, quam oculus, deßhalb bitte ich alle Chemiker, meine Versuche einer recht gründlichen Prü- fung zu unterziehen und das Wahre von dem Falschen zu scheiden“. Jn diesem Buche lehrt er zwei bis dahin verwechselte Mineralien, den Witherit und Strontianit, unterscheiden; während er in dem ersteren Mineral den kohlensauren Baryt, in dem andern die Strontianerde nachweist, hebt er als charakteristische Eigenthümlichkeit des Strontianits das Verbrennen mit schöner rother Flamme hervor, was seitdem die Feuerwerkerei in so reichem Maße zur beliebten rothen bengalischen Flamme benutzt hat. Die Alaunerde erkennt er als in Aetzkalilauge löslich — ein Umstand, der das Anwenden von hartem Wasser zur Wäsche verbietet. Die Yttererde, die Beryllerde werden durch seine Bestätigung in der Gelehrtenwelt anerkannt. Namhafte Chemiker ersuchen ihn bei Zweifeln, die ihre Entdeckungen erregen, um sein Urtheil, welches z. B. das von Müller von Reichenstein aufgefundene Metall „Tellur“ in diese aristokratische Klasse der Naturkörper ein- treten heißt. Das lange gehegte Vorurtheil, daß das Kali nur im Pflanzen- reich und daß das Natron nur im Kochsalz als eine Verbindung auf- treten, zerstört er gründlich durch den Nachweis des Kali's im Laurit, des Natrons im Borax. Die mit diesen Anschauungen geschaffenen Namen, wie „vegetabilisches Alkali“ für Kali und „Mineral=Alkali“ für Natron hebt er hiermit zugleich auf. Bedeutende Verdienste hat er sich um die Untersuchung von Mi- neralquellen erworben. So hat er an Ort und Stelle die Karlsbader Quellsoolen und den Königsbronn zu Unna in Westphalen analysirt. Bekümmern wir uns weniger um die gefundenen Bestandtheile und die daraus gezogenen medizinischen Schlüsse, sondern heben wir seinen wiederholten Hinweis auf die Nothwendigkeit hervor, die Sprudel in der Jndustrie besser und würdiger zu benutzen. Die Ausbeutung des kohlensauren Natrons, der Soda, beträgt jetzt mehrere Tausend Centner jährlich. Vor ihm war keine Fabrikation von Mineralwassern, diese jetzt so mächtig entfaltete Jndustrie, möglich. Schreiben wir an dieser Stelle unbesorgt diese Förderung des Volkswohlstandes dem Klaproth zu. Alle einzelnen Versuche anzuführen, die dieses volumi- nöse Buch enthält, könnte nur ermüdend wirken; kehren wir uns lieber einer neuen Seite seiner Leistungen mit wenigen Worten zu, die keins seiner Bücher, wohl aber mehr als eine Abhandlung der Berliner Akademie der Wissenschaften mittheilte. Die in Deutschland hart be- kämpften Lavoisin'schen Jdeen über die Verbrennung der Körper durch Zutritt von Sauerstoff, die damit verbundenen Ansichten über die so- genannte Verkalkung, Verwesung, finden durch Klaproths anschauliche Versuche zuerst bei den Mitgliedern der Akademie der Wissenschaften Eingang, dann durch sein energisches Wirken auch bei allen Natur- forschern des deutschen Reichs. Ein anderes, seine Thätigkeit beweisendes Buch ist nicht von ihm allein, sondern in Gemeinschaft mit einem Professor Wolff im Jahre 1816, kurz vor seinem Tode, mit der nicht recht zu erklärenden Widmung an den „Kaiser von Rußland, den Vater seiner wahrhaft glücklichen Völker“ herausgegeben. „Chemisches Wörterbuch“ ist der Titel dieses Werkes, das noch in keinem seiner Artikel veraltet ist. Die Nomenclatur des Buches ist eine vorzügliche, heut noch kaum veränderte, trotz der seitdem mit Riesenschritten vorwärts eilenden Chemie. Klaproth hat ein gutes Fundament vornehmlich für die analytische Chemie gelegt; er hat durch Verbreitung der Lavoisin'schen Theorien auch schon ein solides Fachwerk darauf gesetzt und seinen Nachfolgern die Möglichkeit verschafft, so schnell, wie es geschehen, ein stolzes Haus auf dem Fundament zu erbauen. Mögen die Männer, die dieses Haus immer wohnlicher und würdiger ausstatten, gleich ihm ihre Mühen und Sorgen belohnt sehen! Lose Blätter. M. Der „kranke Mann in Europa“, mit welcher Bezeichnung bekanntlich die Türkei gemeint ist, stammt zuerst von dem Spötter Voltaire, und zwar in einem seiner Briefe an Katharina von Rußland her. Zwischen ihm und der Kaiserin waren über den Gesundheitszustand des kranken Türken vertrauliche Aeußerungen gepflogen worden, und Voltaire sprach es mit voller Bestimmtheit aus, der „kranke Mann könne nur in den über ihn zusammenschlagenden Armen Rußlands sein richtiges und wohlverdientes Ende finden!“ Das Voltaire'sche Wort vom kranken Mann, der auf den letzten Schlag des russischen Czaren warte, war in die russischen Hof- traditionen übergegangen und hatte sich in denselben als pikanter Ausdruck einer Jdee festgesetzt, welche das Schicksal selbst in die Bestimmung Ruß- lands eingepflanzt habe. M. Geschichtliches Kuriosum. Auf der Versammlung zu Nürnberg faßten die Deputirten des fränkischen Kreises unterm 14. Februar 1650 folgenden merkwürdigen Beschluß: „Um die durch den Krieg gänzlich herab- gekommene Bevölkerung des Landes wieder zu heben und die waffenfähige Mannschaft zu rekrutiren, damit man dem drohenden Erbfeinde des christ- lichen Namens, den in Ungarn eingefallenen Türken, stattlich gewachsen sein möge, sollen hinfüro innerhalb der nächsten zehn Jahre alle Jünglinge und Jungfrauen unter sechszig Jahren von der Aufnahme in den geistlichen Stand ausgeschlossen sein; den Priestern, welche nicht in Klöstern oder Kollegiatstiften befindlich, ___sei erlaubt, sich gleich zu verheirathen; jedem Manne sei gestattet, zwei Weiber zu ehelichen, dabei soll jedoch derselbe ernstlich erinnert, auch auf den Kanzeln öfters öffentlich ermahnt werden, sich dergestalten hierinnen zu verhalten und vorzusehen, daß er sich nöthiger und gebührender Discretion und Vorsorge befleiße, damit er als ein ehrlicher Mann, der sich zwei Weiber zu nehmen getraut, beiden Ehe- frauen nicht allein nothwendig Ungemach und Unwillen verhüte.“ M. Eine feindliche Jnvasion bei Madame Clicquot. Als Anno 1815 die Deutschen und Russen den freundlichen Besuch der Franzosen eben so freundschaftlich erwiderten, lagen in den Kellern der Madame Clicquot zu Rheims gegen 200,000 Flaschen vortrefflichen Champagners aufgestapelt. Ein russisches Bataillon erhielt von seinem Kommandanten die Erlaubniß, dem Moussirenden nach Herzenslust zuzusprechen. Madame Clicquot, von dem Schicksal in Kenntniß gesetzt, welches ihren Batterien, den Kosaken gegenüber, bevorstand, war weit entfernt, in Ohnmacht zu fallen; gelassen erwiderte sie: „Jmmer zu, laßt sie nur den Wein ver- suchen, sie werden schon wiederkommen und für blankes Geld kaufen, wo- von sie heut die Probe nehmen!“ Und so geschah es. Die Russen fanden den Champagner so über alle Maßen gut, daß es ihnen noch heut un- möglich ist, darauf zu verzichten. Jedes Jahr befördert Madame Clicquot für zwei Millionen Francs Champagner nach Rußland, pro Flasche fünf- zehn Francs. Wohl wenigen Weinhändlern ist bei einer feindlichen Jn- vasion ein solcher Glücksstern aufgegangen. M. Anti=Tabakiana. Papst Urban VIII. sprach das Anathema aus über Jeden, der in der Kirche — Tabak schnupfen würde. Sultan Amurat IV. verurtheilte die Raucher zum Tode, und ein Edikt des Berner Senats vom Jahre 1661 stellte das Tabakrauchen dem Raub und Mord gleich. Tempora mutantur! M. Unter den Wisserihs, einem mächtigen Volksstamm Kabuls, in den Bergen zwischen Persien und Jndien, herrscht eine Sitte, die wohl nirgend ihres Gleichen hat. Findet nämlich eine Frau Gefallen an einem Manne, so sendet sie den Trommelschläger des Lagers mit einem Tuch ab, um dasselbe an der Mütze des Auserkorenen zu befestigen. Der Trommelschläger wartet die Gelegenheit ab, bis er seinen Auftrag in öffentlicher Versammlung ausrichten kann, wobei er den Namen des Weibes nennt, das der Mann sofort heirathen muß. Briefkasten. Fr. in D.: Bereits veraltet. Auch erinnern wir uns, Aehnliches in einem andern Blatte gelesen zu haben. — A. v. P.: Wo haben Sie Jhre Metrik studirt? ☞ Zur Besprechung die Redaktion betreffender Angelegenheiten ist der Redakteur dieses Blattes jeden Montag und Dienstag von 12 bis 2 Uhr in dem Redaktionsbureau, Potsdamerstraße Nr. 20, anwesend, wohin auch alle Zusendungen erbeten werden. Druck und Verlag von Franz Duncker in Berlin. — Verantwortlicher Redakteur: Ernst Dohm in Berlin. *) Mineralogisch=chemische Versuche von M. H. Klaproth. Berlin und Posen, 1795. Hof=Buchdruckerei.

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Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 24. Berlin, 14. Juni 1868, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt24_1868/8>, abgerufen am 15.06.2024.