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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

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diese Blätter einmal das Unglück haben sollten, hinaus-
zugerathen unter sie?

Doch -- einerlei! Laß sie sprechen, was sie wollen:
ich segne doch die Stunde, wo ich den Entschluß faßte
diese Blätter zu bekritzeln, -- mit einem Fuß in der
Wirklichkeit, mit dem andern im Traum und in der
Vergangenheit! -- Wieviel trübe, einsame Stunden sind
mir dadurch nicht vorüber geschlüpft sonnig und hell,
ein Bild das andere nachziehend, dieses festgehalten,
jenes entgleitend: ein buntes freundliches Wechselspiel!
So schreibe ich weiter.

Manche alte verstaubte Mappe mit Büchern, Heften,
Zeichnungen, vertrockneten Blumen und Bändern liegt
da; ich brauche nur hinein zu greifen, um eine süße
oder traurige Erinnerung aufsteigen zu lassen, -- keine
aber so duftig, so waldfrisch, als die folgende, welche
ich überschreibe:
Ein Tag im Walde.

"Fahren wir, oder gehen wir?" hatte Lischen am
Abend jenes auf den vorigen Seiten beschriebenen so
ereignißvollen Tages noch gefragt.

"Wir fahren!" war die Antwort gewesen und glück-
lich darüber hatte sie das Näschen nach der Wand ge-
kehrt und war eingeschlafen.

Mit dem Wagen erschien am andern Morgen auch

dieſe Blätter einmal das Unglück haben ſollten, hinaus-
zugerathen unter ſie?

Doch — einerlei! Laß ſie ſprechen, was ſie wollen:
ich ſegne doch die Stunde, wo ich den Entſchluß faßte
dieſe Blätter zu bekritzeln, — mit einem Fuß in der
Wirklichkeit, mit dem andern im Traum und in der
Vergangenheit! — Wieviel trübe, einſame Stunden ſind
mir dadurch nicht vorüber geſchlüpft ſonnig und hell,
ein Bild das andere nachziehend, dieſes feſtgehalten,
jenes entgleitend: ein buntes freundliches Wechſelſpiel!
So ſchreibe ich weiter.

Manche alte verſtaubte Mappe mit Büchern, Heften,
Zeichnungen, vertrockneten Blumen und Bändern liegt
da; ich brauche nur hinein zu greifen, um eine ſüße
oder traurige Erinnerung aufſteigen zu laſſen, — keine
aber ſo duftig, ſo waldfriſch, als die folgende, welche
ich überſchreibe:
Ein Tag im Walde.

„Fahren wir, oder gehen wir?“ hatte Lischen am
Abend jenes auf den vorigen Seiten beſchriebenen ſo
ereignißvollen Tages noch gefragt.

„Wir fahren!“ war die Antwort geweſen und glück-
lich darüber hatte ſie das Näschen nach der Wand ge-
kehrt und war eingeſchlafen.

Mit dem Wagen erſchien am andern Morgen auch

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[106/0116] dieſe Blätter einmal das Unglück haben ſollten, hinaus- zugerathen unter ſie? Doch — einerlei! Laß ſie ſprechen, was ſie wollen: ich ſegne doch die Stunde, wo ich den Entſchluß faßte dieſe Blätter zu bekritzeln, — mit einem Fuß in der Wirklichkeit, mit dem andern im Traum und in der Vergangenheit! — Wieviel trübe, einſame Stunden ſind mir dadurch nicht vorüber geſchlüpft ſonnig und hell, ein Bild das andere nachziehend, dieſes feſtgehalten, jenes entgleitend: ein buntes freundliches Wechſelſpiel! So ſchreibe ich weiter. Manche alte verſtaubte Mappe mit Büchern, Heften, Zeichnungen, vertrockneten Blumen und Bändern liegt da; ich brauche nur hinein zu greifen, um eine ſüße oder traurige Erinnerung aufſteigen zu laſſen, — keine aber ſo duftig, ſo waldfriſch, als die folgende, welche ich überſchreibe: Ein Tag im Walde. „Fahren wir, oder gehen wir?“ hatte Lischen am Abend jenes auf den vorigen Seiten beſchriebenen ſo ereignißvollen Tages noch gefragt. „Wir fahren!“ war die Antwort geweſen und glück- lich darüber hatte ſie das Näschen nach der Wand ge- kehrt und war eingeſchlafen. Mit dem Wagen erſchien am andern Morgen auch

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/116>, abgerufen am 01.06.2024.