Du wirst sehen, daß er nichts erwiedert. Denn so schlecht, so niederträchtig er auch ist: erkennen muß er, daß er kein Recht und keine Macht hat, Dich zu halten."
Sie rang noch immer verzweifelt die Hände.
"Fasse Muth, Resi", sagte er ernst. "Willst Du mich allein ziehen lassen?"
Sie flog ihm an die Brust und klammerte sich an seinem Halse fest.
"Nun also" fuhr er fort und strich ihr sanft das Haar aus der Stirne, "gehen wir." Und sie schritten langsam auf die Hütte zu: sie die Brust voll Bangen und Zagen vor den Dingen, die sie kommen sah; er unerschütterliche Kraft und Zuversicht im Herzen. --
Als sie über die Schwelle traten, saß der Aufseher mit einem Messer in der Hand am Tische und schälte Kartoffeln. Er blickte etwas betroffen auf das Paar; aber seine Ueber¬ raschung schlug allsogleich in Zorn und Wuth um. "Was wollt Ihr Zwei da?" schrie er, indem er sich halb erhob und den Griff des Messers wie kampfbereit auf den Tisch stützte.
"Ihr habt mir die Arbeit gekündigt", erwiederte Georg in ruhigem Tone. "Ich komme, um meine Sachen zu holen und Euch zu sagen, daß die Tertschka mit mir geht."
Der Aufseher machte eine Bewegung, als wollte er auf ihn zustürzen; jedoch er fühlte sich durch die ernste, sichere Miene, mit welcher Georg vor ihm stand, wider Willen eingeschüchtert.
Du wirſt ſehen, daß er nichts erwiedert. Denn ſo ſchlecht, ſo niederträchtig er auch iſt: erkennen muß er, daß er kein Recht und keine Macht hat, Dich zu halten.“
Sie rang noch immer verzweifelt die Hände.
„Faſſe Muth, Reſi“, ſagte er ernſt. „Willſt Du mich allein ziehen laſſen?“
Sie flog ihm an die Bruſt und klammerte ſich an ſeinem Halſe feſt.
„Nun alſo“ fuhr er fort und ſtrich ihr ſanft das Haar aus der Stirne, „gehen wir.“ Und ſie ſchritten langſam auf die Hütte zu: ſie die Bruſt voll Bangen und Zagen vor den Dingen, die ſie kommen ſah; er unerſchütterliche Kraft und Zuverſicht im Herzen. —
Als ſie über die Schwelle traten, ſaß der Aufſeher mit einem Meſſer in der Hand am Tiſche und ſchälte Kartoffeln. Er blickte etwas betroffen auf das Paar; aber ſeine Ueber¬ raſchung ſchlug allſogleich in Zorn und Wuth um. „Was wollt Ihr Zwei da?“ ſchrie er, indem er ſich halb erhob und den Griff des Meſſers wie kampfbereit auf den Tiſch ſtützte.
„Ihr habt mir die Arbeit gekündigt“, erwiederte Georg in ruhigem Tone. „Ich komme, um meine Sachen zu holen und Euch zu ſagen, daß die Tertſchka mit mir geht.“
Der Aufſeher machte eine Bewegung, als wollte er auf ihn zuſtürzen; jedoch er fühlte ſich durch die ernſte, ſichere Miene, mit welcher Georg vor ihm ſtand, wider Willen eingeſchüchtert.
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Du wirſt ſehen, daß er nichts erwiedert. Denn ſo ſchlecht, ſo
niederträchtig er auch iſt: erkennen muß er, daß er kein Recht
und keine Macht hat, Dich zu halten.“
Sie rang noch immer verzweifelt die Hände.
„Faſſe Muth, Reſi“, ſagte er ernſt. „Willſt Du mich
allein ziehen laſſen?“
Sie flog ihm an die Bruſt und klammerte ſich an ſeinem
Halſe feſt.
„Nun alſo“ fuhr er fort und ſtrich ihr ſanft das Haar
aus der Stirne, „gehen wir.“ Und ſie ſchritten langſam auf
die Hütte zu: ſie die Bruſt voll Bangen und Zagen vor den
Dingen, die ſie kommen ſah; er unerſchütterliche Kraft und
Zuverſicht im Herzen. —
Als ſie über die Schwelle traten, ſaß der Aufſeher mit
einem Meſſer in der Hand am Tiſche und ſchälte Kartoffeln.
Er blickte etwas betroffen auf das Paar; aber ſeine Ueber¬
raſchung ſchlug allſogleich in Zorn und Wuth um. „Was
wollt Ihr Zwei da?“ ſchrie er, indem er ſich halb erhob und
den Griff des Meſſers wie kampfbereit auf den Tiſch ſtützte.
„Ihr habt mir die Arbeit gekündigt“, erwiederte Georg
in ruhigem Tone. „Ich komme, um meine Sachen zu holen
und Euch zu ſagen, daß die Tertſchka mit mir geht.“
Der Aufſeher machte eine Bewegung, als wollte er auf
ihn zuſtürzen; jedoch er fühlte ſich durch die ernſte, ſichere Miene,
mit welcher Georg vor ihm ſtand, wider Willen eingeſchüchtert.
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/184>, abgerufen am 16.06.2024.
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