Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

Des XVII. Hauptstücks. III. Abschnitt.
indem er, bey einem jeden Affecte, sich mit dem Bassetchen darnach rich-
ten, und der Oberstimme bequemen muß.

4. §.

Er muß unterscheiden, ob er Arien, Concerten, oder andere Arten
von Musik zu begleiten habe. Bey Arien kömmt er leicht durch: weil er
allda mehrentheils nur eine pure Mittelstimme, oder etwa den Baß mit
zu spielen hat. Jn Concerten aber giebt es öfters ein mehrers zu thun;
indem bisweilen der Bratsche, anstatt der zweyten Violine, die Nach-
ahmung, oder eine der Oberstimme ähnliche Melodie gegeben wird: zuge-
schweigen daß die Bratsche auch wohl bisweilen ein singendes Ritornell
mit den Violinen im Unison spielen muß; welches bey einem Adagio be-
sonders gute Wirkung thut. Hat nun der Bratschist, bey dergleichen Um-
ständen, keinen deutlichen und angenehmen Vortrag; so wird durch ihn
die schönste Composition verdorben: besonders wenn in einem solchen Stü-
cke eine jede Stimme nur einmal besetzet ist.

5. §.

Will man noch weiter gehen; so wird von einem guten Bratschisten
erfodert, daß er auch im Stande sey, selbst eine concertirende Stimme,
eben so gut als ein Violinist, zu spielen: zum Exempel, ein concertirendes
Trio, oder Quatuor. Wer weis, ob nicht diese schöne Art von Musik
itzo eben deswegen nicht mehr so, wie ehedem, in der Mode ist: weil
nämlich die wenigsten Bratschisten auf ihr Werk so viel Fleiß wenden, als
sie sollten. Viele glauben, daß, wenn sie nur etwas weniges vom Tacte
und der Eintheilung der Noten verstünden, man von ihnen alsdenn nichts
mehreres verlangen könnte. Doch dieses Vorurtheil gereichet zu ihrem
eigenen Schaden. Denn wenn sie den gehörigen Fleiß anwenden wollten,
könnten sie in einer großen Musik leicht ihr Glück verbessern, und nach
und nach weiter hinauf rücken: anstatt daß sie mehrentheils, bis an ihr
Ende, der Bratsche nicht los werden. Ja man hat Beyspiele, daß Leu-
te, die sich in der Musik besonders hervorgethan, in ihrer Jugend die
Bratsche gespielet haben. Auch nachgehends, da sie schon zu etwas meh-
rerem tüchtig waren, haben sie sich vielleicht nicht geschämet, dieses Jn-
strument, wenn es die Noth erfoderte, zu ergreifen. Zum wenigsten
empfindet derjenige, so accompagniret, mehr Vergnügen von der Musik,
als der, welcher die Concertstimme spielet: und wer ein wahrer Musikus
ist, der nimmt Antheil an der ganzen Musik; ohne sich zu bekümmern,
ob er die erste oder letzte Partie spiele.

6. §. Vor

Des XVII. Hauptſtuͤcks. III. Abſchnitt.
indem er, bey einem jeden Affecte, ſich mit dem Baſſetchen darnach rich-
ten, und der Oberſtimme bequemen muß.

4. §.

Er muß unterſcheiden, ob er Arien, Concerten, oder andere Arten
von Muſik zu begleiten habe. Bey Arien koͤmmt er leicht durch: weil er
allda mehrentheils nur eine pure Mittelſtimme, oder etwa den Baß mit
zu ſpielen hat. Jn Concerten aber giebt es oͤfters ein mehrers zu thun;
indem bisweilen der Bratſche, anſtatt der zweyten Violine, die Nach-
ahmung, oder eine der Oberſtimme aͤhnliche Melodie gegeben wird: zuge-
ſchweigen daß die Bratſche auch wohl bisweilen ein ſingendes Ritornell
mit den Violinen im Uniſon ſpielen muß; welches bey einem Adagio be-
ſonders gute Wirkung thut. Hat nun der Bratſchiſt, bey dergleichen Um-
ſtaͤnden, keinen deutlichen und angenehmen Vortrag; ſo wird durch ihn
die ſchoͤnſte Compoſition verdorben: beſonders wenn in einem ſolchen Stuͤ-
cke eine jede Stimme nur einmal beſetzet iſt.

5. §.

Will man noch weiter gehen; ſo wird von einem guten Bratſchiſten
erfodert, daß er auch im Stande ſey, ſelbſt eine concertirende Stimme,
eben ſo gut als ein Violiniſt, zu ſpielen: zum Exempel, ein concertirendes
Trio, oder Quatuor. Wer weis, ob nicht dieſe ſchoͤne Art von Muſik
itzo eben deswegen nicht mehr ſo, wie ehedem, in der Mode iſt: weil
naͤmlich die wenigſten Bratſchiſten auf ihr Werk ſo viel Fleiß wenden, als
ſie ſollten. Viele glauben, daß, wenn ſie nur etwas weniges vom Tacte
und der Eintheilung der Noten verſtuͤnden, man von ihnen alsdenn nichts
mehreres verlangen koͤnnte. Doch dieſes Vorurtheil gereichet zu ihrem
eigenen Schaden. Denn wenn ſie den gehoͤrigen Fleiß anwenden wollten,
koͤnnten ſie in einer großen Muſik leicht ihr Gluͤck verbeſſern, und nach
und nach weiter hinauf ruͤcken: anſtatt daß ſie mehrentheils, bis an ihr
Ende, der Bratſche nicht los werden. Ja man hat Beyſpiele, daß Leu-
te, die ſich in der Muſik beſonders hervorgethan, in ihrer Jugend die
Bratſche geſpielet haben. Auch nachgehends, da ſie ſchon zu etwas meh-
rerem tuͤchtig waren, haben ſie ſich vielleicht nicht geſchaͤmet, dieſes Jn-
ſtrument, wenn es die Noth erfoderte, zu ergreifen. Zum wenigſten
empfindet derjenige, ſo accompagniret, mehr Vergnuͤgen von der Muſik,
als der, welcher die Concertſtimme ſpielet: und wer ein wahrer Muſikus
iſt, der nimmt Antheil an der ganzen Muſik; ohne ſich zu bekuͤmmern,
ob er die erſte oder letzte Partie ſpiele.

6. §. Vor
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0226" n="208"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Des</hi><hi rendition="#aq">XVII.</hi><hi rendition="#b">Haupt&#x017F;tu&#x0364;cks.</hi><hi rendition="#aq">III.</hi><hi rendition="#b">Ab&#x017F;chnitt.</hi></fw><lb/>
indem er, bey einem jeden Affecte, &#x017F;ich mit dem Ba&#x017F;&#x017F;etchen darnach rich-<lb/>
ten, und der Ober&#x017F;timme bequemen muß.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>4. §.</head><lb/>
            <p>Er muß unter&#x017F;cheiden, ob er Arien, Concerten, oder andere Arten<lb/>
von Mu&#x017F;ik zu begleiten habe. Bey Arien ko&#x0364;mmt er leicht durch: weil er<lb/>
allda mehrentheils nur eine pure Mittel&#x017F;timme, oder etwa den Baß mit<lb/>
zu &#x017F;pielen hat. Jn Concerten aber giebt es o&#x0364;fters ein mehrers zu thun;<lb/>
indem bisweilen der Brat&#x017F;che, an&#x017F;tatt der zweyten Violine, die Nach-<lb/>
ahmung, oder eine der Ober&#x017F;timme a&#x0364;hnliche Melodie gegeben wird: zuge-<lb/>
&#x017F;chweigen daß die Brat&#x017F;che auch wohl bisweilen ein &#x017F;ingendes Ritornell<lb/>
mit den Violinen im Uni&#x017F;on &#x017F;pielen muß; welches bey einem Adagio be-<lb/>
&#x017F;onders gute Wirkung thut. Hat nun der Brat&#x017F;chi&#x017F;t, bey dergleichen Um-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nden, keinen deutlichen und angenehmen Vortrag; &#x017F;o wird durch ihn<lb/>
die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;te Compo&#x017F;ition verdorben: be&#x017F;onders wenn in einem &#x017F;olchen Stu&#x0364;-<lb/>
cke eine jede Stimme nur einmal be&#x017F;etzet i&#x017F;t.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>5. §.</head><lb/>
            <p>Will man noch weiter gehen; &#x017F;o wird von einem guten Brat&#x017F;chi&#x017F;ten<lb/>
erfodert, daß er auch im Stande &#x017F;ey, &#x017F;elb&#x017F;t eine concertirende Stimme,<lb/>
eben &#x017F;o gut als ein Violini&#x017F;t, zu &#x017F;pielen: zum Exempel, ein concertirendes<lb/>
Trio, oder Quatuor. Wer weis, ob nicht die&#x017F;e &#x017F;cho&#x0364;ne Art von Mu&#x017F;ik<lb/>
itzo eben deswegen nicht mehr &#x017F;o, wie ehedem, in der Mode i&#x017F;t: weil<lb/>
na&#x0364;mlich die wenig&#x017F;ten Brat&#x017F;chi&#x017F;ten auf ihr Werk &#x017F;o viel Fleiß wenden, als<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ollten. Viele glauben, daß, wenn &#x017F;ie nur etwas weniges vom Tacte<lb/>
und der Eintheilung der Noten ver&#x017F;tu&#x0364;nden, man von ihnen alsdenn nichts<lb/>
mehreres verlangen ko&#x0364;nnte. Doch die&#x017F;es Vorurtheil gereichet zu ihrem<lb/>
eigenen Schaden. Denn wenn &#x017F;ie den geho&#x0364;rigen Fleiß anwenden wollten,<lb/>
ko&#x0364;nnten &#x017F;ie in einer großen Mu&#x017F;ik leicht ihr Glu&#x0364;ck verbe&#x017F;&#x017F;ern, und nach<lb/>
und nach weiter hinauf ru&#x0364;cken: an&#x017F;tatt daß &#x017F;ie mehrentheils, bis an ihr<lb/>
Ende, der Brat&#x017F;che nicht los werden. Ja man hat Bey&#x017F;piele, daß Leu-<lb/>
te, die &#x017F;ich in der Mu&#x017F;ik be&#x017F;onders hervorgethan, in ihrer Jugend die<lb/>
Brat&#x017F;che ge&#x017F;pielet haben. Auch nachgehends, da &#x017F;ie &#x017F;chon zu etwas meh-<lb/>
rerem tu&#x0364;chtig waren, haben &#x017F;ie &#x017F;ich vielleicht nicht ge&#x017F;cha&#x0364;met, die&#x017F;es Jn-<lb/>
&#x017F;trument, wenn es die Noth erfoderte, zu ergreifen. Zum wenig&#x017F;ten<lb/>
empfindet derjenige, &#x017F;o accompagniret, mehr Vergnu&#x0364;gen von der Mu&#x017F;ik,<lb/>
als der, welcher die Concert&#x017F;timme &#x017F;pielet: und wer ein wahrer Mu&#x017F;ikus<lb/>
i&#x017F;t, der nimmt Antheil an der ganzen Mu&#x017F;ik; ohne &#x017F;ich zu beku&#x0364;mmern,<lb/>
ob er die er&#x017F;te oder letzte Partie &#x017F;piele.</p>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">6. §. Vor</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0226] Des XVII. Hauptſtuͤcks. III. Abſchnitt. indem er, bey einem jeden Affecte, ſich mit dem Baſſetchen darnach rich- ten, und der Oberſtimme bequemen muß. 4. §. Er muß unterſcheiden, ob er Arien, Concerten, oder andere Arten von Muſik zu begleiten habe. Bey Arien koͤmmt er leicht durch: weil er allda mehrentheils nur eine pure Mittelſtimme, oder etwa den Baß mit zu ſpielen hat. Jn Concerten aber giebt es oͤfters ein mehrers zu thun; indem bisweilen der Bratſche, anſtatt der zweyten Violine, die Nach- ahmung, oder eine der Oberſtimme aͤhnliche Melodie gegeben wird: zuge- ſchweigen daß die Bratſche auch wohl bisweilen ein ſingendes Ritornell mit den Violinen im Uniſon ſpielen muß; welches bey einem Adagio be- ſonders gute Wirkung thut. Hat nun der Bratſchiſt, bey dergleichen Um- ſtaͤnden, keinen deutlichen und angenehmen Vortrag; ſo wird durch ihn die ſchoͤnſte Compoſition verdorben: beſonders wenn in einem ſolchen Stuͤ- cke eine jede Stimme nur einmal beſetzet iſt. 5. §. Will man noch weiter gehen; ſo wird von einem guten Bratſchiſten erfodert, daß er auch im Stande ſey, ſelbſt eine concertirende Stimme, eben ſo gut als ein Violiniſt, zu ſpielen: zum Exempel, ein concertirendes Trio, oder Quatuor. Wer weis, ob nicht dieſe ſchoͤne Art von Muſik itzo eben deswegen nicht mehr ſo, wie ehedem, in der Mode iſt: weil naͤmlich die wenigſten Bratſchiſten auf ihr Werk ſo viel Fleiß wenden, als ſie ſollten. Viele glauben, daß, wenn ſie nur etwas weniges vom Tacte und der Eintheilung der Noten verſtuͤnden, man von ihnen alsdenn nichts mehreres verlangen koͤnnte. Doch dieſes Vorurtheil gereichet zu ihrem eigenen Schaden. Denn wenn ſie den gehoͤrigen Fleiß anwenden wollten, koͤnnten ſie in einer großen Muſik leicht ihr Gluͤck verbeſſern, und nach und nach weiter hinauf ruͤcken: anſtatt daß ſie mehrentheils, bis an ihr Ende, der Bratſche nicht los werden. Ja man hat Beyſpiele, daß Leu- te, die ſich in der Muſik beſonders hervorgethan, in ihrer Jugend die Bratſche geſpielet haben. Auch nachgehends, da ſie ſchon zu etwas meh- rerem tuͤchtig waren, haben ſie ſich vielleicht nicht geſchaͤmet, dieſes Jn- ſtrument, wenn es die Noth erfoderte, zu ergreifen. Zum wenigſten empfindet derjenige, ſo accompagniret, mehr Vergnuͤgen von der Muſik, als der, welcher die Concertſtimme ſpielet: und wer ein wahrer Muſikus iſt, der nimmt Antheil an der ganzen Muſik; ohne ſich zu bekuͤmmern, ob er die erſte oder letzte Partie ſpiele. 6. §. Vor

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/226
Zitationshilfe: Quantz, Johann Joachim: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen. Berlin, 1752, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/quantz_versuch_1752/226>, abgerufen am 31.10.2024.