zehn Gebote gelernt, von dem christlichen Glauben nichts erfahren habe, bekämpft er zugleich die Vorstellungen eini- ger Evangelischen, welche nun wohl glaubten, bei der Leich- tigkeit literarischer Belehrung, der Pfarrer ganz entbehren zu können; die Kirche ist ihm eine lebendige göttliche In- stitution, zur Befestigung und Ausbreitung des Evange- liums durch Verwaltung der Sacramente und Predigt; sein Sinn ist, die Lehre der Schrift den Menschen, wie er sagt, ins Herz zu treiben, gegenwärtige und künftige Generationen damit zu erfüllen.
Diese Ideen walteten bei den kirchlichen Einrichtun- gen des sächsischen Gebietes vor.
Der Churfürst hatte einige Visitatoren ernannt, um den Zustand der einzelnen Gemeinden in Hinsicht auf Lehre und Leben zu prüfen. In ihrem Namen ergieng ein Un- terricht an die Pfarrer, welchen Melanchthon ausgearbei- tet hat und Luther billigte, ja selbst herausgab, der nun höchst merkwürdig ist.
Darin tritt die Opposition gegen das Papstthum, so lebhaft auch sonst der Kampf noch war den man mit ihm bestand, schon sehr in den Hintergrund: man beschied sich, daß er auf die Kanzel vor das Volk nicht gehöre: man ermahnte die Prediger, auf Papst und Bischöfe, von denen keiner sie vernehme, auch nicht zu schelten; man faßte nur das Bedürfniß der Menge, die Pflanzung der evangelischen Lehre in dem gemeinen Mann ins Auge. Man gieng hiebei mit der größten Schonung des Herkömmlichen zu Werke. Man fand es nicht nothwendig, die lateini- schen Messen geradehin zu verbieten: man glaubte selbst,
Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
zehn Gebote gelernt, von dem chriſtlichen Glauben nichts erfahren habe, bekämpft er zugleich die Vorſtellungen eini- ger Evangeliſchen, welche nun wohl glaubten, bei der Leich- tigkeit literariſcher Belehrung, der Pfarrer ganz entbehren zu können; die Kirche iſt ihm eine lebendige göttliche In- ſtitution, zur Befeſtigung und Ausbreitung des Evange- liums durch Verwaltung der Sacramente und Predigt; ſein Sinn iſt, die Lehre der Schrift den Menſchen, wie er ſagt, ins Herz zu treiben, gegenwärtige und künftige Generationen damit zu erfüllen.
Dieſe Ideen walteten bei den kirchlichen Einrichtun- gen des ſächſiſchen Gebietes vor.
Der Churfürſt hatte einige Viſitatoren ernannt, um den Zuſtand der einzelnen Gemeinden in Hinſicht auf Lehre und Leben zu prüfen. In ihrem Namen ergieng ein Un- terricht an die Pfarrer, welchen Melanchthon ausgearbei- tet hat und Luther billigte, ja ſelbſt herausgab, der nun höchſt merkwürdig iſt.
Darin tritt die Oppoſition gegen das Papſtthum, ſo lebhaft auch ſonſt der Kampf noch war den man mit ihm beſtand, ſchon ſehr in den Hintergrund: man beſchied ſich, daß er auf die Kanzel vor das Volk nicht gehöre: man ermahnte die Prediger, auf Papſt und Biſchöfe, von denen keiner ſie vernehme, auch nicht zu ſchelten; man faßte nur das Bedürfniß der Menge, die Pflanzung der evangeliſchen Lehre in dem gemeinen Mann ins Auge. Man gieng hiebei mit der größten Schonung des Herkömmlichen zu Werke. Man fand es nicht nothwendig, die lateini- ſchen Meſſen geradehin zu verbieten: man glaubte ſelbſt,
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Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
zehn Gebote gelernt, von dem chriſtlichen Glauben nichts
erfahren habe, bekämpft er zugleich die Vorſtellungen eini-
ger Evangeliſchen, welche nun wohl glaubten, bei der Leich-
tigkeit literariſcher Belehrung, der Pfarrer ganz entbehren
zu können; die Kirche iſt ihm eine lebendige göttliche In-
ſtitution, zur Befeſtigung und Ausbreitung des Evange-
liums durch Verwaltung der Sacramente und Predigt;
ſein Sinn iſt, die Lehre der Schrift den Menſchen, wie
er ſagt, ins Herz zu treiben, gegenwärtige und künftige
Generationen damit zu erfüllen.
Dieſe Ideen walteten bei den kirchlichen Einrichtun-
gen des ſächſiſchen Gebietes vor.
Der Churfürſt hatte einige Viſitatoren ernannt, um
den Zuſtand der einzelnen Gemeinden in Hinſicht auf Lehre
und Leben zu prüfen. In ihrem Namen ergieng ein Un-
terricht an die Pfarrer, welchen Melanchthon ausgearbei-
tet hat und Luther billigte, ja ſelbſt herausgab, der nun
höchſt merkwürdig iſt.
Darin tritt die Oppoſition gegen das Papſtthum, ſo
lebhaft auch ſonſt der Kampf noch war den man mit
ihm beſtand, ſchon ſehr in den Hintergrund: man beſchied
ſich, daß er auf die Kanzel vor das Volk nicht gehöre:
man ermahnte die Prediger, auf Papſt und Biſchöfe, von
denen keiner ſie vernehme, auch nicht zu ſchelten; man
faßte nur das Bedürfniß der Menge, die Pflanzung der
evangeliſchen Lehre in dem gemeinen Mann ins Auge. Man
gieng hiebei mit der größten Schonung des Herkömmlichen
zu Werke. Man fand es nicht nothwendig, die lateini-
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/452>, abgerufen am 15.06.2024.
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