Dampfer an mir vorüber, hinunter den Strom, der einst so viele Römerleichen der Nordsee zugewälzt hatte. Ein Männerchor sang: "Was ist des Deutschen Vaterland," und die alten Eichen schienen traurig die Wipfel zu schüt- teln; sie wußten keine Antwort darauf zu geben, und das Schiff flog weiter. Die Weser trägt keine fremde Lei- chen mehr zur Nordsee hinab; wohl aber murrend und grollend ihre eigenen unglücklichen Söhne und Töchter! -- Ich verließ meine Stelle und ging durch den Buchen- wald den nächsten Berg hinauf bis zu einer freien Stelle, von wo aus der Blick weit hinausschweifen konnte in's schöne Land des Sachsengau's. Welch' eine Stelle deut- scher Erde! Dort jene blauen Höhenzüge -- der Teuto- burger Wald! Dort jene schlanken Thürme -- die große germanische Culturstätte, das Kloster Corvey! Dort jene Berggruppe -- der Ith! cui Idistaviso nomen sagt Tacitus. Ich bevölkerte die Gegend mit den Ge- stalten der Vorzeit. Ich sah die achtzehnte, neunzehnte und zwanzigste Legion unter dem Proconsul Varus gegen die Weser ziehen, und lauschte ihrem fern verhallenden To- desschrei. Ich sah den Germanicus denselben Weg kom- men und lauschte dem Schlachtlärm am Idistavisus; bis der große Arminius, der "turbator Germaniae" durch die Legionen und den Urwald sein weißes Roß spornte, das Gesicht unkenntlich durch das eigene, herabrieselnde
Dampfer an mir vorüber, hinunter den Strom, der einſt ſo viele Römerleichen der Nordſee zugewälzt hatte. Ein Männerchor ſang: „Was iſt des Deutſchen Vaterland,“ und die alten Eichen ſchienen traurig die Wipfel zu ſchüt- teln; ſie wußten keine Antwort darauf zu geben, und das Schiff flog weiter. Die Weſer trägt keine fremde Lei- chen mehr zur Nordſee hinab; wohl aber murrend und grollend ihre eigenen unglücklichen Söhne und Töchter! — Ich verließ meine Stelle und ging durch den Buchen- wald den nächſten Berg hinauf bis zu einer freien Stelle, von wo aus der Blick weit hinausſchweifen konnte in’s ſchöne Land des Sachſengau’s. Welch’ eine Stelle deut- ſcher Erde! Dort jene blauen Höhenzüge — der Teuto- burger Wald! Dort jene ſchlanken Thürme — die große germaniſche Culturſtätte, das Kloſter Corvey! Dort jene Berggruppe — der Ith! cui Idistaviso nomen ſagt Tacitus. Ich bevölkerte die Gegend mit den Ge- ſtalten der Vorzeit. Ich ſah die achtzehnte, neunzehnte und zwanzigſte Legion unter dem Proconſul Varus gegen die Weſer ziehen, und lauſchte ihrem fern verhallenden To- desſchrei. Ich ſah den Germanicus denſelben Weg kom- men und lauſchte dem Schlachtlärm am Idiſtaviſus; bis der große Arminius, der „turbator Germaniae“ durch die Legionen und den Urwald ſein weißes Roß ſpornte, das Geſicht unkenntlich durch das eigene, herabrieſelnde
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Dampfer an mir vorüber, hinunter den Strom, der einſt
ſo viele Römerleichen der Nordſee zugewälzt hatte. Ein
Männerchor ſang: „Was iſt des Deutſchen Vaterland,“
und die alten Eichen ſchienen traurig die Wipfel zu ſchüt-
teln; ſie wußten keine Antwort darauf zu geben, und das
Schiff flog weiter. Die Weſer trägt keine fremde Lei-
chen mehr zur Nordſee hinab; wohl aber murrend und
grollend ihre eigenen unglücklichen Söhne und Töchter!
— Ich verließ meine Stelle und ging durch den Buchen-
wald den nächſten Berg hinauf bis zu einer freien Stelle,
von wo aus der Blick weit hinausſchweifen konnte in’s
ſchöne Land des Sachſengau’s. Welch’ eine Stelle deut-
ſcher Erde! Dort jene blauen Höhenzüge — der Teuto-
burger Wald! Dort jene ſchlanken Thürme — die große
germaniſche Culturſtätte, das Kloſter Corvey! Dort
jene Berggruppe — der Ith! cui Idistaviso nomen
ſagt Tacitus. Ich bevölkerte die Gegend mit den Ge-
ſtalten der Vorzeit. Ich ſah die achtzehnte, neunzehnte
und zwanzigſte Legion unter dem Proconſul Varus gegen
die Weſer ziehen, und lauſchte ihrem fern verhallenden To-
desſchrei. Ich ſah den Germanicus denſelben Weg kom-
men und lauſchte dem Schlachtlärm am Idiſtaviſus; bis
der große Arminius, der „turbator Germaniae“ durch
die Legionen und den Urwald ſein weißes Roß ſpornte,
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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/234>, abgerufen am 01.11.2024.
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