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Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.

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Nachdem er aber sie auf andre Zeit begehret, ppo_336.002
Als Ernst vorhanden war, und jetzt vom Wolfe schon ppo_336.003
Ein Schaf war hingewürgt; da blieben sie davon, ppo_336.004
Wie laut er immer rief. Jetzt ward der Narr erst inne, ppo_336.005
Wie thöricht er gethan, und zog ihm stracks zu Sinne, ppo_336.006
Daß einem hier die Welt, der einmal Lügen liebt, ppo_336.007
Auch wenn er Wahrheit redt, nicht leichtlich Glauben giebt.
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2) von Zernitz (+ 1745).

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Der Satz des nicht zu Unterscheidenden.

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Ein Philosoph, der Witz und seine Schöne liebt, ppo_336.011
Jm Scherz nur nicht der Wahrheit Beifall giebt, ppo_336.012
Gerieth, doch sonder Zorn, mit seinem Freund ins Streiten, ppo_336.013
Und sprach: Es ist nach hundert Logiken ppo_336.014
Der Satz des nicht zu Unterscheidenden ppo_336.015
Ein leerer Ton, und hat nichts zu bedeuten. ppo_336.016
Denn höre, fuhr er fort, und prüfe nur den Schluß: ppo_336.017
Ein jeder glaubt, es sey ein Kuß, ein Kuß; ppo_336.018
Mit der Erklärung ist man selbst beim Kuß zufrieden, ppo_336.019
Und sie spart mir jetzt zum Beweise Zeit. ppo_336.020
Ruht nun in dem Begriff kein Unterscheid; ppo_336.021
So ist kein Kuß vom andern unterschieden.
ppo_336.022
Ja, sprach sein Gegner, ja du hast zum Theile Recht, ppo_336.023
Du nennest nur von Küssen das Geschlecht; ppo_336.024
Allein, dabei ist auch der Satz nicht anzuwenden. ppo_336.025
Doch gieb nur auf die Art der Küsse acht; ppo_336.026
Ein Kuß, geschickt auf Lippen angebracht, ppo_336.027
Entscheidet sich von dem auf zarten Händen. ppo_336.028
Noch mehr, kein einz'ler Kuß ist je dem andern gleich; ppo_336.029
Freund, sey einmal im Geist an Bildern reich, ppo_336.030
Sieh ein verliebtes Paar, so ist dein Schluß bestritten; ppo_336.031
Es wird, wenn man den Mund zum Kuß erwählt,
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Nachdem er aber sie auf andre Zeit begehret, ppo_336.002
Als Ernst vorhanden war, und jetzt vom Wolfe schon ppo_336.003
Ein Schaf war hingewürgt; da blieben sie davon, ppo_336.004
Wie laut er immer rief. Jetzt ward der Narr erst inne, ppo_336.005
Wie thöricht er gethan, und zog ihm stracks zu Sinne, ppo_336.006
Daß einem hier die Welt, der einmal Lügen liebt, ppo_336.007
Auch wenn er Wahrheit redt, nicht leichtlich Glauben giebt.
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2) von Zernitz († 1745).

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Der Satz des nicht zu Unterscheidenden.

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Ein Philosoph, der Witz und seine Schöne liebt, ppo_336.011
Jm Scherz nur nicht der Wahrheit Beifall giebt, ppo_336.012
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Ein jeder glaubt, es sey ein Kuß, ein Kuß; ppo_336.018
Mit der Erklärung ist man selbst beim Kuß zufrieden, ppo_336.019
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Ruht nun in dem Begriff kein Unterscheid; ppo_336.021
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Du nennest nur von Küssen das Geschlecht; ppo_336.024
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Doch gieb nur auf die Art der Küsse acht; ppo_336.026
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Entscheidet sich von dem auf zarten Händen. ppo_336.028
Noch mehr, kein einz'ler Kuß ist je dem andern gleich; ppo_336.029
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Zitationshilfe: Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/348>, abgerufen am 02.06.2024.