Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 3. Leipzig, 1837.110. Ein Beter hat erzählt: Lang betet' ich, und nickte Vor Andacht endlich ein, als ich den Traum erblickte: Ein Engel stand vor mir, und hielt in seiner Hand Ein Blatt, wo jegliches Gebet geschrieben stand; Ein jegliches, wie ich's der Reihe nach gesprochen; Nur eine Zeile war in Mitten abgebrochen. Da weint' ich, daß mir die verloren sollte seyn; Warum nicht trugest du dis mit dem andern ein? Er sprach: Im Beten warst du bis hieher gekommen, Als beim Vorübergehn der Nachbar dich vernommen. Du wurdest auch gewahr, daß er vorüber käme, Und sprachest lauter gar, damit er es vernähme. Die Stelle des Gebets stahl deines Nachbars Ohr; Nur was ein Mensch nicht hört, schreib' ich und trag's empor. 110. Ein Beter hat erzaͤhlt: Lang betet' ich, und nickte Vor Andacht endlich ein, als ich den Traum erblickte: Ein Engel ſtand vor mir, und hielt in ſeiner Hand Ein Blatt, wo jegliches Gebet geſchrieben ſtand; Ein jegliches, wie ich's der Reihe nach geſprochen; Nur eine Zeile war in Mitten abgebrochen. Da weint' ich, daß mir die verloren ſollte ſeyn; Warum nicht trugeſt du dis mit dem andern ein? Er ſprach: Im Beten warſt du bis hieher gekommen, Als beim Voruͤbergehn der Nachbar dich vernommen. Du wurdeſt auch gewahr, daß er voruͤber kaͤme, Und ſpracheſt lauter gar, damit er es vernaͤhme. Die Stelle des Gebets ſtahl deines Nachbars Ohr; Nur was ein Menſch nicht hoͤrt, ſchreib' ich und trag's empor. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0215" n="205"/> <div n="2"> <head>110.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Ein Beter hat erzaͤhlt: Lang betet' ich, und nickte</l><lb/> <l>Vor Andacht endlich ein, als ich den Traum erblickte:</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Ein Engel ſtand vor mir, und hielt in ſeiner Hand</l><lb/> <l>Ein Blatt, wo jegliches Gebet geſchrieben ſtand;</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Ein jegliches, wie ich's der Reihe nach geſprochen;</l><lb/> <l>Nur eine Zeile war in Mitten abgebrochen.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Da weint' ich, daß mir die verloren ſollte ſeyn;</l><lb/> <l>Warum nicht trugeſt du dis mit dem andern ein?</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Er ſprach: Im Beten warſt du bis hieher gekommen,</l><lb/> <l>Als beim Voruͤbergehn der Nachbar dich vernommen.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Du wurdeſt auch gewahr, daß er voruͤber kaͤme,</l><lb/> <l>Und ſpracheſt lauter gar, damit er es vernaͤhme.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Die Stelle des Gebets ſtahl deines Nachbars Ohr;</l><lb/> <l>Nur was ein Menſch nicht hoͤrt, ſchreib' ich und trag's empor.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [205/0215]
110.
Ein Beter hat erzaͤhlt: Lang betet' ich, und nickte
Vor Andacht endlich ein, als ich den Traum erblickte:
Ein Engel ſtand vor mir, und hielt in ſeiner Hand
Ein Blatt, wo jegliches Gebet geſchrieben ſtand;
Ein jegliches, wie ich's der Reihe nach geſprochen;
Nur eine Zeile war in Mitten abgebrochen.
Da weint' ich, daß mir die verloren ſollte ſeyn;
Warum nicht trugeſt du dis mit dem andern ein?
Er ſprach: Im Beten warſt du bis hieher gekommen,
Als beim Voruͤbergehn der Nachbar dich vernommen.
Du wurdeſt auch gewahr, daß er voruͤber kaͤme,
Und ſpracheſt lauter gar, damit er es vernaͤhme.
Die Stelle des Gebets ſtahl deines Nachbars Ohr;
Nur was ein Menſch nicht hoͤrt, ſchreib' ich und trag's empor.
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