Diego; aber es war unmöglich, einige Nachricht von ihm zu erlangen. Zehen Jahre lang erwartete sie seine Rückkunft, nach dem Beyspiele einer zärt- lichen Penelope; welche Geschichte aber so sonder- bar ist, daß nicht einmal die Dichter das Herz ge- habt haben, sie für etwas anders, als für eine Fabel, auszugeben. Endlich bekam Jsabelle die schreckliche Nachricht, daß ihr Diego schon vor funfzehen Jahren in einem unglücklichen Treffen geblieben sey. Sie weihte seinem Andenken die redlichsten Thränen, legte seinetwegen öffentliche Trauer an, und ließ sich sodann das Zureden ih- rer Freunde bewegen, sich wieder zu verheirathen. Jnzwischen hatte Diego das Glück gehabt, aus seiner Gefangenschaft zu entkommen. Er erfuhr in Barcelona, daß Jsabellens Tyrann gestorben, und ihre Hand noch frey sey. Er flog nach Buen- tara, und der Unglückliche vernahm, daß seine Geliebte, nur vor einigen Wochen eine neue Wahl getroffen habe; aber zugleich erfuhr er auch, zu seiner großen Beruhigung, mit wie viel Sehn- sucht Jsabelle seine Rückkunft erwartet, und sich zur neuen Heirath eher nicht entschlossen habe, bis man ihr seinen Tod versichert. Er wagte es nicht, sie zu sprechen; denn er hörte, ihr Mann sey so eifersüchtig, daß man selbst in Spanien seine Ei- fersucht tadelte. Er gab ihr schriftlich die Versi- cherung von seiner alten unverrosteten Liebe; und eben dergleichen Versicherung erhielt er von ihr. Er ließ ihr bey seinem Abschiede wissen, daß er in die amerikanischen Colonien gehen würde, sein
Glück
Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
Diego; aber es war unmoͤglich, einige Nachricht von ihm zu erlangen. Zehen Jahre lang erwartete ſie ſeine Ruͤckkunft, nach dem Beyſpiele einer zaͤrt- lichen Penelope; welche Geſchichte aber ſo ſonder- bar iſt, daß nicht einmal die Dichter das Herz ge- habt haben, ſie fuͤr etwas anders, als fuͤr eine Fabel, auszugeben. Endlich bekam Jſabelle die ſchreckliche Nachricht, daß ihr Diego ſchon vor funfzehen Jahren in einem ungluͤcklichen Treffen geblieben ſey. Sie weihte ſeinem Andenken die redlichſten Thraͤnen, legte ſeinetwegen oͤffentliche Trauer an, und ließ ſich ſodann das Zureden ih- rer Freunde bewegen, ſich wieder zu verheirathen. Jnzwiſchen hatte Diego das Gluͤck gehabt, aus ſeiner Gefangenſchaft zu entkommen. Er erfuhr in Barcelona, daß Jſabellens Tyrann geſtorben, und ihre Hand noch frey ſey. Er flog nach Buen- tara, und der Ungluͤckliche vernahm, daß ſeine Geliebte, nur vor einigen Wochen eine neue Wahl getroffen habe; aber zugleich erfuhr er auch, zu ſeiner großen Beruhigung, mit wie viel Sehn- ſucht Jſabelle ſeine Ruͤckkunft erwartet, und ſich zur neuen Heirath eher nicht entſchloſſen habe, bis man ihr ſeinen Tod verſichert. Er wagte es nicht, ſie zu ſprechen; denn er hoͤrte, ihr Mann ſey ſo eiferſuͤchtig, daß man ſelbſt in Spanien ſeine Ei- ferſucht tadelte. Er gab ihr ſchriftlich die Verſi- cherung von ſeiner alten unverroſteten Liebe; und eben dergleichen Verſicherung erhielt er von ihr. Er ließ ihr bey ſeinem Abſchiede wiſſen, daß er in die amerikaniſchen Colonien gehen wuͤrde, ſein
Gluͤck
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Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
Diego; aber es war unmoͤglich, einige Nachricht
von ihm zu erlangen. Zehen Jahre lang erwartete
ſie ſeine Ruͤckkunft, nach dem Beyſpiele einer zaͤrt-
lichen Penelope; welche Geſchichte aber ſo ſonder-
bar iſt, daß nicht einmal die Dichter das Herz ge-
habt haben, ſie fuͤr etwas anders, als fuͤr eine
Fabel, auszugeben. Endlich bekam Jſabelle die
ſchreckliche Nachricht, daß ihr Diego ſchon vor
funfzehen Jahren in einem ungluͤcklichen Treffen
geblieben ſey. Sie weihte ſeinem Andenken die
redlichſten Thraͤnen, legte ſeinetwegen oͤffentliche
Trauer an, und ließ ſich ſodann das Zureden ih-
rer Freunde bewegen, ſich wieder zu verheirathen.
Jnzwiſchen hatte Diego das Gluͤck gehabt, aus
ſeiner Gefangenſchaft zu entkommen. Er erfuhr
in Barcelona, daß Jſabellens Tyrann geſtorben,
und ihre Hand noch frey ſey. Er flog nach Buen-
tara, und der Ungluͤckliche vernahm, daß ſeine
Geliebte, nur vor einigen Wochen eine neue Wahl
getroffen habe; aber zugleich erfuhr er auch, zu
ſeiner großen Beruhigung, mit wie viel Sehn-
ſucht Jſabelle ſeine Ruͤckkunft erwartet, und ſich
zur neuen Heirath eher nicht entſchloſſen habe, bis
man ihr ſeinen Tod verſichert. Er wagte es nicht,
ſie zu ſprechen; denn er hoͤrte, ihr Mann ſey ſo
eiferſuͤchtig, daß man ſelbſt in Spanien ſeine Ei-
ferſucht tadelte. Er gab ihr ſchriftlich die Verſi-
cherung von ſeiner alten unverroſteten Liebe; und
eben dergleichen Verſicherung erhielt er von ihr.
Er ließ ihr bey ſeinem Abſchiede wiſſen, daß er in
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Gluͤck
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/129>, abgerufen am 17.06.2024.
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