Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite

Trauerrede eines Wittwers.
wo ihn ein heftiger Sturm von der größten Höhe in
den tiefsten Abgrund wirft; sein Schiff scheitert;
er glaubt, nun sey alles verloren, und erwacht.
Mein Ehestand hatte zehen Jahr gedauert, die
schärfsten Proben einer strengen Geduld hatte ich
ausgehalten, noch sah ich nicht die geringste Hoff-
nung, als meine Frau ganz unvermuthet starb.

Dieses wird genug seyn, Jhnen, meine Herren,
einen hinlänglichen Begriff von den ganz besondern
Eigenschaften meiner Frau beyzubringen. Nun-
mehr werden Sie überzeugt seyn, daß ich der Ehre,
Jhr Mitglied zu heißen, nicht ganz unwürdig gewe-
sen. Jch bescheide mich dessen gar wohl, daß ich
nur die unterste Stelle verdiene, da mir diejenigen
Vorzüge nicht unbekannt sind, welche Jhre Wei-
ber noch vor der meinigen haben.



Ein

Trauerrede eines Wittwers.
wo ihn ein heftiger Sturm von der groͤßten Hoͤhe in
den tiefſten Abgrund wirft; ſein Schiff ſcheitert;
er glaubt, nun ſey alles verloren, und erwacht.
Mein Eheſtand hatte zehen Jahr gedauert, die
ſchaͤrfſten Proben einer ſtrengen Geduld hatte ich
ausgehalten, noch ſah ich nicht die geringſte Hoff-
nung, als meine Frau ganz unvermuthet ſtarb.

Dieſes wird genug ſeyn, Jhnen, meine Herren,
einen hinlaͤnglichen Begriff von den ganz beſondern
Eigenſchaften meiner Frau beyzubringen. Nun-
mehr werden Sie uͤberzeugt ſeyn, daß ich der Ehre,
Jhr Mitglied zu heißen, nicht ganz unwuͤrdig gewe-
ſen. Jch beſcheide mich deſſen gar wohl, daß ich
nur die unterſte Stelle verdiene, da mir diejenigen
Vorzuͤge nicht unbekannt ſind, welche Jhre Wei-
ber noch vor der meinigen haben.



Ein
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0160" n="86"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Trauerrede eines Wittwers.</hi></fw><lb/>
wo ihn ein heftiger Sturm von der gro&#x0364;ßten Ho&#x0364;he in<lb/>
den tief&#x017F;ten Abgrund wirft; &#x017F;ein Schiff &#x017F;cheitert;<lb/>
er glaubt, nun &#x017F;ey alles verloren, und erwacht.<lb/>
Mein Ehe&#x017F;tand hatte zehen Jahr gedauert, die<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;rf&#x017F;ten Proben einer &#x017F;trengen Geduld hatte ich<lb/>
ausgehalten, noch &#x017F;ah ich nicht die gering&#x017F;te Hoff-<lb/>
nung, als meine Frau ganz unvermuthet &#x017F;tarb.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;es wird genug &#x017F;eyn, Jhnen, meine Herren,<lb/>
einen hinla&#x0364;nglichen Begriff von den ganz be&#x017F;ondern<lb/>
Eigen&#x017F;chaften meiner Frau beyzubringen. Nun-<lb/>
mehr werden Sie u&#x0364;berzeugt &#x017F;eyn, daß ich der Ehre,<lb/>
Jhr Mitglied zu heißen, nicht ganz unwu&#x0364;rdig gewe-<lb/>
&#x017F;en. Jch be&#x017F;cheide mich de&#x017F;&#x017F;en gar wohl, daß ich<lb/>
nur die unter&#x017F;te Stelle verdiene, da mir diejenigen<lb/><hi rendition="#c">Vorzu&#x0364;ge nicht unbekannt &#x017F;ind, welche Jhre Wei-<lb/>
ber noch vor der meinigen haben.</hi></p>
        </div>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <fw place="bottom" type="catch">Ein</fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[86/0160] Trauerrede eines Wittwers. wo ihn ein heftiger Sturm von der groͤßten Hoͤhe in den tiefſten Abgrund wirft; ſein Schiff ſcheitert; er glaubt, nun ſey alles verloren, und erwacht. Mein Eheſtand hatte zehen Jahr gedauert, die ſchaͤrfſten Proben einer ſtrengen Geduld hatte ich ausgehalten, noch ſah ich nicht die geringſte Hoff- nung, als meine Frau ganz unvermuthet ſtarb. Dieſes wird genug ſeyn, Jhnen, meine Herren, einen hinlaͤnglichen Begriff von den ganz beſondern Eigenſchaften meiner Frau beyzubringen. Nun- mehr werden Sie uͤberzeugt ſeyn, daß ich der Ehre, Jhr Mitglied zu heißen, nicht ganz unwuͤrdig gewe- ſen. Jch beſcheide mich deſſen gar wohl, daß ich nur die unterſte Stelle verdiene, da mir diejenigen Vorzuͤge nicht unbekannt ſind, welche Jhre Wei- ber noch vor der meinigen haben. Ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/160
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/160>, abgerufen am 20.05.2024.