Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.Er zog sich langsam am Bettzopf aus dem Unterdessen hatte sich das Feuerrad der Erden¬ Es stieg in ihm eine übermannende Rührung Er zog ſich langſam am Bettzopf aus dem Unterdeſſen hatte ſich das Feuerrad der Erden¬ Es ſtieg in ihm eine uͤbermannende Ruͤhrung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0173" n="162"/> <p>Er zog ſich <hi rendition="#g">langſam</hi> am Bettzopf aus dem<lb/> Bette, das er ſonſt mit einem Sprunge verließ:<lb/> es ſtockte ein Ideenrad in ihm. Er las ſeinen<lb/> geſtrigen Brief und fand ihn zu ſtuͤrmiſch: »Das<lb/> »iſt eben, ſagte er, unſre Nichtigkeit, daß alles was<lb/> »der Menſch fuͤr ewig haͤlt, in Einer Nacht er¬<lb/> »friert: uͤber unſer Geſicht laufen die heftigſten<lb/> »Zuͤge nicht ſchneller und ſpurloſer als uͤber unſer<lb/> »Herz — Warum bin ich denn jetzt nicht was ich<lb/> »geſtern war und vielleicht morgen ſeyn werde —<lb/> »Was gewinnt der Menſch durch dieſes Auf- und<lb/> »Unterkochen? Und auf was kann er in ſich denn<lb/> »bauen?«</p><lb/> <p>Unterdeſſen hatte ſich das Feuerrad der Erden¬<lb/> zeit, die Sonne, gießend heraufgedreht und brannte<lb/> am Ufer der Erde — Er riß das Fenſter auf und<lb/> wollte die unbedeckte Bruſt im friſchen Morgenwinde<lb/> baden und das heiße Auge im rothen Meer Auro¬<lb/> rens; aber etwas in ihm draͤngte ſich wie ein Nach¬<lb/> geſchmack zwiſchen den Genuß des Morgenlandes.<lb/> Ein guter Menſch iſt unter den Gewiſſensbiſſen <hi rendition="#g">kuͤnf¬<lb/> tiger</hi> Handlungen durchaus zum Genuſſe verdorben.</p><lb/> <p>Es ſtieg in ihm eine uͤbermannende Ruͤhrung<lb/> langſam auf — die geſtrige Nacht trug wieder ihren<lb/> leuchtenden Regen, ſein brauſendes Herz und Ema¬<lb/> nuels Schatten voruͤber — er lief immer ſtaͤrker und<lb/> zwar <hi rendition="#g">diagonal</hi> im Zimmer — ſtrickte den Schlaf¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [162/0173]
Er zog ſich langſam am Bettzopf aus dem
Bette, das er ſonſt mit einem Sprunge verließ:
es ſtockte ein Ideenrad in ihm. Er las ſeinen
geſtrigen Brief und fand ihn zu ſtuͤrmiſch: »Das
»iſt eben, ſagte er, unſre Nichtigkeit, daß alles was
»der Menſch fuͤr ewig haͤlt, in Einer Nacht er¬
»friert: uͤber unſer Geſicht laufen die heftigſten
»Zuͤge nicht ſchneller und ſpurloſer als uͤber unſer
»Herz — Warum bin ich denn jetzt nicht was ich
»geſtern war und vielleicht morgen ſeyn werde —
»Was gewinnt der Menſch durch dieſes Auf- und
»Unterkochen? Und auf was kann er in ſich denn
»bauen?«
Unterdeſſen hatte ſich das Feuerrad der Erden¬
zeit, die Sonne, gießend heraufgedreht und brannte
am Ufer der Erde — Er riß das Fenſter auf und
wollte die unbedeckte Bruſt im friſchen Morgenwinde
baden und das heiße Auge im rothen Meer Auro¬
rens; aber etwas in ihm draͤngte ſich wie ein Nach¬
geſchmack zwiſchen den Genuß des Morgenlandes.
Ein guter Menſch iſt unter den Gewiſſensbiſſen kuͤnf¬
tiger Handlungen durchaus zum Genuſſe verdorben.
Es ſtieg in ihm eine uͤbermannende Ruͤhrung
langſam auf — die geſtrige Nacht trug wieder ihren
leuchtenden Regen, ſein brauſendes Herz und Ema¬
nuels Schatten voruͤber — er lief immer ſtaͤrker und
zwar diagonal im Zimmer — ſtrickte den Schlaf¬
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Zitationshilfe: | Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/173>, abgerufen am 13.06.2024. |