Dann ist die Mutter bei dem Aufseher geblieben, der damals, wie mein Vater, Teichgräber war und mit ihm in Böhmen umherzog."
"Also aus Böhmen bist Du? Darum red'st Du auch so fremd und hast einen so seltsamen Namen. Ter -- ich kann ihn gar nicht nachsagen."
"Tertschka", ergänzte sie. "Deutsch heißt es Therese."
"Hier zu Lande würden sie Dich Resi nennen. -- Aber", fuhr er fort, "wenn Dein Stiefvater Deinen Lohn behält, so muß er Dir doch zu essen geben."
"Gerade so viel, daß ich nicht verhungere. Du glaubst nicht, wie geizig er ist. Sich selber läßt er's freilich wohl geschehen, und es vergeht fast kein Tag, an dem er sich nicht betrinkt. Aber den Andern gönnt er das Wasser nicht, wenn sie es ihm nicht bezahlen, und um ihn her könnt' Alles ver¬ hungern, eh' er aus freien Stücken die Hand aufthät'. So muß ich mich mit dem begnügen, was am Herd abfällt, und dabei behält er, wie gesagt, meinen Lohn und obendrein die vierzig Gulden in Silberstücken, die mir meine Mutter hinter¬ lassen hat. Das wäre jedoch Alles das Schlimmste nicht. Aber er ist auch ein boshafter Mensch, der mich oft schlägt. Du hast gestern gesehen, wie er mich wegen der Jacke anließ."
"Ja, das hab' ich gesehen."
"Und so war er auch stets mit meiner armen Mutter.
Dann iſt die Mutter bei dem Aufſeher geblieben, der damals, wie mein Vater, Teichgräber war und mit ihm in Böhmen umherzog.“
„Alſo aus Böhmen biſt Du? Darum red'ſt Du auch ſo fremd und haſt einen ſo ſeltſamen Namen. Ter — ich kann ihn gar nicht nachſagen.“
„Tertſchka“, ergänzte ſie. „Deutſch heißt es Thereſe.“
„Hier zu Lande würden ſie Dich Reſi nennen. — Aber“, fuhr er fort, „wenn Dein Stiefvater Deinen Lohn behält, ſo muß er Dir doch zu eſſen geben.“
„Gerade ſo viel, daß ich nicht verhungere. Du glaubſt nicht, wie geizig er iſt. Sich ſelber läßt er's freilich wohl geſchehen, und es vergeht faſt kein Tag, an dem er ſich nicht betrinkt. Aber den Andern gönnt er das Waſſer nicht, wenn ſie es ihm nicht bezahlen, und um ihn her könnt' Alles ver¬ hungern, eh' er aus freien Stücken die Hand aufthät'. So muß ich mich mit dem begnügen, was am Herd abfällt, und dabei behält er, wie geſagt, meinen Lohn und obendrein die vierzig Gulden in Silberſtücken, die mir meine Mutter hinter¬ laſſen hat. Das wäre jedoch Alles das Schlimmſte nicht. Aber er iſt auch ein boshafter Menſch, der mich oft ſchlägt. Du haſt geſtern geſehen, wie er mich wegen der Jacke anließ.“
„Ja, das hab' ich geſehen.“
„Und ſo war er auch ſtets mit meiner armen Mutter.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0157"n="141"/>
Dann iſt die Mutter bei dem Aufſeher geblieben, der damals,<lb/>
wie mein Vater, Teichgräber war und mit ihm in Böhmen<lb/>
umherzog.“</p><lb/><p>„Alſo aus Böhmen biſt Du? Darum red'ſt Du auch<lb/>ſo fremd und haſt einen ſo ſeltſamen Namen. Ter — ich<lb/>
kann ihn gar nicht nachſagen.“</p><lb/><p>„Tertſchka“, ergänzte ſie. „Deutſch heißt es Thereſe.“</p><lb/><p>„Hier zu Lande würden ſie Dich Reſi nennen. — Aber“,<lb/>
fuhr er fort, „wenn Dein Stiefvater Deinen Lohn behält, ſo<lb/>
muß er Dir doch zu eſſen geben.“</p><lb/><p>„Gerade ſo viel, daß ich nicht verhungere. Du glaubſt<lb/>
nicht, wie geizig er iſt. Sich ſelber läßt er's freilich wohl<lb/>
geſchehen, und es vergeht faſt kein Tag, an dem er ſich nicht<lb/>
betrinkt. Aber den Andern gönnt er das Waſſer nicht, wenn<lb/>ſie es ihm nicht bezahlen, und um ihn her könnt' Alles ver¬<lb/>
hungern, eh' er aus freien Stücken die Hand aufthät'. So<lb/>
muß ich mich mit dem begnügen, was am Herd abfällt, und<lb/>
dabei behält er, wie geſagt, meinen Lohn und obendrein die<lb/>
vierzig Gulden in Silberſtücken, die mir meine Mutter hinter¬<lb/>
laſſen hat. Das wäre jedoch Alles das Schlimmſte nicht.<lb/>
Aber er iſt auch ein boshafter Menſch, der mich oft ſchlägt.<lb/>
Du haſt geſtern geſehen, wie er mich wegen der Jacke<lb/>
anließ.“</p><lb/><p>„Ja, das hab' ich geſehen.“</p><lb/><p>„Und ſo war er auch ſtets mit meiner armen Mutter.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[141/0157]
Dann iſt die Mutter bei dem Aufſeher geblieben, der damals,
wie mein Vater, Teichgräber war und mit ihm in Böhmen
umherzog.“
„Alſo aus Böhmen biſt Du? Darum red'ſt Du auch
ſo fremd und haſt einen ſo ſeltſamen Namen. Ter — ich
kann ihn gar nicht nachſagen.“
„Tertſchka“, ergänzte ſie. „Deutſch heißt es Thereſe.“
„Hier zu Lande würden ſie Dich Reſi nennen. — Aber“,
fuhr er fort, „wenn Dein Stiefvater Deinen Lohn behält, ſo
muß er Dir doch zu eſſen geben.“
„Gerade ſo viel, daß ich nicht verhungere. Du glaubſt
nicht, wie geizig er iſt. Sich ſelber läßt er's freilich wohl
geſchehen, und es vergeht faſt kein Tag, an dem er ſich nicht
betrinkt. Aber den Andern gönnt er das Waſſer nicht, wenn
ſie es ihm nicht bezahlen, und um ihn her könnt' Alles ver¬
hungern, eh' er aus freien Stücken die Hand aufthät'. So
muß ich mich mit dem begnügen, was am Herd abfällt, und
dabei behält er, wie geſagt, meinen Lohn und obendrein die
vierzig Gulden in Silberſtücken, die mir meine Mutter hinter¬
laſſen hat. Das wäre jedoch Alles das Schlimmſte nicht.
Aber er iſt auch ein boshafter Menſch, der mich oft ſchlägt.
Du haſt geſtern geſehen, wie er mich wegen der Jacke
anließ.“
„Ja, das hab' ich geſehen.“
„Und ſo war er auch ſtets mit meiner armen Mutter.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/157>, abgerufen am 16.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.