Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].Zu meinen frühsten Jugenderinnerungen gehört eine Reise mit meinen Aeltern nach Teplitz, wo meine Mutter die Bäder gebrauchen sollte. Einzelne Lichtpunkte, ohne allen Zusammenhang sind mir davon im Gedächtnisse stehn geblieben. Im Reisewagen schlief ich auf einem kleinen, von Sitz zu Sitz gelegten Brettchen - am Fuße des Geiersberges in Böhmen wurden wild aussehende Ochsen vor den Wagen gespannt - auf einem Pavillon am See stehend fütterte ich schöne milchweiße Schwäne. Auf der Rückreise besuchten wir in Dresden die Schwester meines Vaters, in zweiter Ehe an den Kaufmann Keiner verheirathet. Die freundliche Tante führte mich in die Essigkammer ihrer Bleiweißfabrik und bewirthete mich mit Rosinen. Diese Badekur war indessen von keinem besonderen Erfolge für die Gesundheit meiner Mutter. Es wurden noch andere Mittel, wie Eselsmilch und isländisches Moos versucht, allein vergebens. Sie starb am 1. September 1803, als ich noch nicht 5 Jahre alt war. Von ihrer Persönlichkeit habe ich nur eine ganz undeutliche Erinnerung. Weder ihre Stimme, noch ihre Züge sind in meiner Seele lebendig geblieben: denn meine Fähigkeiten entwickelten sich sehr langsam. Hier will ich einer physiologischen Eigenheit meiner Natur erwähnen, die durch viele Beobachtungen sich bestätigt hat. Von allen Personen, deren Stimme in meinem Ohr lebt, habe ich auch ein deutliches Bild der Gestalt und des Gesichts; wo die Erinnerung an die Stimme fehlt, da sind auch die Formen des Körpers dem Gedächtnisse entschwunden. Wilhelm von Humboldt fand diese Bemerkung interessant, und meinte, es sei wohl der Unter- Zu meinen frühsten Jugenderinnerungen gehört eine Reise mit meinen Aeltern nach Teplitz, wo meine Mutter die Bäder gebrauchen sollte. Einzelne Lichtpunkte, ohne allen Zusammenhang sind mir davon im Gedächtnisse stehn geblieben. Im Reisewagen schlief ich auf einem kleinen, von Sitz zu Sitz gelegten Brettchen – am Fuße des Geiersberges in Böhmen wurden wild aussehende Ochsen vor den Wagen gespannt – auf einem Pavillon am See stehend fütterte ich schöne milchweiße Schwäne. Auf der Rückreise besuchten wir in Dresden die Schwester meines Vaters, in zweiter Ehe an den Kaufmann Keiner verheirathet. Die freundliche Tante führte mich in die Essigkammer ihrer Bleiweißfabrik und bewirthete mich mit Rosinen. Diese Badekur war indessen von keinem besonderen Erfolge für die Gesundheit meiner Mutter. Es wurden noch andere Mittel, wie Eselsmilch und isländisches Moos versucht, allein vergebens. Sie starb am 1. September 1803, als ich noch nicht 5 Jahre alt war. Von ihrer Persönlichkeit habe ich nur eine ganz undeutliche Erinnerung. Weder ihre Stimme, noch ihre Züge sind in meiner Seele lebendig geblieben: denn meine Fähigkeiten entwickelten sich sehr langsam. Hier will ich einer physiologischen Eigenheit meiner Natur erwähnen, die durch viele Beobachtungen sich bestätigt hat. Von allen Personen, deren Stimme in meinem Ohr lebt, habe ich auch ein deutliches Bild der Gestalt und des Gesichts; wo die Erinnerung an die Stimme fehlt, da sind auch die Formen des Körpers dem Gedächtnisse entschwunden. Wilhelm von Humboldt fand diese Bemerkung interessant, und meinte, es sei wohl der Unter- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0024" n="12"/> <p>Zu meinen frühsten Jugenderinnerungen gehört eine Reise mit meinen Aeltern nach Teplitz, wo meine Mutter die Bäder gebrauchen sollte. Einzelne Lichtpunkte, ohne allen Zusammenhang sind mir davon im Gedächtnisse stehn geblieben. Im Reisewagen schlief ich auf einem kleinen, von Sitz zu Sitz gelegten Brettchen – am Fuße des Geiersberges in Böhmen wurden wild aussehende Ochsen vor den Wagen gespannt – auf einem Pavillon am See stehend fütterte ich schöne milchweiße Schwäne. Auf der Rückreise besuchten wir in Dresden die Schwester meines Vaters, in zweiter Ehe an den Kaufmann Keiner verheirathet. Die freundliche Tante führte mich in die Essigkammer ihrer Bleiweißfabrik und bewirthete mich mit Rosinen. </p><lb/> <p>Diese Badekur war indessen von keinem besonderen Erfolge für die Gesundheit meiner Mutter. Es wurden noch andere Mittel, wie Eselsmilch und isländisches Moos versucht, allein vergebens. Sie starb am 1. September 1803, als ich noch nicht 5 Jahre alt war. Von ihrer Persönlichkeit habe ich nur eine ganz undeutliche Erinnerung. Weder ihre Stimme, noch ihre Züge sind in meiner Seele lebendig geblieben: denn meine Fähigkeiten entwickelten sich sehr langsam. </p><lb/> <p>Hier will ich einer physiologischen Eigenheit meiner Natur erwähnen, die durch viele Beobachtungen sich bestätigt hat. Von allen Personen, deren Stimme in meinem Ohr lebt, habe ich auch ein deutliches Bild der Gestalt und des Gesichts; wo die Erinnerung an die Stimme fehlt, da sind auch die Formen des Körpers dem Gedächtnisse entschwunden. Wilhelm von Humboldt fand diese Bemerkung interessant, und meinte, es sei wohl der Unter- </p> </div> </body> </text> </TEI> [12/0024]
Zu meinen frühsten Jugenderinnerungen gehört eine Reise mit meinen Aeltern nach Teplitz, wo meine Mutter die Bäder gebrauchen sollte. Einzelne Lichtpunkte, ohne allen Zusammenhang sind mir davon im Gedächtnisse stehn geblieben. Im Reisewagen schlief ich auf einem kleinen, von Sitz zu Sitz gelegten Brettchen – am Fuße des Geiersberges in Böhmen wurden wild aussehende Ochsen vor den Wagen gespannt – auf einem Pavillon am See stehend fütterte ich schöne milchweiße Schwäne. Auf der Rückreise besuchten wir in Dresden die Schwester meines Vaters, in zweiter Ehe an den Kaufmann Keiner verheirathet. Die freundliche Tante führte mich in die Essigkammer ihrer Bleiweißfabrik und bewirthete mich mit Rosinen.
Diese Badekur war indessen von keinem besonderen Erfolge für die Gesundheit meiner Mutter. Es wurden noch andere Mittel, wie Eselsmilch und isländisches Moos versucht, allein vergebens. Sie starb am 1. September 1803, als ich noch nicht 5 Jahre alt war. Von ihrer Persönlichkeit habe ich nur eine ganz undeutliche Erinnerung. Weder ihre Stimme, noch ihre Züge sind in meiner Seele lebendig geblieben: denn meine Fähigkeiten entwickelten sich sehr langsam.
Hier will ich einer physiologischen Eigenheit meiner Natur erwähnen, die durch viele Beobachtungen sich bestätigt hat. Von allen Personen, deren Stimme in meinem Ohr lebt, habe ich auch ein deutliches Bild der Gestalt und des Gesichts; wo die Erinnerung an die Stimme fehlt, da sind auch die Formen des Körpers dem Gedächtnisse entschwunden. Wilhelm von Humboldt fand diese Bemerkung interessant, und meinte, es sei wohl der Unter-
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