Helden nicht auf der verschiedenen Verwendung desselben alt- überlieferten mythischen Motivs, sondern auf direkter Abhängig- keit beruht, und zwar kann es dann nicht zweifelhaft sein, dass Herodots Werk die Quelle ist, aus welcher der attische Tragiker mit freier und kühner Umgestaltung der dort gegebenen Motive schöpft. Nun ist es bekannt, welch tiefen Eindruck gerade auf Sophokles das Werk des Herodot gemacht hat; und wie gerade bei ihm mehrfache Benutzung desselben nachzuweisen und ge- wiss noch viel öfter vorhanden ist, als wir es merken. Darum scheint es mir gerade für Sophokles besonders passend, dass er mit Benutzung der herodoteischen Erzählung von Kyros die Jugendgeschichte des Paris so total umgestaltet.
Es mag auch noch darauf hingewiesen werden, wie sowohl die ganze Fassung der Sage eine durchaus dramatische als namentlich der Zug, dass für den tot geglaubten Paris Wett- kämpfe veranstaltet werden sollen, und dieser selbst dabei er- scheint und den Sieg erringt, eine höchst glückliche dramatische Erfindung ist, auch für den äusseren Aufbau des Dramas höchst glücklich; denn der Dichter hatte dadurch ungesucht Veranlassung, den Zuschauer in die Vorgeschichte des Dramas einzuweihen.
Da die Wettspiele und die Wiedererkennung natürlich die Aussetzung des Paris zur unerlässlichen Voraussetzung haben, so ist es selbstverständlich, dass auch diese Züge dem attischen Drama ihre Entstehung verdanken, dem Epos also durchaus fremd sind. Die Fassung der Kyprien lässt sich aus den Worten des Proklos sehr gut rekonstruiren; nach der Erwähnung des Streites der Göttinnen heisst es: kai prokrinei ten Aphroditen epartheis tois Elenes gamois Alexandros, epeita de Aphrodites upothemenes naupegeitai kai Elenos peri ton mellonton auto prothespizei kai e Aphrodite Aineian sumplein auto keleuei. kai Kassan- dra peri ton mellonton prodeloi. Im Gegensatz zu Welckers Anschauung muss ich behaupten, dass eine durch eine Reihen- folge zufälliger Ereignisse herbeigeführte Wiedererkennung des Paris durch diesen Wortlaut ausgeschlossen erscheint. Viel- mehr folgen sich die Ereignisse Schlag auf Schlag; auf den Richterspruch des Paris unmittelbar die Massregeln der
Helden nicht auf der verschiedenen Verwendung desselben alt- überlieferten mythischen Motivs, sondern auf direkter Abhängig- keit beruht, und zwar kann es dann nicht zweifelhaft sein, daſs Herodots Werk die Quelle ist, aus welcher der attische Tragiker mit freier und kühner Umgestaltung der dort gegebenen Motive schöpft. Nun ist es bekannt, welch tiefen Eindruck gerade auf Sophokles das Werk des Herodot gemacht hat; und wie gerade bei ihm mehrfache Benutzung desselben nachzuweisen und ge- wiſs noch viel öfter vorhanden ist, als wir es merken. Darum scheint es mir gerade für Sophokles besonders passend, daſs er mit Benutzung der herodoteischen Erzählung von Kyros die Jugendgeschichte des Paris so total umgestaltet.
Es mag auch noch darauf hingewiesen werden, wie sowohl die ganze Fassung der Sage eine durchaus dramatische als namentlich der Zug, daſs für den tot geglaubten Paris Wett- kämpfe veranstaltet werden sollen, und dieser selbst dabei er- scheint und den Sieg erringt, eine höchst glückliche dramatische Erfindung ist, auch für den äuſseren Aufbau des Dramas höchst glücklich; denn der Dichter hatte dadurch ungesucht Veranlassung, den Zuschauer in die Vorgeschichte des Dramas einzuweihen.
Da die Wettspiele und die Wiedererkennung natürlich die Aussetzung des Paris zur unerläſslichen Voraussetzung haben, so ist es selbstverständlich, daſs auch diese Züge dem attischen Drama ihre Entstehung verdanken, dem Epos also durchaus fremd sind. Die Fassung der Kyprien läſst sich aus den Worten des Proklos sehr gut rekonstruiren; nach der Erwähnung des Streites der Göttinnen heiſst es: καὶ προκρίνει τὴν Ἀφροδίτην ἐπαρϑεὶς τοῖς Ἑλένης γάμοις Ἀλέξανδρος, ἔπειτα δὲ Ἀφροδίτης ὑποϑεμένης ναυπηγεῖται καὶ Ἕλενος περὶ τῶν μελλόντων αὐτῷ προϑεσπίζει καὶ ἡ Ἀφροδἰτη Αἰνείαν συμπλεῖν αὐτῷ κελεύει. καὶ Κασσάν- δρα περὶ τῶν μελλόντων προδηλοῖ. Im Gegensatz zu Welckers Anschauung muſs ich behaupten, daſs eine durch eine Reihen- folge zufälliger Ereignisse herbeigeführte Wiedererkennung des Paris durch diesen Wortlaut ausgeschlossen erscheint. Viel- mehr folgen sich die Ereignisse Schlag auf Schlag; auf den Richterspruch des Paris unmittelbar die Maſsregeln der
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Helden nicht auf der verschiedenen Verwendung desselben alt-
überlieferten mythischen Motivs, sondern auf direkter Abhängig-
keit beruht, und zwar kann es dann nicht zweifelhaft sein, daſs
Herodots Werk die Quelle ist, aus welcher der attische Tragiker
mit freier und kühner Umgestaltung der dort gegebenen Motive
schöpft. Nun ist es bekannt, welch tiefen Eindruck gerade auf
Sophokles das Werk des Herodot gemacht hat; und wie gerade
bei ihm mehrfache Benutzung desselben nachzuweisen und ge-
wiſs noch viel öfter vorhanden ist, als wir es merken. Darum
scheint es mir gerade für Sophokles besonders passend, daſs er
mit Benutzung der herodoteischen Erzählung von Kyros die
Jugendgeschichte des Paris so total umgestaltet.
Es mag auch noch darauf hingewiesen werden, wie sowohl
die ganze Fassung der Sage eine durchaus dramatische als
namentlich der Zug, daſs für den tot geglaubten Paris Wett-
kämpfe veranstaltet werden sollen, und dieser selbst dabei er-
scheint und den Sieg erringt, eine höchst glückliche dramatische
Erfindung ist, auch für den äuſseren Aufbau des Dramas höchst
glücklich; denn der Dichter hatte dadurch ungesucht Veranlassung,
den Zuschauer in die Vorgeschichte des Dramas einzuweihen.
Da die Wettspiele und die Wiedererkennung natürlich die
Aussetzung des Paris zur unerläſslichen Voraussetzung haben,
so ist es selbstverständlich, daſs auch diese Züge dem attischen
Drama ihre Entstehung verdanken, dem Epos also durchaus fremd
sind. Die Fassung der Kyprien läſst sich aus den Worten des
Proklos sehr gut rekonstruiren; nach der Erwähnung des Streites
der Göttinnen heiſst es: καὶ προκρίνει τὴν Ἀφροδίτην ἐπαρϑεὶς
τοῖς Ἑλένης γάμοις Ἀλέξανδρος, ἔπειτα δὲ Ἀφροδίτης ὑποϑεμένης
ναυπηγεῖται καὶ Ἕλενος περὶ τῶν μελλόντων αὐτῷ προϑεσπίζει
καὶ ἡ Ἀφροδἰτη Αἰνείαν συμπλεῖν αὐτῷ κελεύει. καὶ Κασσάν-
δρα περὶ τῶν μελλόντων προδηλοῖ. Im Gegensatz zu Welckers
Anschauung muſs ich behaupten, daſs eine durch eine Reihen-
folge zufälliger Ereignisse herbeigeführte Wiedererkennung des
Paris durch diesen Wortlaut ausgeschlossen erscheint. Viel-
mehr folgen sich die Ereignisse Schlag auf Schlag; auf
den Richterspruch des Paris unmittelbar die Maſsregeln der
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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/252>, abgerufen am 17.06.2024.
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