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Sonntags-Blatt. Nr. 35. Berlin, 29. August 1869.

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[Beginn Spaltensatz] rend er sprach, nicht auf den Angeredeten ruhte, sondern an ihnen vor-
bei sich forschend auf das ernst schweigsame Gesicht Lindhorst's heftete,
der grade, hell von einer Fackel bestrahlt, wie schwankenden Fußes
vorüberging. Allein Georg Kleist war für gewöhnlich kein scharfer
Beobachter und im gegenwärtigen Moment schien es, als ob seine
Sinne ihn völlig im Stich gelassen hätten. Er machte eine mechanische
Verbeugung vor Hilmar und wurde abwechselnd blaß und roth und stotterte:

"Sie sind -- Du bist sehr freundlich gegen uns -- wie naß Du
auch geworden bist -- ich bitte Dich, nimm Dich sorgsam in Acht --
wenn Du krank würdest -- Du mußt ein Glas Glühwein trinken,
sobald wir ins Wirthshaus kommen -- ich habe Dich ja so lieb und
mir ist so bange um Dich --"

"Du solltest Hilmar führen, Georg; er war heute Nachmittag
schon müde", sagte Otto Busse mit unsäglich schlauem Gesichtsaus-
druck, aber mit dem gleichgültigsten Ton von der Welt. "Jch will
vorauslaufen und den Glühwein bestellen, damit er fertig ist, wenn
Jhr kommt."

Schüchtern zog Kleist Hilmar's Arm in den seinen und der Kleine
flog mit lachend glückseliger Miene, ab und zu im eiligsten Lauf ver-
gnügt zurückblickend, auf das Bodenhaus zu.

Eine Viertelstunde später herrschte in der großen Gaststube des-
selben ein für diese Stunde ungewöhnliches Leben. Fast alle Theil-
nehmer und Theilnehmerinnen des nächtlichen Ausfluges tummelten sich
darin mit wärmenden Getränken an den Lippen. Der Schreck war
vergessen und die nassen Kleider dazu und die Erzählung des alten
Herrn droben auf der Ruine nicht minder, wenn die Schweigsamkeit,
welche die Damen über die "anstößige" Geschichte beobachteten, ein
Maßstab ihrer Vergeßlichkeit war. Statt dessen perorirte Herr von
Goldapfel, der seinen ganzen Heldenmuth wieder erlangt hatte, laut
über den göttlichen Genuß, den die einzige eines adligen Gemüthes
würdige Kunst ihm von den Lippen Nisida's gewährt und die genuß-
süchtig angeregte Gesellschaft bestürmte die unvergleichliche Sängerin,
sie heute noch einmal durch ihre Stimme über die Sphäre des ge-
meinen, irdischen Daseins emporzuheben.

"Bin, wie gesagt, ganz Dichter heute Nacht, meine Gnädige, ganz
Heinrich Heine, ha--ha--ha", lachte Herr von Goldapfel, der eben ein
großes Wasserglas, bis an den Rand mit dampfendem Punsch gefüllt,
hinuntergestürzt hatte. "Erst die gemeine, irdische Gesundheit sichern
-- vortrefflicher Punsch, noch ein Gläschen, Franz -- jawohl, und
dann emporheben, tragen -- "auf Flügeln des Gesanges, Herzliebster
trag' ich Dich fort" -- versichere Sie, fühle mich von Jhnen getragen
-- hahaha --"

Vier Personen nur nahmen nicht an der spätnächtlichen, gesellschaft-
lichen Freude Theil. Otto Busse und Kleist gingen, nachdem sie ge-
sehen, daß Hilmar heimlich in sein Zimmer hinaufgestiegen und daß
Fritz Werner und die Jtalienerin sich unten befanden, in leisem,
eifrigen Gespräch vor der Hausthür auf und ab. Der Vierte war Ba-
ron Lindhorst, der die Gaststube gar nicht betreten, sondern sogleich
nach der Rückkunft sein Gemach aufgesucht und die Thür hinter sich
abgeschlossen hatte.

Er zündete Licht an und ging ebenfalls in dem Zimmer auf und
ab. Manchmal überlief seinen Körper ein sichtbarer Schauder, und
er lehnte, am Fenster angekommen, seinen Arm eine Weile wider die
kalte Scheibe und starrte in's Dunkel hinaus. Dann trieb es ihn
wieder fort und er ging mit unsicheren Schritten hin und wieder. Von
unten ertönte jetzt die Stimme Nisida's, die wie vorhin auf dem Berge
eine italienische Arie sang. Lindhorst fuhr zusammen und blickte wie
erwachend um sich. Er nahm ein Schreibzeug und setzte sich an den
Tisch, doch seine Hand vermochte die Feder anfänglich nicht in ihren
Dienst zu zwingen. Es waren fast unleserliche Schriftzüge, mit denen
er den Namen "Nisida" auf ein Blatt geworfen und die Finger woll-
ten nicht weiter. Er nahm das Papier und zerknitterte es, dabei
horchte er mechanisch auf den von unten hell herauftönenden Gesang,
dem ein lautes Beifallklatschen und der vernehmliche Bravoruf Herrn
von Goldapfels folgte --

Daß sich eine Thür weiter hinab im Corridor öffnete und daß ein
leiser, vorsichtiger Schritt durch den Gang herankam, vernahm er nicht.
Auf den Zehen schlich Ernst Hilmar im Halbdunkel einer fast erlöschen-
den Corridorlampe an Lindhorst's Thür. Er legte das Ohr an die-
selbe und horchte; manchmal faßte er mit einer Hand, die nicht weniger
zitterte als die des Barons, nach dem Klopfer, aber immer zog sie sich
unentschlossen wieder zurück.

Lindhorst's Feder glitt jetzt über ein anderes Blatt. Sie war
williger geworden und bewegte sich hastig, fast gewaltsam. Auch die
Ueberschrift hatte sich mit dem neuen Papiere geändert. Sie lautete
jetzt: "An Marie" -- und darunter schrieb die eilende Feder:

"Wenn Du mir noch vergeben kannst -- wenn Du es kannst, weil
Du lebst und Dein Herz mich noch lieb hat -- so vergieb. Jch weiß
nicht, was ich gethan; ich weiß nur, daß ich hier in der Fremde sitze
ohne zu begreifen, wie ich hierher gelangt, und daß der einzige Ge-
danke, der mich abhält in die Nacht hinauszueilen und mich in einen
[Spaltenumbruch] Abgrund zu stürzen, der ist, daß Du doch noch leben könntest. Mir
ist, als umschwebtest Du mich unsichtbar, als fühlte ich Deinen Hauch
auf meiner Stirn. Dein Bild hat mich mahnen wollen; echte deutsche
Liebe ist ja der geheimnißvolle Zauber, von welchem der Alte droben
sprach. Du wärest nicht auf ewig von mir gegangen, ohne mir ein
letztes, ein untrügliches Zeichen zu geben, daß Du es gethan. Denn
ich fühle, Du hättest es gekonnt -- unsichtbar bist Du mir gegen-
wärtig wie Marie von Rhäaltha -- an Deiner Liebe fühlst Du, daß
meine von dem Trugbild Gismonda's überwallt werden aber nicht er-
löschen kann. Was flüchtig meine Sinne, mein schlechteres Selbst be-
thört -- wie Dunst ist es in dieser Nacht vor meinen Augen zergangen.
Jch komme zurück zu Dir, zu Deinen Füßen will ich liegen wie sonst
und Du sollst Deine Hände wieder auf meine Augen legen, Marie --
der Gedanke macht mich irr vor Glück, als ob das Alles in einem
andern Leben geschehen, als wäre mir gewaltsam aus dem Herzen ge-
rissen, was ich mir selbst genommen --

Dies Herz liebt ja nur Dich, Marie, und hat nur Dich geliebt.
Böser Zauber hat es trügerisch in Schlummer gewiegt und nun ist
es erwacht und pocht mir anklagend in die Schläfe hinauf und zittert
in namenlosem Bangen. Und durch sein Klopfen fühle ich es doch
süß hindurch, daß Du ihm vergeben wirst -- es versteht ja Deine
Liebe, weil es ihre Hälfte in sich selber birgt. Und wie der Ring, den
Du mir zum Tausch gegeben, den Deine Lippen geküßt, mich be-
gleitet -- --"

Das Auge des Schreibenden glitt über seine linke Hand, die unter
ihm auf dem Papier lag -- dann stieß Baron Hermann von Lind-
horst einen furchtbaren Schrei aus. Mit glanzlos irrsinnigem Blick
starrte er auf den Finger, an dem der Ring aufleuchtete, aber statt
des blauen Türkis funkelte ihm aus dem Goldreif ein Rubin entgegen
-- einige Secunden haftete sein Auge unverwandt darauf und sein
Kopf fiel langsam, wie willenlos auf seinen Arm.

Von drunten erscholl in langhingezogenem Schlußton die Arie
Nisida's, so hell, als ob sie aus dem Nebenzimmer erklänge, durch die
Stille der Nacht. Verstört hob Lindhorst wieder den Arm und sah
regungslos in die Kerzenflamme und seine Lippen murmelten unbewußt
dumpf vor sich hin:

"Jch verlangte ein untrügliches Zeichen, sie hat es mir gegeben.
Sie hat mir den Ring zurückgesandt -- es ist zu spät -- Marie
Hilmar ist todt --"

"Bravo! Bravissimo! Göttliches Weib! Wer für einen solchen Ton
von Jhnen nicht mit wahrhaftem Vergnügen sein Leben ließe, wäre
nicht werth einen adligen Namen zu tragen -- wahrhaftig!" über-
hallte die Stimme Herrn von Goldapfels vernehmlich das rauschende
Beifallsklatschen der begeisterten Gesellschaft. Es war so laut ge-
sprochen, daß es deutlich bis in Lindhorsts Zimmer hinaufdrang und
ein bitteres, verzweiflungsvolles Lachen zuckte um seine Mundwinkel.

"Der Narr erinnert mich an die beste Weise, ein Leben, das sich
selbst entadelt hat, zu lassen", murmelte er aufspringend; "ich hatte
ihn unterschätzt; kein Mensch ist so werthlos, er. ist zu etwas zu ge-
brauchen."

Hastig trat er auf die Thür zu, daß Ernst Hilmar kaum Zeit
hatte, zitternd in den Schatten des Corridors zurückzufliegen, als Lind-
horst schon die Treppe hinunter eilte und ohne Hut mit bleichem Ge-
sicht auf Herrn von Goldapfel zutrat. Einen Moment horchte Hilmar
seinem Schritte nach, dann schlüpfte er durch die offen gebliebene Thür
in das Zimmer des Barons und beugte sich nach wenigen Secunden
athemlos über die Schrift des abgebrochenen, auf dem Tisch zurück-
gelassenen Briefes. --

Herr von Goldapfel bewegte sich instinctiv vor den unheimlich
brennenden Augen Lindhorst's einen Schritt rückwärts. Dieser ließ
den Blick über Nisida hinfliegen, die etwas Außergewöhnliches in dem-
selben erkannte und die Farbe ihres Gesichtes wechselte. Dann sagte
der Baron laut, daß die ganze Gesellschaft es vernehmen mußte, doch
in gleichgültigem Tone:

"Sie tragen ja einen adligen Namen, Herr von Goldapfel, und
es wird der Signora gewiß Vergnügen bereiten, durch einen ihrer gött-
lichen Töne statt Jhres kostbaren Lebens Jhren nicht minder köstlichen
Namen zu gewinnen."

Die Umstehenden blickten sich erstaunt an. "Verstehe Sie nicht,
geschätztester Herr -- versichere Sie, kein Wort", erwiderte der Ange-
redete verlegen.

"Jch dachte, Sie wären ein in den Anschauungen Jhres adligen
Namens so wohlerzogener Träger desselben, daß Sie verstehen würden,
was ich meine", nahm Lindhorst ruhig wieder das Wort. "Doch es
scheint, daß ich mich Jhnen deutlicher verständlich machen muß. Jch
halte Sie nämlich für einen sehr unberufenen Kritiker, Herr von Gold-
apfel, weil Sie, wie ich ersehe, nicht den Verstand dazu besitzen."

( Fortsetzung folgt. )



[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] rend er sprach, nicht auf den Angeredeten ruhte, sondern an ihnen vor-
bei sich forschend auf das ernst schweigsame Gesicht Lindhorst's heftete,
der grade, hell von einer Fackel bestrahlt, wie schwankenden Fußes
vorüberging. Allein Georg Kleist war für gewöhnlich kein scharfer
Beobachter und im gegenwärtigen Moment schien es, als ob seine
Sinne ihn völlig im Stich gelassen hätten. Er machte eine mechanische
Verbeugung vor Hilmar und wurde abwechselnd blaß und roth und stotterte:

„Sie sind — Du bist sehr freundlich gegen uns — wie naß Du
auch geworden bist — ich bitte Dich, nimm Dich sorgsam in Acht —
wenn Du krank würdest — Du mußt ein Glas Glühwein trinken,
sobald wir ins Wirthshaus kommen — ich habe Dich ja so lieb und
mir ist so bange um Dich —“

„Du solltest Hilmar führen, Georg; er war heute Nachmittag
schon müde“, sagte Otto Busse mit unsäglich schlauem Gesichtsaus-
druck, aber mit dem gleichgültigsten Ton von der Welt. „Jch will
vorauslaufen und den Glühwein bestellen, damit er fertig ist, wenn
Jhr kommt.“

Schüchtern zog Kleist Hilmar's Arm in den seinen und der Kleine
flog mit lachend glückseliger Miene, ab und zu im eiligsten Lauf ver-
gnügt zurückblickend, auf das Bodenhaus zu.

Eine Viertelstunde später herrschte in der großen Gaststube des-
selben ein für diese Stunde ungewöhnliches Leben. Fast alle Theil-
nehmer und Theilnehmerinnen des nächtlichen Ausfluges tummelten sich
darin mit wärmenden Getränken an den Lippen. Der Schreck war
vergessen und die nassen Kleider dazu und die Erzählung des alten
Herrn droben auf der Ruine nicht minder, wenn die Schweigsamkeit,
welche die Damen über die „anstößige“ Geschichte beobachteten, ein
Maßstab ihrer Vergeßlichkeit war. Statt dessen perorirte Herr von
Goldapfel, der seinen ganzen Heldenmuth wieder erlangt hatte, laut
über den göttlichen Genuß, den die einzige eines adligen Gemüthes
würdige Kunst ihm von den Lippen Nisida's gewährt und die genuß-
süchtig angeregte Gesellschaft bestürmte die unvergleichliche Sängerin,
sie heute noch einmal durch ihre Stimme über die Sphäre des ge-
meinen, irdischen Daseins emporzuheben.

„Bin, wie gesagt, ganz Dichter heute Nacht, meine Gnädige, ganz
Heinrich Heine, ha—ha—ha“, lachte Herr von Goldapfel, der eben ein
großes Wasserglas, bis an den Rand mit dampfendem Punsch gefüllt,
hinuntergestürzt hatte. „Erst die gemeine, irdische Gesundheit sichern
— vortrefflicher Punsch, noch ein Gläschen, Franz — jawohl, und
dann emporheben, tragen — „auf Flügeln des Gesanges, Herzliebster
trag' ich Dich fort“ — versichere Sie, fühle mich von Jhnen getragen
— hahaha —“

Vier Personen nur nahmen nicht an der spätnächtlichen, gesellschaft-
lichen Freude Theil. Otto Busse und Kleist gingen, nachdem sie ge-
sehen, daß Hilmar heimlich in sein Zimmer hinaufgestiegen und daß
Fritz Werner und die Jtalienerin sich unten befanden, in leisem,
eifrigen Gespräch vor der Hausthür auf und ab. Der Vierte war Ba-
ron Lindhorst, der die Gaststube gar nicht betreten, sondern sogleich
nach der Rückkunft sein Gemach aufgesucht und die Thür hinter sich
abgeschlossen hatte.

Er zündete Licht an und ging ebenfalls in dem Zimmer auf und
ab. Manchmal überlief seinen Körper ein sichtbarer Schauder, und
er lehnte, am Fenster angekommen, seinen Arm eine Weile wider die
kalte Scheibe und starrte in's Dunkel hinaus. Dann trieb es ihn
wieder fort und er ging mit unsicheren Schritten hin und wieder. Von
unten ertönte jetzt die Stimme Nisida's, die wie vorhin auf dem Berge
eine italienische Arie sang. Lindhorst fuhr zusammen und blickte wie
erwachend um sich. Er nahm ein Schreibzeug und setzte sich an den
Tisch, doch seine Hand vermochte die Feder anfänglich nicht in ihren
Dienst zu zwingen. Es waren fast unleserliche Schriftzüge, mit denen
er den Namen „Nisida“ auf ein Blatt geworfen und die Finger woll-
ten nicht weiter. Er nahm das Papier und zerknitterte es, dabei
horchte er mechanisch auf den von unten hell herauftönenden Gesang,
dem ein lautes Beifallklatschen und der vernehmliche Bravoruf Herrn
von Goldapfels folgte —

Daß sich eine Thür weiter hinab im Corridor öffnete und daß ein
leiser, vorsichtiger Schritt durch den Gang herankam, vernahm er nicht.
Auf den Zehen schlich Ernst Hilmar im Halbdunkel einer fast erlöschen-
den Corridorlampe an Lindhorst's Thür. Er legte das Ohr an die-
selbe und horchte; manchmal faßte er mit einer Hand, die nicht weniger
zitterte als die des Barons, nach dem Klopfer, aber immer zog sie sich
unentschlossen wieder zurück.

Lindhorst's Feder glitt jetzt über ein anderes Blatt. Sie war
williger geworden und bewegte sich hastig, fast gewaltsam. Auch die
Ueberschrift hatte sich mit dem neuen Papiere geändert. Sie lautete
jetzt: „An Marie“ — und darunter schrieb die eilende Feder:

„Wenn Du mir noch vergeben kannst — wenn Du es kannst, weil
Du lebst und Dein Herz mich noch lieb hat — so vergieb. Jch weiß
nicht, was ich gethan; ich weiß nur, daß ich hier in der Fremde sitze
ohne zu begreifen, wie ich hierher gelangt, und daß der einzige Ge-
danke, der mich abhält in die Nacht hinauszueilen und mich in einen
[Spaltenumbruch] Abgrund zu stürzen, der ist, daß Du doch noch leben könntest. Mir
ist, als umschwebtest Du mich unsichtbar, als fühlte ich Deinen Hauch
auf meiner Stirn. Dein Bild hat mich mahnen wollen; echte deutsche
Liebe ist ja der geheimnißvolle Zauber, von welchem der Alte droben
sprach. Du wärest nicht auf ewig von mir gegangen, ohne mir ein
letztes, ein untrügliches Zeichen zu geben, daß Du es gethan. Denn
ich fühle, Du hättest es gekonnt — unsichtbar bist Du mir gegen-
wärtig wie Marie von Rhäaltha — an Deiner Liebe fühlst Du, daß
meine von dem Trugbild Gismonda's überwallt werden aber nicht er-
löschen kann. Was flüchtig meine Sinne, mein schlechteres Selbst be-
thört — wie Dunst ist es in dieser Nacht vor meinen Augen zergangen.
Jch komme zurück zu Dir, zu Deinen Füßen will ich liegen wie sonst
und Du sollst Deine Hände wieder auf meine Augen legen, Marie —
der Gedanke macht mich irr vor Glück, als ob das Alles in einem
andern Leben geschehen, als wäre mir gewaltsam aus dem Herzen ge-
rissen, was ich mir selbst genommen —

Dies Herz liebt ja nur Dich, Marie, und hat nur Dich geliebt.
Böser Zauber hat es trügerisch in Schlummer gewiegt und nun ist
es erwacht und pocht mir anklagend in die Schläfe hinauf und zittert
in namenlosem Bangen. Und durch sein Klopfen fühle ich es doch
süß hindurch, daß Du ihm vergeben wirst — es versteht ja Deine
Liebe, weil es ihre Hälfte in sich selber birgt. Und wie der Ring, den
Du mir zum Tausch gegeben, den Deine Lippen geküßt, mich be-
gleitet — —“

Das Auge des Schreibenden glitt über seine linke Hand, die unter
ihm auf dem Papier lag — dann stieß Baron Hermann von Lind-
horst einen furchtbaren Schrei aus. Mit glanzlos irrsinnigem Blick
starrte er auf den Finger, an dem der Ring aufleuchtete, aber statt
des blauen Türkis funkelte ihm aus dem Goldreif ein Rubin entgegen
— einige Secunden haftete sein Auge unverwandt darauf und sein
Kopf fiel langsam, wie willenlos auf seinen Arm.

Von drunten erscholl in langhingezogenem Schlußton die Arie
Nisida's, so hell, als ob sie aus dem Nebenzimmer erklänge, durch die
Stille der Nacht. Verstört hob Lindhorst wieder den Arm und sah
regungslos in die Kerzenflamme und seine Lippen murmelten unbewußt
dumpf vor sich hin:

„Jch verlangte ein untrügliches Zeichen, sie hat es mir gegeben.
Sie hat mir den Ring zurückgesandt — es ist zu spät — Marie
Hilmar ist todt —“

„Bravo! Bravissimo! Göttliches Weib! Wer für einen solchen Ton
von Jhnen nicht mit wahrhaftem Vergnügen sein Leben ließe, wäre
nicht werth einen adligen Namen zu tragen — wahrhaftig!“ über-
hallte die Stimme Herrn von Goldapfels vernehmlich das rauschende
Beifallsklatschen der begeisterten Gesellschaft. Es war so laut ge-
sprochen, daß es deutlich bis in Lindhorsts Zimmer hinaufdrang und
ein bitteres, verzweiflungsvolles Lachen zuckte um seine Mundwinkel.

„Der Narr erinnert mich an die beste Weise, ein Leben, das sich
selbst entadelt hat, zu lassen“, murmelte er aufspringend; „ich hatte
ihn unterschätzt; kein Mensch ist so werthlos, er. ist zu etwas zu ge-
brauchen.“

Hastig trat er auf die Thür zu, daß Ernst Hilmar kaum Zeit
hatte, zitternd in den Schatten des Corridors zurückzufliegen, als Lind-
horst schon die Treppe hinunter eilte und ohne Hut mit bleichem Ge-
sicht auf Herrn von Goldapfel zutrat. Einen Moment horchte Hilmar
seinem Schritte nach, dann schlüpfte er durch die offen gebliebene Thür
in das Zimmer des Barons und beugte sich nach wenigen Secunden
athemlos über die Schrift des abgebrochenen, auf dem Tisch zurück-
gelassenen Briefes. —

Herr von Goldapfel bewegte sich instinctiv vor den unheimlich
brennenden Augen Lindhorst's einen Schritt rückwärts. Dieser ließ
den Blick über Nisida hinfliegen, die etwas Außergewöhnliches in dem-
selben erkannte und die Farbe ihres Gesichtes wechselte. Dann sagte
der Baron laut, daß die ganze Gesellschaft es vernehmen mußte, doch
in gleichgültigem Tone:

„Sie tragen ja einen adligen Namen, Herr von Goldapfel, und
es wird der Signora gewiß Vergnügen bereiten, durch einen ihrer gött-
lichen Töne statt Jhres kostbaren Lebens Jhren nicht minder köstlichen
Namen zu gewinnen.“

Die Umstehenden blickten sich erstaunt an. „Verstehe Sie nicht,
geschätztester Herr — versichere Sie, kein Wort“, erwiderte der Ange-
redete verlegen.

„Jch dachte, Sie wären ein in den Anschauungen Jhres adligen
Namens so wohlerzogener Träger desselben, daß Sie verstehen würden,
was ich meine“, nahm Lindhorst ruhig wieder das Wort. „Doch es
scheint, daß ich mich Jhnen deutlicher verständlich machen muß. Jch
halte Sie nämlich für einen sehr unberufenen Kritiker, Herr von Gold-
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( Fortsetzung folgt. )



[Ende Spaltensatz]
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[275/0003] 275 rend er sprach, nicht auf den Angeredeten ruhte, sondern an ihnen vor- bei sich forschend auf das ernst schweigsame Gesicht Lindhorst's heftete, der grade, hell von einer Fackel bestrahlt, wie schwankenden Fußes vorüberging. Allein Georg Kleist war für gewöhnlich kein scharfer Beobachter und im gegenwärtigen Moment schien es, als ob seine Sinne ihn völlig im Stich gelassen hätten. Er machte eine mechanische Verbeugung vor Hilmar und wurde abwechselnd blaß und roth und stotterte: „Sie sind — Du bist sehr freundlich gegen uns — wie naß Du auch geworden bist — ich bitte Dich, nimm Dich sorgsam in Acht — wenn Du krank würdest — Du mußt ein Glas Glühwein trinken, sobald wir ins Wirthshaus kommen — ich habe Dich ja so lieb und mir ist so bange um Dich —“ „Du solltest Hilmar führen, Georg; er war heute Nachmittag schon müde“, sagte Otto Busse mit unsäglich schlauem Gesichtsaus- druck, aber mit dem gleichgültigsten Ton von der Welt. „Jch will vorauslaufen und den Glühwein bestellen, damit er fertig ist, wenn Jhr kommt.“ Schüchtern zog Kleist Hilmar's Arm in den seinen und der Kleine flog mit lachend glückseliger Miene, ab und zu im eiligsten Lauf ver- gnügt zurückblickend, auf das Bodenhaus zu. Eine Viertelstunde später herrschte in der großen Gaststube des- selben ein für diese Stunde ungewöhnliches Leben. Fast alle Theil- nehmer und Theilnehmerinnen des nächtlichen Ausfluges tummelten sich darin mit wärmenden Getränken an den Lippen. Der Schreck war vergessen und die nassen Kleider dazu und die Erzählung des alten Herrn droben auf der Ruine nicht minder, wenn die Schweigsamkeit, welche die Damen über die „anstößige“ Geschichte beobachteten, ein Maßstab ihrer Vergeßlichkeit war. Statt dessen perorirte Herr von Goldapfel, der seinen ganzen Heldenmuth wieder erlangt hatte, laut über den göttlichen Genuß, den die einzige eines adligen Gemüthes würdige Kunst ihm von den Lippen Nisida's gewährt und die genuß- süchtig angeregte Gesellschaft bestürmte die unvergleichliche Sängerin, sie heute noch einmal durch ihre Stimme über die Sphäre des ge- meinen, irdischen Daseins emporzuheben. „Bin, wie gesagt, ganz Dichter heute Nacht, meine Gnädige, ganz Heinrich Heine, ha—ha—ha“, lachte Herr von Goldapfel, der eben ein großes Wasserglas, bis an den Rand mit dampfendem Punsch gefüllt, hinuntergestürzt hatte. „Erst die gemeine, irdische Gesundheit sichern — vortrefflicher Punsch, noch ein Gläschen, Franz — jawohl, und dann emporheben, tragen — „auf Flügeln des Gesanges, Herzliebster trag' ich Dich fort“ — versichere Sie, fühle mich von Jhnen getragen — hahaha —“ Vier Personen nur nahmen nicht an der spätnächtlichen, gesellschaft- lichen Freude Theil. Otto Busse und Kleist gingen, nachdem sie ge- sehen, daß Hilmar heimlich in sein Zimmer hinaufgestiegen und daß Fritz Werner und die Jtalienerin sich unten befanden, in leisem, eifrigen Gespräch vor der Hausthür auf und ab. Der Vierte war Ba- ron Lindhorst, der die Gaststube gar nicht betreten, sondern sogleich nach der Rückkunft sein Gemach aufgesucht und die Thür hinter sich abgeschlossen hatte. Er zündete Licht an und ging ebenfalls in dem Zimmer auf und ab. Manchmal überlief seinen Körper ein sichtbarer Schauder, und er lehnte, am Fenster angekommen, seinen Arm eine Weile wider die kalte Scheibe und starrte in's Dunkel hinaus. Dann trieb es ihn wieder fort und er ging mit unsicheren Schritten hin und wieder. Von unten ertönte jetzt die Stimme Nisida's, die wie vorhin auf dem Berge eine italienische Arie sang. Lindhorst fuhr zusammen und blickte wie erwachend um sich. Er nahm ein Schreibzeug und setzte sich an den Tisch, doch seine Hand vermochte die Feder anfänglich nicht in ihren Dienst zu zwingen. Es waren fast unleserliche Schriftzüge, mit denen er den Namen „Nisida“ auf ein Blatt geworfen und die Finger woll- ten nicht weiter. Er nahm das Papier und zerknitterte es, dabei horchte er mechanisch auf den von unten hell herauftönenden Gesang, dem ein lautes Beifallklatschen und der vernehmliche Bravoruf Herrn von Goldapfels folgte — Daß sich eine Thür weiter hinab im Corridor öffnete und daß ein leiser, vorsichtiger Schritt durch den Gang herankam, vernahm er nicht. Auf den Zehen schlich Ernst Hilmar im Halbdunkel einer fast erlöschen- den Corridorlampe an Lindhorst's Thür. Er legte das Ohr an die- selbe und horchte; manchmal faßte er mit einer Hand, die nicht weniger zitterte als die des Barons, nach dem Klopfer, aber immer zog sie sich unentschlossen wieder zurück. Lindhorst's Feder glitt jetzt über ein anderes Blatt. Sie war williger geworden und bewegte sich hastig, fast gewaltsam. Auch die Ueberschrift hatte sich mit dem neuen Papiere geändert. Sie lautete jetzt: „An Marie“ — und darunter schrieb die eilende Feder: „Wenn Du mir noch vergeben kannst — wenn Du es kannst, weil Du lebst und Dein Herz mich noch lieb hat — so vergieb. Jch weiß nicht, was ich gethan; ich weiß nur, daß ich hier in der Fremde sitze ohne zu begreifen, wie ich hierher gelangt, und daß der einzige Ge- danke, der mich abhält in die Nacht hinauszueilen und mich in einen Abgrund zu stürzen, der ist, daß Du doch noch leben könntest. Mir ist, als umschwebtest Du mich unsichtbar, als fühlte ich Deinen Hauch auf meiner Stirn. Dein Bild hat mich mahnen wollen; echte deutsche Liebe ist ja der geheimnißvolle Zauber, von welchem der Alte droben sprach. Du wärest nicht auf ewig von mir gegangen, ohne mir ein letztes, ein untrügliches Zeichen zu geben, daß Du es gethan. Denn ich fühle, Du hättest es gekonnt — unsichtbar bist Du mir gegen- wärtig wie Marie von Rhäaltha — an Deiner Liebe fühlst Du, daß meine von dem Trugbild Gismonda's überwallt werden aber nicht er- löschen kann. Was flüchtig meine Sinne, mein schlechteres Selbst be- thört — wie Dunst ist es in dieser Nacht vor meinen Augen zergangen. Jch komme zurück zu Dir, zu Deinen Füßen will ich liegen wie sonst und Du sollst Deine Hände wieder auf meine Augen legen, Marie — der Gedanke macht mich irr vor Glück, als ob das Alles in einem andern Leben geschehen, als wäre mir gewaltsam aus dem Herzen ge- rissen, was ich mir selbst genommen — Dies Herz liebt ja nur Dich, Marie, und hat nur Dich geliebt. Böser Zauber hat es trügerisch in Schlummer gewiegt und nun ist es erwacht und pocht mir anklagend in die Schläfe hinauf und zittert in namenlosem Bangen. Und durch sein Klopfen fühle ich es doch süß hindurch, daß Du ihm vergeben wirst — es versteht ja Deine Liebe, weil es ihre Hälfte in sich selber birgt. Und wie der Ring, den Du mir zum Tausch gegeben, den Deine Lippen geküßt, mich be- gleitet — —“ Das Auge des Schreibenden glitt über seine linke Hand, die unter ihm auf dem Papier lag — dann stieß Baron Hermann von Lind- horst einen furchtbaren Schrei aus. Mit glanzlos irrsinnigem Blick starrte er auf den Finger, an dem der Ring aufleuchtete, aber statt des blauen Türkis funkelte ihm aus dem Goldreif ein Rubin entgegen — einige Secunden haftete sein Auge unverwandt darauf und sein Kopf fiel langsam, wie willenlos auf seinen Arm. Von drunten erscholl in langhingezogenem Schlußton die Arie Nisida's, so hell, als ob sie aus dem Nebenzimmer erklänge, durch die Stille der Nacht. Verstört hob Lindhorst wieder den Arm und sah regungslos in die Kerzenflamme und seine Lippen murmelten unbewußt dumpf vor sich hin: „Jch verlangte ein untrügliches Zeichen, sie hat es mir gegeben. Sie hat mir den Ring zurückgesandt — es ist zu spät — Marie Hilmar ist todt —“ „Bravo! Bravissimo! Göttliches Weib! Wer für einen solchen Ton von Jhnen nicht mit wahrhaftem Vergnügen sein Leben ließe, wäre nicht werth einen adligen Namen zu tragen — wahrhaftig!“ über- hallte die Stimme Herrn von Goldapfels vernehmlich das rauschende Beifallsklatschen der begeisterten Gesellschaft. Es war so laut ge- sprochen, daß es deutlich bis in Lindhorsts Zimmer hinaufdrang und ein bitteres, verzweiflungsvolles Lachen zuckte um seine Mundwinkel. „Der Narr erinnert mich an die beste Weise, ein Leben, das sich selbst entadelt hat, zu lassen“, murmelte er aufspringend; „ich hatte ihn unterschätzt; kein Mensch ist so werthlos, er. ist zu etwas zu ge- brauchen.“ Hastig trat er auf die Thür zu, daß Ernst Hilmar kaum Zeit hatte, zitternd in den Schatten des Corridors zurückzufliegen, als Lind- horst schon die Treppe hinunter eilte und ohne Hut mit bleichem Ge- sicht auf Herrn von Goldapfel zutrat. Einen Moment horchte Hilmar seinem Schritte nach, dann schlüpfte er durch die offen gebliebene Thür in das Zimmer des Barons und beugte sich nach wenigen Secunden athemlos über die Schrift des abgebrochenen, auf dem Tisch zurück- gelassenen Briefes. — Herr von Goldapfel bewegte sich instinctiv vor den unheimlich brennenden Augen Lindhorst's einen Schritt rückwärts. Dieser ließ den Blick über Nisida hinfliegen, die etwas Außergewöhnliches in dem- selben erkannte und die Farbe ihres Gesichtes wechselte. Dann sagte der Baron laut, daß die ganze Gesellschaft es vernehmen mußte, doch in gleichgültigem Tone: „Sie tragen ja einen adligen Namen, Herr von Goldapfel, und es wird der Signora gewiß Vergnügen bereiten, durch einen ihrer gött- lichen Töne statt Jhres kostbaren Lebens Jhren nicht minder köstlichen Namen zu gewinnen.“ Die Umstehenden blickten sich erstaunt an. „Verstehe Sie nicht, geschätztester Herr — versichere Sie, kein Wort“, erwiderte der Ange- redete verlegen. „Jch dachte, Sie wären ein in den Anschauungen Jhres adligen Namens so wohlerzogener Träger desselben, daß Sie verstehen würden, was ich meine“, nahm Lindhorst ruhig wieder das Wort. „Doch es scheint, daß ich mich Jhnen deutlicher verständlich machen muß. Jch halte Sie nämlich für einen sehr unberufenen Kritiker, Herr von Gold- apfel, weil Sie, wie ich ersehe, nicht den Verstand dazu besitzen.“ ( Fortsetzung folgt. )

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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 35. Berlin, 29. August 1869, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt35_1869/3>, abgerufen am 01.06.2024.