Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 2. Leipzig, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

seitdem hab' ich mich oft Hundert Mal gefragt, was es denn eigentlich sei, das diese Unglücklichen noch dazu vermöge, freiwillig die härtesten Arbeiten zu verrichten, da sie für ihren geringen Tagelohn sich doch nie eine glückliche Stunde kaufen können. Das Gewissen? Die Moral? -- Kann das Menschen zurückhalten, deren Sitten man so verdorben schildert und die man wirklich entsittlicht hat? Und wenn sie tagtäglich gegen sich unrechte Bedrückungen erfahren, könnten sie dann nicht einmal sagen: Wenn Jene gegen uns unredlich sind, warum wollen wir es nicht wieder gegen sie sein? -- Und seitdem ich mir dies gesagt habe, seitdem überfällt mich oft ein entsetzliches Grauen -- denn wenn sich der Pöbel entfesselt und aufsteht, welche Schrecknisse werden dann über uns Alle hereinbrechen? -- Und Sie sagten: es sei wirklich geschehen?"

Jaromir antwortete, indem seine Augen bewundernd in Liebe und Stolz an Elisabeth hingen: "Noch ist weiter Nichts geschehen, als daß ein paar Hundert Eisenbahnarbeiter einen erhöhten Lohn fordern und unterdessen Nichts gethan haben, als ihre Arbeiten friedlich eingestellt -- das ist ja noch keine Empörung. Vielleicht ist es ein wohlthätiges Warnungszeichen für alle die, welche die Macht hier zu helfen oder zu bedrücken in den Händen haben, daß es besser sei, den armen arbeitenden Klassen freiwillig Concessionen zu machen, ehe sie einmal in wilder Raserei den

seitdem hab’ ich mich oft Hundert Mal gefragt, was es denn eigentlich sei, das diese Unglücklichen noch dazu vermöge, freiwillig die härtesten Arbeiten zu verrichten, da sie für ihren geringen Tagelohn sich doch nie eine glückliche Stunde kaufen können. Das Gewissen? Die Moral? — Kann das Menschen zurückhalten, deren Sitten man so verdorben schildert und die man wirklich entsittlicht hat? Und wenn sie tagtäglich gegen sich unrechte Bedrückungen erfahren, könnten sie dann nicht einmal sagen: Wenn Jene gegen uns unredlich sind, warum wollen wir es nicht wieder gegen sie sein? — Und seitdem ich mir dies gesagt habe, seitdem überfällt mich oft ein entsetzliches Grauen — denn wenn sich der Pöbel entfesselt und aufsteht, welche Schrecknisse werden dann über uns Alle hereinbrechen? — Und Sie sagten: es sei wirklich geschehen?“

Jaromir antwortete, indem seine Augen bewundernd in Liebe und Stolz an Elisabeth hingen: „Noch ist weiter Nichts geschehen, als daß ein paar Hundert Eisenbahnarbeiter einen erhöhten Lohn fordern und unterdessen Nichts gethan haben, als ihre Arbeiten friedlich eingestellt — das ist ja noch keine Empörung. Vielleicht ist es ein wohlthätiges Warnungszeichen für alle die, welche die Macht hier zu helfen oder zu bedrücken in den Händen haben, daß es besser sei, den armen arbeitenden Klassen freiwillig Concessionen zu machen, ehe sie einmal in wilder Raserei den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0174" n="168"/>
seitdem hab&#x2019; ich mich oft Hundert Mal gefragt, was es denn eigentlich sei, das diese Unglücklichen noch dazu vermöge, freiwillig die härtesten Arbeiten zu verrichten, da sie für ihren geringen Tagelohn sich doch nie eine glückliche Stunde kaufen können. Das Gewissen? Die Moral? &#x2014; Kann das Menschen zurückhalten, deren Sitten man so verdorben schildert und die man wirklich entsittlicht hat? Und wenn sie tagtäglich gegen sich unrechte Bedrückungen erfahren, könnten sie dann nicht einmal sagen: Wenn Jene gegen uns unredlich sind, warum wollen wir es nicht wieder gegen sie sein? &#x2014; Und seitdem ich mir dies gesagt habe, seitdem überfällt mich oft ein entsetzliches Grauen &#x2014; denn wenn sich der Pöbel entfesselt und aufsteht, welche Schrecknisse werden dann über uns Alle hereinbrechen? &#x2014; Und Sie sagten: es sei wirklich geschehen?&#x201C;</p>
        <p>Jaromir antwortete, indem seine Augen bewundernd in Liebe und Stolz an Elisabeth hingen: &#x201E;Noch ist weiter Nichts geschehen, als daß ein paar Hundert Eisenbahnarbeiter einen erhöhten Lohn fordern und unterdessen Nichts gethan haben, als ihre Arbeiten friedlich eingestellt &#x2014; das ist ja noch keine Empörung. Vielleicht ist es ein wohlthätiges Warnungszeichen für alle die, welche die Macht hier zu helfen oder zu bedrücken in den Händen haben, daß es besser sei, den armen arbeitenden Klassen freiwillig Concessionen zu machen, ehe sie einmal in wilder Raserei den
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[168/0174] seitdem hab’ ich mich oft Hundert Mal gefragt, was es denn eigentlich sei, das diese Unglücklichen noch dazu vermöge, freiwillig die härtesten Arbeiten zu verrichten, da sie für ihren geringen Tagelohn sich doch nie eine glückliche Stunde kaufen können. Das Gewissen? Die Moral? — Kann das Menschen zurückhalten, deren Sitten man so verdorben schildert und die man wirklich entsittlicht hat? Und wenn sie tagtäglich gegen sich unrechte Bedrückungen erfahren, könnten sie dann nicht einmal sagen: Wenn Jene gegen uns unredlich sind, warum wollen wir es nicht wieder gegen sie sein? — Und seitdem ich mir dies gesagt habe, seitdem überfällt mich oft ein entsetzliches Grauen — denn wenn sich der Pöbel entfesselt und aufsteht, welche Schrecknisse werden dann über uns Alle hereinbrechen? — Und Sie sagten: es sei wirklich geschehen?“ Jaromir antwortete, indem seine Augen bewundernd in Liebe und Stolz an Elisabeth hingen: „Noch ist weiter Nichts geschehen, als daß ein paar Hundert Eisenbahnarbeiter einen erhöhten Lohn fordern und unterdessen Nichts gethan haben, als ihre Arbeiten friedlich eingestellt — das ist ja noch keine Empörung. Vielleicht ist es ein wohlthätiges Warnungszeichen für alle die, welche die Macht hier zu helfen oder zu bedrücken in den Händen haben, daß es besser sei, den armen arbeitenden Klassen freiwillig Concessionen zu machen, ehe sie einmal in wilder Raserei den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Repository TextGrid: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-08-23T11:52:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christoph Leijser, Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-08-23T11:52:15Z)
HATHI TRUST Digital Library: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-08-23T11:52:15Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss02_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss02_1846/174
Zitationshilfe: Otto, Louise: Schloß und Fabrik, Bd. 2. Leipzig, 1846, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_schloss02_1846/174>, abgerufen am 31.10.2024.