Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.vorgetragen, der die Herzen ihrer Zuhörer mit sich hätte fortreißen mögen. Die schöne Litteratur nahm Vieles von dem Geiste der damahls herrschenden Philosophie in sich auf: Besonders die metaphysische Wendung in der Betrachtung der Leidenschaften, und die excentrischen Ideen über die Bestimmung des Menschen. So wie ihre Schwester, - und in diesem Zeitraume zeigt sich zuerst im Mittelalter die Anerkennung ihrer Verwandtschaft - so wie die Philosophie, sag' ich, prunkte auch die Dichtkunst mit einem unnützen Aufwande von Gelehrsamkeit. Das Bestreben, fremde Muster und einheimische Vorgänger an poetischem Schwunge und Ausdruck zu übertreffen, verbunden mit falschen Begriffen von Politur und Leichtigkeit, brachte weit hergehohlte Allegorien, überspannte Empfindungen, hyperbolische Redefiguren, und zugleich die Sucht hervor, überall elegant und witzig zu erscheinen. Inzwischen gewannen doch die einheimischen Sprachen an Bildung, und die dichterischen und rednerischen Kompositionen erhielten mehr innern Zusammenhang, Ordnung und Wahrscheinlichkeit. Italien brachte im funfzehnten und sechzehnten Jahrhunderte auf gothischem Grunde Früchte hervor, welche der Geist der Alten genährt und gewartet hatte; England und Spanien lieferten Werke, in denen das Genie den Mangel an gutem Geschmack oft übersehen läßt. Aber dieß letzte Land ward auch vermöge des ausgebreiteten und starken Gewichts, das es in allen Ländern von Europa hatte, eine der Hauptursachen, wodurch das Uebertriebene, Abentheuerliche, Pomphafte, vorgetragen, der die Herzen ihrer Zuhörer mit sich hätte fortreißen mögen. Die schöne Litteratur nahm Vieles von dem Geiste der damahls herrschenden Philosophie in sich auf: Besonders die metaphysische Wendung in der Betrachtung der Leidenschaften, und die excentrischen Ideen über die Bestimmung des Menschen. So wie ihre Schwester, – und in diesem Zeitraume zeigt sich zuerst im Mittelalter die Anerkennung ihrer Verwandtschaft – so wie die Philosophie, sag’ ich, prunkte auch die Dichtkunst mit einem unnützen Aufwande von Gelehrsamkeit. Das Bestreben, fremde Muster und einheimische Vorgänger an poetischem Schwunge und Ausdruck zu übertreffen, verbunden mit falschen Begriffen von Politur und Leichtigkeit, brachte weit hergehohlte Allegorien, überspannte Empfindungen, hyperbolische Redefiguren, und zugleich die Sucht hervor, überall elegant und witzig zu erscheinen. Inzwischen gewannen doch die einheimischen Sprachen an Bildung, und die dichterischen und rednerischen Kompositionen erhielten mehr innern Zusammenhang, Ordnung und Wahrscheinlichkeit. Italien brachte im funfzehnten und sechzehnten Jahrhunderte auf gothischem Grunde Früchte hervor, welche der Geist der Alten genährt und gewartet hatte; England und Spanien lieferten Werke, in denen das Genie den Mangel an gutem Geschmack oft übersehen läßt. Aber dieß letzte Land ward auch vermöge des ausgebreiteten und starken Gewichts, das es in allen Ländern von Europa hatte, eine der Hauptursachen, wodurch das Uebertriebene, Abentheuerliche, Pomphafte, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0152" n="152"/> vorgetragen, der die Herzen ihrer Zuhörer mit sich hätte fortreißen mögen.</p> <p>Die schöne Litteratur nahm Vieles von dem Geiste der damahls herrschenden Philosophie in sich auf: Besonders die metaphysische Wendung in der Betrachtung der Leidenschaften, und die excentrischen Ideen über die Bestimmung des Menschen. So wie ihre Schwester, – und in diesem Zeitraume zeigt sich zuerst im Mittelalter die Anerkennung ihrer Verwandtschaft – so wie die Philosophie, sag’ ich, prunkte auch die Dichtkunst mit einem unnützen Aufwande von Gelehrsamkeit. Das Bestreben, fremde Muster und einheimische Vorgänger an poetischem Schwunge und Ausdruck zu übertreffen, verbunden mit falschen Begriffen von Politur und Leichtigkeit, brachte weit hergehohlte Allegorien, überspannte Empfindungen, hyperbolische Redefiguren, und zugleich die Sucht hervor, überall elegant und witzig zu erscheinen.</p> <p>Inzwischen gewannen doch die einheimischen Sprachen an Bildung, und die dichterischen und rednerischen Kompositionen erhielten mehr innern Zusammenhang, Ordnung und Wahrscheinlichkeit. Italien brachte im funfzehnten und sechzehnten Jahrhunderte auf gothischem Grunde Früchte hervor, welche der Geist der Alten genährt und gewartet hatte; England und Spanien lieferten Werke, in denen das Genie den Mangel an gutem Geschmack oft übersehen läßt. Aber dieß letzte Land ward auch vermöge des ausgebreiteten und starken Gewichts, das es in allen Ländern von Europa hatte, eine der Hauptursachen, wodurch das Uebertriebene, Abentheuerliche, Pomphafte, </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [152/0152]
vorgetragen, der die Herzen ihrer Zuhörer mit sich hätte fortreißen mögen.
Die schöne Litteratur nahm Vieles von dem Geiste der damahls herrschenden Philosophie in sich auf: Besonders die metaphysische Wendung in der Betrachtung der Leidenschaften, und die excentrischen Ideen über die Bestimmung des Menschen. So wie ihre Schwester, – und in diesem Zeitraume zeigt sich zuerst im Mittelalter die Anerkennung ihrer Verwandtschaft – so wie die Philosophie, sag’ ich, prunkte auch die Dichtkunst mit einem unnützen Aufwande von Gelehrsamkeit. Das Bestreben, fremde Muster und einheimische Vorgänger an poetischem Schwunge und Ausdruck zu übertreffen, verbunden mit falschen Begriffen von Politur und Leichtigkeit, brachte weit hergehohlte Allegorien, überspannte Empfindungen, hyperbolische Redefiguren, und zugleich die Sucht hervor, überall elegant und witzig zu erscheinen.
Inzwischen gewannen doch die einheimischen Sprachen an Bildung, und die dichterischen und rednerischen Kompositionen erhielten mehr innern Zusammenhang, Ordnung und Wahrscheinlichkeit. Italien brachte im funfzehnten und sechzehnten Jahrhunderte auf gothischem Grunde Früchte hervor, welche der Geist der Alten genährt und gewartet hatte; England und Spanien lieferten Werke, in denen das Genie den Mangel an gutem Geschmack oft übersehen läßt. Aber dieß letzte Land ward auch vermöge des ausgebreiteten und starken Gewichts, das es in allen Ländern von Europa hatte, eine der Hauptursachen, wodurch das Uebertriebene, Abentheuerliche, Pomphafte,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/152 |
Zitationshilfe: | Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/152>, abgerufen am 18.06.2024. |