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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849.

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und nur auf ein paar Tage mocht' ich mich nicht los
machen, sondern auf länger --"

"Und auf wie lange?" fragte Mutter Eva, die es
gar nicht erwarten konnte, zu berechnen, wie lange sie
ihr Herzenskind bei sich haben könnte, zugleich aber
immer fürchtete, er werde sie wieder aus ihrem Himmel
stürzen, wenn er den Tag der Abreise festsetzte, den sie
dann wie ein schwarzes Gespenst sich immer drohend
näher rücken sehen müsse; darum fügte sie hinzu: "Oder
sag's lieber nicht, ich will gar nicht wissen, wann Du
wieder gehst, der gräßliche Tag wird bald genug kommen,
ich will nur froh sein, daß Du da bist!"

"Freue Dich immer, Mutter, aber sagen kann ich's
doch auch -- jetzt haben wir Juni -- Juli -- Au-
gust -- September -- und vorher wollen wir kein
Wort vom Fortgehen und Trennen reden, dann wird
sich's finden; so lange müßt Jhr mich schon im Dorfe
behalten!" lächelte Johannes.

Alle sprachen nur ihre Freude und Verwunderung
aus, daß er wirklich so lange bei ihnen bleiben wolle --
unsere Mutter Eva war aber zu überselig, um nur ein
Wort sprechen zu können. Sie umarmte ihren Sohn
mit beiden Armen und weinte wieder still vor Freude,
das Gesicht an seine Brust gedrückt, weil sie sich scheute,
ihre heiligen Mutterthränen sehen zu lassen.

und nur auf ein paar Tage mocht’ ich mich nicht los
machen, ſondern auf laͤnger —“

„Und auf wie lange?“ fragte Mutter Eva, die es
gar nicht erwarten konnte, zu berechnen, wie lange ſie
ihr Herzenskind bei ſich haben koͤnnte, zugleich aber
immer fuͤrchtete, er werde ſie wieder aus ihrem Himmel
ſtuͤrzen, wenn er den Tag der Abreiſe feſtſetzte, den ſie
dann wie ein ſchwarzes Geſpenſt ſich immer drohend
naͤher ruͤcken ſehen muͤſſe; darum fuͤgte ſie hinzu: „Oder
ſag’s lieber nicht, ich will gar nicht wiſſen, wann Du
wieder gehſt, der graͤßliche Tag wird bald genug kommen,
ich will nur froh ſein, daß Du da biſt!“

„Freue Dich immer, Mutter, aber ſagen kann ich’s
doch auch — jetzt haben wir Juni — Juli — Au-
guſt — September — und vorher wollen wir kein
Wort vom Fortgehen und Trennen reden, dann wird
ſich’s finden; ſo lange muͤßt Jhr mich ſchon im Dorfe
behalten!“ laͤchelte Johannes.

Alle ſprachen nur ihre Freude und Verwunderung
aus, daß er wirklich ſo lange bei ihnen bleiben wolle —
unſere Mutter Eva war aber zu uͤberſelig, um nur ein
Wort ſprechen zu koͤnnen. Sie umarmte ihren Sohn
mit beiden Armen und weinte wieder ſtill vor Freude,
das Geſicht an ſeine Bruſt gedruͤckt, weil ſie ſich ſcheute,
ihre heiligen Mutterthraͤnen ſehen zu laſſen.

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[54/0062] und nur auf ein paar Tage mocht’ ich mich nicht los machen, ſondern auf laͤnger —“ „Und auf wie lange?“ fragte Mutter Eva, die es gar nicht erwarten konnte, zu berechnen, wie lange ſie ihr Herzenskind bei ſich haben koͤnnte, zugleich aber immer fuͤrchtete, er werde ſie wieder aus ihrem Himmel ſtuͤrzen, wenn er den Tag der Abreiſe feſtſetzte, den ſie dann wie ein ſchwarzes Geſpenſt ſich immer drohend naͤher ruͤcken ſehen muͤſſe; darum fuͤgte ſie hinzu: „Oder ſag’s lieber nicht, ich will gar nicht wiſſen, wann Du wieder gehſt, der graͤßliche Tag wird bald genug kommen, ich will nur froh ſein, daß Du da biſt!“ „Freue Dich immer, Mutter, aber ſagen kann ich’s doch auch — jetzt haben wir Juni — Juli — Au- guſt — September — und vorher wollen wir kein Wort vom Fortgehen und Trennen reden, dann wird ſich’s finden; ſo lange muͤßt Jhr mich ſchon im Dorfe behalten!“ laͤchelte Johannes. Alle ſprachen nur ihre Freude und Verwunderung aus, daß er wirklich ſo lange bei ihnen bleiben wolle — unſere Mutter Eva war aber zu uͤberſelig, um nur ein Wort ſprechen zu koͤnnen. Sie umarmte ihren Sohn mit beiden Armen und weinte wieder ſtill vor Freude, das Geſicht an ſeine Bruſt gedruͤckt, weil ſie ſich ſcheute, ihre heiligen Mutterthraͤnen ſehen zu laſſen.

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Zitationshilfe: Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/62>, abgerufen am 20.05.2024.