Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.heirathete in Italien der Graf Friedrich Seeburg eine heirathete in Italien der Graf Friedrich Seeburg eine <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0168" n="158"/> heirathete in Italien der Graf Friedrich Seeburg eine<lb/> ſchöne, vornehme, aber arme Italienerin; ſie ward die<lb/> Mutter Helenens und ſtarb ſie gebärend im zweiten Jahr<lb/> ihrer Ehe. Die Griechen dachten ſich die Kluft zwiſchen<lb/> Gott und dem Menſchthum ausgefüllt durch ein Ver-<lb/> mittelndes, das Dämoniſche: da ſchwebten, „damit das<lb/> Ganze in ſich ſelbſt verbunden ſei“ Geiſter „viel und<lb/> vielerlei“ auf und nieder; ſtrafende und lohnende Boten<lb/> der Gottheit und Niemand entging ſeinen Thaten. Dieſe<lb/> Geiſter verfolgten auch den Grafen: Reue, Ruheloſigkeit,<lb/> Lebensüberdruß hießen ſie, und auf jede Lebensfreude<lb/> legten ſie ihre ertödtende Hand. Wieder zog der Graf<lb/> über die Alpen nach Deutſchland. Das Schloß Seeburg<lb/> war verkauft — er kam nach Wien, wo er menſchenſcheu<lb/> und finſter in einem einſamen kleinen Hauſe wohnte.<lb/> Oft hörte ihn ſeine Tochter auf- und abgehen in der<lb/> Nacht; ſie hatte keine Bekanntinnen, keine Freundin;<lb/> eine alte Dienerin ihrer Mutter war ihr ganzer Umgang.<lb/> So verlebte ſie ihre erſten Jugendjahre faſt ganz ſich<lb/> ſelbſt überlaſſen; während ihr Vater immer finſterer und<lb/> finſterer ward. Er verbot ihr zu ſingen — zu ſpielen;<lb/> ſie ſeufzte und fügte ſich. — Da wurde eines Morgens<lb/> der alte Graf Seeburg todt im Bett gefunden; kein<lb/> Menſch war in ſeinen letzten Augenblicken zugegen ge-<lb/> weſen, er war geſtorben wie ihn Helene nur gekannt<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [158/0168]
heirathete in Italien der Graf Friedrich Seeburg eine
ſchöne, vornehme, aber arme Italienerin; ſie ward die
Mutter Helenens und ſtarb ſie gebärend im zweiten Jahr
ihrer Ehe. Die Griechen dachten ſich die Kluft zwiſchen
Gott und dem Menſchthum ausgefüllt durch ein Ver-
mittelndes, das Dämoniſche: da ſchwebten, „damit das
Ganze in ſich ſelbſt verbunden ſei“ Geiſter „viel und
vielerlei“ auf und nieder; ſtrafende und lohnende Boten
der Gottheit und Niemand entging ſeinen Thaten. Dieſe
Geiſter verfolgten auch den Grafen: Reue, Ruheloſigkeit,
Lebensüberdruß hießen ſie, und auf jede Lebensfreude
legten ſie ihre ertödtende Hand. Wieder zog der Graf
über die Alpen nach Deutſchland. Das Schloß Seeburg
war verkauft — er kam nach Wien, wo er menſchenſcheu
und finſter in einem einſamen kleinen Hauſe wohnte.
Oft hörte ihn ſeine Tochter auf- und abgehen in der
Nacht; ſie hatte keine Bekanntinnen, keine Freundin;
eine alte Dienerin ihrer Mutter war ihr ganzer Umgang.
So verlebte ſie ihre erſten Jugendjahre faſt ganz ſich
ſelbſt überlaſſen; während ihr Vater immer finſterer und
finſterer ward. Er verbot ihr zu ſingen — zu ſpielen;
ſie ſeufzte und fügte ſich. — Da wurde eines Morgens
der alte Graf Seeburg todt im Bett gefunden; kein
Menſch war in ſeinen letzten Augenblicken zugegen ge-
weſen, er war geſtorben wie ihn Helene nur gekannt
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