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Sonntags-Blatt. Nr. 44. Berlin, 1. November 1868.

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[Beginn Spaltensatz] Bravo und seine Kollegen

[Abbildung] Don Juan Prim, Graf von Reus.
sind zu unbedeutend, um die
Partei einigermaßen zusam-
men zu halten. Bis vor
Kurzem, d. h. bis zum April
dieses Jahres, stand Nar-
vaez, Herzog von Va-
lencia,
an ihrer Spitze.
Obwohl vielfach gefürchtet
und gehaßt, genoß Narvaez
dennoch zeitlebens ein großes
Ansehen im Lande, denn er
verstand es, der Bevölkerung
zuweilen verhältnißmäßig ru-
hige und von Parteikämpfen
freie Jahre zu verschaffen,
in denen der Wohlstand ge-
dieh. Ein glücklicher Krieger,
ein kluger Staatsmann, da-
bei von eiserner Energie und
kühn, kein Werkzeug der Kirche
und nichts weniger als blinder
Absolutist, wußte er durch
Strenge und Versöhnlichkeit
dem Lande nach außen und
innen zeitweilig Ansehen,
Sammlung und Kraft zu
geben. Die Jahre von 1847
bis 1851, in welchen Nar-
vaez fast unausgesetzt an der
Spitze der Regierung stand,
gehören zu den besten, die
Spanien im Laufe dieses
Jahrhunderts erlebt hat. Den
zahlreichen Aufständen im
Lande trat er mit unerbitt-
licher Schärfe, vielfach sogar
brutal und grausam entge-
gen. Obwohl ein bedeutender
Staatsmann, so weit es die
auswärtige Politik anging,
hatte er doch im Jnnern,
abgesehen von seiner entschie-
denen Vorliebe für ein starkes
Regiment, kein festes Pro-
gramm. Es beherrschte ihn
der Gedanke, daß die inneren
politischen Verhältnisse, so-
fern sie nicht allzu unver-
nünftig, für die Zufriedenstellung des Volkes nicht allzu sehr in Rech-
nung zu stellen seien, und eine tüchtige Förderung der materiellen Jn-
teressen alles Andere aufwiege, eine Anschauung, die durch die zahl-
reichen Aufstände des Volkes ihre Widerlegung fand, bei welchen Ge-
legenheiten denn Narvaez den Weg blutiger Einschüchterung stets dem-
jenigen der liberalen Reform vorzog. Hieraus entsprangen eine Reihe
verkehrter Maßregeln, welche die Erbitterung im Lande gewaltig
schürten und selbst die Armee, in welcher Narvaez als tüchtiger Soldat
und glücklicher Feldherr viel Anhang hatte, schwierig machten. So
hat er denn wiederholt liberalen Ministerien weichen müssen, bis es
ihm in den letzten Jahren wieder gelang, an die Spitze der Regierung
zu treten, die er in entschieden reaktionärem Geiste führte. Deporta-
tionen und Todesurtheile waren wieder an der Tagesordnung; die
Unterrichtsverwaltung wurde in klerikalem Sinne umgeformt; die Cortes
wurden aufgelöst, die Hauptführer der Parteien verhaftet und ver-
bannt. Dieses geschah im Laufe des Jahres 1866; das Jahr 1867
und der größere Theil dieses Jahres sah in Spanien "die Ruhe eines
Kirchhofes". Narvaez' Hand lag so schwer auf dem Lande, daß Auf-
standsversuche zu den Unmöglichkeiten gehörten. Sein Tod, der im
April dieses Jahres erfolgte -- er ist 68 Jahre alt geworden -- gab
den liberalen Parteien neuen Muth; sein Nachfolger Gonzalez ver-
stand es, die Unzufriedenheit durch Verletzung der Armee und Marine,
in denen er als Civilist durchaus keinen Anhang hatte, durch un-
geschickte Maßregeln noch mehr zu schüren, und so brach denn das
Verhängniß herein, an welchem Narvaez einen bedeutenden Theil der
Schuld trägt.

Die dritte Partei bilden die Progressisten ( Fortschrittsmänner ) ,
die Anhänger der stark beschränkten Monarchie. Jn den intelligenten
Mittelklassen und in der Armee hat sie zahlreiche Anhänger, doch
entspricht die Stärke der Partei ihrem numerischen Gewicht nicht, da
sie vielfach gespalten ist. Als ihr Chef gilt Espartero, Herzog von
Victoria, doch ist er es nur dem Namen nach, da er für ein thätiges
[Spaltenumbruch] Eingreifen allmälig zu alt
geworden ist; sein Name
aber ist eine Fahne, um die
sich die Partei sammelt, und
sein Ansehen im Volke ist so
groß, daß jede liberale Be-
wegung durch seine Beistim-
mung eigentlich erst ihre
Weihe erhält. So ist es
auch noch in unseren Tagen
gewesen. Seine Popularität
ist nicht unverdient, denn er
ist einer der wenigen Partei-
führer, die sich durch Uneigen-
nützigkeit, Charakterreinheit
und Konsequenz auszeichnen.
Durch Niederwerfung des
Carlistenaufstandes hat er
sich hohe Verdienste um
Spanien erworben. Zeit-
weilig war er alsdann Re-
gent des Königreichs, doch
ging ihm jedwede staats-
männische Befähigung ab,
und so war er nur der Mann
der Situation, wenn er den
Degen in die Hand nehmen
konnte. Nicht mit Unrecht
hat man ihn den spanischen
Lafayette genannt. Jetzt ist
er ein Greis von 76 Jahren
und schwerlich noch in der
Lage, irgend eine Rolle in
der gegenwärtigen Bewe-
gung, zu der er übrigens
seine Beistimmung ausge-
drückt hat, zu spielen.

Als intellektuellen Führer
der Partei darf man Sallu-
stiano Olozaga bezeichnen.
Geboren im Jahre 1806, hat
Olozaga *) seit den Tagen
Ferdinand's mit Geschick und
Ausdauer das absolutistische
und klerikale Regiment in
Spanien bekämpft; er ist
der erste gewesen, der nicht
bloß die Regierungsform, son-
dern auch die Dynastie, als
ganz regierungsunfähig, bekämpfte. Vier Verbannungen und ein Todes-
urtheil hat er in diesem Kampf davongetragen; daneben war er ein-
mal Minister=Präsident, zweimal spanischer Gesandter in Paris, und
während der Zeit, die er nicht außerhalb Spaniens zubrachte, auch stets
eines der hervorragendsten Mitglieder der Cortes. Jn dieser Stellung,
als Abgeordneter, hat er es vornehmlich verstanden, sich zum Haupt
seiner Partei aufzuschwingen; er ist ein gewaltiger Redner, ein scharfer
politischer Kopf und tüchtiger Jurist. Jm Kampf der Parteien hat
er Großes geleistet, und als politischer Charakter genießt er allgemeine
Achtung; eine wirklich staatsmännische Befähigung und Geschick zum
Regieren hat er weniger Veranlassung zu bewähren gehabt. Bei der
gegenwärtigen Bewegung hatte man großes Gewicht darauf gelegt,
ihn in die provisorische Regierung zu ziehen; er hat alle derartige
Anträge abgelehnt und ist erst vor wenigen Tagen aus Paris, wo
er während der letzten Jahre lebte, nach Madrid zurückgekehrt, wo
er, wenn auch nicht aktives Mitglied der Regierung, doch ohne Frage
eine hervorragende Rolle bei der Lösung der gegenwärtig schwebenden
Fragen spielen wird.

Wie man Olozaga den Kopf der Progressisten nannte, so hat
man seinen Freund Prim als das Schwert dieser Partei bezeichnet.
Don Juan Prim, Graf von Reus und Marquis de los Castil-
lejos, ist gegenwärtig, ohne Frage, der populärste Mann in Spanien,
und wird voraussichtlich bei der Entscheidung über das Geschick des
Landes das gewichtigste Wort zu reden haben. Er ist in einem kleinen
Dorfe Cataloniens im Jahre 1814 geboren; sein Vater hatte mit
Auszeichnung in dem spanischen Unabhängigkeitskriege als Offizier
gefochten. Ursprünglich zum Rechtsgelehrten bestimmt, hing Juan
Prim das Studium bald an den Nagel und trat zur Zeit des Car-
listenkrieges als gemeiner Soldat in die Dienste der Königin. Jn
diesem Kampfe zeigte er die glänzendsten Soldateneigenschaften, und
[Ende Spaltensatz]

*) Sein Portrait wird eine der nächsten Nummern bringen.

[Beginn Spaltensatz] Bravo und seine Kollegen

[Abbildung] Don Juan Prim, Graf von Reus.
sind zu unbedeutend, um die
Partei einigermaßen zusam-
men zu halten. Bis vor
Kurzem, d. h. bis zum April
dieses Jahres, stand Nar-
vaez, Herzog von Va-
lencia,
an ihrer Spitze.
Obwohl vielfach gefürchtet
und gehaßt, genoß Narvaez
dennoch zeitlebens ein großes
Ansehen im Lande, denn er
verstand es, der Bevölkerung
zuweilen verhältnißmäßig ru-
hige und von Parteikämpfen
freie Jahre zu verschaffen,
in denen der Wohlstand ge-
dieh. Ein glücklicher Krieger,
ein kluger Staatsmann, da-
bei von eiserner Energie und
kühn, kein Werkzeug der Kirche
und nichts weniger als blinder
Absolutist, wußte er durch
Strenge und Versöhnlichkeit
dem Lande nach außen und
innen zeitweilig Ansehen,
Sammlung und Kraft zu
geben. Die Jahre von 1847
bis 1851, in welchen Nar-
vaez fast unausgesetzt an der
Spitze der Regierung stand,
gehören zu den besten, die
Spanien im Laufe dieses
Jahrhunderts erlebt hat. Den
zahlreichen Aufständen im
Lande trat er mit unerbitt-
licher Schärfe, vielfach sogar
brutal und grausam entge-
gen. Obwohl ein bedeutender
Staatsmann, so weit es die
auswärtige Politik anging,
hatte er doch im Jnnern,
abgesehen von seiner entschie-
denen Vorliebe für ein starkes
Regiment, kein festes Pro-
gramm. Es beherrschte ihn
der Gedanke, daß die inneren
politischen Verhältnisse, so-
fern sie nicht allzu unver-
nünftig, für die Zufriedenstellung des Volkes nicht allzu sehr in Rech-
nung zu stellen seien, und eine tüchtige Förderung der materiellen Jn-
teressen alles Andere aufwiege, eine Anschauung, die durch die zahl-
reichen Aufstände des Volkes ihre Widerlegung fand, bei welchen Ge-
legenheiten denn Narvaez den Weg blutiger Einschüchterung stets dem-
jenigen der liberalen Reform vorzog. Hieraus entsprangen eine Reihe
verkehrter Maßregeln, welche die Erbitterung im Lande gewaltig
schürten und selbst die Armee, in welcher Narvaez als tüchtiger Soldat
und glücklicher Feldherr viel Anhang hatte, schwierig machten. So
hat er denn wiederholt liberalen Ministerien weichen müssen, bis es
ihm in den letzten Jahren wieder gelang, an die Spitze der Regierung
zu treten, die er in entschieden reaktionärem Geiste führte. Deporta-
tionen und Todesurtheile waren wieder an der Tagesordnung; die
Unterrichtsverwaltung wurde in klerikalem Sinne umgeformt; die Cortes
wurden aufgelöst, die Hauptführer der Parteien verhaftet und ver-
bannt. Dieses geschah im Laufe des Jahres 1866; das Jahr 1867
und der größere Theil dieses Jahres sah in Spanien „die Ruhe eines
Kirchhofes“. Narvaez' Hand lag so schwer auf dem Lande, daß Auf-
standsversuche zu den Unmöglichkeiten gehörten. Sein Tod, der im
April dieses Jahres erfolgte — er ist 68 Jahre alt geworden — gab
den liberalen Parteien neuen Muth; sein Nachfolger Gonzalez ver-
stand es, die Unzufriedenheit durch Verletzung der Armee und Marine,
in denen er als Civilist durchaus keinen Anhang hatte, durch un-
geschickte Maßregeln noch mehr zu schüren, und so brach denn das
Verhängniß herein, an welchem Narvaez einen bedeutenden Theil der
Schuld trägt.

Die dritte Partei bilden die Progressisten ( Fortschrittsmänner ) ,
die Anhänger der stark beschränkten Monarchie. Jn den intelligenten
Mittelklassen und in der Armee hat sie zahlreiche Anhänger, doch
entspricht die Stärke der Partei ihrem numerischen Gewicht nicht, da
sie vielfach gespalten ist. Als ihr Chef gilt Espartero, Herzog von
Victoria, doch ist er es nur dem Namen nach, da er für ein thätiges
[Spaltenumbruch] Eingreifen allmälig zu alt
geworden ist; sein Name
aber ist eine Fahne, um die
sich die Partei sammelt, und
sein Ansehen im Volke ist so
groß, daß jede liberale Be-
wegung durch seine Beistim-
mung eigentlich erst ihre
Weihe erhält. So ist es
auch noch in unseren Tagen
gewesen. Seine Popularität
ist nicht unverdient, denn er
ist einer der wenigen Partei-
führer, die sich durch Uneigen-
nützigkeit, Charakterreinheit
und Konsequenz auszeichnen.
Durch Niederwerfung des
Carlistenaufstandes hat er
sich hohe Verdienste um
Spanien erworben. Zeit-
weilig war er alsdann Re-
gent des Königreichs, doch
ging ihm jedwede staats-
männische Befähigung ab,
und so war er nur der Mann
der Situation, wenn er den
Degen in die Hand nehmen
konnte. Nicht mit Unrecht
hat man ihn den spanischen
Lafayette genannt. Jetzt ist
er ein Greis von 76 Jahren
und schwerlich noch in der
Lage, irgend eine Rolle in
der gegenwärtigen Bewe-
gung, zu der er übrigens
seine Beistimmung ausge-
drückt hat, zu spielen.

Als intellektuellen Führer
der Partei darf man Sallu-
stiano Olozaga bezeichnen.
Geboren im Jahre 1806, hat
Olozaga *) seit den Tagen
Ferdinand's mit Geschick und
Ausdauer das absolutistische
und klerikale Regiment in
Spanien bekämpft; er ist
der erste gewesen, der nicht
bloß die Regierungsform, son-
dern auch die Dynastie, als
ganz regierungsunfähig, bekämpfte. Vier Verbannungen und ein Todes-
urtheil hat er in diesem Kampf davongetragen; daneben war er ein-
mal Minister=Präsident, zweimal spanischer Gesandter in Paris, und
während der Zeit, die er nicht außerhalb Spaniens zubrachte, auch stets
eines der hervorragendsten Mitglieder der Cortes. Jn dieser Stellung,
als Abgeordneter, hat er es vornehmlich verstanden, sich zum Haupt
seiner Partei aufzuschwingen; er ist ein gewaltiger Redner, ein scharfer
politischer Kopf und tüchtiger Jurist. Jm Kampf der Parteien hat
er Großes geleistet, und als politischer Charakter genießt er allgemeine
Achtung; eine wirklich staatsmännische Befähigung und Geschick zum
Regieren hat er weniger Veranlassung zu bewähren gehabt. Bei der
gegenwärtigen Bewegung hatte man großes Gewicht darauf gelegt,
ihn in die provisorische Regierung zu ziehen; er hat alle derartige
Anträge abgelehnt und ist erst vor wenigen Tagen aus Paris, wo
er während der letzten Jahre lebte, nach Madrid zurückgekehrt, wo
er, wenn auch nicht aktives Mitglied der Regierung, doch ohne Frage
eine hervorragende Rolle bei der Lösung der gegenwärtig schwebenden
Fragen spielen wird.

Wie man Olozaga den Kopf der Progressisten nannte, so hat
man seinen Freund Prim als das Schwert dieser Partei bezeichnet.
Don Juan Prim, Graf von Reus und Marquis de los Castil-
lejos, ist gegenwärtig, ohne Frage, der populärste Mann in Spanien,
und wird voraussichtlich bei der Entscheidung über das Geschick des
Landes das gewichtigste Wort zu reden haben. Er ist in einem kleinen
Dorfe Cataloniens im Jahre 1814 geboren; sein Vater hatte mit
Auszeichnung in dem spanischen Unabhängigkeitskriege als Offizier
gefochten. Ursprünglich zum Rechtsgelehrten bestimmt, hing Juan
Prim das Studium bald an den Nagel und trat zur Zeit des Car-
listenkrieges als gemeiner Soldat in die Dienste der Königin. Jn
diesem Kampfe zeigte er die glänzendsten Soldateneigenschaften, und
[Ende Spaltensatz]

*) Sein Portrait wird eine der nächsten Nummern bringen.
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[349/0005] 349 Bravo und seine Kollegen [Abbildung Don Juan Prim, Graf von Reus.] sind zu unbedeutend, um die Partei einigermaßen zusam- men zu halten. Bis vor Kurzem, d. h. bis zum April dieses Jahres, stand Nar- vaez, Herzog von Va- lencia, an ihrer Spitze. Obwohl vielfach gefürchtet und gehaßt, genoß Narvaez dennoch zeitlebens ein großes Ansehen im Lande, denn er verstand es, der Bevölkerung zuweilen verhältnißmäßig ru- hige und von Parteikämpfen freie Jahre zu verschaffen, in denen der Wohlstand ge- dieh. Ein glücklicher Krieger, ein kluger Staatsmann, da- bei von eiserner Energie und kühn, kein Werkzeug der Kirche und nichts weniger als blinder Absolutist, wußte er durch Strenge und Versöhnlichkeit dem Lande nach außen und innen zeitweilig Ansehen, Sammlung und Kraft zu geben. Die Jahre von 1847 bis 1851, in welchen Nar- vaez fast unausgesetzt an der Spitze der Regierung stand, gehören zu den besten, die Spanien im Laufe dieses Jahrhunderts erlebt hat. Den zahlreichen Aufständen im Lande trat er mit unerbitt- licher Schärfe, vielfach sogar brutal und grausam entge- gen. Obwohl ein bedeutender Staatsmann, so weit es die auswärtige Politik anging, hatte er doch im Jnnern, abgesehen von seiner entschie- denen Vorliebe für ein starkes Regiment, kein festes Pro- gramm. Es beherrschte ihn der Gedanke, daß die inneren politischen Verhältnisse, so- fern sie nicht allzu unver- nünftig, für die Zufriedenstellung des Volkes nicht allzu sehr in Rech- nung zu stellen seien, und eine tüchtige Förderung der materiellen Jn- teressen alles Andere aufwiege, eine Anschauung, die durch die zahl- reichen Aufstände des Volkes ihre Widerlegung fand, bei welchen Ge- legenheiten denn Narvaez den Weg blutiger Einschüchterung stets dem- jenigen der liberalen Reform vorzog. 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Als ihr Chef gilt Espartero, Herzog von Victoria, doch ist er es nur dem Namen nach, da er für ein thätiges Eingreifen allmälig zu alt geworden ist; sein Name aber ist eine Fahne, um die sich die Partei sammelt, und sein Ansehen im Volke ist so groß, daß jede liberale Be- wegung durch seine Beistim- mung eigentlich erst ihre Weihe erhält. So ist es auch noch in unseren Tagen gewesen. Seine Popularität ist nicht unverdient, denn er ist einer der wenigen Partei- führer, die sich durch Uneigen- nützigkeit, Charakterreinheit und Konsequenz auszeichnen. Durch Niederwerfung des Carlistenaufstandes hat er sich hohe Verdienste um Spanien erworben. Zeit- weilig war er alsdann Re- gent des Königreichs, doch ging ihm jedwede staats- männische Befähigung ab, und so war er nur der Mann der Situation, wenn er den Degen in die Hand nehmen konnte. Nicht mit Unrecht hat man ihn den spanischen Lafayette genannt. Jetzt ist er ein Greis von 76 Jahren und schwerlich noch in der Lage, irgend eine Rolle in der gegenwärtigen Bewe- gung, zu der er übrigens seine Beistimmung ausge- drückt hat, zu spielen. Als intellektuellen Führer der Partei darf man Sallu- stiano Olozaga bezeichnen. Geboren im Jahre 1806, hat Olozaga *) seit den Tagen Ferdinand's mit Geschick und Ausdauer das absolutistische und klerikale Regiment in Spanien bekämpft; er ist der erste gewesen, der nicht bloß die Regierungsform, son- dern auch die Dynastie, als ganz regierungsunfähig, bekämpfte. Vier Verbannungen und ein Todes- urtheil hat er in diesem Kampf davongetragen; daneben war er ein- mal Minister=Präsident, zweimal spanischer Gesandter in Paris, und während der Zeit, die er nicht außerhalb Spaniens zubrachte, auch stets eines der hervorragendsten Mitglieder der Cortes. 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Don Juan Prim, Graf von Reus und Marquis de los Castil- lejos, ist gegenwärtig, ohne Frage, der populärste Mann in Spanien, und wird voraussichtlich bei der Entscheidung über das Geschick des Landes das gewichtigste Wort zu reden haben. Er ist in einem kleinen Dorfe Cataloniens im Jahre 1814 geboren; sein Vater hatte mit Auszeichnung in dem spanischen Unabhängigkeitskriege als Offizier gefochten. Ursprünglich zum Rechtsgelehrten bestimmt, hing Juan Prim das Studium bald an den Nagel und trat zur Zeit des Car- listenkrieges als gemeiner Soldat in die Dienste der Königin. Jn diesem Kampfe zeigte er die glänzendsten Soldateneigenschaften, und *) Sein Portrait wird eine der nächsten Nummern bringen.

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




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Zitationshilfe: Sonntags-Blatt. Nr. 44. Berlin, 1. November 1868, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_sonntagsblatt44_1868/5>, abgerufen am 15.06.2024.