kein Weib in seinem Haine und an seinem Grabe duldete1); kam doch eine von dem verhassten Geschlechte dorthin, so war Erdbeben oder Dürre zu befürchten, oder man sah den Heros zum Meere (das alle Befleckungen abwäscht) hinabgehen, sich zu reinigen. In Orchomenos ging ein Geist "mit einem Steine" um und verwüstete die Gegend. Es war Aktäon, dessen sterb- liche Reste darauf, nach Geheiss des Orakels, feierlich bei- gesetzt wurden; auch stiftete man ihm ein ehernes Bild, das mit Ketten an einen Felsen angefesselt wurde, und beging all- jährlich ein Todtenfest2). Von dem Groll des Minos gegen die Kreter, weil sie seinen gewaltsamen Tod nicht gerächt, dagegen dem Menelaos zu Hülfe gezogen waren, erzählt mit ernstem Gesicht Herodot3). Schon ein tieferer Sinn liegt in der ebenfalls von Herodot überlieferten Legende vom Heros Talthybios, der, nicht eigene Unbill sondern ein Vergehen gegen Recht und sittliche Satzung rächend, die Spartaner wegen der Ermordung persischer Gesandten, selbst der Hort der Boten und Gesandten, strafte4). Das furchtbarste Beispiel von der Rache eines Heros hatte man an der Sage des Ortsheros der attischen Gemeinde Anagyros. Einem Landmann, der seinen heiligen Hain umgehauen hatte5), liess der Heros erst die Frau
1) So darf zu dem Heroon des Okridion auf Rhodos kein Herold kommen: Plut. Q. Gr. 27, kein Flötenbläser kommen zu, der Name des Achill nicht genannt werden an dem Heroon des Tenes auf Tenedos: ibid. 28. Wie alter Groll eines Heros auch in seinem Geisterleben fort- dauert, davon ein lehrreiches Beispiel bei Herodot 5, 67.
2) Paus. 9, 38, 5. Die Fesseln sollen jedenfalls das Bild (als Sitz des Heros selbst) an den Ort seiner Verehrung binden. So hatte man in Sparta ein agalma arkhaion des Enyalios in Fesseln, wo eben die gnome Aakedaimonion war, oupote ton Enualion pheugonta oikhesesthai sphisin enekho- menon tais pedais. Paus. 3, 15, 7. Aehnlich anderwärts: s. Lobeck, Aglaoph. 275 (vgl. noch Paus. 8, 41, 6). Aus dem auffallenden Anblick des Bildes am Felsen wird dann wohl die (aetiologische) Legende von dem petran ekhon eidolon entstanden sein.
3) Her. 7, 169. 170.
4) Herod. 7, 134--137.
5) Heiligkeit der einem Heros gewidmeten Bäume und Haine: vgl. Aelian. var. hist. 5, 17; Paus. 2, 28, 7, namentlich aber Paus. 8, 24, 7.
kein Weib in seinem Haine und an seinem Grabe duldete1); kam doch eine von dem verhassten Geschlechte dorthin, so war Erdbeben oder Dürre zu befürchten, oder man sah den Heros zum Meere (das alle Befleckungen abwäscht) hinabgehen, sich zu reinigen. In Orchomenos ging ein Geist „mit einem Steine“ um und verwüstete die Gegend. Es war Aktäon, dessen sterb- liche Reste darauf, nach Geheiss des Orakels, feierlich bei- gesetzt wurden; auch stiftete man ihm ein ehernes Bild, das mit Ketten an einen Felsen angefesselt wurde, und beging all- jährlich ein Todtenfest2). Von dem Groll des Minos gegen die Kreter, weil sie seinen gewaltsamen Tod nicht gerächt, dagegen dem Menelaos zu Hülfe gezogen waren, erzählt mit ernstem Gesicht Herodot3). Schon ein tieferer Sinn liegt in der ebenfalls von Herodot überlieferten Legende vom Heros Talthybios, der, nicht eigene Unbill sondern ein Vergehen gegen Recht und sittliche Satzung rächend, die Spartaner wegen der Ermordung persischer Gesandten, selbst der Hort der Boten und Gesandten, strafte4). Das furchtbarste Beispiel von der Rache eines Heros hatte man an der Sage des Ortsheros der attischen Gemeinde Anagyros. Einem Landmann, der seinen heiligen Hain umgehauen hatte5), liess der Heros erst die Frau
1) So darf zu dem Heroon des Okridion auf Rhodos kein Herold kommen: Plut. Q. Gr. 27, kein Flötenbläser kommen zu, der Name des Achill nicht genannt werden an dem Heroon des Tenes auf Tenedos: ibid. 28. Wie alter Groll eines Heros auch in seinem Geisterleben fort- dauert, davon ein lehrreiches Beispiel bei Herodot 5, 67.
2) Paus. 9, 38, 5. Die Fesseln sollen jedenfalls das Bild (als Sitz des Heros selbst) an den Ort seiner Verehrung binden. So hatte man in Sparta ein ἄγαλμα ἀρχαῖον des Enyalios in Fesseln, wo eben die γνώμη Αακεδαιμονίων war, οὔποτε τὸν Ἐνυάλιον φεύγοντα οἰχήσεσϑαί σφισιν ἐνεχό- μενον ταῖς πέδαις. Paus. 3, 15, 7. Aehnlich anderwärts: s. Lobeck, Aglaoph. 275 (vgl. noch Paus. 8, 41, 6). Aus dem auffallenden Anblick des Bildes am Felsen wird dann wohl die (aetiologische) Legende von dem πέτραν ἔχον εἴδωλον entstanden sein.
3) Her. 7, 169. 170.
4) Herod. 7, 134—137.
5) Heiligkeit der einem Heros gewidmeten Bäume und Haine: vgl. Aelian. var. hist. 5, 17; Paus. 2, 28, 7, namentlich aber Paus. 8, 24, 7.
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kein Weib in seinem Haine und an seinem Grabe duldete 1);
kam doch eine von dem verhassten Geschlechte dorthin, so war
Erdbeben oder Dürre zu befürchten, oder man sah den Heros
zum Meere (das alle Befleckungen abwäscht) hinabgehen, sich
zu reinigen. In Orchomenos ging ein Geist „mit einem Steine“
um und verwüstete die Gegend. Es war Aktäon, dessen sterb-
liche Reste darauf, nach Geheiss des Orakels, feierlich bei-
gesetzt wurden; auch stiftete man ihm ein ehernes Bild, das
mit Ketten an einen Felsen angefesselt wurde, und beging all-
jährlich ein Todtenfest 2). Von dem Groll des Minos gegen
die Kreter, weil sie seinen gewaltsamen Tod nicht gerächt,
dagegen dem Menelaos zu Hülfe gezogen waren, erzählt mit
ernstem Gesicht Herodot 3). Schon ein tieferer Sinn liegt in
der ebenfalls von Herodot überlieferten Legende vom Heros
Talthybios, der, nicht eigene Unbill sondern ein Vergehen gegen
Recht und sittliche Satzung rächend, die Spartaner wegen der
Ermordung persischer Gesandten, selbst der Hort der Boten
und Gesandten, strafte 4). Das furchtbarste Beispiel von der
Rache eines Heros hatte man an der Sage des Ortsheros der
attischen Gemeinde Anagyros. Einem Landmann, der seinen
heiligen Hain umgehauen hatte 5), liess der Heros erst die Frau
1) So darf zu dem Heroon des Okridion auf Rhodos kein Herold
kommen: Plut. Q. Gr. 27, kein Flötenbläser kommen zu, der Name des
Achill nicht genannt werden an dem Heroon des Tenes auf Tenedos:
ibid. 28. Wie alter Groll eines Heros auch in seinem Geisterleben fort-
dauert, davon ein lehrreiches Beispiel bei Herodot 5, 67.
2) Paus. 9, 38, 5. Die Fesseln sollen jedenfalls das Bild (als Sitz
des Heros selbst) an den Ort seiner Verehrung binden. So hatte man in
Sparta ein ἄγαλμα ἀρχαῖον des Enyalios in Fesseln, wo eben die γνώμη
Αακεδαιμονίων war, οὔποτε τὸν Ἐνυάλιον φεύγοντα οἰχήσεσϑαί σφισιν ἐνεχό-
μενον ταῖς πέδαις. Paus. 3, 15, 7. Aehnlich anderwärts: s. Lobeck,
Aglaoph. 275 (vgl. noch Paus. 8, 41, 6). Aus dem auffallenden Anblick
des Bildes am Felsen wird dann wohl die (aetiologische) Legende von
dem πέτραν ἔχον εἴδωλον entstanden sein.
3) Her. 7, 169. 170.
4) Herod. 7, 134—137.
5) Heiligkeit der einem Heros gewidmeten Bäume und Haine: vgl.
Aelian. var. hist. 5, 17; Paus. 2, 28, 7, namentlich aber Paus. 8, 24, 7.
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/194>, abgerufen am 14.06.2024.
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