Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

ppo_464.001
vermeinte, als bei mir. Jch verlange also, daß man ppo_464.002
wenigstens meiner Frau glaube, wenn auch mein Zeugniß ppo_464.003
verdächtig seyn sollte. Jn Sachen, welche die Körper ppo_464.004
und Menschengesichter angehen, kann man dem Ausspruche ppo_464.005
solcher Frauenzimmer, wie mein liebes Weib war, ppo_464.006
sicher trauen; in andern Dingen hingegen, welche den ppo_464.007
Verstand betreffen, bin ich gar wohl zufrieden, daß man ppo_464.008
gründliche Beweise fordere.

ppo_464.009

Sobald ich meinen erblaßten Körper vor mir sah; ppo_464.010
so eilte ich zu meinem Schreibepulte. Das habe ich gedacht, ppo_464.011
wird die erbitterte Chloris aus Rachbegierde rufen; ppo_464.012
die mürrischen Gelehrten werfen uns beständig den ppo_464.013
Nachttisch vor, und vielmals begehen sie doch vor ihrem ppo_464.014
Schreibepulte eben diejenigen Schwachheiten, welche man ppo_464.015
an uns vor unserm Nachttische kaum wahrnehmen wird. ppo_464.016
Mit ihrer Feder und Dinte treiben sie mehr Eitelkeiten, ppo_464.017
als wir mit unsrer Schminke und mit dem Brenneisen. ppo_464.018
Jn ihren Schriften bewundern sie vielmals ihre prächtige ppo_464.019
Größe und gelehrte Schönheit mehr, und doch mit ppo_464.020
weniger Gewißheit, als wir uns in Spiegeln. Jhre ppo_464.021
Eigenliebe, ihr Stolz, ihre Begierde, Andern zu gefallen, ppo_464.022
ihre Eifersucht -- --

ppo_464.023

Es ist alles wahr, Chloris; aber jetzt will ich weiter ppo_464.024
erzählen. Auf meinem Pulte lag der Entwurf zu ppo_464.025
einer Schrift, welchen ich noch am Abende vorher zu ppo_464.026
Papiere gebracht hatte. Jch wollte mich mit aller der ppo_464.027
Hitze, welche mir und vielen Gelehrten so natürlich ist, ppo_464.028
der Feder bemächtigen, um zum Troste meiner kritischen ppo_464.029
Mitbrüder diese wichtige Schrift zu Stande zu bringen. ppo_464.030
Allein, wie groß war mein Entsetzen, da meine abgeschiedene ppo_464.031
Seele, als ein Geist, nicht vermögend war, ppo_464.032
die Feder aufzuheben, noch weniger aber zu schreiben! ppo_464.033
Siebenmal, und noch siebenmal bemühte ich mich, zu ppo_464.034
schreiben; aber allemal umsonst. Jch schlug die Hände

ppo_464.001
vermeinte, als bei mir. Jch verlange also, daß man ppo_464.002
wenigstens meiner Frau glaube, wenn auch mein Zeugniß ppo_464.003
verdächtig seyn sollte. Jn Sachen, welche die Körper ppo_464.004
und Menschengesichter angehen, kann man dem Ausspruche ppo_464.005
solcher Frauenzimmer, wie mein liebes Weib war, ppo_464.006
sicher trauen; in andern Dingen hingegen, welche den ppo_464.007
Verstand betreffen, bin ich gar wohl zufrieden, daß man ppo_464.008
gründliche Beweise fordere.

ppo_464.009

Sobald ich meinen erblaßten Körper vor mir sah; ppo_464.010
so eilte ich zu meinem Schreibepulte. Das habe ich gedacht, ppo_464.011
wird die erbitterte Chloris aus Rachbegierde rufen; ppo_464.012
die mürrischen Gelehrten werfen uns beständig den ppo_464.013
Nachttisch vor, und vielmals begehen sie doch vor ihrem ppo_464.014
Schreibepulte eben diejenigen Schwachheiten, welche man ppo_464.015
an uns vor unserm Nachttische kaum wahrnehmen wird. ppo_464.016
Mit ihrer Feder und Dinte treiben sie mehr Eitelkeiten, ppo_464.017
als wir mit unsrer Schminke und mit dem Brenneisen. ppo_464.018
Jn ihren Schriften bewundern sie vielmals ihre prächtige ppo_464.019
Größe und gelehrte Schönheit mehr, und doch mit ppo_464.020
weniger Gewißheit, als wir uns in Spiegeln. Jhre ppo_464.021
Eigenliebe, ihr Stolz, ihre Begierde, Andern zu gefallen, ppo_464.022
ihre Eifersucht — —

ppo_464.023

Es ist alles wahr, Chloris; aber jetzt will ich weiter ppo_464.024
erzählen. Auf meinem Pulte lag der Entwurf zu ppo_464.025
einer Schrift, welchen ich noch am Abende vorher zu ppo_464.026
Papiere gebracht hatte. Jch wollte mich mit aller der ppo_464.027
Hitze, welche mir und vielen Gelehrten so natürlich ist, ppo_464.028
der Feder bemächtigen, um zum Troste meiner kritischen ppo_464.029
Mitbrüder diese wichtige Schrift zu Stande zu bringen. ppo_464.030
Allein, wie groß war mein Entsetzen, da meine abgeschiedene ppo_464.031
Seele, als ein Geist, nicht vermögend war, ppo_464.032
die Feder aufzuheben, noch weniger aber zu schreiben! ppo_464.033
Siebenmal, und noch siebenmal bemühte ich mich, zu ppo_464.034
schreiben; aber allemal umsonst. Jch schlug die Hände

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0476" n="464"/><lb n="ppo_464.001"/>vermeinte, als bei mir. Jch verlange also, daß man <lb n="ppo_464.002"/>wenigstens meiner Frau glaube, wenn auch mein Zeugniß <lb n="ppo_464.003"/>verdächtig seyn sollte. Jn Sachen, welche die Körper <lb n="ppo_464.004"/>und Menschengesichter angehen, kann man dem Ausspruche <lb n="ppo_464.005"/>solcher Frauenzimmer, wie mein liebes Weib war, <lb n="ppo_464.006"/>sicher trauen; in andern Dingen hingegen, welche den <lb n="ppo_464.007"/>Verstand betreffen, bin ich gar wohl zufrieden, daß man <lb n="ppo_464.008"/>gründliche Beweise fordere.</hi> </p>
          <lb n="ppo_464.009"/>
          <p> <hi rendition="#et">  Sobald ich meinen erblaßten Körper vor mir sah; <lb n="ppo_464.010"/>so eilte ich zu meinem Schreibepulte. Das habe ich gedacht, <lb n="ppo_464.011"/>wird die erbitterte Chloris aus Rachbegierde rufen; <lb n="ppo_464.012"/>die mürrischen Gelehrten werfen uns beständig den <lb n="ppo_464.013"/>Nachttisch vor, und vielmals begehen sie doch vor ihrem <lb n="ppo_464.014"/>Schreibepulte eben diejenigen Schwachheiten, welche man <lb n="ppo_464.015"/>an uns vor unserm Nachttische kaum wahrnehmen wird. <lb n="ppo_464.016"/>Mit ihrer Feder und Dinte treiben sie mehr Eitelkeiten, <lb n="ppo_464.017"/>als wir mit unsrer Schminke und mit dem Brenneisen. <lb n="ppo_464.018"/>Jn ihren Schriften bewundern sie vielmals ihre prächtige <lb n="ppo_464.019"/>Größe und gelehrte Schönheit mehr, und doch mit <lb n="ppo_464.020"/>weniger Gewißheit, als wir uns in Spiegeln. Jhre <lb n="ppo_464.021"/>Eigenliebe, ihr Stolz, ihre Begierde, Andern zu gefallen, <lb n="ppo_464.022"/>ihre Eifersucht &#x2014; &#x2014;</hi> </p>
          <lb n="ppo_464.023"/>
          <p> <hi rendition="#et">  Es ist alles wahr, Chloris; aber jetzt will ich weiter <lb n="ppo_464.024"/>erzählen. Auf meinem Pulte lag der Entwurf zu <lb n="ppo_464.025"/>einer Schrift, welchen ich noch am Abende vorher zu <lb n="ppo_464.026"/>Papiere gebracht hatte. Jch wollte mich mit aller der <lb n="ppo_464.027"/>Hitze, welche mir und vielen Gelehrten so natürlich ist, <lb n="ppo_464.028"/>der Feder bemächtigen, um zum Troste meiner kritischen <lb n="ppo_464.029"/>Mitbrüder diese wichtige Schrift zu Stande zu bringen. <lb n="ppo_464.030"/>Allein, wie groß war mein Entsetzen, da meine abgeschiedene <lb n="ppo_464.031"/>Seele, als ein Geist, nicht vermögend war, <lb n="ppo_464.032"/>die Feder aufzuheben, noch weniger aber zu schreiben! <lb n="ppo_464.033"/>Siebenmal, und noch siebenmal bemühte ich mich, zu <lb n="ppo_464.034"/>schreiben; aber allemal umsonst. Jch schlug die Hände
</hi> </p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[464/0476] ppo_464.001 vermeinte, als bei mir. Jch verlange also, daß man ppo_464.002 wenigstens meiner Frau glaube, wenn auch mein Zeugniß ppo_464.003 verdächtig seyn sollte. Jn Sachen, welche die Körper ppo_464.004 und Menschengesichter angehen, kann man dem Ausspruche ppo_464.005 solcher Frauenzimmer, wie mein liebes Weib war, ppo_464.006 sicher trauen; in andern Dingen hingegen, welche den ppo_464.007 Verstand betreffen, bin ich gar wohl zufrieden, daß man ppo_464.008 gründliche Beweise fordere. ppo_464.009 Sobald ich meinen erblaßten Körper vor mir sah; ppo_464.010 so eilte ich zu meinem Schreibepulte. Das habe ich gedacht, ppo_464.011 wird die erbitterte Chloris aus Rachbegierde rufen; ppo_464.012 die mürrischen Gelehrten werfen uns beständig den ppo_464.013 Nachttisch vor, und vielmals begehen sie doch vor ihrem ppo_464.014 Schreibepulte eben diejenigen Schwachheiten, welche man ppo_464.015 an uns vor unserm Nachttische kaum wahrnehmen wird. ppo_464.016 Mit ihrer Feder und Dinte treiben sie mehr Eitelkeiten, ppo_464.017 als wir mit unsrer Schminke und mit dem Brenneisen. ppo_464.018 Jn ihren Schriften bewundern sie vielmals ihre prächtige ppo_464.019 Größe und gelehrte Schönheit mehr, und doch mit ppo_464.020 weniger Gewißheit, als wir uns in Spiegeln. Jhre ppo_464.021 Eigenliebe, ihr Stolz, ihre Begierde, Andern zu gefallen, ppo_464.022 ihre Eifersucht — — ppo_464.023 Es ist alles wahr, Chloris; aber jetzt will ich weiter ppo_464.024 erzählen. Auf meinem Pulte lag der Entwurf zu ppo_464.025 einer Schrift, welchen ich noch am Abende vorher zu ppo_464.026 Papiere gebracht hatte. Jch wollte mich mit aller der ppo_464.027 Hitze, welche mir und vielen Gelehrten so natürlich ist, ppo_464.028 der Feder bemächtigen, um zum Troste meiner kritischen ppo_464.029 Mitbrüder diese wichtige Schrift zu Stande zu bringen. ppo_464.030 Allein, wie groß war mein Entsetzen, da meine abgeschiedene ppo_464.031 Seele, als ein Geist, nicht vermögend war, ppo_464.032 die Feder aufzuheben, noch weniger aber zu schreiben! ppo_464.033 Siebenmal, und noch siebenmal bemühte ich mich, zu ppo_464.034 schreiben; aber allemal umsonst. Jch schlug die Hände

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/476
Zitationshilfe: Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/476>, abgerufen am 02.06.2024.